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BIBLIOTHEKSDIENST Heft 8, 99

"Bitte bis heute abend..."

Rationalisierung in einer One-Person Library

Rielies Neitzke

 

Zusammenfassung:

One-Person Libraries (OPL) stehen als "Ein-Mann-Betrieb" unter besonderem Zeitdruck. Doch speziell auf diese Bibliotheken zugeschnittene Software ist Mangelware. Programme für eine OPL müßten sich problemlos installieren lassen, praxisorientiert und äußerst einfach zu bedienen sein und dürften außerdem nur wenig kosten. Vorgestellt werden ein Programm zur Standortermittlung bei anderen Bibliotheken und eine Periodikaverwaltung, die speziell für eine OPL entwickelt wurden.


"Das brauchen wir noch heute. Sie sind kompetent, haben Routine. Ich baue auf Sie!" Ein Lob, das jedes Bibliothekarinnenherz höher schlagen läßt. Erst recht in einer One-Person Library (OPL), wo König Kunde eine Wunschliste hinterlegt und die Bibliothekarin - selten ist es ein Mann - damit alleine läßt.

Dabei schlägt das Bibliothekarinnenherz hinter dem Schreibtisch schon genügend schnell. In den OPLs, wo Arbeit nicht verteilt werden kann und Urlaubsvertretungen rar sind, haben wie überall die Aufgaben rapide zugenommen. Was läßt sich also tun, damit Zeitschrifteneingänge, Neuanschaffungen, Fernleih- und Aufsatzbestellungen problemlos erledigt werden und man sich König Kunde und seinen oft komplizierten Wünschen widmen kann?

Um angemessen auf heutige Anforderungen zu reagieren, ist in einer OPL öfters eine Arbeitsplatzanalyse notwendig, vor allem unter dem Aspekt des Zeitmanagements. Was hat sich gegenüber früher verändert? Welche Aufgaben werden mit welchem Zeitaufwand erledigt? Wo kann man vereinfachen, straffen und eventuell auch automatisieren?

Ausgangssituation in einer wissenschaftlichen OPL

Das Bonner Informationszentrum Sozialwissenschaften (IZ), eine von Bund und Ländern finanzierte Einrichtung im Rahmen der Gesellschaft Sozialwissenschaftlicher Infrastruktureinrichtungen e.V. (GESIS) mit rund sechzig Mitarbeitern, produziert u.a. Datenbanken, darunter die sozialwissenschaftliche Literaturdatenbank SOLIS. Für sie werden aus Qualitätsgründen keine Metainformationen verwendet, sondern meist Originalliteratur, welche u.a. von der eigenen Bibliothek - einer OPL - beschafft und im Haus anschließend ausgewertet wird. Zusätzlich beliefert diese Bibliothek die IZ-Forschungsabteilung mit größeren Mengen Fachliteratur.

Neben der Pflege eigener Bestände muß von der OPL also relativ viel bei anderen Bibliotheken recherchiert und ausgeliehen werden. Allein für den Input in die Datenbank SOLIS handelt es sich jährlich um rund 3.000 Titel. Hinzu kommen 350 regelmäßig eingehende Fachzeitschriften und Loseblattsammlungen, die gleichfalls ausgewertet werden und in den Bestand eingehen.

Nachdem in den letzten Jahren die Zeitschriftenberge bedenklich angewachsen waren, ergab eine Arbeitsplatzanalyse in der Bibliothek des IZ zwei zeitaufwendige Bereiche, in denen eine Straffung mit EDV-Technik möglich erschien:

Bei der Suche nach geeigneter Software stellte sich bald heraus, daß für den ersten Bereich, eine automatisierte Standortermittlung, keine Programme auf dem Markt angeboten wurden. Die lieferbare Software für den zweiten Bereich (Periodikaverwaltung) war wiederum nicht optimal auf die Bedingungen der IZ-Bibliothek abgestimmt: Schon die Bedienung der meist sehr komplexen Programme frißt einiges von der Zeitersparnis wieder auf.

Interne Software-Entwicklungen

Am IZ Sozialwissenschaften arbeiten, da es sich um einen Datenbankproduzenten mit angeschlossenem Forschungsbereich handelt, auch Informatiker. Ihre Aufgabe ist es u.a., die Arbeitsprozesse im Institut technologisch zu unterstützen. Mit ihrer engagierten Hilfe entstand nun ein Software-Paket, das beide Bereiche weitgehend automatisiert. Ursprünglich nur für die hauseigene Bibliothek konzipiert, kommt ein Teil des Pakets inzwischen in einigen anderen One-Person Libraries zur Anwendung.

Nur für die speziellen Bedingungen des IZ Sozialwissenschaften entwickelt ist das erste von insgesamt zwei Programmen dieses Pakets, das auf der elektronischen Version der Deutschen Nationalbibliographie aufsetzt. Auf Diskette angeliefert, wird die Nationalbibliographie von diesem Programm auf Sachgruppen, die für die IZ-Datenbank SOLIS interessant sind, vorselektiert. Anschließend sehen Mitarbeiter die Sachgruppen auf relevante Titel durch. Nach einem automatisierten Dublettenabgleich mit der Datenbank leitet das Programm dann die Bestellwünsche an den PC der OPL weiter, wo die Bibliothekarin sie auf ihrem Bildschirm abruft.

Sie führt die Standortrecherche durch, wofür sie einen automatisierten Vorgang auf ihrem PC anstößt: Das Programm klinkt sich ins Internet ein, wählt dort die Internet-Seite des HBZ-Katalogs und sucht mittels ISBN in den Beständen der angeschlossenen nordhrein-westfälischen Bibliotheken. Bei einem Treffer übernimmt das Programm das Bibliothekssigel, bei Treffern an den Standorten Köln und Bonn - an denen die OPL gewöhnlich ausleiht - übernimmt es nur die Signatur. (Abb. 1) Anschließend druckt das Programm für alle Bestellungen die fertig ausgefüllten Leihscheine aus. Das Programm könnte noch ausgebaut werden und beispielsweise die automatische Bestellung via Internet übernehmen.


Abbildung 1: Ergebnis der automatischen Standortsuche

Periodikaverwaltung mit SCHILDKRÖTE

Abgeschlossen ist die Entwicklung des zweiten Programms. Bei ihm handelt es sich um die Periodikaverwaltung SCHILDKRÖTE, ein Name, der für Robustheit, Weisheit, Ausdauer und Langlebigkeit steht - wobei, was nicht verschwiegen werden soll, auch das Lieblingstier der Bibliothekarin zum Zuge kam. Mehr als üblich war sie an der Entwicklung des Programms beteiligt, das von der IZ-Forschungsabteilung im Rapid prototyping-Verfahren programmiert wurde. Dieses auf einem Frage-Antwort-Diskurs beruhende Verfahren gewährleistet, daß schon in der Entwicklungsphase Anregungen und Kritik potentieller Anwender berücksichtigt werden. Im Vordergrund standen besonders die Software-Ergonomie und eine optimale, auf eine One-Person Library abgestimmte Leistung. Zudem wurden einige Zukunftsperspektiven berücksichtigt:

Eignung für andere OPLs

Bei einer Vorführung im OPL-Arbeitskreis der Region Köln-Bonn weckte SCHILDKRÖTE sofort großes Interesse. Das Programm wird mittlerweile in acht OPLs eingesetzt. Ausschlaggebend waren neben dem niedrigen Preis (500,- DM + MWSt.) seine Ergonomie und die optimale Eignung für One-Person Libraries:

 


Abbildung 2: Eingabemaske "Titelverwaltung" mit Neuaufnahme

 


Abbildung 3: Eingabemaske "Heft- und Verteilerverwaltung"

Fazit

Nicht jede Bibliothekarin hat die Chance, eine Spezialsoftware geschneidert zu bekommen. Auf dem Markt erhältliche Programme sind oft überdimensioniert, wenn es um kleine Bibliotheken mit nicht immer optimalen Arbeitsbedingungen geht. Das erste Programm für die Recherche in fremden Bibliothekskatalogen mag nur für spezielle Fälle geeignet sein, SCHILDKRÖTE hingegen mit seiner einfachen Bedienungsoberfläche und den notwendigsten Funktionen kommt dem Bedarf einer One-Person Library, die von pragmatischer Improvisation lebt, entgegen. Es verwundert, daß bisher niemand auf diese einfache Idee gekommen war. Ob es daran liegen mag, daß die viele Tausend OPLs im Stillen wirken?

Eine detaillierte Programmbeschreibung findet sich im Internet unter http://www.bonn.iz-soz.de/software/turtle/index.htm


Stand: 06.08.99
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