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BIBLIOTHEKSDIENST Heft 5, 2000

Gründung der Arbeitsgemeinschaft Konsortien

Rolf Griebel, Werner Reinhardt

 

Am 24. Januar 2000 fand in der Bayerischen Staatsbibliothek in München die konstituierende Sitzung der Arbeitsgemeinschaft Konsortien statt, bei der alle Konsortien der deutschen Hochschulbibliotheken, die Max-Planck-Gesellschaft sowie die Schweiz repräsentiert waren. Österreich und die Niederlande sind an einer Beteiligung interessiert. Darüber hinaus wird eine angemessene Vertretung der Öffentlichen Bibliotheken in der Arbeitsgemeinschaft angestrebt. Zum Vorsitzenden wurde Werner Reinhardt (UB Siegen) gewählt, den stellvertretenden Vorsitz übernahm Dr. Rolf Griebel (BSB München).

 

Motivation, Aufgabenbereich und Zielsetzung

Ausgangspunkt für die Gründung dieser Arbeitsgemeinschaft war die derzeitige Situation der Konsortienbildung in Deutschland, die insgesamt als wenig befriedigend gelten muss. Da in der Vergangenheit kaum Informationen über laufende Verhandlungen ausgetauscht wurden und nur wenige Ansätze zur Entwicklung gemeinsamer bzw. länderübergreifender Strategien erkennbar waren, schwächte dies die Position der Bibliotheken gegenüber den Verlagskonzernen als Anbietern elektronischer Medien entscheidend. Vor diesem Hintergrund wurde bei dem BDB/ekz-Workshop "Kooperationen zur Nutzung digitaler Ressourcen" am 6./7. Oktober. 1999 in Reutlingen der Beschluss gefasst, die Arbeitsgemeinschaft zu gründen.

Der Aufgabenbereich der Arbeitsgemeinschaft umfasst elektronische Medien aller Art (Offline-Datenbanken, Netzpublikationen). Der Schwerpunkt liegt zunächst auf dem Gebiet der elektronischen Zeitschriften.

Neben einem verbesserten Informationsaustausch1 über laufende Verhandlungen und Abschlüsse besteht die Zielsetzung der Arbeitsgemeinschaft darin, die Kompetenzen der Konsortialsprecher zu bündeln, auf dieser Basis gemeinsame Strategien gegenüber den Verlagen zur Stärkung der Marktposition der Bibliotheken zu entwickeln, und abgestimmt sowie ggf. länderübergreifend zu handeln. Entscheidend ist dabei eine pragmatische Vorgehensweise. Voraussetzung für den Erfolg sind Offenheit und Vertraulichkeit beim Informationsaustausch innerhalb der Arbeitsgemeinschaft. Die Sitzungsteilnehmer sprachen sich in diesem Zusammenhang entschieden dafür aus, Vertraulichkeitsklauseln in Verträgen künftig nicht mehr zu akzeptieren. Die Vertreter der Konsortien stimmten darin überein, dass die Voraussetzungen für ein nationales Agieren derzeit noch nicht gegeben sind, obgleich diese Perspektive vor allem im Hinblick auf fachorientierte Konsortien mit Nachdruck verfolgt werden muss.

 

Positionspapiere

Die Arbeitsgemeinschaft Konsortien stützt sich bei ihrer Arbeit auf existierende Positionspapiere und verzichtet auf die Erarbeitung eines eigenen Papiers. Zu nennen sind insbesondere:

Eine Mitgliedschaft der Arbeitsgemeinschaft Konsortien bei ICOLC soll angestrebt werden.

 

Situation in den Konsortien

Eine Bestandsaufnahme der Situation in den einzelnen Konsortien bzw. Einkaufsgemeinschaften zeigt recht unterschiedliche Ansätze bei organisatorischen und finanziellen Fragen der Konsortienbildung.4

Der Organisation der Verhandlungsführung liegen verschiedene Modelle zugrunde. Dazu zählen die Einrichtung zentraler Geschäftsstellen (mit oder ohne aus Zentralmitteln finanziertem Personal), die Beauftragung einer Bibliothek mit der Verhandlungsführung bei gleichzeitigem kooperativem Abstimmungs- und Entscheidungsprozess oder auch arbeitsteilige Verhandlungen durch teilnehmende Bibliotheken.

Die Finanzierung der Konsortialabschlüsse erfolgt an einigen Stellen ausschließlich durch Zentralmittel, in anderen wird sie hingegen fast vollständig durch Eigenmittel der Bibliotheken getragen. Angestrebt wird in mehreren Konsortien eine Mischfinanzierung aus Eigen- und Zentralmitteln, die einerseits eine kritische Prüfung der Kosten-Nutzen-Relation durch jede potentielle Teilnehmerbibliothek gewährleistet, andererseits sicherstellt, dass Konsortialabkommen nicht an lokalen Finanzierungsengpässen scheitern.

Nicht in allen Bundesländern bzw. Bibliotheksverbünden gibt es eine flächendeckende Konsortialinitiative. An anderer Stelle wiederum sind überregionale Ansätze erkennbar, etwa ein Rahmenvertrag mit einem Anbieter, dem sich interessierte Bibliotheken aus der gesamten Bundesrepublik anschließen können. Ein weiteres Beispiel sind Kooperationsabsichten zwischen Bibliotheken aus mehreren Bundesländern und über Verbundgrenzen hinweg.

 

Strategie der Konsortialverhandlungen

Verhandlungskompetenz zu bündeln bedeutet zunächst, dass auf der Basis allgemeiner Problemkreise und konkreter Konsortialmodelle Strategien für die künftige Verhandlungsführung zu entwickeln sind.

Dazu zählt vor allem die Frage nach dem Volumen und der Struktur der angebotenen Zeitschriftenpakete. Ein besonderes Problem stellen dabei umfangreiche Verlagspakete dar, von denen ein nicht unerheblicher Teil in vielen Bibliotheken entweder nicht abonniert oder, bei gleichzeitig geringer Nutzungsfrequenz, nur in einem oder zwei Exemplaren im Verbund vorhanden ist. Die Vertreter der Konsortien stimmen darin überein, dass es gemeinsames und konsequent verfolgtes Verhandlungsziel sein muss, solche Pakete auf eine Kernauswahl der in dem jeweiligen Konsortium tatsächlich benötigten Zeitschriften einzugrenzen. Ein solcher Kernbestand an Zeitschriften lässt sich - wenn auch mit einem gewissen Aufwand und unter Berücksichtigung lokaler bzw. regionaler Besonderheiten - durch den Abgleich von Nutzungsfrequenzen, Erhebungen zur Zahl von Mehrfachexemplaren der gedruckten Ausgabe und unter Einbeziehung des "Impact Factor" ermitteln. Eine differenzierte Beschreibung möglicher Bewertungskriterien ist anzustreben.

Neben dieser Form der Entbündelung sollen Entwicklungen hin zu fachspezifischen Angeboten, die auch verlags- oder anbieterübergreifend ausgestaltet sein können, initiiert bzw. unterstützt werden.

Der Bedarf an Zeitschriftenaufsätzen außerhalb des engeren Kernbestands sollte durch Dokumentlieferdienste gedeckt werden. Neben bestehenden bibliothekarischen Diensten, wie z.B. subito, sollten Angebote der Verlage bezüglich "transactional allowance" oder Pay-Per-View Berücksichtigung finden und forciert werden. Solche Konzepte werden insbesondere dann an Bedeutung gewinnen, wenn mittelfristig der Übergang zu reinen Online-Zeitschriften vollzogen wird.

Als weiterer Problembereich ist die Berechnungsgrundlage der konsortialen Kostenmodelle zu nennen. In aller Regel basieren die konsortialen Kostenmodelle auf dem bisher in dem Konsortium erzielten Umsatz, d.h. ausschlaggebend sind die Kosten für alle (Mehrfach-h-)Exemplare der abonnierten Titel. Dies führt dazu, dass auch die Online-Version mehrfach "bezogen" wird.

Die Vertreter der Konsortien stimmen darin überein, dass der Ansatz, die Abonnementszahlen der Printexemplare als Grundlage für die Berechnung heranzuziehen, auf Dauer nicht akzeptabel ist. Solange jedoch die Kosten für die Gesamtzahl der Exemplare noch die Berechnungsgrundlage für konsortiale Kostenmodelle bilden, ist den Abbestellmöglichkeiten bei Mehrfachexemplaren bei Vertragsabschlüssen höchste Bedeutung beizumessen. Nicht hinnehmbar sind Abbestellverbote oder eine enge Begrenzung der Abbestellmöglichkeiten, etwa durch Fixierung einer Abbestellquote.

Andererseits erscheint eine komplette Loslösung von der gedruckten Zeitschrift derzeit noch unrealistisch, da einem solchen Weg auch auf Bibliotheksseite konkrete Benutzerwünsche und ungelöste Archivierungsfragen gegenüberstehen. Erfahrungen mit konkreten Konsortialmodellen, welche die Printausgabe grundsätzlich zur Disposition stellen, haben gezeigt, dass die tatsächliche Abbestellquote hinter den ursprünglichen Erwartungen zurückbleibt.

Schließlich muss berücksichtigt werden, dass der potentielle Mehrwert eines Konsortialangebots immer auch in engem Zusammenhang mit der regionalen Bestandssituation steht. Bei einer hohen Bestandsdichte in der Region, oftmals gekoppelt mit Mehrfachexemplaren innerhalb eines Bibliothekssystems, ist der Mehrwert einer Konsortiallösung gegenüber der Möglichkeit einer lokalen Basislizenz nur eingeschränkt gegeben, insbesondere, wenn durch ein Konsortialabkommen die Option auf Abbestellung von Printabonnements begrenzt wird. In Regionen mit einer abweichenden Bestandssituation kann hingegen die Möglichkeit des "cross access" für Konsortialteilnehmer einen erheblichen Mehrwert darstellen.

 

Weitere Problemfelder

Die Entwicklung konsortialer Strategien berührt auch die Frage nach der möglichen Rolle von Agenturen bei der Konsortienbildung. Die bisherigen Entwicklungen in Deutschland zeigen, dass die Möglichkeiten der Agenturen, im Auftrag der Bibliotheken Konsortialverhandlungen zu führen, derzeit nur ausnahmsweise in Anspruch genommen werden. Die Konsortialvertreter sehen die Voraussetzungen für Outsourcing noch nicht gegeben. Gerade bei der Abstimmung mit potentiellen Teilnehmerbibliotheken und/oder Kosten- und Bestandsanalysen können ihrer Ansicht nach effektive Hilfestellungen durch eine Agentur kaum geleistet werden.

Die Teilnehmer befassten sich schließlich noch mit der Frage der Besteuerung elektronischer Medien. Die Rechtslage im Zusammenhang mit der Entrichtung der Einfuhrumsatz-, Erwerbs- und Mehrwertsteuer ist eindeutig. Werden die Kosten für den Bezug der elektronischen Version unabhängig von der gedruckten Ausgabe berechnet, so ist für das Online-Produkt der volle Satz von 16% zu zahlen. Werden gedruckte und elektronische Version als kombiniertes Paket geliefert, ist von einer einheitlichen Leistung auszugehen, die mit 7% zu versteuern ist. Auf die Beseitigung dieses Ungleichgewichts in der Besteuerung soll hingewirkt werden.

 

Workshop "Konsortialverträge für elektronische Zeitschriften"

Auf dem von der DFG und der Arbeitsgruppe Bibliotheken der Kultusministerkonferenz initiierten Workshop am 15. und 16. Februar in Hannover, an dem sowohl Repräsentanten der Landesministerien wie auch der Landeshochschulrektoren-Konferenzen teilnahmen, wurde die Gründung der Arbeitsgemeinschaft Konsortien begrüßt. Sie wurde in der Zielsetzung ausdrücklich bestätigt, auf der Grundlage eines entschieden verbesserten Informationsaustausches die Kompetenzen der Konsortien zu bündeln und auf dieser Basis gemeinsame Strategien gegenüber den Verlagen zur Stärkung der Machtposition der Bibliotheken zu entwickeln.

Die Arbeitsgemeinschaft Konsortien sollte diese Aufgaben – einschließlich einer beratenden Funktion – zunächst in den Jahren 2000 und 2001 wahrnehmen. Ab dem Jahr 2002 könnten diese Aufgaben – erweitert in Richtung einer Service-Zentrale – gegebenenfalls auf das IZB bei der Stiftung Preußischer Kulturbesitz übergehen.5

 

1 Hierfür wurde zwischenzeitlich eine geschlossene Diskussionsliste eingerichtet.

2 In: Bibliotheksdienst 33 (1999) 11, S. 1925-1930.

3 Das Papier der International Coalition of Library Consortia (ICOLC) ist zugänglich unter: http://www.library.yale.edu/consortia/statement.html.

4 Vgl. dazu auch Reinhardt, Werner: "Konsortialverträge: Neue Tendenzen?" In: Bibliotheksdienst 33 (1999) 12, S. 2088-2093.

5 Vgl. Schröter, Madeleine: "'Konsortialverträge für elektronische Zeitschriften' - Bericht über einen Workshop". In: Bibliotheksdienst 34 (2000) 4, S. 629-632.


Stand: 03.05.2000
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