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BIBLIOTHEKSDIENST Heft 12, 2000

Gründung des Konsortiums DDC Deutsch

Magda Heiner-Freiling

 

Auf dem Weg zur Einführung und Anwendung der Dewey Decimal Classification (DDC) in den deutschsprachigen Ländern markiert der 12. Oktober 2000 einen wichtigen Einschnitt. An diesem Tag trafen sich Vertreter der Bibliotheksverbünde und anderer Institutionen, die an der DDC interessiert sind, in der Deutschen Bibliothek Frankfurt zur konstituierenden Sitzung des Konsortiums DDC Deutsch. Die Einrichtung dieses Konsortiums geht auf die Empfehlungen der Studie Einführung und Nutzung der Dewey Decimal Classification (DDC) im deutschen Sprachraum zurück, die eine von der Konferenz für Regelwerksfragen einberufene Arbeitsgruppe auf dem Bibliothekskongress in Leipzig im März 2000 vorgestellt hat. Vor dem Hintergrund des großen personellen, finanziellen und organisatorischen Aufwands, den die Erarbeitung einer deutschen DDC-Ausgabe, ihre Anwendung in der Nationalbibliographie und die Nutzung in den Verbünden und anderen Bibliotheken verursachen wird, erschien es den Beteiligten wichtig, durch diesen Zusammenschluss zu dokumentieren, dass die Einführung der DDC ein wichtiges gemeinsames Anliegen ist, bei dem die Lasten partnerschaftlich geteilt werden müssen. Gegenüber den Unterhaltsträgern auf Bundes- und Landesebene, aber auch innerhalb der Bibliotheksöffentlichkeit unterstreicht die Gründung des Konsortiums die Bereitschaft der Konsortialmitglieder zu einem dauerhaften Engagement für die DDC, für das aber auch entsprechende personelle und materielle Ressourcen erforderlich sind.

Als Gründungsmitglieder gehören dem Konsortium DDC der Bibliotheksverbund Bayern, der Südwestdeutsche Bibliotheksverbund und der Gemeinsame Bibliotheksverbund an – drei Verbünde, in denen bereits ein hoher Anteil an mit DDC-Notationen versehenen Fremddaten für anglo-amerikanische Veröffentlichungen vorliegt, deren Nutzung im OPAC dringend erwünscht ist. Von dieser Seite ist auch die Nachfrage nach DDC-Erschließung möglichst sämtlicher in der Deutschen Nationalbibliographie angezeigter Titel (also auch der bisher nicht mit RSWK/SWD beschlagworteten Titel in den Reihen B und H) am dringlichsten. Darüber hinaus wird innerhalb des Bayerischen Verbundes an der Universitätsbibliothek Regensburg bereits an einer Konkordanz zwischen DDC und Regensburger Verbundklassifikation sowie den Fachklassifikationen für Mathematik und Physik gearbeitet.

Weitere Konsortialmitglieder sind Die Deutsche Bibliothek, die auch die Federführung im Konsortium übernommen hat, die Staatsbibliothek zu Berlin und die Schweizerische Landesbibliothek in Bern, die für ihre Nationalbibliographie Das Schweizer Buch ab 2001 die DDC nutzen will. Die österreichische Seite wird im Konsortium durch die dem Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur unterstellte Arbeitsgemeinschaft Bibliotheksautomation vertreten sein. Ein weiterer wichtiger Partner kommt mit den Goethe-Instituten Inter Nationes dazu, da dort die Anwendung der DDC als Aufstellungssystematik und für die klassifikatorische Recherche im OPAC für alle angeschlossenen Bibliotheken geplant wird. Für die Erarbeitung der deutschen DDC-Ausgabe hat die Fachhochschule Köln mit ihren Fachbereichen Bibliotheks- und Informationswesen und Sprachen einen Förderantrag an die Deutsche Forschungsgemeinschaft gestellt, gemeinsam mit Der Deutschen Bibliothek und dem Bibliotheksverbund Bayern. Im Rahmen dieses längerfristigen Engagements für die DDC auch in Forschung und Lehre ist die Bereitschaft der Fachhochschule Köln zur Mitgliedschaft im Konsortium deshalb besonders zu begrüßen.

Die Hessen, Nordrhein-Westfalen und Berlin/Brandenburg repräsentierenden Bibliotheksverbünde konnten sich noch nicht zu einer Mitgliedschaft im Konsortium entschließen, werden aber an den Mitgliederversammlungen mit Beobachterstatus teilnehmen. Das gilt auch für die öffentlichen Bibliotheken, die im Auftrag der Sektion 1 des Deutschen Bibliotheksverbandes durch die Arbeitsgemeinschaft der Großstadtbibliotheken Nordrhein-Westfalen vertreten sind. Schließlich hat noch der Verband für Informationswirtschaft in Österreich einen Beobachter in das Konsortium entsandt. Die Aufnahme weiterer Vollmitglieder oder Beobachter ist möglich und erwünscht, über entsprechende Anträge wird die Mitgliederversammlung, die sich voraussichtlich im März 2001 zu ihrer nächsten Sitzung trifft, entscheiden. Der Text des Konsortialvertrags kann bei Der Deutschen Bibliothek zur Einsicht angefordert werden.

Die im Konsortium DDC Deutsch zusammengeschlossenen Partner verpflichten sich zu enger Zusammenarbeit bei der Einführung der DDC, zur gegenseitigen Information über Projekte und Tests, die mit der DDC in Verbindung stehen, zur Öffentlichkeitsarbeit und zur Unterstützung, bzw. Durchführung von Aus- und Fortbildungsmaßnahmen. Sie erklären sich bereit darauf hinzuwirken, dass innerhalb ihrer Institution oder ihres Verbundes interessierte Fachreferenten beratend an der Einführung der DDC und der Erarbeitung einer deutschen DDC-Ausgabe mitwirken können, so weit das mit den sonstigen Dienstpflichten zu vereinbaren ist.

Dies bedeutet konkret:

Fachreferenten aus den Bibliotheken der Konsortialpartner können hier eine wichtige Hilfestellung leisten, in dem sie sowohl ihre Kenntnis der Literaturmengen zu bestimmten Themen (unter Einbeziehung auch der elektronischen Veröffentlichungen und bereits bestehender oder geplanter Subject Gateways und Portale) in die Erarbeitung der deutschen DDC-Ausgabe und auch in die Revisionsvorschläge für die 22. Auflage der englischen Ausgabe einbringen.

Die Geistes- und Sozialwissenschaften sind hier naturgemäß besonders betroffen. Eine Überarbeitung der Gruppe 340 Recht der DDC ist bereits in Arbeit und soll die Bedürfnisse europäischer Anwender der DDC, deren Rechtssysteme nicht auf dem anglo-amerikanischen Common Law beruhen, besser berücksichtigen und auch auf die Rechtsverhältnisse der europäischen Union eingehen. In einem kleineren Umfang wird zur Zeit über eine weitere Differenzierung der unter dem Thema "Holocaust" zusammengefassten Klassen der DDC nachgedacht, da hier eine ständig wachsende Zahl von Titeln zu verzeichnen ist und darüber hinaus zusätzliche Themen in diesem Umfeld (man denke an Zwangsarbeiter, die Diskussion um ihre Entschädigung oder den Komplex Beutekunst) eigene Einstiege bei der Recherche sinnvoll erscheinen lassen. Vorschläge von deutscher Seite sind hier international erwünscht und werden erwartet. Zugleich wird daran aber auch deutlich, dass man sich auch bei einem zunächst allenfalls bibliothekspolitisch heiklen Feld wie der DDC sehr schnell in politisch sensible und historisch belastete Bereiche begibt. Um so nötiger erscheint hier eine Zusammenarbeit, die über die deutschen Partner hinaus auch die ausländischen Anwender der DDC (im zuletzt genannten konkreten Fall z. B. in Israel) einschließt.

Von besonderer Wichtigkeit ist die Einbeziehung der anderen deutschsprachigen Länder in alle Überlegungen und Planungen für die deutsche DDC-Ausgabe. Schon bei der Erarbeitung der eingangs erwähnten Machbarkeitsstudie waren stellvertretend für Österreich und die Schweiz die Universitätsbibliothek Wien und die Schweizerische Landesbibliothek in Bern beteiligt, und auch bei der Konstituierung des Konsortiums DDC Deutsch hat sich diese Kooperation fortgesetzt. Der Standardisierungsausschuss, der in der Nachfolge der Konferenz für Regelwerksfragen im November zu seiner konstituierenden Sitzung zusammentritt, wird bei der Zusammensetzung der dann zu benennenden Expertengruppe DDC ebenfalls die schon bestehenden Kontakte zwischen den DDC-Spezialisten der drei Länder berücksichtigen.

Zu den wesentlichen Aufgaben des Konsortiums gehört neben der Unterstützung bei der Herausgabe einer deutschen DDC vor allem die gemeinsame Planung im Hinblick auf die Nutzung der DDC, bzw. mit DDC-Notationen versehener bibliographischer Daten. Hier eröffnet sich ein weites Spektrum sehr unterschiedlicher, für die Akzeptanz der DDC in Deutschland maßgeblicher Aktivitäten. Recherchemöglichkeiten in den OPACs müssen geschaffen werden, Systeme für die Benutzerführung bei der Suche mit klassifikatorischen Daten entwickelt und vielfältige verbale Einstiegsangebote eröffnet werden. Darüber hinaus gilt es, bereits vorhandene Klassifikationen mit in die Millionen gehenden danach erschlossenen Titeln nach DDC zugänglich zu machen und vice versa für die ausländischen mit DDC-Notationen versehenen Fremddaten die Recherche z. B. mit der Regensburger Verbundklassifikation oder anderen regional gepflegten Klassifikationen zu ermöglichen. Eine Verbindung zwischen DDC und Schlagwortnormdatei (SWD) böte viele Erleichterungen und Querverbindungen bei der verbalen Suche, eine Integration von DDC-Notationen in die SWD wird daher zur Zeit bereits getestet.

Für viele der hier genannten Vorhaben ist längerfristig eine Bereitstellung der DDC als Normdatei (vergleichbar mit der SWD) eine unverzichtbare Voraussetzung und das Konsortium sieht nicht zuletzt hier eine seiner wichtigsten Zukunftsaufgaben. Da die DDC vor dem Hintergrund der amerikanischen Lizenzregelungen und der Interessen des deutschen Verlegers der Druck- und einer möglichen CD-ROM-Ausgabe voraussichtlich nicht von Anfang an in einem der SWD vergleichbaren Ausmaß öffentlich zugänglich gemacht werden kann, wird es maßgeblich von der Stärke der Verhandlungsposition abhängig sein, wie die Zugangsmöglichkeiten zu dieser DDC-Normdatei, für die es international keine Parallele gibt, für die Konsortialpartner aussehen werden.


Stand: 15.12.2000
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