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BIBLIOTHEKSDIENST Heft 10, 2000

Prozesskostenanalyse des Reproduktionsprozesses an der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel

Thomas Stäcker, Florian Gommlich, Andreas Tieftrunk1

 

1. Ausgangssituation

Bibliotheken mit Altbestand sehen sich in den letzten Jahren mit einer wachsenden Zahl von Reproduktions- und Kopierwünschen seitens der Benutzer konfrontiert. Insbesondere die verbesserte überregionale Nachweissituation durch elektronische Kataloge hat sich nachfragefördernd ausgewirkt. Diese an sich erfreuliche Entwicklung führte aber auch zu größeren Belastungen in den Reprostellen der jeweiligen Bibliotheken, meist ohne dass eine angemessene Personalaufstockung stattgefunden hätte. Im Gegenteil zogen die Einsparmaßnahmen der öffentlichen Hand trotz wachsender Nachfrage sogar Stellenabbau nach sich. Die Bibliotheken reagierten darauf zunächst mit der Mobilisierung ihrer Reserven, zunehmend ist aber auch mit Einschränkungen im Leistungsspektrum zu rechnen.

Demgegenüber steht die berechtigte Forderung von Forschung und Wissenschaft nach überregionaler, umfänglicher und zügiger Versorgung mit Reproduktionen alter Drucke und Handschriften. Altbestandsbibliotheken stehen hier vor einem grundsätzlichen Dilemma. Die verstärkte Nachfrage nach Reproduktionen führt tendenziell zu einer stärkeren Belastung des Bestandes, was wiederum eine erhöhte Aufmerksamkeit in Bezug auf Schutzmaßnahmen zur Folge hat. Mit anderen Worten, je höher die Anzahl der Reproduktionswünsche, umso umfangreicher müssen die Anstrengungen zum Schutze des Originals ausfallen, was wiederum mit einem erhöhten Zeit- und Kostenaufwand verbunden ist. Zwar führt die Archivierung von Mastern tendenziell zu einer Entlastung des Bestandes, doch vermehrt sich der Aufwand durch die sachgerechte Lagerung und Pflege dieser Filmarchive. Hinzu kommt, dass von Benutzerseite auch neue Medienformen, z. B. Digitalisate, nachgefragt werden, die ihrerseits den Verwaltungsaufwand erhöhen.

Dass es sich so verhält, ist in den meisten Altbestandsbibliotheken bekannt, doch gab es bisher zumeist keine konkreten Vorstellungen über die Höhe der tatsächlichen entstehenden Kosten, geschweige denn Versuche, diese Aufwendungen zu beziffern. Die Höhe von Entgelten bzw. Gebühren wurden in der Regel durch vage Abschätzungen oder Fortschreibungen auf der Basis unzulänglicher Annahmen oder aus Akzeptanzüberlegungen festgelegt. Für eine Bewertung der Kosten, die zur Herstellung des jeweiligen Produktes aufgewendet werden müssen, sind sie jedoch nicht geeignet. Dies ist umso problematischer, als erst durch die Feststellung der tatsächlich entstehenden Kosten der genaue Arbeitaufwand eingeschätzt und eine rationale Basis für Aussagen über die tatsächlichen Leistungen der Bibliothek gelegt und weitergehende Zieldefinitionen und Handlungsanweisungen abgeleitet werden können.

Vor diesem Hintergrund hat sich die Herzog August Bibliothek entschieden, die im Reproduktionsprozess entstehenden Kosten durch eine Unternehmensberatungsgesellschaft ermitteln zu lassen. Gewonnen werden konnte das Wolfsburger Institut zur Betriebs- und Unternehmensentwicklung e.V. (WIBU), ein Institut der Fachhochschule Braunschweig/Wolfenbüttel.

 

2. Projektgegenstand und Prozessanalyse

Bei den Vorüberlegungen zum Projekt wurde in der gemeinsamen Zielbestimmung zunächst festgelegt, dass es sich ausschließlich um eine Ermittlung der Reproduktionskosten im engeren Sinne handeln sollte. Dieser Ansatz schien wegen der relativen Geschlossenheit und Auftrags- bzw. Produktbezogenheit dieses Prozesses zulässig und die zu erwartenden Ergebnisse für die gesetzten Fragestellungen hinreichend reliabel, auch wenn zur Ermittlung der Kosten die Erstellung eines Kosten- und Leistungsrechnungssystems für die gesamte Bibliothek notwendig gewesen wäre. Dem standen jedoch Praktikabilitätserwägungen und das vermutliche Kostenaufkommen im Wege. Schließlich sollte die Ermittlung von Effizienzressourcen nicht mehr kosten als der aus der Analyse zu erwartende Nutzen.

Der Ausdruck "Effizienzressourcen" deutet an, dass es in dieser Analyse nicht um die Auffindung von Einsparpotentialen ging, sondern vielmehr darum, den gestiegenen Anforderungen auch mit den vorhandenen Personal- und Sachmitteln genügen zu können.

Die ermittelten Kosten bilden nur den Ressourcenverbrauch der unmittelbar am Reproduktionsprozess beteiligten Abteilungen ab, nicht aber die sonstigen mittelbaren Ausgaben, die z. B. für Bestandsaufbau, Gebäudeunterhaltung, EDV, Personalverwaltung, etc. aufgebracht werden. Alle diese Kosten sind nach einer Orientierungsempfehlung der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung durch einen plausiblen Gemeinkostenanteil bzw. Arbeitskostenanteil in Höhe von 20% bzw. 10% in die Rechnung mit eingeflossen. Dieser Anteil kann ggf. nachträglich auch wieder herausgerechnet werden.

Ein weiterer Vorteil in der Beschränkung auf den Reproduktionsbereich liegt darin, dass im Unterschied zu anderen bibliothekarischen Bereichen, z. B. der Auskunft, sich die Reproduktionskosten relativ unproblematisch ermitteln lassen, da man es mit einem konkreten materiellen Produkt (Film, Fiche, Kopie, etc.) zu tun hat, für das ein bestimmter Preis bezahlt wird. Es handelt sich insofern um ein betriebswirtschaftliches Standardmodell, bei dem ein Kundenauftrag vorliegt ("Bestellwunsch"), der zur Herstellung, Auslieferung und Bezahlung eines Produktes führt. Der Prozess beginnt mit dem Auftragseingang und endet, sofern keine Reklamation eingeht, mit der Auslieferung (nicht der Bezahlung, weil die Herzog August Bibliothek das im öffentlich-rechtlichen Sektor übliche Verfahren anwendet, die Auslieferung von der Bezahlung abhängig zu machen). Diese Nähe zu privatwirtschaftlichen Prozessen verbürgt eine weitestgehende Übertragbarkeit von betriebswirtschaftlichen Methoden auf wirtschaftliche Abläufe im öffentlich-rechtlichen Rahmen und verleiht einer solchen Studie, die sich nicht, um aussagekräftig zu sein, auf die theoretische Grundsatzdiskussion von wirtschaftlichen und öffentlich-rechtlichen Leistungen einlassen muss, von vornherein größere Aussicht auf Erfolg.

 

3. Projektverlauf

Das Projekt gliederte sich in acht Phasen, und zwar 1) Projektinitialisierung, 2) Planung der Gruppendiskussion, 3) Durchführung der Gruppendiskussion, 4) Besprechung der Prozessanalysen, 5) Messung der Bezugsgrößen, 6) Ermittlung der anzusetzenden Kostensätze, 7) Aggregation der Teilergebnisse zu Prozesskostensätzen und 8) Dokumentation und Präsentation der Projektergebnisse.

In den ersten vier Phasen ging es im Wesentlichen um die Fixierung des genauen Projektgegenstandes, die Bildung eines Projektteams und die Herausarbeitung des eigentlichen Reproduktionsprozesses und seiner Details. Die Mitarbeiter und der Personalrat wurden über Absicht und Ziel des Projektes informiert. Von vornherein sollte in dieser Hinsicht größte Transparenz herrschen. Entsprechend gab es im Laufe des Projektes auch keine Äußerungen über Befürchtungen seitens der Mitarbeiter, dass die Kostenevaluierung zu Personalabbau führen oder die Qualität von Stellen zu Lasten des Stelleninhabers beeinträchtigen könnte. Im Gegenteil konnten ein hoher Grad an Zustimmung und Bereitschaft zur Mitarbeit erreicht werden. Am Ende dieser Phase stand die Herausarbeitung der Einzelprozesse der am Reproduktionsprozess unmittelbar beteiligten Abteilungen. Auskunft, Restaurierwerkstatt, Digitalisierungs- und Fotowerkstatt sowie die Verwaltung stellten anhand von Erfassungsbögen die von ihnen vorgenommenen Tätigkeiten detailgenau zusammen. Die Ergebnisse wurden nochmals in kleinerem Kreise plausibilisiert und durch das WIBU grafisch in Form eines Flussdiagramms aufbereitet und mit den jeweiligen Abteilungen als Arbeitsgrundlage abgestimmt. In der 5. bis 8. Phase wurden auf der Basis der differenzierten Einzelprozesse die relevanten Bezugsgrößen mit Blick auf Mengen, Dauer und Sachmittelverbrauch ermittelt. Jedem Einzelprozess wurden entsprechende Zeit- und sonstige Ressourcenanteile zugewiesen und unter Berücksichtigung der benannten Einschränkungen monetär bewertet. Als Grundlage für die Ermittlung der Personalkosten dienten die vom Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur erlassenen Rahmengrundsätze zur Bemessung von Kosten nach Verwaltungskostenrecht. Die ermittelten Kosten wurden nochmals durch Kontrollbögen plausibilisiert. Dabei traten keine eklatanten Abweichungen auf. Zwar kam es in einzelnen Bereichen zu einigen subjektiven Fehleinschätzungen, doch konnten diese rasch bereinigt werden oder spielten in der Gesamtkalkulation nur eine sehr untergeordnete Rolle. Am Ende des Projektstadiums stand die Aggregation der Teilergebnisse zu den jeweiligen Hauptprozessen und deren Monetarisierung.

 

4. Charakterisierung der Ergebnisse

Nach der Herausarbeitung der jeweiligen Einzeltätigkeiten (Phase 1-4) konnten diese mit den in Frage kommenden Sach- und Personalkosten korreliert werden. Ein Ausschnitt aus den Teilprozesskosten der Verwaltung (s. Tab. 1) zeigt beispielsweise für die Tätigkeit V2 ("Rechnung erstellen") DM 5,57 an Personal- und DM 2,02 an Sachkosten.

Tab. 1

Ob die Dauer der Tätigkeit tatsächlich 8 Minuten betrug, wurde durch eine Aufrechnung mit den sonstigen Tätigkeiten des Bearbeiters plausibilisiert. Dabei kann man davon ausgehen, dass, umso kleiner das Zeitkontingent ist, desto eher Fehleinschätzungen stattfinden. Eine Einzeltätigkeit, die mit 1 Min. angegeben wird, aber faktisch nur 30 Sekunden dauert, führt zu 50% Abweichung im Resultat und kann sich bei einer entsprechenden Häufigkeit gravierend auswirken. Im Einzelfall mag es daher günstiger sein, weniger differenziert zu arbeiten und mehrere Prozesse zusammenzufassen. Akzeptiert wurde eine Abweichung von 25% zwischen analytisch ermittelter und geschätzter Arbeitszeit. Diese Werte wurden in der Regel nicht überschritten.

Als Maßgröße der anfallenden Tätigkeiten wurden drei Typen zugrundegelegt, der Auftrag (z. B. 1.350 Stück p.a.), das Werk (z. B. 4.860 p.a.) und die Aufnahme (Menge nach Kamera). Aufträge umfassen in der Regel mehrere "Werke". Unter Werk werden Titel von Drucken, Handschriften, aber auch z. B. Kopien, Portraitstich u.ä. verstanden. Jede Tätigkeit wurde einer der genannten Maßgrößen zugeordnet.

 

5. Ergebnisse

Wie nicht anders zu erwarten, ergaben sich, gemessen an den erhobenen Preisen, erhebliche Abweichungen zu den entstandenen Kosten. In der nachstehenden Preisliste (s. Tab. 2) werden die Produkte der Fotowerkstatt mit den zur Zeit der Analyse geltenden Preisen den Kosten der marktnahen Prozesse nach der Prozessanalyse gegenübergestellt. Eine positive Differenz steht dabei für Stückkosten übersteigende Stückpreise. Bei der Bewertung der Tabelle ist zu berücksichtigen, dass über die marktnahen Prozesse hinaus jedem Auftrag ein Kostenanteil von durchschnittlich DM 32,32 und jedem Werk ein Kostenanteil von durchschnittlich DM 28,73 zugeordnet werden muss. Diese Kosten entstehen jeweils bei Übernahme eines Auftrages bzw. bei Erstellung eines Werkes.

 

Preisliste

Leistung:

Preis/
Stck.

Kosten nach
Prozessanalysen

Differenz

Mikrofilm bis 10 Aufnahmen

6,00

14,78

-8,78

jede weitere Aufnahme doppelseitig

0,50

1,48

-0,98

Mikrofilmaufnahme einseitig

1,00

1,48

-0,48

Mikrofiche (nur komplette Drucke)

15,00

55,30

-40,30

24x36 Repro S/W (Negativ)

4,00

1,82

2,18

6x6 Repro S/W (Negativ)

15,00

2,82

12,18

9x12 Repro S/W (Negativ)

25,00

8,38

16,62

9x12 Repro S/W (Negativ) ab 3 Stck.

12,50

8,38

4,12

24x36 Repro Color (Negativ) bis 5 Stck.

8,00

1,86

6,14

24x36 Repro Color (Negativ) ab 6 Stck.

5,00

1,86

3,14

6x6 Repro Color (Negativ)

30,00

3,17

26,83

9x12 Repro Color (Negativ)

45,00

7,52

37,48

24x36 Repro Color (Dia) bis 5 Stck.

10,00

1,86

8,14

24x36 Repro Color (Dia) ab 6 Stck.

7,50

1,86

5,64

6x6 Repro Color (Dia)

30,00

3,17

26,83

4x5 inch Farbidia als Druckvorlage

80,00

3,61

76,39

10x15 S/W-Vergrößerung

4,00

6,30

-2,30

13x18 S/W-Vergrößerung

7,00

6,38

0,62

18x24 S/W-Vergrößerung

12,00

6,67

5,33

24x30 S/W-Vergrößerung

24,00

7,10

16,90

30x40 S/W-Vergrößerung

36,00

7,86

28,14

50x60 S/W-Vergrößerung

56,00

10,06

45,94

10x15 Color-Vergrößerung

3,00

0,82

2,18

13x18 Color-Vergrößerung

4,50

1,39

3,11

20x30 Color-Vergrößerung

20,00

4,43

15,57

30x40 Color-Vergrößerung

29,00

9,64

19,36

50x60 Color-Vergrößerung

39,00

21,11

17,89

Rückvergrößerung DIN A4

12,00

 

Rückvergrößerung DIN A3

24,00

 

Readerprinterkopie

1,50

0,79

0,71

Werk bearbeiten

0,00

28,73

-28,73

Auftrag bearbeiten

0,00

32,32

-32,32

Tab. 2

Um dies zu veranschaulichen, wurde eine Beispielkalkulation für einen Standardauftrag durchgeführt. Ein Standardauftrag an der HAB umfasst 3,67 Werke, welchen durchschnittlich 27,69 Aufnahmen entnommen werden, von denen 0,5 S/W-Vergrößerungen sind. Bei 3,67 Werken des Auftrages werden somit 101,60 Aufnahmen unter der Annahme angefertigt, dass es sich dabei um 79% Mikrofilm, 20% Microfiche und 1% Kleinbild-s/w Reproduktionen handelt (Durchschnittswerte). Entsprechend ergeben sich für einen Standardauftrag Kosten in Höhe von DM 302,35, denen Einnahmen von 66,96 gegenüberstehen (s. Tabelle 2). Der Kostendeckungsgrad beträgt demzufolge lediglich 22%. Die positiver erscheinenden Verhältnisse im Bereich anderer Angebotspositionen (z. B. beim Farbdia als Druckvorlage) wirken sich zur Verbesserung der Gesamtbilanz kaum aus, da sie nur selten nachgefragt werden.

Tab. 3

 

6. Bewertung

Alle Beteiligten hatten im Grunde ein solches Ergebnis antizipiert. Es stellte insofern keine Überraschung dar. Da die Herzog August Bibliothek eine öffentliche Einrichtung ist, die einen öffentlich-rechtlichen Auftrag im Bereich der Wissenschaftsförderung erfüllt, verbietet es sich, die hier ermittelten Kosten vollständig an die Benutzer weiterzugeben. Evaluierungen im Forschungs- und Wissenschaftssektor können und dürfen nicht zum Ziel haben, durch prohibitive Preise Forschung zu behindern. Reproduktionen von wissenschaftlich relevantem Quellenmaterial sind subventionierte Leistungen der öffentlichen Hand, gewollter Bestandteil der aktiven Forschungspolitik des jeweiligen Bundeslandes. Nicht von ungefähr hat daher Ceynowa/Coners eher auf die Erklärungsfunktion der Kostenrechnung abgehoben, "also auf die Bereitstellung von Kosteninformation mit dem Ziel erhöhter Kostentransparenz".2 Der gezielten Einsatz der generierten Daten zur Beeinflussung der Kostenhöhe, Kostenstruktur und Kostenentwicklung spielt demgegenüber eine eher untergeordnete Rolle.

Besonders hervorzuheben bei der Beurteilung der entstehenden Kosten ist im Falle der Herzog August Bibliothek - wie im Falle jeder Altbestandsbibliothek -, dass an die Verfilmung höchste konservatorische Maßstäbe anzulegen sind. Die Herzog August Bibliothek erfüllt diese Verpflichtung, indem sie jeden gewünschten Titel auf seine Verfilmbarkeit hin prüft, ein zeitraubendes und teures Unterfangen, das aber, nimmt man den Bestandsschutz ernst, unerlässlich ist. Andererseits ergeben sich aus der Fragilität der Originale und der steigenden Benutzungsnachfrage Konflikte zwischen Bestandsschutz und Forschungsinteressen, die nur durch die Bereitstellung akzeptabler Reproduktionen gelöst werden können. Die erheblichen Investitionen der öffentlichen Hand in die Reproduktion sind damit nicht nur wissenschaftspolitisch sinnvoll, sondern tragen auch dazu bei, unersetzliches Kulturgut für zukünftige Generationen zu bewahren, eine Aufgabe, die nur bedingt betriebswirtschaftlich beurteilt werden kann.

Gleichwohl kann die betriebswirtschaftliche Analyse viel zur Erhöhung der Transparenz als auch zur Optimierung von Arbeitsprozessen beitragen. Sie gibt ein Instrumentarium an die Hand, mit dessen Hilfe effizientere Arbeitswege aufgezeigt werden können. Die Bibliothek nutzt darin eine betriebswirtschaftliche Methode nur in einem "abgeleiteten"3 Sinne, darin, dass sie vorhandene beschränkte Ressourcen unter Effizienzgesichtspunkten verteilt. Ein betriebswirtschaftlicher "Gewinn" oder die "Rentabilität" in engerem Sinne spielt demgegenüber keine oder zumindest eine sehr untergeordnete Rolle.

Trotz der Einschränkungen, die sich methodisch aus dem Fehlen eines Kostenrechnungssystems ergeben, zeichneten sich im Zuge des Projekts deutlich Felder ab, in denen Handlungsbedarf besteht. Während in der Preiskalkulation nur wenig Spielraum blieb - wichtigste Neuerung war als Reaktion auf die hohen Grundkosten bei der Auftragsannahme und Werkbearbeitung die Einführung einer Bearbeitungsgebühr von DM 10,-, wurde auch ohne eine exakte Bezifferung, allein durch die semantische Modellierung des Gesamtprozesses, schnell offenkundig, dass das Zusammenspiel der Abteilungen effizienter gestaltet und die Angebote für den Nutzer optimiert werden können. Umständliche Wege wurden begradigt, die Auftragsverwaltung in der Digitalisierungs- und Fotowerkstatt mittlerweile auf EDV umgestellt, die Preisliste vereinfacht und durchsichtiger gestaltet. Eine weitere Verzahnung der Abteilungen über EDV ist geplant. Das teure Mahnverfahren der Verwaltung wurde modifiziert, neue Vertragsverhandlungen mit Partnern aus der Wirtschaft (Verlagen) konnten auf eine substantiellere Kostengrundlage gestellt werden. Insgesamt hat sich das Projekt ausgesprochen erfreulich ausgewirkt. Die gewonnene Kostentransparenz wurde den Mitarbeitern kommuniziert und hat zu zahlreichen Verbesserungsvorschlägen aus der Belegschaft geführt.

Einschränkend muss gesagt werden, dass es sich bei dieser Studie um eine Momentaufnahme handelt. Eine langfristige, betriebswirtschaftlich gestützte Prozesssteuerung im Reprobereich der Bibliothek hinge von der Einführung einer permanent fortgeschriebenen umfänglichen Kosten- und Leistungsrechnung für die gesamte Bibliothek ab, die nur mit der Ablösung der kameralistischen durch die betriebswirtschaftliche Buchführung sinnvoll zu erreichen wäre. Der Gesetzgeber ist also gefordert, die in vielen Ländern begonnenen Maßnahmen zur Bildung neuer Strukturen, etwa mit der Finanzautonomie für Hochschulen, fortzusetzen. Auch wenn es noch eine Zeitlang Zukunftsmusik bleiben wird: Man sollte sich mutig von den kameralistischen Relikten der Jährlichkeit und Ausgeglichenheit des Haushaltes verabschieden. Denn die Verwendung eines Planungsinstruments ohne Planungskompetenz ist, marktwirtschaftlich betrachtet, ein Verlustgeschäft. Und es sei auch an die banale Wahrheit erinnert: Wer Sparen bestraft, darf sich nicht wundern, dass der Anreiz zum Sparen versiegt. Umgestaltung erfordert Mut und Vertrauen. Für beides gibt es positive Anzeichen in der Politik.

 

Weiterführende Literatur:

Hahn, Dietger: PuK, Controllingkonzepte. Wiesbaden 1996.

Remer, Detlef: Einführung der Prozesskostenrechnung. Stuttgart 1997.

Reckenfelderbäumer, Martin: Entwicklungsstand und Perspektiven der Prozesskostenrechnung. Wiesbaden 1998.

Kaplan, Robert/Cooper, Robin: Prozesskostenrechnung. Frankfurt 1999.

 

1 Florian Gommlich und Andreas Tieftrunk haben als Berater im Wolfsburger Institut verschiedene Finanz- und Controllingprojekte bearbeitet. Sie sind heute geschäftsführende Gesellschafter der Intelligence Unit Consulting GmbH in Braunschweig, die in der internationalen strategischen Internetberatung tätig ist.

2 Ceynowa, Klaus/Coners, André: Kostenmanagement für Hochschulbibliotheken. Frankfurt. a.M. 1999 (Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie. Sonderheft 76), S. 8.

3 Benkert, Wolfgang: Kostenrechnung und Produktbeschreibung für Bibliotheken. In: Wege zu einer bibliotheksgerechten Kosten- und Leistungsrechnung. Berlin 1998 (dbi-materialien; 167), S. 19.


Stand: 10.10.2000
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