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BIBLIOTHEKSDIENST Heft 9, 99

Marketing für das alte und kostbare Buch

Marketing für das alte und kostbare Buch

Workshop an der ULB Münster

Reinhard Feldmann

 

Die Universitäts- und Landesbibliothek Münster führte auf Anregung des Unterausschusses für Bestandserhaltung der Deutschen Forschungsgemeinschaft am 14. und 15. Juli einen Workshop in Münster durch, auf welchem Grundsatzfragen zur Bestandserhaltung diskutiert wurden. Hierbei ging es nicht um die Detailfragen der Einzelrestaurierung, der Massenentsäuerung, des Papierspaltens, sondern vorwiegend um die Fragen der „Vermarktung“ dieser Bestandserhaltungsmaßnahmen, also Öffentlichkeitsarbeit und Image-Verbesserung, Sensibilisierung der Öffentlichkeit und der Unterhaltsträger, Fundraising und Sponsoring, mögliche Imagekampagnen, Sinn und Zweck von Buchpatenschaften, Bibliotheksgesellschaften und Fördervereinen.

Der Workshop diente vor allem dem Erfahrungsaustausch untereinander - gleichzeitig aber auch der Vorbereitung eines Kolloquiums der DFG über Grundzüge und Konzepte einer nationalen Bestandserhaltungspolitik.

Im Namen des DFG-Unterausschusses für Bestandserhaltung begrüßte zunächst dessen Vorsitzender, Dr. Antonius Jammers (SB Berlin) die Anwesenden. Er hob hervor, dass die Bestandserhaltung zu einer der wichtigsten Aufgaben der Bibliotheken geworden ist. Angesichts der immensen Schäden, denen unsere Bestände ausgesetzt sind, müssen neue Wege der Finanzierung von Bestandserhaltungsmaßnahmen gefunden werden, denn die anzuwendenden Technologien seien vorhanden, erprobt und bewährt. Nunmehr müssen die Mittel in hinreichendem Umfang zur Verfügung gestellt und zielgerichtet eingesetzt werden. Den Fragen der Mitteleinwerbung für Bestandserhaltungsmaßnahmen diene der Workshop mit 15 ausgewiesenen Experten, der bewusst offen gehalten war und zunächst den Gedankenaustausch untereinander fördern sollte.

Den Einführungsvortrag hielt Reinhard Feldmann (ULB Münster). Er hob zunächst die verschiedenen Aspekte des Bestandserhaltungsmanagements hervor, indem das weite Feld möglicher Maßnahmen im Bereich der Bestandserhaltung vorgestellt wurde:

Hierzu gehören eine detaillierte Schadensanalyse („damage survey“) ebenso wie konservierende Maßnahmen und Einzelrestaurierung besonders wertvoller Originale, Fragen der „format conversion, also Mikroverfilmung und Digitalisierung, Originalerhaltung durch Papierspalten oder durch Massenentsäuerung. Daneben wurden die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen aufgezeigt, auf die wir beim Fundraising und Sponsoring stoßen: Zum einen muss nüchtern konstatiert werden, dass der Hauptanteil aller Bestandserhaltungsaktivitäten nach wie vor aus dem regulären Haushalt oder aus Sondermitteln der Unterhaltsträger kommt, ja kommen muss, zum anderen müssen wir uns beim Verteilungskampf um die knappen Ressourcen möglicher Konkurrenten erwehren.

Anschauungsmaterial und erfolgreiche Kampagnen für die Belange des alten und kostbaren Buches wurden ebenso vorgestellt wie gelungene Präsentationen von Bestandserhaltungsabteilungen im Internet. Gerade das Medium des Internet eröffnet auch den Bestandserhaltern eine Menge (noch nicht immer voll genutzter) Informations- und Selbstdarstellungsmöglichkeiten.

Die vielfältigen Aktivitäten der Deutschen Forschungsgemeinschaft verdeutlichte Dr. Ewald Brahms in seinem Referat: Die DFG stelle erhebliche Mittel für Bestandserhaltungsmaßnahmen zur Verfügung (und dies kontinuierlich seit dem Jahre 1993), vor allem, um Strukturverbesserungen durchzuführen, neue Verfahren und Methoden zu erproben und innovative Impulse zu geben. Mit den Fördermaßnahmen der DFG sollen Planungsgrundlagen geschaffen sowie einheitliche Standards entwickelt werden. Gerade im Bereich der Mikroverfilmung hat sich durch die DFG-Richtlinien quasi eine Norm auf hohem Niveau entwickelt. Entscheidende Impulse gab die DFG auch bei der Entwicklung von Standards im Bereich der Digitalisierung. Nicht vergessen sollte man auch, dass durch die Förderung der DFG auch eine wichtige emotionale Unterstützung der Bestandserhaltungsaktivitäten geleistet wird.

Der Teilnehmerkreis des Workshops setzte sich sehr heterogen zusammen: Neben Vertretern von National- bzw. großen Staatsbibliotheken wie in Berlin oder Wien (beide übrigens mit ihren Generaldirektoren vertreten) nahmen vorwiegend Vertreter von Universitäts- (und Landes-)bibliotheken (UB der Humboldt-Universität Berlin, SUB Dresden, ULB Düsseldorf, UB Marburg, ULB Münster, UB Tübingen) sowie von Stadtbibliotheken mit bedeutendem Altbestand teil (Stadt- und Regionalbibliothek Erfurt, SLB Potsdam). Drei weitere Teilnehmer kamen aus der Bibliothek der Franckeschen Stiftungen in Halle und dem Deutschen Literaturarchiv in Marbach. Alle Teilnehmer brachten unterschiedliche Erfahrungen in kurzen Statements mit in die Diskussion ein, die hier natürlich nicht im Einzelnen geschildert werden können. Nur einige wenige seien exemplarisch vorgestellt:

Engagiert und kenntnisreich in der Sache, dabei erfreulich offen in seinen Ausführungen berichtete Dr. Hans Marte (ÖNB Wien) über seine Erfahrungen mit der „Vermarktung“ des Images der Österreichischen Nationalbibliothek. Hier liegen geradezu ideale Voraussetzungen vor, denn für alle „events“ bieten die Räumlichkeiten der ÖNB, vor allem natürlich der weltberühmte Prunksaal, gute Voraussetzungen. Die Unterstützung der Bestandserhaltungsaktivitäten erfolgt vor allem im Bereich der Buchpatenschaften (wobei Marte den emotionalen Nutzen höher einschätzt als den materiellen), durch Lesungen und „events“, durch Vermietung des Prunksaals für Firmenpräsentationen etc. Wichtig ist die persönliche Betreuung der potentiellen Spender und Sponsoren.

Deutlich wurde aber auch, dass man in Österreich auf der organisatorischen Ebene bedeutend flexibler arbeiten kann als in Deutschland. Mit der sog. „Teilrechtsfähigkeit“ werden der Bibliothek weitaus bessere Rahmenbedingungen geboten als sie derzeit bei dem starren System in Deutschland vorherrschen, wo wirkliche oder vermeintliche Haushaltszwänge, törichte Vorschriften und bürokratische Hemmnisse oftmals erfolgreiche Sacharbeit erschweren, wenn nicht gar verhindern.

Über das weite Feld der Buchpatenschaften referierten Elke-Barbara Peschke (UB der Humboldt-Universität Berlin), Dr. Marianne Riethmüller (ULB Düsseldorf) und Lutz Tygör (SLB Potsdam). Bei sehr unterschiedlicher Ausgangslage haben alle drei Kollegen gute Erfolge erzielt: Die Humboldt-Universität Berlin hat die Sammlung der Brüder Grimm ansprechend in einem historischen Ambiente präsentiert, thematisch gegliederte Kataloge mit Restaurierungsvorschlägen sprechen gezielt einzelne Fakultäten, Personen- und Berufsgruppen an. Die SLB Potsdam setzt auf die klassische Pressearbeit und persönliche Überzeugungsarbeit, auch sie erstellt Kataloge mit Abbildungen der gefährdeten Objekte und konkreten Kostenvoranschlägen. Die ULB Düsseldorf verfügt über die längsten Erfahrungen und hat (in Zusammenarbeit mit einer universitären Forschungsstelle) einen sehr ausführlichen und mit Farbabbildungen versehenen Katalog „Buchpaten gesucht“ herausgebracht, der den Erfolg der Fundraising-Kampagne von 1989 (ebenfalls mit einem gedruckten Katalog und einem bibliophilen Kalender) wiederholt. Im Gegensatz zu 1989 sind es diesmal weniger Firmen, die Buchpatenschaften übernehmen (wohl eine Folge des Überhandnehmens von entsprechenden Anschreiben), als vielmehr Einzelpersonen. Eine kontinuierliche Pressearbeit und ein konkretes Projektvorhaben wurden als wichtigste Voraussetzungen genannt. Kritisch merkten alle Beteiligten an, dass gerade das Einwerben von Buchpatenschaften sehr arbeits- und zeitintensiv ist.

Die Möglichkeiten, welche Freundes- oder Fördergesellschaften bieten, können vielfältig genutzt werden, denn Fördergesellschaften können oftmals sehr viel flexibler reagieren als die Bibliotheken selbst. So jedenfalls das Fazit der beiden betroffenen Kolleginnen, Kathrin Paasch (Stadt- und Regionalbibliothek Erfurt) und Dr. Gabriele Spitzer (SSB Berlin), welche schwerpunktmäßig über ihre Erfahrungen mit Fördergesellschaften berichteten. Kritisch wurde von den Teilnehmern die Begründung einer Fördergesellschaft an den Universitätsbibliotheken gesehen, denn oftmals existieren bereits Freundes- oder Fördergesellschaften für die Gesamtuniversität - hier müssen Kooperationsmechanismen gefunden werden.

Der Freistaat Sachsen besitzt unter den deutschen Bundesländern wohl ein besonders fundiertes und ehrgeiziges Bestandserhaltungskonzept, Folge auch einer recht weit gediehenen Professionalisierung und Institutionalisierung der Arbeitsstelle für Bestandserhaltung, die an der Sächsischen Landesbibliothek / Staats- und Universitätsbibliothek Dresden als Landesstelle für Bestandserhaltung die Arbeiten koordiniert. Dr. Wolfgang Frühauf berichtete über gute Erfolge durch Zuwendungen des Unterhaltsträgers (zentrale Sondermittel) sowie über diverse Unterstützungen durch Freunde und Förderer. Gerade in Dresden ist jedoch die Konkurrenz durch Museen und andere kulturelle Einrichtungen besonders groß, dazu kommt das ehrgeizige Projekt des Wiederaufbaus der Frauenkirche. Dieses Projekt erfreut sich der Mittelzuwendungen fast aller großer Firmen, welche dann allerdings keine Gelder mehr fürs alte Buch aufbringen können.

Die Staatsbibliothek Berlin als eine der beiden größten und bedeutendsten Bibliotheken Deutschlands hat den Belangen der Bestandserhaltung in den letzten Jahren verstärkt ihre Aufmerksamkeit gewidmet. Doch selbst die enormen Mittel, welche Berlin aufwendet, sind nicht hinreichend. Daher wurden (sorgfältig vorbereitet) Benutzungsgebühren eingeführt, welche ausschließlich der Bestandserhaltung zugute kommen. Darüber hinaus arbeitet auch die Staatsbibliothek zu Berlin im Bereich der Buchpatenschaften. Unterstützung erfährt sie in allen diesen Projekten durch den Verein der Freunde der Staatsbibliothek zu Berlin. Die Vorteile liegen klar: Ein Verein kann sehr viel flexibler reagieren als eine durch das Haushaltsrecht oftmals gebundene Bibliothek. Welche Einschränkungen gerade kreative Bibliothekare immer wieder erleben, besser: erleiden müssen, dürfte bekannt sein. Neu an der Konzeption der Staatsbibliothek ist, dass erstmals versucht wird, Fundraising mit Hilfe einer professionellen Werbeagentur durchzuführen, wobei die Sacharbeit natürlich von der Staatsbibliothek geleistet werden muss. Die Agentur soll einen prozentualen Anteil an den Einnahmen erhalten.

Die Diskussion am zweiten Tag konzentrierte sich auf ein mögliches Aktionsprogramm:

Dringend und unerläßlich ist zunächst einmal eine nationale Bestandserhaltungskonzeption. Dies bedeutet nicht notwendigerweise eine alleinige Konzentrierung auf die ganz großen Bibliotheken, sondern entsprechend der föderalen Struktur Deutschlands Absprachen und arbeitsteiliges Vorgehen von Staatsbibliotheken, Landesbibliotheken, Universitätsbibliotheken, Stadtbibliotheken und Spezialbibliotheken. Auf die Länderkonzeptionen, wie sie für Baden-Württemberg oder Sachsen in weitgehend vorbildlicher Weise, für Bayern, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen immerhin auf recht gutem Niveau vorliegen, wurde hingewiesen. In vielen Bundesländern bestehen jedoch hinsichtlich der konzeptionellen Planung noch Defizite und ein enormer Nachholbedarf. In Hessen wurde sogar ein erfolgreiches und langjähriges Landeskonzept zur Massenentsäuerung (welches u.a. eine Kooperation der Staatsarchive und Landesbibliotheken vorsah) durch Austrocknen des Etats zurückgefahren. Aber ohne Länderkonzeptionen geht es nicht, denn auf diesen Länderkonzeptionen muss schließlich die nationale Bestandserhaltungskonzeption aufsetzen. Dieses Erhaltungskonzept sollte alsbald erarbeitet und dann den Unterhaltsträgern vorgelegt werden.

Hoffnung wurde von allen Teilnehmern in den neu eingerichteten Kulturausschuss des Bundestages gesetzt, immerhin gibt es damit zum ersten Mal seit Bestehen der Bundesrepublik einen Auschuss (und damit hoffentlich auch ein Sprachrohr) für die Kultur. Auch die Kultusministerkonferenz hat Akzente zu setzen vermocht, indem sie u.a. die Empfehlung aussprach, 1% des Erwerbungsetats für Bestandserhaltung zu verwenden. Zwar ist dies nicht in allen Ländern geschehen, die Empfehlung kann aber gleichwohl als wichtiges Signal gewertet werden.

Die Tatsache, dass Aspekte der Bestandserhaltung auf den letzten Bibliothekartagen wieder einen Platz im Hauptprogramm erhalten haben, wurde positiv vermerkt. Die „Bestandserhalter“ werden auch in ihren eigenen Häusern und innerhalb der Berufsgruppe noch manche Überzeugungsarbeit leisten müssen.

Die Frage, wie man zu einer Übersicht über den Schadensbefund und zu einer Abschätzung der benötigten Mittel kommen sollte, wurde kontrovers diskutiert. Ein „Handbuch des Schadensbefundes“ muss nicht unbedingt erstellt werden, aber sicherlich brauchen wir in kurzer Zeit verlässliche Zahlen. Diese müssen von den beteiligten Bibliotheken möglichst bald selbst geliefert werden.

Die Bibliotheken selbst benötigen ein Marketingkonzept. Dieses könnte auch in Abstimmung mit den beteiligten Bibliotheken von professionellen Agenturen erstellt werden und möglichst viele Elemente enthalten, die von anderen interessierten Bibliotheken benutzt werden können. Dieses Marketingkonzept muss um Komponenten der Öffentlichkeitsarbeit angereichert werden und sollte möglichst professionell sein.

Der Trend im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit geht zum „event“. Begriffe wie „Kulturtourismus“ und (horribile dictu) „Kulturwirtschaft“ können durchaus kritisch gesehen werden, bieten andererseits aber auch Chancen für die Bestandserhaltung. Auch der stärkeren Regionalisierung müssen wir Rechnung tragen. Die Gegenangebote der Gesponsorten für den Sponsor müssten noch einfallsreicher werden (über die Nennung auf Plakaten und Katalogen hinaus).

 

Das Fazit der Tagung

Es besteht ein dringender Aktionsbedarf im Bereich der Bestandserhaltung unseres kulturellen Erbes.

Trotz unterschiedlicher Probleme der beteiligten Bibliotheken hinsichtlich Qualität und Quantität der ihnen anvertrauten Bestände und der baulichen Situation haben die Bibliotheken eines gemeinsam: Sie stehen vor großen und wichtigen Aufgaben im Bereich der Bestandserhaltung angesichts immer knapper werdender Geldmittel.

Resignation ist gänzlich fehl am Platz, denn zum einen gibt es verbesserte technische Voraussetzungen, um die anstehenden Probleme zu lösen (entsprechende Geldmittel natürlich vorausgesetzt), zum zweiten gibt es schon viele positive und ermutigende Beispiele für erfolgreiche Kampagnen, wie das Image der Bibliotheken verbessert werden kann und entsprechende Fördermittel gewonnen werden können.

Eine Emotionalisierung von Öffentlichkeit und Unterhaltsträgern für die Sicherung unseres kulturellen Erbes ist wichtig.

Die Bibliotheken müssen sich verstärkt als kulturelle Institutionen begreifen, nicht nur als Informationsvermittlungsstellen. Eine Identifikation der Öffentlichkeit mit den Bibliotheken und den darin befindlichen historischen Sammlungen ist unerlässlich.

Unser Erscheinungsbild muss noch professioneller werden.

Positiv am ergebnisreichen Workshop war sicher, dass, bedingt durch die Teilnahme von Kollegen aus ganz unterschiedlichen Bibliotheken und aus unterschiedlichen Arbeitsgebieten innerhalb der Bibliotheken (Öffentlichkeitsarbeit, Verwaltung historischer Drucke, Handschriftenabteilung, Bestandserhaltung, Direktion) ein breites Spektrum in der Diskussion erreicht worden ist. Die Diskussionen stimmen optimistisch. Die Kommunikation ist in Gang gekommen.


Stand: 06.09.99
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