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Hans Peter Thun
Eine Einführung in das Bibliothekswesen der Bundesrepublik Deutschland
DEUTSCHES BIBLIOTHEKSINSTITUT
1998


3. Koordinierung, Kooperation, Dienstleistung

Leihverkehr und Zentralkataloge

Deutschland verfügt über einen organisatorisch gut entwickelten nationalen Leihverkehr, der durch die Leihverkehrsordnung (LVO) von 1993 geregelt ist. Für die Durchführung des Überregionalen Leihverkehrs ist die Bundesrepublik Deutschland in Leihverkehrsregionen eingeteilt. Leihverkehrsregionen und Verbundregionen sind in der Regel identisch. Für die Koordinierung des Leihverkehrs in den Regionen sind Leihverkehrszentralen zuständig. Auch die Bestände Der Deutschen Bibliothek mit ihren Standorten Deutsche Bücherei in Leipzig und Deutsche Bibliothek in Frankfurt a. M. stehen im Leihverkehr nach Ausschöpfen der Ressourcen in den regionalen Pflichtexemplarbibliotheken zur Verfügung. Grundprinzip des Leihverkehrs ist die Gegenseitigkeit, d.h. alle Bibliotheken müssen sich gebend und nehmend beteiligen und ihre Bestände an Zentralkataloge melden. Verschwiegen werden soll hier nicht, daß die Lieferzeiten der im Leihverkehr bestellten Literatur im allgemeinen entschieden zu lang sind, soweit nicht bereits moderne Techniken des document delivery genutzt werden können. Die durchschnittliche Lieferzeit für eine Leihverkehrsbestellung wird mit 19 Tagen angegeben. In den 11 deutschen regionalen Zentralkatalogen sind gegenwärtig 145 Millionen Medien konventionell nachgewiesen.

Im Deutschen Leihverkehr werden jährlich 2,8 Millionen Bestellungen versandt, von denen 87% positiv erledigt werden können. Es beteiligen sich am nehmenden Leihverkehr ca. 1.100 und am gebenden ca. 750. Die Namen der zum Leihverkehr zugelassenen Bibliotheken und ihre Leihverkehrs-Kennungen (Sigel) sind im Sigelverzeichnis nachgewiesen, das die Staatsbibliothek zu Berlin als Sigelstelle zusammen mit dem Deutschen Bibliotheksinstitut herausgibt.

Neben dem überregionalen Leihverkehr gibt es in den Bundesländern auch einen regionalen Leihverkehr, der vor allem der Literaturbeschaffung der kleineren, nicht zum Deutschen Leihverkehr zugelassenen Öffentlichen Bibliotheken dient.

Document delivery auf Grund von Online-Bestellungen wird für Monographien von 7 Lieferanten angeboten, für Zeitschriftenaufsätze von 9. Die bedeutendsten Quellen sind die Technische Informationsbibliothek in Hannover (TIBQUICK) und die Zentralbibliothek der Medizin in Köln (MEDIQUICK). Von den regionalen Bibliotheksverbünden bieten nur Niedersachsen (PICA) und Nordrhein-Westfalen (JASON) die Online-Bestellung von Monographien bei konventioneller Lieferung. Über die Zeitschrifteninhalts-Datenbank JADE ermöglicht JASON neben der konventionellen Lieferung auch die Lieferung von gescannten Dokumenten via E-Mail. Das Deutsche Bibliotheksinstitut bietet über DBI-LINK seit 1995 auch den Durchgriff auf die Dienste des British Library Supply Centers in Boston Spa.

In den 8 Verbunddatenbanken der EDV-Verbundsysteme sind zusätzlich 55 Millionen Medien in elektronischer Form nachgewiesen. Die Verbundsysteme, deren Zentralstandorte meist identisch mit denen der Zentralkataloge sind, haben nicht vornehmlich die Aufgabe des Standortnachweises für den Leihverkehr, sondern der kooperativen Katalogisierung. Eingesetzt wurde in diesen Verbundsystemen bisher vor allem die Software IBAS III und HEBIS. In jüngster Zeit löst das intensiv durch das Land Niedersachsen protegierte niederländische System PICA in einigen Verbünden diese Software ab. Parallel dazu soll, um die Marktvielfalt zu gewährleisten und um nicht in Abhängigkeit von einem einzelnen Anbieter zu kommen, als Ablösesystem auch eine alternative Software unter Federführung des Deutschen Bibliotheksinstituts entwickelt werden. Die Verbunddatenbanken liefern ihre regionalen Datenbestände an die beim Deutschen Bibliotheksinstitut in Kooperation mit der Staatsbibliothek zu Berlin geführten großen nationalen Datenbanken VK und ZDB. Hier werden die leider unterschiedlichen Datenformate der Regionen konvertiert und zum nationalen Nachweis zusammengeführt. Der VK weist gegenwärtig 40,5 Millionen Standorte aus den Verbünden und einigen beteiligten Einzelbibliotheken nach und existiert in je einer Online-Version zur überregionalen Unterstützung der gemeinsamen Katalogisierung und der Retrospektiven Konversion, sowie einer Mikrofiche-Ausgabe für den Leihverkehr. Er ermöglicht damit Direktbestellungen im Leihverkehr unter Berücksichtigung des Regionalprinzips. Er weist, als zentrale Sammelstelle zur Datenlieferung an EROMM, auch Mikroformen und Mikroform-Master nach. Die ZDB erfüllt als zentrale deutsche Zeitschriften-Datenbank ähnliche Aufgaben beim Standortnachweis von Zeitschriften in deutschen Bibliotheken. Hier sind gegenwärtig 660.000 Titel und 2.5 Millionen Standorte nachgewiesen.

Neben den 11 Zentralkatalogen existieren noch 7 fachlich spezialisierte Fachzentralkataloge.

Zwei für das Thema wichtige Projekte sollen hier kurz Erwähnung finden:

Projekt DBV-OSI

Das seit 1989 in seiner ersten und jetzt in seiner zweiten Phase laufende Projekt wird gefördert vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie (BMBF) und der Deutschen Forschungsgemeinschaft und hat das Ziel, die Verbesserung der Literaturversorgung des Endbenutzers zu erzielen durch die Installation eines Deutschen Bibliotheksverbundes auf der Basis von OSI (Open Systems Interconnection)-Standards. Es schafft auch Verzahnungen in dem Bereich der Fachinformation. Mit DBV-OSI soll die Online-Nutzung entfernter Datenbanken zur Unterstützung der Erwerbung und Katalogisierung weiterentwickelt und der Leihverkehr beschleunigt werden. Durch die Verbindung offener Systeme wird der Benutzer von der Bedienungsoberfläche seines vertrauten Systems einen transparenten Zugriff auf die Systeme der Verbundpartner erhalten. Nach Installation ist der Aufbau eines Document-Delivery-Verbundes geplant. Projektpartner sind Die Deutsche Bibliothek, das Fachinformationszentrum Karlsruhe, das Deutsche Institut für medizinische Dokumentation und Information (DIMDI), das Deutsche Bibliotheksinstitut und der Bayerische Bibliotheksverbund. Das OSI-Konzept hat den Vorteil, daß es sich bestimmter Netzstrukturen bedienen kann, die bereits in der Bundesrepublik installiert wurden, des Paketvermittlungsdienstes der TELEKOM DATEX-P und des Deutschen Forschungsnetzes DFN. Das DFN unterstützt als offenes Netz herstellerneutrale Kommunikationsstandards und wird vor allem im Wissenschaftsbereich als Netz von Großforschungseinrichtungen und Universitäten genutzt.

Projekt SUBITO

Ein weiteres Projekt auf dem Gebiet der Beschleunigung der Literaturversorgung ist das seit Herbst 1994 begonnene Vorhaben " Bund-Länder-Initiative zur Beschleunigung der Literatur- und Informationsdienste SUBITO".

Es trägt den zuvor erwähnten, viel zu langwierigen Lieferfristen für Literatur im Leihverkehr Rechnung, soll daher der Entwicklung eines schnellen Systems der Lieferung von Wissenschaftsliteratur dienen und dem Bibliotheksbenutzer (auch dem Nichtbenutzer) von seinem Arbeitsplatz aus Recherchemöglichkeit in den wichtigsten Literaturdatenbanken und Bibliothekskatalogen ermöglichen, einschließlich der elektronischen Direktbestellung über Mail Order und natürlich, sobald auch die elektronische Publikation entsprechend im Bibliotheksverbund verbreitet ist, die elektronische Dokumentenlieferung. Es soll, wie es in einer Pressemitteilung heißt, hier der Anschluß der sich "neben" der Informationswelt entwickelnden Bibliotheken an die "Datenautobahnen" verwirklicht werden und die "vielen Einzelansätze zu einem System zusammenführen, das auf Dauer den bestehenden Leihverkehr ablösen" kann.

Die Bund-Länder-Initiative zur Beschleunigung der Literatur- und Informationsdienste "subito" schuf die Infrastruktur, bundesweit eine neue, qualitativ hochwertige, bibliothekarische Dienstleistung - mit garantierten Leistungsmerkmalen - im Bereich der Literaturversorgung anzubieten. Das Dienstleistungsangebot soll die modernen elektronischen Kommunikationsmöglichkeiten für die Informationskette (Literatur suchen, nachweisen, bestellen, liefern) in vollem Umfang nutzen. Der Benutzer soll - möglichst direkt von seinem Arbeitsplatz oder vermittelt durch eine Bibliothek oder eine Fachinformationseinrichtung - seinen Informationsbedarf aus den Literatur- und Medienbeständen der Bibliotheken unmittelbar oder entsprechend seinen Lieferwünschen decken können. Die Dienstleistung "subito" umfaßt die elektronische Bestellung und Lieferung nicht rückgabepflichtiger Dokumente (Kopien), elektronischer Dokumente und rückgabepflichtiger Dokumente.

Die komplexen finanziellen, technischen und rechtlichen Probleme bei der Lieferung elektronischer bzw. rückgabepflichtiger Dokumente erfordern folgenden Stufenplan:

1. Stufe: subito.1 sieht die elektronische Bestellung und die im Regelfall elektronische Lieferung von nicht rückgabepflichtigen Kopien aus gedruckten Dokumenten vor, deren Standorte elektronisch nachgewiesen sind.

2. Stufe: subito.2 soll zusätzlich Zugang, Speicherung, Erschließung und Lieferung elektronischer Dokumente durch Bibliotheken in einem arbeitsteiligen Verfahren umfassen. Die Ausarbeitung des Konzepts für subito.2 soll parallel zur Einführung von subito.1 erfolgen.

3. Stufe: subito.3 sieht die elektronische Bestellung und Verwaltung rückgabepflichtiger Dokumente vor. Das Konzept für subito.3 soll nach Einführung von subito.1 ausgearbeitet werden.
Leihverkehrsregion Verbundsysteme
Bayerischer ZK an der BSB München Bibliotheksverbund Bayern
Berliner Gesamtkatalog Bibliotheksverbund Berlin/Brandenburg
Norddeutscher ZK an der SuUB Hamburg
ZK Mecklenburg-Vorpommern an der UB Rostock
Norddeutscher Bibliotheksverbund Hamburg, Mecklenburg/Vorpommern, Schleswig-Holstein, Bremen
Niedersächsischer ZK an der SuUB Göttingen
ZK Sachsen-Anhalt an der UuLB Halle
ZK Thüringen an der UuLB Jena
Bibliotheksverbund Niedersachsen / Sachsen-Anhalt (+Thüringen)
ZK Baden-Württemberg u. Teile Rh.Pfalz + Saarland an der Württ.LB Stuttgart
ZK Sachsen an der LB Dresden
Südwestdeutscher Bibliotheksverbund / Sachsen
ZK Nordrhein-Westfalen u. Teile Rh. Pfalz am HBZ Köln Nordrhein-Westfälischer Bibliotheksverbund
ZK Hessen u. Teile Rh.Pfalz an der SuUB Frankfurt Hessisches Bibliotheksinformationssystem
Verbund der Bibliotheken d. obersten Bundesbehörden


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