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BIBLIOTHEKSDIENST Heft 11, 2000

Neue Entwicklungen in der Fernleihe in wissenschaftlichen Bibliotheken

Kerstin Bauer

 

Am 19. September 2000 trafen sich auf Einladung des DBV-Landesverbandes Thüringen Bibliothekare aus Thüringen sowie aus Magdeburg, Potsdam und Dresden zu einer Informations- und Diskussionsveranstaltung zum Thema "Neue Entwicklungen in der Fernleihe in wissenschaftlichen Bibliotheken". Zahlreiche Anmeldungen ließen bereits im Vorfeld auf einen interessanten Informationsaustausch hoffen. Erfahrungen und Probleme der Bibliotheken zu den Themen: Einführung der Online-Fernleihe, Umgang mit innovativen Fernleihdiensten durch den Nutzer, damit verbundene Gebührenerhöhungen sowie Dokumentdirektlieferdienste bildeten den Grundtenor der Veranstaltung, deren Moderation von Dr. Frank Simon-Ritz, Direktor der UB Weimar, übernommen wurde.

Einleitend sei darauf hingewiesen: Die wissenschaftlichen Bibliotheken Thüringens (vier Universitätsbibliotheken, fünf Fachhochschulbibliotheken, Forschungsbibliotheken) sind 1996 dem Gemeinsamen Bibliotheksverbund der Länder Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen beigetreten.

Bibliotheksbestände sind seitdem zum überwiegenden Teil in lokalen Online-Katalogen nachgewiesen und recherchierbar. Über den GBV wird der Zugriff auf einen gemeinsamen Verbundkatalog (GBVsearch&order) aller teilnehmenden Bibliotheken sowie diverser Zeitschriftenaufsatzdatenbanken mit Bestellfunktion bereitgestellt. Fernleihbestellungen werden heute zunehmend im zentralen Verbundkatalog des GBV recherchiert. Hier kann sofort abgefragt werden, welche Bibliothek die zu bestellende Literatur im Besitz hat, ob eine Fernleihe möglich ist oder nicht, und letztlich die Bestellung online aufgegeben werden. Für Fernleihbestellungen, die trotz Bestandsnachweises im Verbundkatalog nicht realisiert werden können, sind Negativlisten abrufbar. Bibliotheken erhalten somit die Möglichkeit, die nicht über den GBV realisierbaren Fernleihbestellungen auf dem konventionellen Weg entweder an die regionale Leitbibliothek, für Thüringen ist das die Universitäts- und Landesbibliothek Jena, oder direkt an überregionale Bibliotheken weiter zu leiten.

Mit diesem Angebot an überregionalen Recherchemöglichkeiten haben sich bereits seit einigen Jahren konventionelle Arbeitsweisen in Fernleihabteilungen grundlegend verändert. Zeit- und personalaufwendige Signierdienste an Zettel- und Bandkatalogen und das Weiterleiten der Fernleihscheine an die ThULB Jena als regionale Leitbibliothek zum nochmaligen Signieren im Thüringer Zentralkatalog haben sich erheblich verringert. Der überwiegende Anteil von Bestellungen im nehmenden Leihverkehr kann bereits im gemeinsamen Verbundkatalog nachgewiesen und online bestellt werden. Nicht im Verbundkatalog nachweis- bzw. entleihbare Bestellungen werden, wie bereits oben erwähnt, in anderen Verbünden recherchiert und gezielt an eine ausgewählte Bibliothek weitergeleitet. Hier wird zugunsten möglichst kurzer Bereitstellungszeiten auf ein vorheriges Prüfen im Thüringer Zentralkatalog verzichtet - für die Nutzer ein nicht zu unterschätzendes Kriterium für eine positive Bewertung der Fernleihe. Benutzer messen heute die Bibliotheksdienstleistung Fernleihe nicht ausschließlich daran, ob Literatur geordert werden kann, sondern vielmehr daran, welche Wartezeiten daran geknüpft sind.

Wartezeiten von 2-3 Wochen für die Bereitstellung überregionaler aber auch regionaler Fernleihen sind wenig akzeptabel. In Thüringen haben sich die Lieferzeiten für Aufsatzkopien (2-3 Tage) und auch für Monographien erheblich verringert. Um gerade die Lieferzeiten für Kopien weiter zu reduzieren, wurde während der Veranstaltung vorgeschlagen, innerhalb Thüringens Aufsatzkopien auf elektronischem Wege zu senden - ein Vorschlag der bei den teilnehmenden Bibliotheken auf positive Resonanz gestoßen ist und weiterverfolgt wird.

Ein weiterführender Aspekt zum Thema Online-Fernleihe ist die Endnutzerfernleihe. Neben dem lokalen Online-Bibliothekskatalog hat der Nutzer gleichfalls die Möglichkeit, im zentralen Verbundkatalog (GBVsearch&Order) des GBV zu recherchieren. Hier bekommt er zum einen ein vielfältigeres Suchergebnis zu fachspezifischer Literatur mit verbundweiten Bestandsnachweisen sowie der Option, direkt vom Arbeitsplatz aus Fernleihbestellungen aufzugeben, angeboten. Zum anderen entfällt für die Inanspruchnahme dieser Dienstleistung der Weg in die Bibliothek. Zudem ist der Benutzer nicht mehr an die Öffnungszeiten der Bibliothek gebunden, um seine Fernleihen aufzugeben. Dem Sachverhalt, dass gegebenenfalls Bestellungen auf Literatur, die sich im Bestand der Vorortbibliothek befindet, über Fernleihe aufgegeben werden, wird durch eine entsprechende Systeminformation entgegengewirkt - alles in allem ein gutes Dienstleistungsangebot der Bibliotheken an die Nutzer, wäre da nicht noch das leidige Thema "Gebühren". Für Thüringer Bibliotheken gibt es zum gegenwärtigen Zeitpunkt leider keine rechtsgültige Landesgebührenordnung (diese ist in Arbeit), so dass die Höhe der Vergütung bei Inanspruchnahme dieser Dienstleistung zwischen den einzelnen Einrichtungen differiert. Pro Fernleihe bzw. Endnutzerfernleihe werden zwischen 1,- und 3,- DM gezahlt, für Mitarbeiter ist diese Dienstleistung zum Teil auch kostenfrei.

Kolleginnen der ThULB Jena, Andrea Heist (Benutzungsleiterin) und Frau Julich (Leiterin Fernleihe), erläuterten die mit dem Thema Endnutzerfernleihe eng zusammenhängenden Probleme bei der Organisation dieser Dienstleistung insbesondere unter dem Aspekt einer Gebührenerhebung. Dabei wurde deutlich gemacht, dass die Schwierigkeiten an der ThULB Jena vor allem ein Problem der Masse sind: hohe Benutzerzahlen (Studenten und Mitarbeiter der Universität, der Fachhochschule, Mitarbeiter der im Umfeld von Jena angesiedelten Institute und anderer Forschungseinrichtungen, Stadtnutzer etc.), die vielfältige Forschungslandschaft, sowie die starke Dislozierung der Universitätsbibliothek Jena auf mehr als 40 Standorte.

Um die Gebührenordnung vollständig umsetzen zu können, ist eine bargeldlose Einnahme der Fernleihgebühren geplant. Dazu soll die an der Friedrich-Schiller-Universität Jena seit Jahren im Einsatz befindliche Kopier-/Leihkarte (Chipkarte) genutzt werden.

Die verhältnismäßig hohe Anzahl an Zweigbibliotheken macht es erforderlich, für die Mitarbeiter der Universität ein Angebot zu schaffen, das den notwendigen "Fußweg" in die Bibliothek überflüssig macht und andere Wege zum Bestellen von Fernleihen ermöglicht. Ziel ist, den Service durch die Bibliothek zu verbessern. So wird in absehbarer Zeit ein hochschulinterner elektronischer Lieferdienst für ausgewählte Zeitschriften einiger Standorte aufgebaut, sobald die dazu nötige Technik angeschafft und installiert ist.

Die ThULB Jena als einschichtig organisierte Bibliothek ist bemüht, auch bei der Realisierung dieser Aufgaben das erschwerende Moment der Verstreuung auf so viele Standorte zu überwinden, um ihren Benutzern attraktive Dienstleistungen bieten zu können.

Die Universitätsbibliothek Erfurt (vertreten durch Rosemarie Bomberg und Dr. Kurt Schneider) bietet die Endnutzerfernleihe bereits seit Mitte 1998 an. Hier wurden sowohl die Vorteile für die Bibliothek: eine Reduktion des Arbeitsaufkommens, der ortsunabhängiger Zugriff auf Fernleihdaten, als auch die sich daraus ergebenden Vorteile für die Nutzer wie: zeit- und ortsunabhängige Bestellmöglichkeit, kürzere Bereitstellungszeiten, einfacheres Geldhandling, Transparenz des Bearbeitungsstandes dargestellt.

Für die Nutzer der UB Erfurt gibt es eine einheitliche, nicht nach Nutzertypen differenzierte Fernleihgebühr.

Fernleihen werden analog der normalen Ortsleihen im Ausleihsystem verbucht und somit in die systemabhängigen Routinen integriert (Mahnung, Verlängerung). Der anfangs niedrigen Frequentierung der Endnutzerfernleihe wurde durch gezielte Schulungen positiv begegnet. Resümierend wurde, so die Kollegen, die Endnutzerfernleihe an der UB Erfurt uneingeschränkt positiv aufgenommen.

Seit Mitte Juni 2000 wird auch in der Universitätsbibliothek Weimar der Service "Online-Fernleihbestellungen selbst auszulösen", angeboten. Insgesamt wird dieser Service seitens der Nutzer positiv, wenn auch mit etwas Zurückhaltung angenommen. Innerhalb der ersten drei Monate wurden bereits 38% der nehmenden Fernleihe von Nutzern selbst online aufgegeben. Für Nutzer, denen der Umgang mit elektronischen Bestell- und Lieferdiensten schwer fällt, werden auch weiterhin Fernleihen auf konventionellem Wege bearbeitet. Hinzu kommen hier auch die Fernleihen, die nicht im gemeinsamen Verbundkatalog des GBV nachgewiesen werden können. Eine prozentuale Erhöhung des Anteils Endnutzerfernleihe am gesamten Leihverkehraufkommen ist, so die Kollegen der UB Weimar, auch mit dem Angebot an entsprechenden Schulungen bzw. auch Werbung für diese neue Dienstleistung verbunden.

Eine nicht zu unterschätzende Voraussetzung für die Endnutzerfernleihe ist jedoch, dass möglichst der Gesamtbestand der Bibliothek im OPAC nachgewiesen sein sollte, um Bestellungen auf Literatur, die im eigenen Bestand vorhanden ist, zu vermeiden.

Für die UB Erfurt bietet sich hier eine sehr gute Ausgangssituation, da der Gesamtbestand im OPAC nachgewiesen ist. In Weimar sind gegenwärtig 70% des Bestandes online recherchierbar. Für Bibliotheken, die auf ein sehr langes Bestehen zurückblicken, so z. B. auch die Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar (HAAB), bildet gerade der Bestandsnachweis über den Online-Katalog ein relevantes Kriterium für das Angebot Endnutzerfernleihe. So bietet die HAAB die Endnutzerfernleihe vorerst kostenfrei und auf wenige Mitarbeiter der zugehörigen Forschungseinrichtung beschränkt an.

Ein kostenfreies Angebot der Fernleihe, auch wenn dieser Aspekt bezüglich der bevorstehenden zentral gültigen Gebührenordnung ohnehin nicht mehr relevant ist, führt bei den Nutzern zu recht forderndem Verhalten gegenüber dieser Dienstleistung und rechtfertigt, so die Meinung der vertretenen Kollegen, schon aus diesem Grunde eine Gebühr bzw. Gebührenerhöhung. Außerdem verbessert sich, gemessen an dem bisher gewohnten konventionellen Leihverkehr, dieser Service maßgeblich.

Wichtig für die Teilnehmer der Veranstaltung war gerade bei der Online-Fernleihe die Frage nach Abrechnungsmodalitäten bzw. dem Einrichten der Guthabenkonten von Universitäts- bzw. Hochschulangehörigen. Auch hier ließ sich eine weitestgehende Übereinstimmung im Handling der unterschiedlichen Einrichtungen erkennen. Um den Verwaltungsaufwand relativ niedrig zu halten, ist der Erwerb eines Online-Guthabenkontos meistens nur an einer Stelle möglich. Mitarbeiterkonten werden aus Fakultätsmitteln finanziert und über Rechnung, aber auch bar bezahlt. Die Rückerstattung bereits eingezahlter Beträge ist momentan nur mit großem Aufwand möglich.

Die ständig wachsenden Anforderungen an die Bereitstellung wissenschaftlicher Literatur haben in Bibliotheken zu einer Erweiterung des Dienstleistungsangebotes über die Online-Fernleihe hinaus geführt.

Eines dieser Angebote innerhalb des GBV ist der Dokumentdirektlieferdienst "GBVdirekt". Aufsatzkopien werden innerhalb von 24 Stunden bzw. 3 Tagen per Post, Fax oder auch E-Mail bereitgestellt. Bibliotheken von Forschungseinrichtungen, aber auch Privatpersonen nehmen diese innovative Dokumentlieferform zunehmend in Anspruch. Allerdings fordert dieser Delivery Service auch einen "finanziellen Klimmzug" seitens der Nutzer. Waren bisher die Gebühren im Verhältnis zum konventionellen Leihverkehr schon mehr als gewöhnungsbedürftig, zielt die Neuregelung zur Abgeltung urheberrechtlicher Ansprüche für den Versand von Direktkopien, die maßgeblich die Bereitstellungsentgelte angehoben hat, keineswegs auf ein nutzerfreundliches Angebot.

Die sich aus der Neuregelung ergebenden Gebühren boten auch Diskussionsgrundlage für die Veranstaltung in Weimar. In Thüringen wird dieser Dokumentschnelllieferdienst von der UB Weimar (Fax, Post, E-Mail) und der HAAB (Post) angeboten. Die Universitätsbibliothek Erfurt wird in nächster Zeit, nach Einbinden der Entgelte in die gültige Gebührenordnung, den GBVdirekt-Lieferservice anbieten. An der Universitätsbibliothek Weimar konnten seit Januar 2000 126 Bestellungen im Normaldienst (drei Tage) über den Dokumentdirektlieferdienst realisiert werden. Die Mehrzahl der Kopien wurde auf elektronischem Wege geliefert. Der konventionelle Leihverkehr, Online-Fernleihe und Dokumentschnelllieferdienst werden in der Bearbeitung nicht getrennt, um einen zügigen Ablauf zu garantieren. Allerdings bereitet die Integration des Präsenzbestandes der Zweigbibliotheken in den Dokumentschnelllieferdienst für eine fristgerechte Lieferung, aufgrund unterschiedlicher Standorte, mitunter Schwierigkeiten. Seitens der eigenen Bibliotheksnutzer wird diese Lieferform sehr verhalten in Anspruch genommen, wenn überhaupt, dann von Universitätsmitarbeitern. Lieferentgelte hierfür werden ähnlich der Endnutzerfernleihe aus Fakultätsmitteln finanziert. Die Rechnungslegung erfolgt über monatliche Sammelrechnungen.

In kleineren Forschungseinrichtungen und Instituten werden Bestellungen für den Dokumentschnelllieferdienst über die Bibliotheksmitarbeiter realisiert und auch oftmals aus Bibliotheksmitteln finanziert. Dieser Service, ausgenommen die Finanzierung aus bibliothekseigenen Mitteln, wird auch in der UB Weimar angeboten, allerdings mit einiger Zurückhaltung und nur bei sofortiger Entgeltzahlung.

Für Bibliotheksbenutzer, gerade Studenten und Privatpersonen, ist das eine ausgesprochen qualitätsvolle Lieferform, die bedauerlicherweise oftmals an den zu hohen Entgelten scheitert.

Die Veranstaltung zeigte, dass gerade bei der Entwicklung des Leihverkehrs eine enorme Dynamik zu verzeichnen ist. Aufgabe der Bibliotheken ist es, diese neuen Angebote schnellstmöglich für die Nutzer aufzubereiten und anzubieten.


Stand: 03.11.2000
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