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BIBLIOTHEKSDIENST Heft 6, 99

Aktuelle Entwicklungen der Urheberrechts-Gesetzgebung

Abstimmungsgespräch bibliothekarischer Gremien

Elke Dämpfert, Helmut Rösner

 

Am 7. Mai 1999 traf sich die Arbeitsgruppe Copyright, bestehend aus Vertretern von BDB (Prof. Birgit Dankert), DBV (Dr. Arend Fleming, Prof. Dr. Elmar Mittler, Elke Dämpfert), DBI-Rechtskommission (Gabriele Beger, Ulrich Moeske, Prof. Klaus Peters) und DBI (Helmut Rösner) in der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen zu einem Abstimmungsgespräch. Dieses diente zugleich der Vorbereitung für ein anschließendes Fachgespräch "Bibliotheken - Garanten der Information auch im Zeitalter der digitalen Medien?", zu dem die Abgeordnete des Europa-Parlaments Erika Mann und Dr. Hans-Georg Stork von der Generaldirektion XIII/E-5 sowie mehrere Wissenschafts- und Kulturjournalisten eingeladen waren.
 

Entwicklungen in Europa: EU-Richtlinie

Am 15. März 1999 hatte das erste Treffen der EBLIDA-Expertengruppe "Copyright" in Brüssel stattgefunden, bei dem über den Stand nach der ersten Lesung des "Richtlinienentwurfs zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts..." im Europa-Parlament und über das weitere Vorgehen der europäischen Bibliotheksverbände diskutiert wurde.

Die von EBLIDA eingebrachten Vorschläge zum Richtlinienentwurf sind größtenteils unberücksichtigt geblieben. Einige Ausschüsse (Verbraucher, Kultur) haben sie zwar in eigenen Alternativvorschlägen aufgegriffen, aber im Plenum setzte sich die Fassung des Rechtsausschusses durch. Die wirtschaftlichen Interessen werden hier eindeutig höher bewertet, daher werden in der in Erster Lesung verabschiedeten Fassung den Rechtsinhabern umfassende Vergütungsansprüche eingeräumt. Allerdings wird gegenwärtig durch die EU-Kommission ein "verbesserter Vorschlag" des Richtlinienentwurfs vorbereitet.

Vor den Europa-Wahlen und der Sommerpause werden keine Entscheidungen mehr erwartet. Voraussichtlich im Herbst wird der Ministerrat eine "gemeinsame Position" erarbeiten, danach erfolgt die Zweite Lesung der Richtlinie im Europa-Parlament. Bis zum Jahresende 1999 wird dieser veränderte Vorschlag dann wahrscheinlich an einen Vermittlungsausschuß überwiesen, der eine weitere Fassung für die Dritte Lesung erarbeitet; diese muß nochmals mit dem Ministerrat abgestimmt werden. Mit der endgültigen Richtlinie wird erst im Laufe des Jahres 2000 gerechnet. Nach ihrer Veröffentlichung beginnt die Umsetzung in den Mitgliedstaaten der EU.

Eine vollständige Harmonisierung des Urheberrechts in Europa wird kaum zu erreichen sein, zu unterschiedlich sind die bestehenden nationalen Regelungen und selbst die Interessen der einzelnen Bibliotheksverbände. Daher soll mit Nachdruck angestrebt werden, in der Richtlinie Spielraum für nationale Ausnahmeregelungen zu erhalten.

Die DBI-Rechtskommission hatte auf ihrer Sitzung 22./23. Februar 1999 eine veränderte Strategie vorgeschlagen, die jetzt von der AG bestätigt wurde:

Die Aktivitäten auf europäischer Ebene könnten eingeschränkt werden, da eine grundlegende Veränderung der Richtlinie in eine für Bibliotheken günstigere Version nicht mehr zu erwarten ist. Intensiviert werden sollen jedoch die Aktivitäten im Rahmen der nationalen Gesetzgebungsvorhaben, um einerseits im deutschen Urheberrechtsgesetz Ausnahmebestimmungen zu erhalten und andererseits auf dem Weg über den Ministerrat Einfluß auf die europäische Gesetzgebung zu gewinnen.
 

Entwicklungen in Deutschland: 5. Änderungsgesetz zum Urheberrechtsgesetz

Die Arbeitsgruppe kam überein, daß im Vordergrund der Aktivitäten von DBI-Rechtskommission, BDB und DBV jetzt Versuche auf nationaler Ebene stehen sollten, im Sinne der Bibliotheken Einfluß auf die Gesetzgebungsvorhaben des BMJ zu nehmen. Gegenwärtig wird in Deutschland das 5. Änderungsgesetz zum UrhG vorbereitet, dessen Verabschiedung noch vor dem Inkrafttreten der EU-Richtlinie geplant ist. Hier wird insbesondere der Begriff der "Öffentlichen Wiedergabe" (communication to the public) behandelt. Die Umsetzung der EU-Richtlinie wird dann voraussichtlich im 6. Änderungsgesetz zum UrhG vorgenommen.

In diesem Zusammenhang soll nicht nur juristisch, sondern wegen der wirtschaftlichen Relevanz auch politisch argumentiert werden: Die Bibliotheken zahlen für die Produkte, aber der rechtliche Rahmen für die Nutzung muß geregelt werden. Der Autor hat das Recht, seine Werke zu verwerten; durch die von den Bibliotheken geforderten Ausnahmen für die Nutzung werden seine Rechte nicht beeinträchtigt; im Gegenteil: die Rechtsinhaber können sich selber schaden, wenn sie den Bibliotheken den Zugang zu Informationen verweigern, nur weil dort eine mehrfache Nutzung der bereits bezahlten Quellen erfolgt.

Eine praktikable Lösung wie die Ausgleichsregelung bei den Computerprogrammen, die von der Wirtschaft auch nach mehreren Jahren Geltung und Überprüfung akzeptiert wird, sollte auch bei elektronischen Produkten und bei Lizenzen angestrebt werden. Auch das Modell gesetzlicher Zwangslizenzen im Sinne des § 61 UrhG könnte auf die elektronischen Medien erweitert werden.

Für das einheitliche Vorgehen wurden folgende Leitlinien genannt:

Die DBI-Rechtskommission hat für das Abstimmungsgespräch eine "Agenda" vorgelegt; dieses Statement wurde übereinstimmend befürwortet:

Erwartungen an das Europäische Parlament im Rahmen der Harmonisierung des Urheberrechts


Ziel

Statements des Europäischen Parlaments, die Interessen der Allgemeinheit in der Informationsgesellschaft angemessen zu berücksichtigen, auch im Gesetzestext auszugestalten.

Das heißt, Ausnahmetatbestände zu den exklusiven Rechten der Öffentlichen Wiedergabe und der Vervielfältigung zu schaffen, die geeignet sind, die für die wirtschaftliche Entwicklung und die Teilnahme an der Informationsgesellschaft notwendige Medienkompetenz eines jeden Bürgers zu entwickeln und dem Grundrecht der Informations- und Meinungsbildungsfreiheit Rechnung zu tragen.

Lösungsvorschläge

Option in den Katalog der Ausnahmetatbestände aufzunehmen, die die Mitgliedsstaaten ermächtigt, traditionell bestehende Regelungen beizubehalten, soweit diese dem Drei-Stufen-Test der RBÜ entsprechen und dem Grundanliegen der Richtlinie nicht entgegenstehen.

Das Betrachten auf dem Bildschirm (viewing) und das browsing von bzw. in rechtmäßig erworbenen bzw. durch Nutzungsvereinbarung überlassenen elektronischen Medien stellt keine urheberrechtlich relevante Handlung im Sinne der öffentlichen Wiedergabe (communication to the public) dar. Dies ist u.a. in Art. 5 der EU-Richtlinie zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts einzuarbeiten.

Der im deutschen Urheberrechtsgesetz im § 55a formulierte Grundsatz, der dem rechtmäßigen Benutzer "den Zugang und die übliche Benutzung" zu einem elektronischen Datenbankwerk erlaubt, ist auf alle elektronische Angebote auszudehnen. Entgegenstehende vertragliche Vereinbarungen sind nichtig.

Zur Definition des Begriffes "begrenzter Kreis" ist die ECUP-Matrix heranzuziehen und diese in die Erläuterungen zur Richtlinie aufzunehmen.

Die Arbeitsgruppe verständigte sich auf folgende Strategie für das weitere Vorgehen:

Die DBI-Rechtskommission erklärt sich bereit, einen Formulierungsvorschlag zu erarbeiten, der zum einen für das Bundesjustizministerium und zum anderen für die Öffentlichkeit verwendet werden kann.
 

Lizenzen

Die Arbeitsgruppe unterstrich den Wert der für dieses Thema so wichtigen neuen ECUP-Publikation, die als zweisprachige Ausgabe beim DBI erschienen ist:

Licensing digital resources: how te avoid the legal pitfalls?
Lizenzierung digitaler Ressourcen: wie können rechtliche Fallen vermieden werden? ECUP, European Copyright User Platform. Deutsches Bibliotheksinstitut. [By Emanuella Giavarra. - Zweisprachige Ausg. - Berlin : Dt. Bibliotheksinst., 1999. - 50 S. (Arbeitshilfen). ISBN 3-87068-593-X: DM 8,-
(Vgl. dazu die Ankündigung im Bibliotheksdienst 3/99, S. 519)

Die DBI-Rechtskommission erklärte sich bereit, Musterlizenzverträge zu erarbeiten. Der DBV wird zum Thema Lizenzen das Gespräch mit den Trägern, insbesondere der Kultusministerkonferenz, dem Deutschen Landkreistag und dem Deutschen Städtetag suchen.

Begleitend hierzu sollen erste Schritte unternommen werden, um politische Weichenstellungen für die Bildung eines bundesweiten Bibliothekskonsortiums (einschließlich der Öffentlichen Bibliotheken) und die Erweiterung einer pauschalen Vergütungsregelung auf digitale Dokumente zu bewirken.

Weitere Themen des Abstimmungsgesprächs waren das (noch nicht veröffentlichte) BGH-Urteil zum Kopienversand (TIB-Urteil), SUBITO und die Zukunft der DBI-Rechtskommission, deren Bestehen auch nach Auflösung des DBI als "unverzichtbar" gewertet wurde.
 

"Bibiotheken - Garanten der Information auch im Zeitalter der digitalen Medien?"

Die juristische Auseinandersetzung der Bibliotheksvertreter mit europäischen und nationalen Gesetzgebungsvorhaben ist zweifellos unentbehrlich, um im bestehenden und künftig veränderten Rahmen des Urheberrechts die bibliothekarische Aufgabenerfüllung aufrechtzuerhalten. Sie muß aber flankiert werden durch überzeugende politische Argumentation und durch Öffentlichkeitsarbeit. Aus diesem Grund hat der Deutsche Bibliotheksverband sowohl Vertreter der europäischen Entscheidungsebene als auch Fachjournalisten zu einem zweistündigen "Fachgespräch" nach Göttingen eingeladen.

Erika Mann, Mitglied des Europäischen Parlaments und des Ausschusses für Recht und Bürgerrechte, zeigte sich in ihrem einleitenden Statement den Sorgen der Bibliotheken gegenüber sehr aufgeschlossen und der Tendenz des Richtlinienentwurfs gegenüber recht kritisch. Sie sprach sogar von einer "absurden Situation", für geistiges Eigentum im Internet eine totale Kontrolle entwickeln zu wollen, und schilderte ihre Probleme, sich als Fürsprecherin des öffentlichen Interesses - und somit auch der bibliothekarischen Vorstellungen - gegen die übermächtigen Lobbyisten der Wirtschaft zu behaupten.

Auch Dr. Hans-Georg Stork, in der Generaldirektion XIII der Europäischen Kommission zuständig für das Fünfte Rahmenprogramm mit zahlreichen auch bibliotheksrelevanten Projekten, betonte die Notwendigkeit des freien Zugangs zu Informationen in jeder, auch digitaler Form. Die EU bietet mit umfangreichen Fördermitteln vielfältige Chancen zum Ausbau der Informations- und Wissensgesellschaft, die genutzt werden sollten.

Im Bibliotheksprogramm der EU ist seit 1990 in über 100 Projekten die Kooperation der Bibliotheken verbessert worden, vor allem das 5. Rahmenprogramm fördert Entwicklungsvorhaben in den traditionellen "Gedächtnisinstitutionen" (Bibliotheken, Archive, Museen); allerdings fehlt meist ein Förderplan zur Verwertung und praktischen Umsetzung von Projektergebnissen. Die europäischen Bibliotheken als "Schatzkammern des kulturellen Erbes und gleichzeitig als effiziente Selbstlerneinrichtungen" sollten als Motoren der Innovation erkannt werden. Ein internationales Netzwerk aus Bibliotheken und Schulen, in dem digitale Informationen durch benutzerfreundliche Suchmaschinen erschlossen werden, könnte ein Stützpfeiler der Informationsgesellschaft sein - und zwar, ohne die Produzenten und Verlage in den Ruin zu treiben.

Dem stimmten die Bibliotheksvertreter (Beger, Dankert, Flemming, Mittler) wiederholt und einmütig zu. Nicht die Information zum Nulltarif ist das Ziel der Bibliotheken, wie ihnen wider besseres Wissen immer wieder von den kommerziellen Anbietern unterstellt wird; gestritten wird über die von einem Journalisten treffend zugespitzte Frage: "Wo steht künftig das Kassenhäuschen?" Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten, da das gesamte Thema komplex ist. Die Bibliotheken streben daher ein differenziertes Modell an, dessen wichtigste Bestandteile sein sollten: faire Lizenzverträge, gesetzlich festgeschriebene Ausnahmeregelungen für bestimmte Nutzungsarten im Interesse der Allgemeinheit, pauschale Vergütung statt Einzelabrechnung.


Stand: 07.06.99
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