BIBLIOTHEKSDIENST Heft 5, 99
Information der Kommission
des DBI für Erwerbung und Bestandsentwicklung
Zeitschriftenpreise 1999
Ein Zwischenbericht über
die Reaktionen auf den offenen Brief der Kommission
Werner Reinhardt
Mitte Januar wurde den sieben
aufgeführten Verlagen der offene Brief der Kommission zugeschickt.
Die bibliothekarische Öffentlichkeit wurde über ERWERB-L informiert,
der Text in der deutschen und englischen Fassung über das WWW 1)
zugänglich gemacht, im Februarheft des BIBLIOTHEKSDIENST2)
veröffentlicht und auf dem Postweg Nachrichtenagenturen, Redaktionen
der Tages- und Fachpresse, bibliothekarischen Verbänden sowie den
Mitgliedern der Arbeitsgruppe Bibliotheken der KMK zugesandt.
Unterstützt wird der
Brief inzwischen auch von:
-
Bundesvereinigung Deutscher
Bibliotheksverbände e.V. (BDB), vertreten durch die Sprecherin Prof.
Birgit Dankert;
-
Deutscher Bibliotheksverband
e.V. (DBV) - Sektion 4: Wissenschaftliche Universalbibliotheken, vertreten
durch den Vorsitzenden Berndt Dugall, Direktor der Stadt- und Universitätsbibliothek
Frankfurt am Main.
Reaktionen der Verlage
Bis auf Gordon & Breach
haben alle Verlage auf den Brief reagiert. Ein Verlag kündigt in seiner
Antwort an, daß er beabsichtigt, die Preissteigerung für das
Jahr 2000 "significantly below 10%" zu halten. Die Kommission wird schriftlich
und nach Möglichkeit auch in Gesprächen die Diskussion weiterführen
und die Kontakte vertiefen. Nachfolgend Auszüge aus den vorliegenden
Antworten:
-
Brill Academic Publishers
Pieter J. Gispen,
International Sales Manager, schreibt u.a.: "You seem to take a purely
mathematical approach. Then indeed our prices increase by an average 13,4%.
This however seems to neglect that a.o. have acquired a small number of
journals that were published by universities. These institutions could
no longer afford to publish them: they were loosing money. If we hadn't
increased these prices drastically, these journals would have disappeared".
-
Elsevier Science
Jan Willem Dijkstra,
Regional Sales Office, betont: "I am replying on behalf
of the Reed-Elsevier top management. At Elsevier Science, we recognize
that the impact of these two forces - growing scientific output amidst
shrinking library budgets and the unpredictability of currency fluctuations
- make it difficult for libraries to plan, budget and, ultimately, provide
scientific researchers with the information they require."
-
John Wiley & Sons
William J. Pesce,
President and Chief Executive Officer, hebt hervor: "First, we must use
technology to change the paradigm for scientific communication. We need
web-based distribution of the primary scientific literature under licensing
terms that will stabilize costs at reasonable levels. ... Second, we need
public support for library budgets at growth rates the reflect national/regional
investments in scientific research and development. ... One of the victims
of journal costs outstripping funding growth has been library book budgets,
and we are one of the largest publishers of scientific books from undergraduate
textbooks to handbooks, encyclopedias, and monographs."
-
MCB University Press
Bev Bruce,
Director, und Kathryn Toledano, Director, merken an: "We agree that new
models need to emerge to facilitate the dissemination of scholarly information
- models that address both the budgetary issues of the librarian and the
expectations of the user for fast, easy and broad access to the information.
MCB has developed such a model based on consortia purchase. ... We, along
with other publishers, are seeking to make the transition from the traditional
to new business models, which allow for revenue stability without high
prices rises over 3-5 year periods."
-
Springer-Verlag
Arnoud de Kemp,
Verlagsdirektor Sales/Marketing & Corporate Development, bekannt für
sein Engagement in bibliotheks- und informationspolitischen Fragen führt
aus: "Das Problem liegt vor allem dort, wo Information entsteht: in den
Universitäten, Instituten, Laboren, bei den Gesellschaften, auf Fachtagungen
etc. ... Es ist weniger die Politik, sondern die Wissenschaft selbst, die
einen Umdenkungsprozeß durchmachen muß. Und gerade dort entsteht
im Moment eine viel größere Bedrohung für Bibliotheken
und Verlage, nämlich die Abschaffung gedruckter Publikationen
durch die Nutzung digitaler Bibliotheken, wie sie auch in dem BMBF-Projekt
"Global Info" vorgesehen ist."
-
Wiley-VCH
Geschäftsführer
Dr. Manfred Antoni antwortete in der Form eines offenen Briefes,
der im Börsenblatt3)
abgedruckt wurde: "Wir schaffen aus dem Rohstoff der Autoren wissenschaftliche
Information, wir selektieren diese, bewerten sie und bereiten sie auf,
verbreiten sie und machen sie archivierungsfähig. Es ist ein Irrglaube
anzunehmen, daß Wissenschaftler uns ihre Manuskripte perfekt abliefern,
wir diese lediglich noch in eine Zeitschrift integrieren und uns dann eine
goldenen Nase verdienen. ... Wiley-VCH diskutiert in engster Abstimmung
mit wissenschaftlichen Gesellschaften, die häufig Eigentümer
der Zeitschriften sind, und mit Herausgebern, die Ihre wissenschaftlichen
Kunden sind, die Preisentwicklung. ... Wissenschaftliche Information ist
zur weiteren Produktion von wissenschaftlichem Fortschritt erforderlich
und muß erstellt und bereitgestellt werden. Dies ist eine gemeinsame
Aufgabe von Verlagen und Bibliotheken. Es sollte uns deshalb gemeinsam
daran liegen, die Beschaffungsetats dem Wachstum der Menge an wissenschaftlicher
Information anzupassen. Dies ist jedoch eine politische Aufgabe und kann
durch offene Briefe, die sich an die falschen Adressaten richten, nicht
gelöst werden. Wir, die Verlage, können sie aber nicht lösen,
das können nur unsere Politiker."
Zu einem ersten Gespräch
wird es mit Vertretern von Wiley-VCH voraussichtlich noch Anfang Mai kommen.
Presse-Echo
Ausführliche Beiträge
- zum Teil mit lokalem Bezug - erschienen nach Kenntnis der Kommission
bis jetzt in:
-
Die Welt, 17. Febr. 1999: Bibliothekskrise
gefährdet Forschung und Studium: Historiker Mommsen fürchtet
Wettbewerbsnachteile - Preise für wissenschaftliche Literatur explodiert
-
Berliner Morgenpost, 17. Febr.
1999: Wissenschaftliche Bibliotheken müssen abspecken, Forschung
und Lehre gefährdet
-
Gießener Anzeiger, 18.
Febr. 1999: Bibliothekskrise gefährdet Studium und Forschung :
Historiker Mommsen fürchtet um Konkurrenzfähigkeit der deutschen
Geisteswissenschaften im internationalen Vergleich - Zeitschriftenpreise
explodiert
-
Neue Osnabrücker Zeitung,
18. Febr. 1999: Rudolf Grimm: Bücher als Mangelware: "Bibliothekskrise"
durch Sparzwänge und hohe Kosten
-
Frankfurter Allgemeine Zeitung,
24. Febr. 1999: Felicitas Reindl: Geschäfte mit Wissen: Fachzeitschriften
immer teurer / Forscher werden zu Verlegern
-
Kieler Nachrichten, 2. März
1999: Gedrucktes Wissen ist kaum noch bezahlbar: Bibliotheken befürchten
"Kahlschläge" durch extreme Preissteigerungen
-
Siegener Zeitung, 15. März
1999: Zeitschriftenpreise schröpfen Bibliothekskassen: Kostenexplosion
bei Publikationen zwingt zu Abbestellungen - Auch heimische Hochschule
betroffen
-
Berliner Zeitung, 25. März
1999: Henrik Spiess : Den Zirkel durchbrechen: Bibliotheken protestieren
gegen die Preispolitik wissenschaftlicher Verlage
Darüber hinaus erschienen
kürzere Meldungen in:
-
Buchreport, 21. Jan. 1999: Bibliothekare
schlagen Alarm : Nach den Preiserhöhungen bei Zeitschriften sind die
Bibliotheken "in Kürze zahlungsunfähig" und müssen abbestellen
-
Börsenblatt, H. 6, 22.
Jan. 1999: Offener Brief an Wissenschaftsverlage : Neutraler Arbeitskreis
soll grundsätzliche Probleme lösen helfen
-
Westfalenpost, 25. Jan. 1999:
"Preisdiktat": Uni will Abos kündigen - Fachliteratur ist nicht
mehr zu bezahlen
-
Frankfurter Allgemeine Zeitung,
29. Jan. 1999: Gegen Preistreiberei : Die deutschen Bibliotheken warnen
-
Süddeutsche Zeitung, 2.
Febr. 1999: Fachbücher werden immer teurer
-
Börsenblatt, H. 10, 5.
Febr. 1999: "Keine neuen Fronten aufbauen" : Verlage und DBI signalisieren
Bereitschaft zur Problemlösung
-
DUZ, 1999, H. 5: Unterversorgung
-
Forschung & Lehre, 1999,
H. 3
Neben vielen positiven Anmerkungen
aus Bibliothekskreisen des In- und Auslandes sind die folgenden Aktionen/Reaktionen
besonders erwähnenswert:
-
Mit Schreiben vom 17. Febr.
1999 unterstützt die Fakultät für Mathematik und Informatik
der Universität Konstanz den Brief "mit allem Nachdruck".
-
Prof. Dr. Roland Backhouse,
Technische Universiteit Eindhoven, fügte eine Kopie
des offenen Briefes einem eigenen Schreiben zum Thema Zeitschriftenpreise
an alle niederländischen Mathematik-/Informatik-Fachbereiche bzw.
-Fakultäten bei.
-
Die Sektion 4 des Deutschen
Bibliotheksverbandes hat in ihrer Frühjahrssitzung in Kassel am 25.
Febr. empfohlen, den offenen Brief in den einzelnen Hochschulen möglichst
breit zu streuen. Man folgte hiermit einem Vorschlag von Dr. H.J. Dörpinghaus,
UB Heidelberg, der dies im eigenen Haus mit einem Anschreiben an die Professoren
und Dozenten der medizinischen, naturwissenschaftlichen und mathematischen
Fakultäten inzwischen umgesetzt hat: "Besonders hohe Steigerungsraten
[sind] bei den unverzichtbaren Kernzeitschriften zu verzeichnen. So kosteten
die zehn verbreitetsten Elsevier-Kernzeitschriften 1992 ca. 70.000 DM,
1998 waren für dieselben Titel bereits 145.000 DM aufzubringen."
-
Im Rundschreiben des VdDB und
VDB 1999,1 wurde der offene Brief vollständig abgedruckt.
-
In Serials, Vol. 12, no.1, March
1999 erschienen wesentliche Auszüge aus der englischen Fassung.
-
Aufgrund des Hinweises des Verlages
Wiley-VCH auf die Einbindung der Fachgesellschaften in die Preisfestsetzung
ist die Kommission zur Zeit im Schriftwechsel mit der Deutschen Chemischen
Gesellschaft. Aus einem Schreiben des Literaturbeauftragten des Präsidiums
der GDCh, Prof. Dr. H. Hopf, soll abschließend zur Literaturversorgung
zitiert werden: "So befinden sich in vielen Regionen Deutschlands Universitäten
in einem Abstand von 50 km und weniger. Da ist es durchaus zumutbar, daß
nicht jede Universität versucht, den gesamten Bereich z.B. der Naturwissenschaften
oder der Chemie abzudecken, sondern sich zu spezialisieren. Insgesamt begrüße
ich Ihre Initiative und hoffe vor allen Dingen, daß diese Aktion
dazu führt, daß es in Zukunft zu intensiveren Gesprächen
zwischen den Nutzern, den Bbliotheken, den Verlagen und den wissenschaftlichen
Gesellschaften kommt."
1)
Über die WWW-Seite http://ub.uni-siegen.de/html/aktuell/htm
ist der Zugriff auf die deutsche und die englische Version im pdf-
bzw. rtf-Format möglich.
2) BIBLIOTHEKSDIENST
33.1999, H. 2, S. 311-313.
3) Börsenblatt
für den deutschen Buchhandel, 1999, H. 7, S. 9-10.
Stand: 20.05.99