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BIBLIOTHEKSDIENST Heft 7/8, 2000

Zeitschriftenmanagement II

Zeitschriftenbedürfnisse und Bewertungskonzepte

Oliver Obst

 

1. Zeitschriftenprofil

Einführung

Zeitschriftenbestände anhand von Bestandslisten durch geschäftsführende Direktoren evaluieren zu lassen, birgt ein gewisses Risiko, wie im Mai-Heft des Bibliotheksdienst berichtet wurde.1 Bestimmte Indizien legten die Vermutung nahe, dass nicht nur nach Wichtigkeit und Relevanz, sondern auch nach dem Vorkommen bestimmter Stichwörter im Zeitschriftentitel evaluiert worden war. Eine weitere Verzerrung im ermittelten Zeitschriftenbedarf entstand, weil die Direktoren durch Mitgliedschaften, Peer-reviewing, etc. meistens über einen guten Zeitschriftenbestand verfügen. Der eigentliche Zeitschriftenbedarf in Krankenversorgung und Forschung fällt deshalb - insbesondere in den klinischen Fächern - weniger an der Spitze als vielmehr an der Basis an. Hinzu kommt, dass man dort aus Karrieregründen existenziell darauf angewiesen ist zu publizieren.

Um sowohl die Verzerrung durch die suggestive Wirkung von Zeitschriftentiteln und Beständen als auch durch die Subjektivität und Autarkie der Direktoren zu verringern, führten wir ein Jahr nach der Direktorenrunde eine Befragung aller Wissenschaftler und Ärzte der medizinischen Fakultät der Universität Münster durch. Aus Art und Umfang der individuell benötigten Zeitschriften sollte ein Profil des gesamten Zeitschriftenbedarfs der Fakultät erstellt werden. Ziel war es, den Deckungsgrad zwischen Zeitschriftenbestand und -bedürfnissen zu analysieren und - in einem späteren Schritt - zu erhöhen.

 

Methode

Allen 1.305 wissenschaftlichen Mitarbeitern der Medizinischen Fakultät wurde ein Fragebogen zugeschickt.2 Als Wissenschaftler wurden diejenigen Mitarbeiter aus der Datenbank der Personalabteilung selektiert, die mit ³ BAT IIA angestellt oder mit ³ A13 verbeamtet waren. Jeder konnte maximal 30 Titel angeben. Da abzusehen war, dass nicht alle gewünschten Titel auch abonniert werden konnten, durften jeweils nur zehn als Print- und zehn als Online-Form, sowie zehn weitere als Fernleihlieferung genannt werden. Als Lieferzeit konnte für letztere zwischen 2-3 Stunden, 2-3 Tagen und 1-2 Wochen gewählt werden. Nach dem Verstreichen der Deadline wurden die geschäftsführenden Direktoren über den prozentualen Rücklauf aus ihrer Einrichtung informiert. Die Zahl der Rückmeldungen stieg daraufhin noch einmal deutlich an.

 

Ergebnis

Von den 1.305 Mitarbeitern waren 31 bereits ausgeschieden, dafür meldeten sich 68, die nicht berücksichtigt worden waren. Damit wuchs der Verteiler auf 1.342 Personen. Der Rücklauf war mit 40,8% (548) erfreulich hoch. Davon konnten 540 Antworten ausgewertet werden, acht waren unbrauchbar. Insgesamt wurden 1.120 verschiedene Titel 7.871mal genannt. Jeder Antwortende nannte somit durchschnittlich 14,6 Titel. Je mehr Antworten eintrafen, desto häufiger wurden Titel gewünscht, die schon einmal genannt worden waren. Ab der 400sten Antwort stieg deshalb die Gesamtzahl der verschiedenen Titel kaum noch an. Die Sättigung, d. h. der Gesamtbedarf, lag bei vermutlich 1.200 - 1.300 Titeln.

Welches Zeitschriftenformat wurde favorisiert? Mehr als die Hälfte aller 7.871 Zeitschriften (57%) wurde in gedruckter Form gewünscht, 26% in elektronischer Form und 17% als beschleunigte Fernleihe.

Die (noch) starke Verhaftung an das Print-Medium wurde auch dadurch deutlich, dass 91% der Antwortenden wenigstens eine Zeitschrift in gedruckter Form desiderierten. Aber bereits mehr als die Hälfte (55%) äußerte den Wunsch nach online verfügbaren Zeitschriften. Rund ein Drittel der antwortenden Wissenschaftler (34%) waren zumindest bei einigen Titeln auch Fernleihkopien gegenüber aufgeschlossen. Von diesen betonten allerdings fast ein Fünftel (19%), dass Artikel innerhalb von 2-3 Stunden lieferbar sein sollten. Drei Viertel (74%) würden sich aber schon mit realistischeren 2-3 Tagen zufrieden geben. Nur 7% gaben an, 1-2 Wochen auf eine Artikellieferung warten zu wollen.

48% der desiderierten 1.120 Titel waren an der Zweigbibliothek selber in gedruckter Form vorhanden, weitere 14% in elektronischer Form für die Universität lizenziert. 8% waren an den Instituten und Kliniken der Medizinischen Fakultät zu finden, und weitere 4% an der Universitätsbibliothek und anderen, nicht-medizinischen Einrichtungen der Universität. Somit waren fast drei Viertel der gewünschten Titel in Münster vorhanden.

In der Tabelle unten finden Sie die Hitliste der 20 am häufigsten genannten Zeitschriften. Sie stimmt in 13 Positionen mit den 20 Top-Journals der Direktoren überein.

Alle

Titel

Direktoren

1

Nature

1.

2

Science

4.

3

New England journal of medicine

2.

4

Proceedings of the National Academy of Science / USA

37.

5

Lancet

3.

6

Cell

7.

7

Journal of biological chemistry

24.

8

Circulation

9.

9

Journal of cell biology

12.

10

Cancer research

21.

11

EMBO Journal

8.

12

Blood

15.

13

Journal of clinical investigation

10.

14

Nature medicine

5.

15

Biochimica et biophysica acta

26.

16

Radiology

*

17

FEBS-letters

11.

18

Biochemical and biophysical research communications

25.

19

Cancer

15.

20

Journal of immunology

32.

* Radiology stand nicht auf der Liste, aus der die Direktoren wählen konnten


Nicht so stark war dagegen die Überlappung bezüglich der insgesamt genannten Zeitschriftentitel. 37% (274) der von den Direktoren genannten Titel mit einem Wert von rund DM 200.000 wurden bei dieser Umfrage nicht ein einziges Mal erwähnt. Diese Titel verzeichneten im Mittel nur ein Drittel der durchschnittlichen Benutzung. 465 Titel der gewünschten Titel waren identisch mit denen der Direktoren, immerhin 655 (58%) wurden nur von den Wissenschaftlern und Ärzten genannt.

In der untenstehenden Abbildung sehen Sie die Häufigkeitsverteilung der Nennungen der einzelnen Titel. 274 Titel wurden keinmal, 435 einmal, 184 zweimal, usw. genannt.3

 

Diskussion

Eines der wichtigsten Ergebnisse der Umfrage war wohl, dass nun die Bibliothek mit dem erhobenen Zeitschriftenprofil bei späteren Entscheidungen ein Lobbying bei den Direktoren zugunsten der Mitarbeiter betreiben konnte. Obwohl die Umfrage mit dem Ziel durchgeführt worden war, Titel für Abbestellungen zu diskriminieren, waren diese dank einer Etaterhöhung wider Erwarten nicht notwendig. Als eine erste Maßnahme wurde allen Antwortenden mitgeteilt, wo und wie die von ihnen benötigten Zeitschriften zugänglich waren - für viele eine bisher unbekannte Information.

Die häufige Nennung von Online-Journalen (55%) und Fernleihen (34%) spiegelte die Akzeptanz dieser beiden Zugriffsarten vermutlich zu stark wieder. Die Limitierung der vorgegebenen Antwortmöglichkeiten auf zehn Titel pro Lieferart ließ - nicht ohne Hintergedanken - jedem, der mehr als zehn Titel desiderieren wollte, nur die Möglichkeit, die Titel Nummer 11 bis 30 als Online- oder Fernleihwünsche aufzuschreiben. Gegen eine künstliche Erhöhung der Akzeptanz spricht, dass sich ein Jahr später bereits 72% für Online-Journale aussprachen. Wie auch immer - wir befinden uns momentan in einer Übergangsphase, die dadurch gekennzeichnet zu sein scheint, dass anfängliche Vorbehalte gegen dieses neue Medium schnell einer breiten Zustimmung Platz gemacht haben. Trotzdem sollten Bibliotheken die beiden Medienformen Print und Online noch für eine Zeitlang parallel nebeneinander anbieten, da ein Teil der Wissenschaftler nur mit der gedruckten Zeitschrift arbeiten möchte und/oder gerne in die Bibliothek kommt (so genau wissen wir das nicht). Der andere Teil nutzt begeistert die ubiquitäre Zugänglichkeit der elektronischen Zeitschrift und/oder hat keine Zeit für Bibliotheksbesuche. Der überaus große Komfort beim Zugriff auf E-Journals führte dazu, dass ein Benutzer deswegen lieber auf die Internet-Version zugriff, weil er ansonsten vom Schreibtisch aufstehen müsste, um sein eigenes Print-Abo aus dem Schrank zu holen. Es ist unschwer vorauszusehen, dass die verstärkte Dynamisierung wissenschaftlicher Artikel (forward u. backward referencing, related records, Multimedia-, Kommentar-, Peer-Review-Supplemente, etc.4) diesen Verfall des Nutzwertes von Print-Zeitschriften weiter beschleunigen wird.

Kann man beiden Kundengruppen gerecht werden, indem man Zeitschriften sowohl in print als auch online anbietet - sozusagen das Beste aus beiden Welten? Insgesamt stellen E-Journals wegen des großen Bedarfs, der ungesicherten Archivierung und Finanzierung eine große Herausforderung für Bibliotheken dar. Die allermeisten elektronischen Zeitschriften verursachen Kosten, die zusätzlich zur gedruckten Version anfallen. Dieser Preisaufschlag beträgt je nach Titel meistens 10-100%. Einige Verleger wie z. B. Cell Press verlangen jedoch bis zu 500% zusätzlich. Gibt man die gedruckte Version auf und abonniert nur noch die elektronische, wird man immer noch mit mindestens 90% des Printpreises zur Kasse gebeten, da die Investitionen der Verlage in elektronische Zeitschriften und ihre Profitorientierung keine Einsparmöglichkeiten für Bibliotheken vorsehen.

Da die elektronische Version im Hochschulnetz jedermann zugänglich ist, könnten im Prinzip alle dezentralen und/oder privaten Abos abbestellt werden. So gesehen könnte ein elektronisches Zusatz-Abo nicht nur dem Komfort, sondern auch dem Portefeuille aller Beteiligten dienen. Die so erzielten Einsparungen müssten dann lediglich der Bibliothek als zentraler E-Journal-Stelle zur Verfügung gestellt werden, um die Rechnung aufgehen zu lassen. Dies sollte jedenfalls immer wieder von Verwaltung und Fachbereich eingefordert werden, auch wenn das in Zeiten knapper Forschungs- und Lehremittel bleibt oftmals leider nur ein frommer Wunsch leibt.

 

2. Zeitschriftenbewertung

Einführung

Angesichts leerer Kassen gilt es in zunehmendem Maße, historisch oder wie auch immer entstandene Zeitschriftenbestände nicht nur von Zeit zu Zeit einem - subjektiven - Fakultäts-Ranking zu unterziehen, sondern anhand objektiver Parameter auf Nutzen und Wirtschaftlichkeit hin zu überprüfen. Die Zeitschriftenevaluation mit betriebswirtschaftlichen Methoden ist an anglo-amerikanischen Bibliotheken längst üblich5 und wird in zunehmendem Masse auch von deutschen Bibliotheken als Mittel zur effizienten Bestandspolitik benutzt.6 Dabei werden Kosten/Nutzen-Analysen durchgeführt, die den Kosten (Personal, Medien-, Sach- und Betriebskosten, Abschreibungen) einer laufenden Zeitschrift deren Nutzen gegenüberstellen. Da in Münster nur die Abonnementskosten kurzfristig disponibel waren sowie die problematischsten Steigerungsraten aufwiesen, wurden - im Gegensatz zur Düsseldorfer Combi-Studie - nur diese in die Bewertung mit einbezogen.

Was ist der Nutzen einer Zeitschrift und wie ermittelt man ihn? Die qualitative Beurteilung von Zeitschriftentiteln durch Angehörige der Fakultät (Fakultäts-Ranking) setzt sich nach Stephen Bensman aus einer komplexen Mischung subjektiver Bewertungen zusammen: "I found LSU faculty ratings of quality to be a confounding of the following factors: 1) something subjective the raters perceived to be "quality" or "utility"; 2) personal advantage or whether the raters could publish in the journal; 3) the social status of the scientists publishing in the journal; 4) the size of the journal in both it's physical and time aspects; and 5) the subject comprehensiveness of the journal."7 Es stellt sich daher die Frage, ob Fakultätsbefragungen als alleinige Indikatoren für die Beurteilung von Zeitschriften verwendet werden können.

 

Methode

Die Bibliothek hat die Fakultäts-Rankings durch Analysen 'objektiver' Parameter wie z. B. der Zeitschriftenbenutzung vor Ort und scientometrischer Indikatoren ergänzt, um den Wert einer Zeitschrift genauer bestimmen zu können. Dazu wurde eine Methode aus der Literatur adaptiert.8 Folgende Indikatoren wurden benutzt:

1. Fakultäts-Ranking: Welche Zeitschriften werden von der Fakultät gewünscht?

  • Hier flossen die Ergebnisse der oben angeführten Umfrage ein. (1998)
    Indikator FR = FRa-z / FRmax: Häufigkeit der Nennung eines Titels dividiert durch den Maximalwert der Nennungen

2. Benutzung: Welche Zeitschriften werden lokal und in der Fernleihe benutzt?

  • Zeitschriftenbenutzung in der Bibliothek (1998)
    Indikator BE = BEa-z / BEmax: Häufigkeit der Benutzung eines Titels dividiert durch den Maximalwert der Benutzung
  • Artikelbestellungen über die Fernleihe (1.Hj.1998)
    Indikator FL = FLa-z / FLmax: Häufigkeit der Bestellung eines Titels dividiert durch den Maximalwert der Fernleihbenutzung

3. Scientometrische Zeitschriftenbewertung

  • Impact Factor (1997)
    Indikator IF = IFa-z/IFmax: Impact Factor eines Titels dividiert durch den maximalen Impact Factor
  • Aufnahme in Indexierungs- und Abstractdienste (1998)
    Indikator AB = (å1 bis 5 ) / 100
    1. MEDLINE (45 Punkte)
    2. Embase (25 Punkte)
    3. PsycLit (10 Punkte)
    4. Biological Abstracts (10 Punkte)
    5. Chemical Abstracts (10 Punkte)

Anhand des Indikators 'Artikelbestellungen über die Fernleihe' wurde versucht, für eventuelle Lücken in Beständen zu kompensieren. Um den einzelnen Indikatoren eine je nach lokalen Gegebenheiten adäquate Bedeutung geben zu können, wurden sie mit den Faktoren a, b, c, d und e gewichtet. Es gilt a+b+c+d+e = 1,0. Der Zeitschriftwert Zw setzte sich somit aus folgenden Faktoren zusammen:

ZW = a*FR + b*BE + c*FL + d*IF+ e*AB

Der so ermittelte Nutzen einer Zeitschrift ist für sich allein noch nicht aussagekräftig, sondern muss noch den Kosten gegenübergestellt werden, die jede Zeitschrift verursacht. Der Kosten/Nutzen-Faktor wurde ermittelt, indem der Preis der Zeitschrift in 1998 durch ihren Wert dividiert wurde.

 

Ergebnis

In der folgenden Tabelle wurden die Berechnungen für zwei unterschiedlich 'wertvolle' Zeitschriften exemplarisch nebeneinandergestellt. Während der Zeitschriftenwert 'nur' um den Faktor drei differierte, traten bei Berücksichtigung des Preises Unterschiede von fast zwei Größenordnungen zutage.

Indikator

New England
Journal of Medicine

American Journal of Medical Genetics

Maximalwert

Fakultäts-Ranking

82

2

96

Benutzung

650

27

1.387

Fernleihbestellung

0

0

21

Impact Factor

27,8

2,0

40,8

Indexierung

1,0

0,8

1,0

WERT Zw (*100)

60,1

17,8

-

PREIS

480

10.906

-

PREIS / WERT

8,0

613

-

* In diesem Beispiel sind a = b = c = d = e = 0,2

 

Diskussion

Die komplexe Formel zur Ermittlung des Zeitschriftenwertes hat etliche Nachteile, überraschenderweise insbesondere wegen der Benutzung der Impact Faktoren. Zum einen schwankt die absolute Höhe der Impact Faktoren je nach Fachgebiet stark. Während in der Zellbiologie die zehn besten Zeitschriften Impact Faktoren von mindestens 10,0 haben, hat z. B. die beste orthopädische Zeitschrift einen von 2,2, und bereits die siebte rutscht unter 1,0 ab. Um nicht die Titel einzelner Fachgebiete zugunsten anderer unterzubewerten, müssten eigentlich in einem Bewertungsschema die Impact Faktoren der Zeitschriften relativ zu demjenigen des Fachgebietes bewertet werden; so wie dies z. B. die AWMF für Habilitationen vorschlägt.9 Zum anderen existiert ein deutliche Verzerrung der Impact Faktoren zugunsten von anglo-amerikanischen Zeitschriften.

Korrelationen

Fakultäts-Ranking

   
 

Alle

Direktoren

Total Cites

Impact
Faktor

Benutzung

0,79

0,66

0,78

0,31

Impact Faktor

0,49

0,58

0,44

-

Total Cites

0,83

0,61

-

-

FR Direktoren

0,75

-

-

-

Wenn man die Werte der einzelnen Indikatoren für die Zeitschriften miteinander korreliert,10 dann stellt man deutliche Abhängigkeiten voneinander fest. Insbesondere die Gesamtzahl aller Zitierungen (Total Cites), die Zeitschriftenwünsche und die Benutzung scheinen fast äquivalente Indikatoren für den wissenschaftlichen Nutzen darzustellen. Dieser Zusammenhang wurde auch von anderen Studien bestätigt.11 Interessant ist hingegen, dass - obwohl Wissenschaftler und insbesondere Direktoren eher Zeitschriften mit hohem Impact Faktoren auswählten - nur ein schwacher Zusammenhang zwischen diesen und der Benutzung besteht. Ein durchschnittlich unter 0,40 liegender Korrelationskoeffizient zwischen dem lokalen wissenschaftlichen Nutzen einer Zeitschrift und dem Impact Faktor wurde auch von anderen Studien gefunden.12 Darüber hinaus eignet sich diese Formel aufgrund ihrer Komplexität nur bedingt für das Marketing von Entscheidungen.

 

3. Zeitschriftenbenutzung

Einführung

Da die Benutzungshäufigkeit der Zeitschriften und das Fakultäts-Ranking äquivalente Indikatoren des Zeitschriftenwertes darstellen, benutzten wir im Folgenden vereinfachend die Anzahl der Benutzungen als Maß für den Nutzen eines Zeitschriftentitels. Der Preis/Nutzungs-Faktor jeder Zeitschrift wurde bestimmt als

 

Methode

Im folgenden wurde die Nutzung aller gedruckten Zeitschriften in der Bibliothek bestimmt - ob gebunden oder in Heftform. Es wurden nur die Jahrgänge im Präsenzbestand gezählt (ab 1970).13 Das von der ISO Norm 11620 empfohlene Zurückstellen benutzter Zeitschriftenhefte und -bände (reshelving) wurde als "meistgenutzte und effektivste Methode"14 ausgewählt. Die Benutzung wurde insgesamt 2,5 Monate lang zu Anfang und Ende des Jahres gemessen.

 

Ergebnis

In dem Untersuchungszeitraum fielen insgesamt 10.791 Benutzungen an. Unter den 931 laufenden Zeitschriften waren im Untersuchungszeitraum 32% (300 Titel) kein einziges Mal benutzt worden; von den 778 Kaufzeitschriften waren dies 174 (22%). Ein weiteres knappes Drittel aller Titel (286) wurden 1-25 mal im Jahr benutzt, das letzte Drittel (312) mehr als zweimal im Monat. Nur 33 Titel (3,5%) wurden mehr als 250 mal im Jahr benutzt. Ganze sechs Titel (Journal of Biological Chemistry, Circulation, Proceedings of the National Academy of Sciences, Lancet, New England Journal of Medicine, Nature) machten insgesamt 10% der Nutzung aus, die benutzungsstärksten 15 Titel kamen auf 20% der Nutzung.

Dividiert man den jährlichen Preis einer Zeitschrift durch die Anzahl der Benutzungen, so erhält man den Preis einer einzelnen Benutzung. Vereinfacht könnte man sagen, dass dieser Preis/Nutzungs-Faktor angibt, welche Zeitschriften ihr Geld wert und welche offensichtlich überbezahlt sind. Die extremsten dieser 'Hits' und 'Nieten' werden in untenstehender Tabelle dargestellt. Die 178 Kaufzeitschriften, die kein einziges Mal benutzt wurden und deshalb einen Preis/Nutzungs-Faktor von unendlich hatten, wurden nicht aufgelistet.

Titel

Preis / Benutzung

Kostspielige Titel

 

Molecular and cellular endocrinology

2.301 DM

Anatomy and embryology

1.848 DM

Biomaterials

1.568 DM

Connective tissue research

1.527 DM

Chemico-biological interactions

1.390 DM

Molecular reproduction and development

1.073 DM

Cancer, immunology, immunotherapy

1.044 DM

Archives of toxicology

1.026 DM

Experimental brain research

975 DM

Mutation research

959 DM

Preiswerte Titel

 

Jahrbuch für kritische Medizin

0,81 DM

New England Journal of medicine

0,90 DM

American journal of clinical nutrition

1,23 DM

Circulation

1,29 DM

Zeitschrift für medizinische Ethik

1,32 DM

Lancet

1,35 DM

Deutsche medizinische Wochenschrift

1,37 DM

Science

1,51 DM

American journal of cardiology

1,69 DM

Nature

1,74 DM

Sortiert man nun alle Kaufzeitschriften der Bibliothek nach ihrem Preis/Nutzungs-Faktor und trägt dann den jeweiligen Zeitschriftenwert gegen den Zeitschriftenpreis kumulativ auf, so ergibt sich eine Sättigungskurve (Abb. unten). Der Endpunkt dieser Kurve ist die beim Gesamtpreis erreichte Gesamtbenutzung aller Zeitschriften.

Die Abbildung zeigt, dass der Löwenanteil der Benutzung (90%) durch lediglich 380 Titel erbracht wurde (1). Diese 90% der Zeitschriftenbenutzung nahmen 39,3% des Etats in Anspruch. Für die restlichen 10% der Gesamtbenutzung (2 + 3) wurde dagegen der Hauptanteil des Etats (60,7% = DM 628.700) ausgegeben. Die 20/80-Regel lautete hier: Mit 23% der Titel waren 80% der gesamten Nutzung zu erzielen.

 

Diskussion

Auch nach Jahrzehnten der intensiven bibliothekarischen Auseinandersetzung kann die Messung der Präsenzbenutzung von Zeitschriften nur als echte Herausforderung bezeichnet werden. Auch Poll kommt in einer Literaturübersicht zum Schluss: "Eine 100% stichhaltige Methode [...] gibt es nicht".15 Entweder kann die Messung überaus leicht manipuliert werden oder sie ist zu aufwendig oder sie schränkt die Nutzung ein. Die hier verwendete Methode, Hefte und Bände nach Benutzung nicht zurückzustellen, sondern an bestimmten Sammelstellen abzulegen, wird die tatsächliche Benutzung immer unterschätzen. Zum einen sehen es manche Benutzer nicht ein, den Band an die Sammelstelle zu bringen; zum anderen werden Bände - während sie darauf warten, gezählt zu werden - mehr als einmal benutzt; wieder andere interpretieren ein oberflächliches Blättern nicht als Benutzung und legen das Heft wieder ins Fach zurück. Schätzungen über die mit dieser Methode nicht erfassten Benutzungsfälle reichen von 20 bis 60%.16 17

Um bei der Messung der Zeitschriftenbenutzung keinen Titel zu bevorzugen, dürften eigentlich nur diejenigen Jahrgänge gezählt werden, die bei allen Titeln gleichermaßen vorhanden sind. Da dies in der Praxis nur schwer möglich ist, wird meistens die Benutzung des gesamten Bestands gezählt. Da jedoch die Zeitschriftenbenutzung über alle Jahrgänge verstreut ist (Abb. unten), müssten für eine Genauigkeit von 5% alle Titel einen lückenlosen Bestand über die letzten 25 Jahre aufweisen, denn die kumulative Zeitschriftenbenutzung erreicht erst dann 95%. Da Titel, die erst fünf Jahre laufen, nur auf ca. 60% ihrer theoretisch maximal möglichen Benutzung kommen können, wurde die Benutzung der bei Gründung der Bibliothek 1993 neu angeschafften Titel wahrscheinlich um 40% unterschätzt.

Da es letztendlich nur darauf ankommt, den Spreu vom Weizen zu trennen, können methodisch bedingte Unterschätzungen eher verschmerzt werden als solche, die aus Lücken in den Beständen einzelner Titel resultieren. Hier wäre eine Studie wünschenswert, inwieweit sich Diskontinuitäten im Bestand auf Benutzungshäufigkeiten auswirken. Nichtsdestotrotz ist die Bestimmung der Zeitschriftenbenutzung vor Ort und die Kalkulation des Preises einer einzelnen Benutzung ein mächtiges Instrument, um Fakultäts-Rankings zu überprüfen und um Erwerbungsentscheidungen zu treffen und zu rechtfertigen.

Wenn man sich die Ergebnisse anschaut, dann ist es erschreckend, dass bisher offensichtlich ein Großteil des Etats für Titel ausgegeben wurde, die eine im Verhältnis zu ihrem Preis zu geringe oder gar keine Benutzung aufwiesen. Diese Titel könnten weitaus wirtschaftlicher über eine bedarfsorientierte Lieferung "just in time" zur Verfügung gestellt werden. Wenn über 500 Zeitschriften mehr als DM 50,- pro Benutzungsfall kosten, ist es schlechterdings kaum zu rechtfertigen, warum diese nicht über einen Dienst wie z. B. subito zu einem Bruchteil der Kosten angeboten werden sollten. Da Unterhaltsträger früher oder später die Wirtschaftlichkeit von bibliothekarischen Dienstleistungen detailliert überprüfen werden, sollte man sich schon mal eine Antwort darauf zurechtlegen. Die hohe Mannigfaltigkeit der medizinischen Zeitschriftenbedürfnisse18 macht die Ergänzung des lokalen Bestandes durch Fernleihlieferungen sowieso unumgänglich.

 

Resümee

Durch Befragung der Wissenschaftler und Ärzte konnte ein detailliertes Zeitschriftenprofil der Fakultät erstellt werden. Stimuliert durch das frühzeitige Angebot nahm die Nachfrage nach E-Journals bereits einen beträchtlichen Anteil am gesamten Zeitschriftenbedarf ein. Ein Drittel aller Kaufzeitschriften wurde von keinem einzigen Befragten genannt, was große potentielle Einsparmöglichkeiten eröffnete. Jedoch zeigt das Zeitschriftenbewertungskonzept, dass Fakultäts-Rankings durch Benutzungsstudien zu überprüfen sind. Während erstere Absichtserklärungen für oder gegen Zeitschriften darstellen, decken Benutzungsanalysen auf, welche Absicht auch in die Tat umgesetzt wurde. Man könnte Benutzungen deshalb auch die "Abstimmung mit den Kopierern" nennen. Es konnte gezeigt werden, dass Benutzungen von Zeitschriften, die Gesamtzahl der Zitierungen und Fakultäts-Rankings stark miteinander korrelierten.

Die Wirtschaftlichkeit des gesamten Zeitschriftenbestandes konnte durch eine kumulative Preis/Nutzungs-Kurve sehr anschaulich dargestellt werden. Würde man es schaffen, das Einsparpotential im Einvernehmen mit der Fakultät freizusetzen, könnten sowohl Preissteigerungen aufgefangen als auch notwendige Anpassungen des Bestandes an den Bedarf geleistet werden.

Aus finanziellen und bibliothekspolitischen Gründen verzichtete die Bibliothek, die naheliegenden Schlüsse aus den Ergebnisse dieser Studie zu ziehen und die nicht benutzten und/oder nicht gewünschten Titel abzubestellen. Anstatt die dritte aufeinanderfolgende Abbestellrunde einzuläuten, hielt es die Bibliothek für geschickter, der Fakultät die Entscheidung selber zu überlassen. In enger Zusammenarbeit mit der Bibliothekskommission wurde ein Konzept dazu erarbeitet. Im nächsten Teil der Artikelserie wird über dieses - mittlerweile erfolgreich bewerkstelligte - Weiterreichen des 'Schwarzen Peters' berichtet werden.

 

1 O. Obst: Zeitschriftenmanagement I: Preissteigerungen und Abbestellungen. In: Bibliotheksdienst 34(5):777-786 (2000)

2 Den Fragebogen finden Sie unter http://medweb.uni-muenster.de/zbm/zsn/run_9805.pdf

3 Unter http://medweb.uni-muenster.de/zbm/zsn/umfrage98/ finden Sie die Liste aller 1.120 benötigten Titel und die Liste der vorhandenen, aber nicht genannten 274 Zeitschriften.

4 O. Obst: Internet und Medizin: Wo geht die Reise hin? Status Quo und Zukunftsvisionen des Gesundheitswesens im Informationszeitalter / Vortrag auf der 20. DGD-Online-Tagung am 6. Mai 1998 in Frankfurt-

5 Z. B.: S.J.Bensmann: Scientific and Technical Serials Holdings Optimization: A LSU Serials Redesign Project Excercise. In: Library Resources & Technical Services 42(3):147-242 (1998)

6 Controlling und Marketing in wissenschaftlichen Bibliotheken. Hrsg.: E. Niggemann. Bd.1: Zwischenergebnisse und Arbeitsmaterialien (dbi-materialien; 177) Berlin, 1998.

7 S.J. Bensman: Bensman's Riposte To Cameron. In: Newsletter of Serials Pricing Issues 225.2. 11. Juni 1999.

8 D.J. Robb u. A. McCormick: Decision support for serials deselection and acquisition: a case study. In: Journal of the American Society for Information Science 48(3):270-273 (1997)

9 E. Frömter et. al. Das AWMF-Modell zur Evaluierung publizierter Forschungsbeiträge in der Medizin. In: Dtsch Med Wschr. 124:910-915 (1999)

10 Die Korrelation wurde nach Bravais-Pearson für diejenigen 947 Zeitschriften berechnet, für die Impact Faktoren, Total Cites, Benutzungszahlen und Fakultäts-Rankings vorlagen.

11 S.J. Bensman (1998) a.a.O. u. D.B.Blecic: Measurement of journal use: an analysis of the correlations between three methods. In: Bull Med Libr Assoc 87(1):20-25 (1999)

12 M. Tsay: The relationship between journal use in a medical library and citation use. In: Bull Med Libr Assoc 86(1):31-39 (1998)

13 Eine Pilotstudie hatte gezeigt, dass 97% der Nutzung auf Titel nach 1970 entfallen (s.a. Abb. am Schluss).

14 R. Poll: Kann man die Nutzung von Zeitschriften messen? In: Bibliothek zwischen Kontinuität und Wandel: Festschrift für Peter Hoffmann zum 60. Geburtstag / hrsg. S.Siebert. Rostock: UB, 2000. S.85-102 (in press)

15 R. Poll, a.a.O. S.101

16 B. Bauer: Eine Benützungserhebung als Entscheidungshilfe für ein langfristiges Zeitschriftenkonzept. Zeitschriftenevaluierung an der Zentralbibliothek für Medizin in Wien. In: Mitteilungen der VÖB 51(2):42-52 (1998)

17 C.R. Taylor: A practical solution to weeding university library periodicals collections. Coll Manage 1(3/4):27-45 (1976/1977)

18 H. Kowark: Bestandsaufbau II: Medizinische Zeitschriften in der Fernleihe. Eine Untersuchung der UB Freiburg. In: Bibliotheksdienst 31(1):79-87 (1997)


Stand: 01.08.2000
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