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BIBLIOTHEKSDIENST Heft 7/8, 2000

Elektronisches Publizieren an Universitäten - aktuelle Trends und zwei Tagungen aus bibliothekarischer Sicht
I. Online-Dissertationen:

Bericht vom Dritten Internationalen Symposium für elektronische Dissertationen1

Susanne Dobratz, Matthias Schulz

 

Über 200 Interessierte aus Bibliotheken, Universitätsrechenzentren, Universitäten und Graduate Schools trafen sich vom 16. bis 18. März 2000 in St. Petersburg, Florida (USA) zum "Third International Symposium on Electronic Theses and Dissertations: Applying New Media to Scholarship".2 Diese Teilnehmerzahl übertraf bei weitem die Erwartungen des Veranstalters, der NDLTD (Networked Digital Library of Theses and Dissertations).3

Das angenehme frühsommerliche Klima Floridas war ein zusätzlicher Reiz, der Gäste aus 13 Ländern der Welt und aus 34 Staaten der USA sowie Abgesandte der UNESCO4 und der Organisation Amerikanischer Staaten nach Florida anlockte. St. Petersburg liegt an der Tampa Bay, einer Bucht am Golf von Mexiko. Umgeben von Palmen, präsentierte sich die University of South Florida bei bestem Sonnenschein am Yachthafen unweit des international bekannten Salvador Dali-Museums.

Die globale Mischung von so vielen Teilnehmern bot die Chance für eine Internationalisierung der NDLTD. Neben Vorträgen, in denen Projekte aus Australien, Kanada, Südafrika, Hong Kong und den USA vorgestellt wurden, bekam auch das DFG-geförderte Projekt "Dissertationen Online" die Gelegenheit, sich in einem Vortrag darzustellen. Dabei trafen die Kooperationen der wissenschaftlichen Fachgesellschaften im Rahmen der IuK-Initiative und der DDB auf ein ebenso reges Interesse wie die strukturierte Herangehensweise innerhalb fachlich ausgerichteter Teilprojekte.

In den parallel ablaufenden Sitzungen konnten die Teilnehmer zwischen großen Plenarveranstaltungen, Vorträgen und Diskussionen in kleinerem Kreis wählen. Dabei wurden folgende Themenbereiche angesprochen:

Dagegen wurden in den Plenarveranstaltungen einige Kernthemen andiskutiert. So sprach Henry Gladney (IBM Almaden Research Center, San Jose, Californien) über das Problem der Archivierung, Stuart Weibel (OCLC) über Metadaten sowie die Nutzung und Weiterentwicklung des Dublin Core Set; Ann Weaver Hart (Dekanin der Claremont Graduate School), Clifford Lynch (Direktor des CNI), Roberto Bamberger (Microsoft Entwicklungsabteilung), Jean Claude Guédon (University of Montreal) und Michael Peirsa (Xerox) stellten in ihren Vorträgen die Zukunft der Wissenschaften im Hinblick auf das elektronische Publizieren zur Diskussion. Clifford Lynch schätzte das schwierige Problem der Archivierung als ein vordergründig organisatorisches, ökonomisches und institutionelles Problem ein, wohingegen Henry Gladney es als ein technisch relativ einfaches Problem beschrieb.

Trotz der unterschiedlichen Darstellung gleichartiger Themen durch die verschiedenen Sprecher gab es ein gemeinsames Fazit: Wir sollten nicht versuchen, das Rad neu zu erfinden, sondern uns bemühen, alles so einfach wie möglich zu halten, um von einer möglichst breiten Masse so viel Input wie möglich zu bekommen und wir damit unsere Beziehungen untereinander auf eine einheitliche Basis stellen.

Begleitet wurden die Veranstaltungen durch Plenardiskussionen zu ETD aus der Sicht der Verlage, der Bibliotheken und der Graduate Schools. Ein Thema, welchem dabei eine besondere Bedeutung beigemessen wurde, ist die Frage, ob das elektronische Publizieren das Entstehen von Plagiaten wissenschaftlicher Dokumente fördert. Eugene Garfield (Science) merkte dazu an, dass mit Hilfe der elektronischen Publikationen derartige Dinge sogar noch besser zu entdecken sind, und Jane Fisher (MIT Press) ergänzte diese Einschätzung noch um die Aussage, dass es keine Beweise dafür gäbe, dass das Abschreiben wissenschaftlicher Dokumente dadurch mehr geworden wäre. Jemand, der dies tun wolle, täte es ohnehin, ob mit oder ohne elektronisches Original, so Delphine Lewis (UMI). Auch kam die Frage auf, inwieweit ETD und die Publikation in elektronischen Zeitschriften sich gegenseitig ausschließen würden. Jane Fisher vertrat hier die Meinung, dass es eigentlich gar keinen Konflikt gäbe, da eine elektronische Dissertation ohnehin noch einmal komplett überarbeitet werden müsse, um den Erfordernissen eines Zeitschriftenlektorats zu genügen.

Die Frage nach der Computerkompetenz und der dazu gehörenden Ausbildung wurde von den Dekanen der Graduate Schools in den Vordergrund gestellt. John Eaton (Virginia Tech), Gerald Lang (West Virginia University), Dale Johnson (University of South Florida) und Peter D. Syverson (Council of Graduate Schools) kamen überein, dass die Konzentration auf die elektronischen Dissertationen, Diplom- und Magisterarbeiten ein guter Ansatz sei, um die informationstechnische Aus- und Weiterbildung von Studierenden und Wissenschaftlern zu verbessern. Ihrer Meinung nach sollten die Studierenden z. B. in der Benutzung von 6 oder 7 verschiedenen Textverarbeitungssystemen ausgebildet werden. John Eaton von der Virginia Polytech Institute and State University als einer der 4 Universitäten, deren Regelungen die elektronische Publikation der Abschlussarbeiten von jedem Absolventen verlangen, brachte seine Einstellung dazu dann auch auf den Punkt: "If it is not digital, it does not exist". Trotzdem sei die Bedeutung von Dissertationen nicht überzubewerten. Sie bilden zwar einen einzigartigen Beitrag zur wissenschaftlichen Forschung, stellen jedoch wissenschaftliche Anfängerarbeiten dar und sind nicht im Sinne eines Opus magnum der Wissenschaft zu verstehen.

In der Plenardiskussion der Bibliotheken, die von Roy Tennant (California Digital Library Project), Julia Blixrud (Association of Research Libraries) und David Baletta (National Library of Canada) geführt wurde, kam erneut die Problematik der Archivierung und der dazu gehörenden technischen Möglichkeiten auf. David Baletta wies darauf hin, dass im Moment Bibliotheken nicht besonders gefördert werden, um digitale Archive aufzubauen, äußerte dann aber die Meinung, dass ETD eine gute Sache sei, und die Hoffnung, dass die Barrieren, die heute noch von allen Seiten existieren, mit der Zeit fallen werden. Frau Blixrud diskutierte das Für und Wider der Adaption alter Strategien auf neue Medien. David Baletta berichtete unter anderem über die Hintergründe des kanadischen Projektes.

Die Tatsache, dass die Teilnehmer eine Auswahl zwischen 5 parallel ablaufenden Sitzungen zu treffen hatten, war fast schon zu viel des Guten. Oft hätte man sich teilen müssen, um alle interessanten Projektvorstellungen und Diskussionen zu besuchen. Jede einzelne Veranstaltung war gut besucht, selbst in kleineren Sitzungen reichten die Stühle meist nicht aus. So wurden Fallstudien der Universitäten Harvard, Humboldt-Universität zu Berlin, MIT, Michigan State University, University of Arizona, University of Georgia, University of Iowa, University of Waterloo, Virginia Commonwealth University, West Virginia University und Virginia Tech vorgestellt.

Um aus dem Wirrwarr der Abkürzungen und der dominierenden technischen Begriffe wie XML,6 SGML, HTML, PDF und Dublin Core aufzutauchen, bot das Symposium seinen Teilnehmern Kurse und Tutorials an. So konnte jeder etwas tiefer in die Materie von HTML, SGML, XML, XSL/T, Metadaten, Dublin Core sowie in die Welt der Adobe Produkte rund um PDF, Macromedia und der Microsoft Office Familie einsteigen.

Die vom Gastgeber (University of South Florida) organisierten Abendveranstaltungen waren ein fester Treffpunkt für das Gespräch. So konnte man sich über die Überfülle der Informationen, die die Veranstaltungen boten, austauschen, John Hagen, begleitet von Daniel Ferreras (beide West Virginia University) spielte auf dem Piano, bei Wein und einem Imbiss diskutierte man im nahegelegenen Salvador Dali-Museum und wandelte durch die Ausstellung.

Die Abschlussrede, gehalten vom Begründer der NDLTD-Initiative, Prof. Edward Fox (Virginia Tech), hatte die Zukunft der NDLTD-Vision zum Thema. Ed Fox berichtete über die Ergebnisse der Sitzung des Steering Committee am Vortag der Konferenz und über die weitere Internationalisierung und Ausweitung der Networked Digital Library of Theses and Dissertations.

NDLTD ist eine Initiative, deren Mitglieder sich durch einen relativ losen Zusammenschluss bereit erklärt haben, ihre Aktivitäten im Bereich der elektronischen Hochschulpublikationen zu koordinieren und Entwicklungen zu teilen. Heute sind ungefähr 78 Universitäten weltweit Mitglieder von NDLTD, darunter auch deutsche Universitäten (TU Darmstadt, Humboldt-Universität zu Berlin, Freie Universität Berlin, Gerhard-Mercator-Universität Duisburg) und als Konsortialmitglied das Projekt Dissertationen Online. Der Zuwachs, den die Initiative innerhalb des letzten Jahres seit dem Symposium im Mai 1999 in Blacksburg (Virginia), bekommen hat, wird durch eine Verdopplung der Teilnehmerzahlen deutlich. Heute gibt es weltweit bereits vier Universitäten, die dem Beispiel von Virginia Tech gefolgt sind und die elektronische Abgabe der Abschlussarbeiten von ihren Studenten zur Pflicht erklärt haben. Hoffen wir, dass sich diese Zahl bis zur nächsten Konferenz, die vom 22.-24. März 2001 am California Institute of Technology in Pasadena stattfinden wird, noch einmal mindestens verdoppelt.

 

1 Teile dieses Berichtes wurden dem englischen Tagungsbericht von Gail McMillan (Virginia Tech) entnommen.

2 Die Konferenz kann unter http://etd.eng.usf.edu/Conference/ nachgelesen werden.

3 Zur NDLTD siehe http://www.ndltd.org

4 siehe auch die Seiten der UNESCO unter http://www.unesco.org/webworld/etd

5 ETD: Diese Abkürzung wird im Folgenden für den Term "Electronic Theses and Dissertations" (dt. elektronische Dissertationen und Diplom-/ bzw. Magisterarbeiten) benutzt.

6 Vgl. hierzu den anschließenden Bericht in diesem Heft.


Stand: 01.08.2000
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