BIBLIOTHEKSDIENST Heft 5, 2000
Information der Kommission für Erwerbung und Bestandsentwicklung
Zeitschriftenpreise 1999
Abschlussbericht über die Reaktionen auf den Offenen Brief der Erwerbungskommission
Werner Reinhardt
Nach der Veröffentlichung des Zwischenberichtes im Bibliotheksdienst1 Heft 5/99 soll nunmehr abschließend über Ergebnisse (Erfolge?) des Offenen Briefes informiert werden.
Weitere Artikel in Zeitungen und Zeitschriften erschienen in
- Laborjournal 6.1999, H. 4, S. 10-12, Das große Würgen : Journalpreise sprengen Bibliotheksetats (Siegfried Bär)
- Nature, Vol.398, 29 April 1999: University libraries put pen to paper in journal pricing protest (Alison Abbott)
- Neue Zürcher Zeitung, 25. Mai 1999, Ein Kartenhaus auf schwankendem Boden : Teure Zeitschriften, arme Bibliotheken – die wissenschaftliche Informationsversorgung in Nöten (Joachim Güntner). Dieser Artikel wurde auch als Radio-Feature in verschiedenen Rundfunkprogrammen (z.B. WDR 3) gesendet
- Die Welt, 28. Mai 1999, Teure Zeitschriften, arme Bibliotheken: Steigende Preise für Periodika belasten die Universitätsfinanzen – und die Forschung leidet (Lorenz Wagner)
Anfang August erhielt die Kommission eine Antwort des Verlags der Zeitschrift für Naturforschung, worin es heißt:
"Im Zweifelsfall wird, wenn auch murrend - das teuere Abonnement der großen Zeitschrift beibehalten und dafür bei den kleineren eingespart, obwohl gerade dies die beklagte Situation befördert. Sinnvoller im eigenen Interesse wäre eine Abonnementspolitik, die eine Vielfalt von Anbietern und damit den Wettbewerb sichert und hierbei ganz besonders auf diejenigen Verlage setzt, die sich als zuverlässige Lieferanten wissenschaftlicher Information über Jahrzehnte bewährt haben und gleichzeitig Preisdisziplin üben. Dass eine solche Preisdisziplin offenbar gerade bei kleinen Verlagen ohne aufgeblähten Verwaltungsapparat, ohne Marketingaufwand aber auch ohne Renditeverpflichtungen gegenüber shareholders möglich ist, beweist die Preisgestaltung des Verlags der Zeitschrift für Naturforschung. ... Bisher waren die Bibliotheken wohl nicht veranlasst, bei ihren Entscheidungen den Gesichtspunkt der Marktstruktur und deren Rückwirkungen auf die Rahmenbedingungen wissenschaftlicher Informationsversorgung maßgeblich zu berücksichtigen. Angesichts der Brisanz der Lage, wie sie sich auch in dem Offenen Brief widerspiegelt, ist sicher der Zeitpunkt gekommen, sich diese Zusammenhänge klarzumachen und langfristig die richtigen Weichen zu stellen."
Bereits Anfang Mai hatte WILEY-VCH und Anfang August Elsevier das Angebot der Kommission genutzt, zu Gesprächen über die Zeitschriftenpreise zusammenzukommen, bevor während der Frankfurter Buchmesse im Oktober Treffen mit allen Verlagen (mit Ausnahme Gordon & Breach) durchgeführt wurden. Aus den Diskussionen sollen hier einige Aspekte erwähnt werden:
- Alle Verlage bestätigen, dass die Preisgestaltung und damit zusammenhängend das Verhalten der Bibliotheken in Bezug auf Abbestellungen, Weiter- oder Neubezug von Zeitschriften eine der größten Herausforderungen des derzeitigen Geschäftes neben der Etablierung elektronischer Angebots- und Vertriebsformen sei. Der offene Brief habe diese Probleme pointiert dargestellt und dadurch die Überlegungen der Verlage für das Abonnementsjahr 2000 nicht nur gering beeinflusst. Allerdings stellte andererseits ein Verlag fest, dass aus seiner Sicht derartige Preiserhöhungen auch für 2000 zu erwarten seien und er dies auch guten Gewissens verlangen könne.
Als Anekdote ist zu berichten, dass ein Gespräch in Frankfurt mit einer Gratulation an die Adresse der Kommission begann, dass sie mit ihrem Brief einen vollen Erfolg gelandet habe. Schon im nächsten Satz wurde aber dann der Vorwurf erhoben, die Kommission sei auch schuld daran, dass gerade in diesem Verlag so viele Abbestellungen zu verzeichnen seien.
- Von mehreren Verlagen wurde darauf hingewiesen, dass man eine hohe Zahl Zeitschriften wissenschaftlicher Gesellschaften im Angebot habe und seitens dieser auch unter Druck stehe, höhere Gewinne zu erwirtschaften. Ebenso erfolgte mehrfach der Hinweis, dass auch das Preisverhalten der Selbstverlage wissenschaftlicher Gesellschaften mit in den Offenen Brief hätte einbezogen werden müssen. Bestätigt wurde erneut, dass durch Gewinne im Zeitschriftenbereich die Verlagssparte "Monograpien" gestützt wird.
- Seitens der Kommission wurde angemahnt, dass notwendige Investitionen im elektronischen Bereich nicht vorab vollständig über Abonnementspreise des gedruckten Formats abgedeckt werden dürfen. Hierfür sei erforderlich, auch auf Rücklagen zuzugreifen bzw. für gewisse Zeiten weniger Gewinne zu erzielen.
- Gelegentlich wurde angemahnt, dass die Geldgeber den Bibliotheken mehr Mittel zu Verfügung stellen müssen, wenn man nicht Gefahr laufen wolle, dass sowohl Verlage als auch Bibliotheken nicht mehr als Vermittler von Informationen von der Bildfläche verschwinden. Die Kommission hielt dem entgegen, dass diese Gefahr möglicherweise für Verlage mit ausgeprägten Schwerpunkten in Medizin, Natur- und Ingenieurwissenschaften tatsächlich besteht, für die Bibliotheken sei dieser Bereich zwar wichtig aber eben nur ein Teilgebiet. Ausländischen Verlagen konnten die Besonderheiten der Finanzierung deutscher Hochschulbibliotheken verdeutlicht werden.
- Elsevier
wies auf die geringe Preiserhöhung von durchschnittlich 7,5% für das Jahr 2000 hin, was von der Kommission wegen der zwischenzeitlich erreichten Höhe der Ausgangsbasis als unzureichend angesehen wird. Die Bibliotheken werden dadurch weiter zu Abbestellungen gezwungen. Die Kommission forderte im Zusammenhang mit dem Begutachtungsverfahren, dass gerade Elsevier diese Aufgabe auch ernst nehmen müsse, wobei Bezug auf einen Zeitungsartikel von Klaus Koch in der Süddeutschen Zeitung vom 28. Sept. 1999 genommen wurde (Studie mit fadem Nachgeschmack: Ein Verlag verkauft das Recht, die Artikel für seine Fachzeitschriften auszuwählen – und bekommt prompt Ärger mit einer zweifelhaften Veröffentlichung).
- Brill Academic Publishers
kündigt für das Jahr 2000 ebenfalls Preissteigerungen unter 10% an, man sei im Hinblick auf das elektronische Format wie viele geisteswissenschaftlichen Verlage noch in einer Orientierungsphase. Der Verlag gibt an, dass in einem Schwerpunkt, den Islam-Wissenschaften, derzeit ca. 80% der eingereichten Manuskripte zurückgewiesen werden müssen, obwohl die Qualität oft angemessen ist. Diese Zahl relativiert Angaben aus dem STM-Bereich, in dem Verlage gerne darauf verweisen, dass mehr als 60% der Manuskripte nicht zur Veröffentlichung kommen.
- John Wiley & Sons
geht für das Jahr 2000 von einer durchschnittlichen Erhöhung von ca. 9% aus, bei Wiley-VCH von unter 12% aus. Die Verlagsgruppe vertritt am stärksten den Standpunkt, dass öffentliche Geldgeber, die in Deutschland (und anderswo) durch Bereitstellung von Forschungsgeldern neue Ergebnisse und Arbeiten ermöglichen, auch in besonderer Verantwortung stehen und Mittel bereitstellen müssen, dass die nachfolgenden Veröffentlichungen und Informationen adäquat in den Bibliotheken vorgehalten werden. Der Verlag bekennt sich auch konsequent dazu, dass für die eigenen Gesellschafter Rendite zu erwirtschaften sind.
- In fast allen Gesprächen war zu erkennen, dass auf beiden Seiten davon ausgegangen wird, dass - verstärkt durch das elektronische Angebot und der damit verbundenen schnelleren Verfügbarkeit - ein wesentlicher Teil der Zeitschriften-Zukunft in bestimmten Sachgebieten in Verfahren wie Pay-per-View liegen wird.
Die Kommission wird in der verbleibenden Amtszeit das Thema Zeitschriftenpreise wie bisher genau verfolgen; mit einem Teil der Verlage wurde bereits vereinbart, dass man sich anlässlich der Buchmesse im Oktober 2000 wieder treffen wolle. Abschließend sei auf eine Initiative2 niederländischer Kollegen hingewiesen, die über die Absichten des Offenen Briefes hinausgehend zu Empfehlungen zur Fortsetzung oder Abbestellung bestimmter Abonnements für die beteiligten Bibliotheken kommen will.
1 Werner Reinhardt : Zeitschriftenpreise 1999: Ein Zwischenbericht über die Reaktionen auf den offenen Brief der Kommission. Bibliotheksdienst 33.1999, H. 5, S. 804-809
2 UKB Samenwerkingsverband van de Universiteitsbibliotheken, de Koninklijke Bibliotheek en de Bibliotheek van de Koninklijke Nederlandse Akademie van Wetenschappen http://www.uba.uva.nl/en/projects/journals-pricing-ukb/ http://www.uba.uva.nl/en/projects/journals-pricing-ukb/policy.html http://www.uba.uva.nl/en/projects/journals-pricing-ukb/pressrelease.html
Stand: 03.05.2000