Horst Hilger
Auf Einladung des Bibliotheksservice-Zentrums Baden-Württemberg (BSZ) trafen sich am 4. Mai 1999 fünfundvierzig Fernleihbibliothekare der Südwest-Region in der Württembergischen Landesbibliothek in Stuttgart.
Die Leiterin des BSZ, Dr. Marion Mallmann-Biehler, äußerte sich zu Beginn des ganztägigen Treffens zum aktuellen Stand der Verbundkooperation. Die Kooperation, die das BSZ gemeinsam mit den Partnern Hochschulbibliothekszentrum (HBZ) des Landes Nordrhein-Westfalen, Bibliotheksverbund Bayern (BVB) und DBI 1995 vereinbart hat, ist de facto gescheitert: Das HBZ prüft mittlerweile die Einführung des Bibliothekssystems Aleph 500 der israelischen Firma ExLibris im nordrhein-westfälischen Verbund; der BVB konzentriert sich darauf, die jetzige Verbundsoftware Jahr-2000-fähig zu machen; das DBI ist in Abwicklung begriffen. Der Südwestdeutsche Bibliotheksverbund (SWB) ist der einzige regionale Verbund, der das ursprünglich angestrebte Ziel, die Ablösung der Verbundsysteme durch HORIZON, weiterhin betreibt. HORIZON ist das in Deutschland durch die Firma Dynix GmbH vertriebene Bibliothekssystem des US-amerikanischen Anbieters Ameritech Library Systems.
Der SWB wird erste Schulungen im neuen System ab Juli 1999 für die Bibliotheken seiner Verbundregion durchführen, die endgültige Umstellung wird voraussichtlich im 4. Quartal 1999 erfolgen. Bei der Entwicklung der Funktionalitäten werden die Schwerpunkte auf Katalogisierung und Recherche gelegt; auf eine zentrale Fernleih-Funktion auf Verbundebene wird vorerst verzichtet. Stattdessen unterstützt das BSZ auf der Verbundebene das Subito.3-Konzept: Der Benutzer ermittelt das gewünschte Buch über den SWB-OPAC (bzw. einen virtuellen OPAC mehrerer regionaler Verbundsysteme), bekommt die Subito.3-Lieferbibliothek(en) angezeigt, die dieses Buch liefern können und setzt dann die Bestellung direkt an die DOD-Station (einer) dieser Lieferbibliothek(en) ab. In der Endstufe ist die direkte Kopplung der HORIZON-Lokalsysteme an die DOD-Stationen der Lieferbibliotheken geplant, so daß der Benutzer schon bei der Bestellung über den Ausleihstatus des Buchs informiert wird.
Axel Jacquin (BSZ) stellte das neue landeseinheitliche Lokalsystem mit dem Schwerpunkt Fernleihe vor. Die Fernleihfunktionalität wird den 6 OLAF-Bibliotheken UB Hohenheim, UB Mannheim, UB Stuttgart, UB Tübingen, der Badischen Landesbibliothek und der Württembergischen Landesbibliothek, die bis Ende 1999 wegen des Jahr-2000-Problems umstellen müssen, rechtzeitig und vollständig zur Verfügung stehen. Die aktive Fernleihe ist bereits in HORIZON 5.2g integriert und im BSZ Konstanz in den letzten Wochen getestet worden.1)
Die Leihverkehrsordnung (LVO) von 1993 ist vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst (MWK) Baden-Württemberg mit Erlaß vom 24. 2. 1999 rückwirkend zum Jahresbeginn geändert worden: Die Zulassung von Bibliotheken zum Leihverkehr im Bundesland Baden-Württemberg - bisher Aufgabe des MWK - wurde auf das BSZ übertragen (Az: 53-702.4/87).2) Die wichtigsten Grundzüge der neuen LVO, deren Entwurf eine (vom DBI berufene) Expertengruppe vorgelegt hat, wurden vom BSZ vorgestellt. Leider ist die neue LVO in der Zwischenzeit auf dem langen und beschwerlichen Weg durch die Gremien (Konferenz der Zentralkataloge, Benutzungskommission des DBI, AG Wissenschaftliche Bibliotheken der KMK) ins "Straucheln" geraten: Die KMK hat die LVO einstweilen gestoppt, weil sie in einer wie auch immer gestalteten Ordnung für den Leihverkehr in der Bundesrepublik Deutschland die privatrechtlich organisierten Dokumentlieferdienste berücksichtigt sehen möchte.
Helmut Gorenflo (UB Karlsruhe) berichtete über die Erfahrungen seiner Bibliothek als Subito-Lieferant: Die UB Karlsruhe bearbeitet Subito-Aufträge mit Hilfe ihres LEA-Systems (= Elektronisches Aufsatzliefersystem für die Universität Karlsruhe).3) LEA ist eine Eigenentwicklung der UB Karlsruhe und seit Mitte 1997 in Betrieb. Das System liefert Zeitschriftenaufsätze kostenlos innerhalb von 3 Arbeitstagen an Mitarbeiter der Universität (nicht an Studenten). Beim Start von Subito im Oktober 1997 war LEA bereits in Betrieb. Es lag deshalb nahe, Subito und LEA-Aufträge zu bündeln und Subito-Bestellungen ebenfalls unter der LEA-Oberfläche zu bearbeiten. Christa Kuon (Bibliothek der Universität Konstanz) hatte schon im September 1998 auf dem BSZ-Kolloquium in Stuttgart-Vaihingen zusammen mit Günther Rau über die Erfahrungen ihrer Bibliothek als Subito-Lieferant informiert.4) Sie lieferte einige aktuellere statistische Daten nach und wies darauf hin, daß die Subito-Bestellungen auf Kosten der DBI-LINK-Aufträge in Konstanz erheblich zugenommen haben. In den ersten drei Monaten 1999 hat sich diese Entwicklung noch beschleunigt: 5.632 Subito-Bestellungen stehen nur noch 2.545 DBI-LINK-Aufträge gegenüber.
Annette Philipp (UB Heidelberg) berichtete über die Subito-Erfahrungen einer passiv nutzenden Bibliothek. Zur Förderung der Subito-Nutzung, aber auch der SSG-S-Dienste hat die Heidelberger Bibliothek einige Maßnahmen ergriffen: Ein Leistungsvergleich der verschiedenen Dokumentlieferdienste auf den WWW-Seiten der UB Heidelberg hilft dem Benutzer bei der Entscheidungsfindung; von Ende März bis Anfang Mai 1999 sind im Informationszentrum Altstadt sog. Subito- und SSG-S-Werbewochen durchgeführt worden. Interessenten konnten sich anhand einer Powerpoint-Präsentation über die beiden Dienste als Alternative zur konventionellen Fernleihe informieren. In täglichen Infoveranstaltungen, die circa 1 - 1,5 Stunden dauerten, konnten sich Benutzer in Subito registrieren lassen und erhielten Hinweise zum Handling der Dokumentlieferdienste, einschließlich des "Entpackens" von elektronischen Lieferungen.
Nach dem Vorbild von OLIVER, dem Service der UB Mainz, bietet die UB Heidelberg unter dem Namen HEIKO eine besondere Dienstleistung für ihre Benutzer an: Die UB übernimmt für Benutzer mit ungenügenden EDV-Kenntnissen Bestandsrecherchen bei Dokumentlieferdiensten, die Direktbestellung bei einem Lieferanten, das "Entpacken" der in elektronischer Form gelieferten Literatur und stellt die gewünschten Dokumente in Papierform zum Abholen in der Ausleihe bereit. Die Kosten für diese komfortable Art der Bestellung werden selbstverständlich an die Benutzer weitergegeben.
Die Erhöhung der Fernleihgebühren von DM 1,- auf DM 3,- trat - neben anderen Gebührenerhöhungen - am 24. 12. 1997, dem Tag nach der Verkündung im Gesetzblatt des Landes Baden-Württemberg, in Kraft.5) Anlaß für die Erhöhung waren u.a. die Kostenentwicklung bei den Versandgebühren und die Einführung des Schnellieferdienstes Subito. Folge: Die Fernleihbestellungen in den wissenschaftlichen Bibliotheken Baden-Württembergs gingen erheblich zurück (bspw. im nehmenden Leihverkehr in der UB Freiburg um etwa ein Drittel, in der WLB Stuttgart um 20%, in der UB Ulm um 13,5%, in der UB Heidelberg um 29%). Die Gebührenerhöhung ist differenziert zu bewerten, weil doch viele "überflüssige" Bestellungen unterblieben sind und die Dokumentlieferdienste, allen voran Subito, den Erwartungen vieler Benutzer eher entsprechen als die Angebote der konventionellen Fernleihe. Die Saarländische Universitäts- und Landesbibliothek Saarbrücken wird ab 1. 8. 1999 ebenfalls die Fernleihgebühren auf DM 3,- erhöhen. Auf Vorschlag der Bibliothekskommission hat der Senat der Universität des Saarlandes der Erhöhung zugestimmt und im Dienstblatt der Hochschulen des Saarlandes veröffentlicht.
Dr. Hannsjörg Kowark, neuer Direktor der Württembergischen Landesbibliothek, berichtete über die Bibliothekskooperation zwischen Baden-Württemberg und Bayern, die auf einer gemeinsamen Kabinettssitzung im Juni 1998 in Neu-Ulm vereinbart worden war. Im Herbst 1998 wurden auch Vertreter des Freistaats Sachsen miteinbezogen. Die Kooperation erstreckt sich auf folgende Arbeitsfelder: Verbundkatalogisierung, retrospektive Katalogkonversion und Digitalisierung von Bibliotheksbeständen, Einrichtung eines Fernleihverbundes und Erwerbungsabsprachen, Schulungen und Fortbildungsveranstaltungen. Mit diesen Arbeitsfeldern wurde je eine Arbeitsgruppe betraut.
Das Projekt eines Fernleihverbundes zwischen Baden-Württemberg, Bayern und Sachsen basiert auf einem gemeinsamen virtuellen Katalog der beiden regionalen Verbünde SWB und BVB. Dieser Katalog bildet die Grundlage für die Fernleihbestellungen. Konnte der Benutzer im virtuellen Katalog den gewünschten Titel ermitteln, so bestellt er auf der Grundlage der Titeldaten direkt im Fernleihverbund. Die Bestellung erfolgt über ein WWW-Formular; Titel- und Bestandsdaten werden aus dem Rechercheergebnis in das Formular übernommen. Der Benutzer ordert bei seiner Heimatbibliothek, die wiederum die besitzende Bibliothek im Fernleihverbund ermittelt und elektronisch bei dieser bestellt. Der Versand des Buches erfolgt - wie bei der konventionellen Fernleihe - an die Heimatbibliothek des Benutzers, die ihm anschließend das Buch zur Verfügung stellt. In einer weiteren Stufe wird dem Benutzer beim Bestellvorgang mitgeteilt, ob sein gewünschtes Buch in einer der beteiligten Bibliotheken verfügbar ist. Falls ja, wird die Bestellung eingetragen, falls nein, kann der Benutzer eine konventionelle Fernleihe veranlassen. Außerdem wird der Benutzer jederzeit - wenn er es denn will - über den Status seiner Bestellung informiert. Im Gegensatz zu den Subito.3-Planungen, die von der Direktbestellung des Benutzers bei der besitzenden Bibliothek ausgeht, wird die Fernleihe nach diesem Modell - wie gehabt - zwischen gebender und nehmender Bibliothek abgewickelt.
Gerold Hoffmann (Saarländische Universitäts- und Landesbibliothek Saarbrücken) stellte die wichtigsten Ergebnisse des Abschlußberichts für das Projekt Büchertransportsysteme II 6) vor und gab einen Überblick zu den bereits realisierten Containerdiensten in der Südwest-Region. Im Fernleihverkehr ergeben sich jährlich bundesweit 3,4 Mio. Transporteinheiten, davon 1,24 Mio. Einheiten für Hin- und Rücktransport von Büchern und fast 900.000 Kopien. Die Hälfte dieses Transportvolumens wurde bisher in teurem Einzelversand verschickt. Eine Kostenermittlung im Rahmen des Projekts "Büchertransportdienst Deutschland (BTD)" hat ergeben, daß durch die Kombination von regionalen Bücherautodiensten mit überregionalem Containerversand ein Einsparpotential von insgesamt 3,64 Mio. DM pro Jahr bei sogar verbesserter Laufzeit möglich ist. Erkenntnisse aus einer ersten Untersuchung in den Jahren 1993-95 konnten teilweise schon in der zweiten Projektphase 1997-98 umgesetzt werden, wodurch Einsparungen in Höhe von 1,8 Mio. DM erzielt wurden. Die konkreten Zahlen resultierten aus einer Fragebogenaktion, an der sich 198 leihverkehrsrelevante Bibliotheken beteiligten.
Die KMK hat im November 1998 beschlossen, die Praxisphase fortzusetzen und zu diesem Zweck die Göttinger Logistik-Zentrale weiter auszubauen und finanziell zu unterstützen. Ziel des überregionalen Büchertransportdienstes ist laut KMK die Lieferung in 24 Stunden als Regelfall. In der Südwest-Region konnten u.a. folgende Verbesserungen durch Containerdienste erreicht werden: 1997 wurden Containerdienste nach Niedersachsen mit beiden Bücherautolinien der Südwest-Region eingerichtet; 1998 konnte die Nordroute per Containerdienst an Bayern, die Südroute an Sachsen angeschlossen werden; innerhalb der Südwest-Region begann im Mai 1998 der Containerversand zwischen Karlsruhe nach Konstanz und umgekehrt; im Februar 1999 wurde die UB Ulm per Containerdienst an das Bücherauto der Südwest-Region angebunden. Nach Analyse der Containerlaufzeiten und der Auslastung von und nach den verschiedenen Stützpunkten hat sich mittlerweile ergeben, daß Karlsruhe der günstigste Stützpunkt für die Südwest-Region ist. Bis zum Sommer werden dementsprechend an der UB Karlsruhe 4 Wohncontainer mit entsprechender Infrastruktur installiert.
Besonders lebhaft diskutierten die Tagungsteilnehmer wie immer Probleme der Leihverkehrspraxis. Dabei ging es unter anderem um die Nutzung des SWB, des Karlsruher Virtuellen Katalogs (KVK) und der ZDB im Leihverkehr, die Behandlung von Neuen Medien in der Fernleihe, Fragen der Online-Fernleihe, des Musikalien-Leihverkehrs und des Internationalen Leihverkehrs.
Die Leihverkehrstagung in Stuttgart zeigte erneut, daß die mit Fragen des überregionalen Leihverkehrs befaßten Kollegen daran interessiert sind, Erfahrungen und Informationen miteinander auszutauschen. Das BSZ wird auch in Zukunft diesem Bedürfnis entsprechen und Treffen baden-württembergischer, pfälzischer und saarländischer Leihverkehrsexperten organisieren.
1) Das Bibliotheksservice-Zentrum Baden-Württemberg stellt im WWW laufend aktualisierte Informationen zum neuen Verbund- und Lokalsystem zur Verfügung. Die WWW-Adressen lauten: http://www.swbv.uni-konstanz.de/verbundsys/ bzw. http://www.swbv.uni-konstanz.de/lokalsys/.
2) Amtsblatt Wissenschaft, Forschung und Kunst 1999. S. 105.
3) Vgl. dazu Diana M. Tangen; Günter Radestock. "Elektronische Lieferung von Zeitschriftenaufsätzen - LEA: Ein neuer Service der Universitätsbibliothek Karlsruhe." BIBLIOTHEKSDIENST 32 (1998) S.49-56.
4) Christa Kuon; Günther Rau. SUBITO: Erfahrungen einer Lieferbibliothek. In: 1.BSZ-Kolloquium am 17. und 18.September 1998 in der Universität Stuttgart. Vorträge. Red.: Renate S. Koch. Konstanz: BSZ, 1998. S.62-65. Unter der Adresse http://www.swbv.uni-konstanz.de/wwwroot/text/bszkoll98subito.html kann der Vortrag auch im WWW abgerufen werden.
5) Gesetzblatt Baden-Württemberg vom 23.12.1997. S. 540-542.
6) Büchertransportdienst Deutschland (BTD) (Büchertransportsysteme II). Der Abschlußbericht ist soeben beim DBI als "dbi-materialien; 187" veröffentlicht worden.