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BIBLIOTHEKSDIENST Heft 7/8, 2000

Richtlinie zum Urheberrecht und zu verwandten Schutzrechten in der Informationsgesellschaft

EU-Kommission begrüßt Einigung im Rat

 

Die Europäische Kommission hat die politische Einigung begrüßt, die am 8. Juni im Ministerrat über die Richtlinie zum Urheberrecht und zu verwandten Schutzrechten in der Informationsgemeinschaft erzielt wurde. Die geplante Richtlinie soll Kreativität und Innovation fördern, indem sie Musikwerken, Filmen und anderem urheberrechtlich geschützten Material im gesamten Binnenmarkt angemessenen Schutz gewährt. Während des ganzen Legislativverfahrens hat die Kommission stets auf einen fairen Ausgleich aller Rechte und Interessen geachtet, die von dieser Richtlinie berührt werden. Betroffen sind in erster Linie Rechtsinhaber, Betreiber von Kommunikationsnetzen, Verbraucher, die elektronische Unterhaltungsindustrie und Bildungsschaffende. Die Richtlinie wird den grenzüberschreitenden Handel mit urheberrechtlich geschützten Produkten und Dienstleistungen erleichtern. Dabei ist besonders an neue Produkte und Dienstleistungen der Informationsgesellschaft gedacht (Online-Produkte und solche auf physischen Trägern wie CDs). Kommunikationsnetzbetreiber gelangen in den Genuss einer verbindlichen Ausnahmeregelung, die ihnen vorübergehend Vervielfältigungen gestattet, soweit diese Teil eines technischen Verfahrens sind. Die Richtlinie enthält eine ausführliche Aufstellung der Ausnahmen vom Urheberrecht, die den Mitgliedstaaten zugestanden werden können, vorausgesetzt die Rechtsinhaber erhalten eine angemessene Vergütung. Geklärt wird auch die Frage des Verhältnisses zwischen den Ausnahmeregelungen und dem rechtlichen Schutz von Vervielfältigungsschutzvorrichtungen, besonders wenn es um die rechtmäßige Nutzung geht.

"Dies ist ein Durchbruch in einem äußerst wichtigen Dossier" erklärte Frits Bolkestein, für den Binnenmarkt zuständiges Mitglied der Kommission. "Seit der ersten Vorlage des Vorschlags der Kommission im Jahre 1997 hat sich die Informationstechnologie explosionsartig entwickelt. Das Internet hat einen grundlegenden Wandel bei Film, Video und Musik bewirkt und eine radikale Veränderung des Konzepts der Einbeziehung des Publikums herbeigeführt. Damit die europäischen Kunst- und Kulturschaffenden und die Industriezweige, deren Tätigkeit auf Urheberrechten basiert, die Vorteile dieser Entwicklung in vollem Umfang nutzen können, mussten wir dafür sorgen, dass ihre Rechte an geistigem Eigentum angemessen geschützt werden. Derartige Schutzmaßnahmen mussten jedoch gegenüber den Rechten anderer Betroffener, wie z. B. Kommunikationsnetzbetreiber, Verbraucher, Bildungsschaffende und die Gesellschaft insgesamt, abgewogen werden. Dies war ein schwieriger Balanceakt, den wir jedoch erfolgreich gemeistert haben."

Verfahrenstechnisch wird die vorgeschlagene Richtlinie jetzt Gegenstand eines Gemeinsamen Standpunkts des Rates sein, der dem Europäischen Parlament zur zweiten Lesung im Rahmen des Mitentscheidungsverfahrens zugeleitet wird.

Die Richtlinie soll den bestehenden EU-Gesetzesrahmen für das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte anpassen und ergänzen, um neuen technischen Entwicklungen und der Informationsgesellschaft Rechnung zu tragen und Rechtsinhabern und Nutzern gleichermaßen Vorteile zu bringen. Sie regelt insbesondere das Vervielfältigungsrecht, das Recht der öffentlichen Wiedergabe und Zugänglichmachung, das Verbreitungsrecht sowie den rechtlichen Schutz von Systemen zur Verhinderung unerlaubten Kopierens und zur Verwaltung von Rechten. Die Richtlinie sorgt für einen erweiterten Schutz in einem globalen Markt, da sie eine Voraussetzung für die Ratifizierung der 1996 im Rahmen der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) geschlossenen Verträge, der sogenannten "Internet"-Verträge ist. Diese beiden Verträge, der WIPO-Urheberrechtsvertrag (WCT) und der WIPO-Vertrag über Darbietungen und Tonträger (WPPT), die den Schutz der Urheber bzw. den Schutz der ausübenden Künstler und Tonträgerhersteller zum Gegenstand haben, wurden im Dezember 1996 von der WIPO angenommen.

Alle EU-Mitgliedstaaten und die Europäische Gemeinschaft sind Unterzeichner; zu den Unterzeichnern gehören ferner die Länder des Europäischen Wirtschaftsraumes und die mittel- und osteuropäischen Länder.

 

Technisch bedingte Vervielfältigungen im Netz

Die Richtlinie führt für Diensteanbieter, Telekommunikationsbetreiber und andere Fachkreise unter gewissen Umständen eine verbindliche Ausnahme vom Vervielfältigungsrecht ein, und zwar für bestimmte technische Vervielfältigungshandlungen, die als Teil eines technischen Verfahrens gelten. Für diese sehr umstrittene Frage wurde eine zufriedenstellende Lösung gefunden. Bevor die Ausnahmeregelung zum Tragen kommt, sind zahlreiche Voraussetzungen zu erfüllen. Insbesondere müssen die Vervielfältigungshandlungen einen unerlässlichen Bestandteil eines technischen Vorgangs darstellen und im Rahmen einer Übertragung in einem Netz stattfinden. Die Richtlinie gewährleistet das reibungslose Funktionieren des WWW für diejenigen, die urheberrechtlich geschütztes Material ins Netz stellen, und für diejenigen, die solches Material übertragen oder vorhalten.

 

Abschließende Liste der fakultativen Ausnahmen

Die Richtlinie enthält eine erschöpfende Liste der Ausnahmen vom Vervielfältigungsrecht und vom Recht der öffentlichen Wiedergabe. Alle sind fakultativ; es steht den Mitgliedstaaten daher frei, nur einige oder aber alle Ausnahmen zuzulassen. Die Liste ist jedoch abschließend, was bedeutet, dass keine weiteren Ausnahmen zulässig sind. Diese Regelung ist umstritten. Aus diesem Grund wurde eine "Besitzstandsklausel" aufgenommen, die es den Mitgliedstaaten erlaubt, in Fällen von geringfügiger Bedeutung bestehende Ausnahmeregelungen für die analoge (nicht jedoch die digitale) Nutzung weiterhin anzuwenden.

 

Angemessene Vergütung

Diese Maßnahme wurde ursprünglich vom Europäischen Parlament im Zusammenhang mit verschiedenen Ausnahmeregelungen vorgeschlagen und von der Kommission in ihrem geänderten Vorschlag übernommen. Sie gilt für zwei Ausnahmefälle, nämlich Reprographie (Fotokopie) und private Vervielfältigung. Den Mitgliedstaaten wird jedoch ein großer Spielraum bei der Auslegung gelassen. So kann z. B. in Fällen von geringer Bedeutung die Zahlungsverpflichtung entfallen. Die konkrete Form dieser Vergütung (Erhebung einer Abgabe auf Fotokopien, unbespielte Bänder und Kopiergeräte, wie in den meisten Mitgliedstaaten praktiziert oder andere Formen) ist von den Mitgliedstaaten entsprechend ihrer Rechtstradition und -praxis festzulegen.

Es bleibt den Mitgliedstaaten auch überlassen, wie sie die Frage der angemessenen Vergütung für private Aufzeichnungen von Rundfunk- oder Fernsehsendungen zwecks späteren Anhörens bzw. Anschauens (time shifting) angehen.

 

Rechtlicher Schutz von Vervielfältigungsschutzvorrichtungen (technische Maßnahmen) und Ausnahmeregelungen

Diese Frage war eines der politisch heikelsten und kontroversesten Themen der ganzen Debatte. Es ging um die Frage, wie z. B. bei einer Vervielfältigungshandlung zum Zwecke der Veranschaulichung im Unterricht eine Ausnahmeregelung angewandt werden kann, auch wenn ein Rechtsinhaber über ein Antikopiersystem, z. B. einen digitalen Tracker, verfügt, das Raubkopieren verhindern soll. Wäre diese Frage nicht geregelt worden, hätten die Ausnahmeregelungen in einigen Fällen ihren Sinn verloren. Auch hier wurde ein Kompromiss gefunden. Zunächst wird den Rechtsinhabern die vollständige Kontrolle über Herstellung und Vertrieb von Vorrichtungen eingeräumt, mit denen Vervielfältigungsschutzsysteme umgangen werden können. Eine flexiblere Lösung in diesem Bereich hätte die Gefahr von Missbräuchen und Piraterie vergrößert.

Sodann sieht die Richtlinie vor, dass die Rechtsinhaber entweder in Eigeninitiative oder im Rahmen von Vereinbarungen mit anderen Parteien diejenigen Einrichtungen, für die eine Ausnahmeregelung gilt, z. B. Schulen oder Bibliotheken, mit den entsprechenden Mitteln ausstatten. Es ist Aufgabe der Mitgliedstaaten, dafür zu sorgen, dass solche Mittel zur Verfügung stehen.

Was die Vervielfältigung zum privaten Gebrauch anbelangt, so führen Qualität und Quantität der hergestellten Kopien und der ständig wachsende elektronische Geschäftsverkehr dazu, dass die Rechtsinhaber hinsichtlich der digitalen Aufzeichnungsverfahren, mit denen sich sehr schnell eine unbegrenzte Zahl von Kopien ohne Qualitätsverlust herstellen lässt, besser geschützt werden müssen. Nur wenn die Rechtsinhaber die entsprechenden Mittel bereitgestellt haben, darf in bestimmten Fällen eine private Vervielfältigung vorgenommen werden.

 

Gemeinschaftsweite Erschöpfung

Die Richtlinie wendet für das Verbreitungsrecht den Grundsatz der gemeinschaftsweiten, jedoch nicht der internationalen Erschöpfung an. Dies entspricht den Bestimmungen früherer Richtlinien im Bereich des Urheberrechts. Wird ein urheberrechtlich geschütztes Produkt wie z. B. eine CD oder CD-ROM vom Rechtsinhaber selbst oder mit seiner Zustimmung in der Gemeinschaft vermarktet, so gilt das Verbreitungsrecht als "erschöpft", d. h. die weitere Verbreitung in der Gemeinschaft darf nicht mehr eingeschränkt werden. Paralleleinfuhren innerhalb der Gemeinschaft sind gestattet, jedoch ist der Rechtsinhaber weiterhin gegen Parallelimporte aus Drittländern geschützt.

 

Verhältnis zur Richtlinie zum elektronischen Geschäftsverkehr

Sowohl die Richtlinie zum elektronischen Geschäftsverkehr als auch diese Richtlinie sind wichtige Rechtsakte, die bei dem von der EU angestrebten Ziel, einen harmonisierten Rechtsrahmen zu schaffen, um die Entwicklung der Informationsgesellschaft zu fördern, eine bedeutende Rolle spielen. Sie ergänzen sich gegenseitig, da die vorliegende Richtlinie sich mit urheberrechtlichen Aspekten befasst, während die Richtlinie zum elektronischen Geschäftsverkehr verschiedene Rechtsfragen im Zusammenhang mit dem Funktionieren des Binnenmarktes harmonisiert. Die vorliegende Richtlinie ergänzt die Haftungsbestimmungen der Richtlinie zum elektronischen Geschäftsverkehr, indem sie bestätigt, dass die Rechtsinhaber gegenüber Vermittlern Unterlassungsansprüche geltend machen können, d. h. dass sie auf gerichtlichem Wege oder durch andere Maßnahmen Zuwiderhandlungen unterbinden können, wenn ihre Dienste von Dritten genutzt werden, um Urheberrechte und verwandte Schutzrechte zu verletzen.

Quelle: Europäische Kommission http://wwweuropa.eu.int/comm/internal_market/de/intprop/intprop/601.htm

Weitere Informationen E-Mail: MARKT-E3@cec.eu.int


Stand: 01.08.2000
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