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BIBLIOTHEKSDIENST Heft 4, 2000

Erfahrungen und Probleme bei der Verwaltung elektronischer Volltext-Zeitschriften in einer medizinischen Hochschulbibliothek

Volker Johst

 

1. Einleitung

Seit 1998 präsentiert sich die Medizinische Bibliothek der Charité mit einer eigenen Homepage im Internet (URL: http://www.charite.de/ch/bib). Wir haben von Anfang an versucht, unseren Nutzern hier auch den Zugang zu elektronischen Zeitschriften im Internet zu ermöglichen. Während einer bis zum Januar 1999 laufenden Testphase haben wir alle Typen der uns damals zugänglichen elektronischen Zeitschriften in die Homepage übernommen, und zwar:

Obwohl wir alle Titel in der alphabetischen Übersicht in unserer Homepage mit einem entsprechenden Vermerk versehen hatten ("Inhaltsverzeichnisse", "Inhaltsverzeichnisse, Abstracts", "Volltext"), haben unsere Nutzer diesen oftmals übersehen und waren dann enttäuscht darüber, dass sie bei vielen Titeln keine Volltexte aufrufen konnten. Als wir zu Beginn des Jahres 1999 dem Berliner Friedrich-Althoff-Konsortium beitraten und uns hierdurch plötzlich viel mehr Volltext-Zeitschriften als bisher campusweit zur Verfügung standen, beendeten wir die Testphase und fassten den Entschluss zum Aufbau einer neuen Online-Zeitschriftenbibliothek, die

  1. nur noch aus Volltext-Zeitschriften bestehen sollte (was nach unseren Erfahrungen psychologisch sehr vorteilhaft ist: Die Nutzer sind durchweg viel zufriedener mit dem Online-Angebot der Bibliothek, wenn sämtliche Titel als Volltexte vorliegen),
  2. nunmehr eng mit unserem Zeitschriften-OPAC verknüpft werden sollte, um dessen Informationswert zu erhöhen und die Nutzung der elektronischen Volltext-Zeitschriften noch stärker zu propagieren.

Im folgenden soll kurz dargestellt werden, wie sich unsere Online-Zeitschriftenbibliothek seither entwickelt hat, welche Probleme wir mit ihrer Verwaltung haben und welches Echo sie bisher bei unseren Nutzern gefunden hat.

 

2. Zur Entwicklung und zur Darbietungsform der Online-Zeitschriftenbibliothek

Zum "Startbestand" unserer Online-Zeitschriftenbibliothek gehörten im Februar 1999 insgesamt 244 Volltext-Zeitschriften der Verlage Elsevier und Springer, zu denen schon bald die von Academic Press und weiterer Verlage hinzukamen. Zur Zeit (Stand vom 29. 2. 2000) umfasst die Online-Bibliothek bereits 771 Titel (vgl. Abb. 1).

Abb. 1: Quantitative Entwicklung der Online-Zeitschriftenbibliothek 1999/2000

 

Von diesen 771 Volltext-Zeitschriften sind 573 auch als Print-Version in der Medizinischen Bibliothek vorhanden, d. h. wir bieten in der Online-Bibliothek 198 Titel an, deren Print-Version wir niemals oder nur zeitweilig bezogen haben oder die es nur in elektronischer Form gibt (vgl. Abb. 2).

Abb. 2: Anzahl der auch als Printversion in der Charité
vorhandenen Volltext-Zeitschriften (n = 771)

 

Es handelt sich hierbei hauptsächlich um Zeitschriften der Verlage Elsevier (z. B. "Biochimica et Biophysica Acta", "Journal of Dentistry", "Molecular Immunology") und Academic Press (z. B. "Brain, Behavior and Immunity", "Experimental Eye Research", "Pharmacological Research"), die wir im Rahmen der entsprechenden Vereinbarungen des Friedrich-Althoff-Konsortiums mit diesen Verlagen mitnutzen können.

Analysiert man die 771 Volltext-Zeitschriften nach ihren Zugangsarten, so ergibt sich nach dem Stand vom 29. 2. 2000 das folgende Bild (vgl. Abb. 3):

Abb. 3: Struktur der Online-Bibliothek nach Zugangsarten

 

Für den Kauf kostenpflichtiger Volltext-Zugänge erwies es sich als sehr günstig, dass die Medizinische Bibliothek der Charité, die bekanntlich aus der Fusionierung von zwei früher selbständigen Bibliotheken (der "Zentralbibliothek der Charité" und der "Medizinischen Bibliothek des Rudolf-Virchow-Klinikums") hervorgegangen ist, 1999 noch zahlreiche Print-Ausgaben doppelt bezog. Das ermöglichte es uns, ein Exemplar davon abzubestellen und von der Einsparsumme den Online-Zugang zu finanzieren. So kosteten uns z. B. die zwei Exemplare des "Journal of Biological Chemistry" 1999 insgesamt $ 3.200; wir bestellten davon ein Exemplar ab und erwarben für $ 1.100 den Volltext-Zugang, so dass wir letztlich sogar noch $ 500 einsparten. Im übrigen wird die Abbestellung von Doppel-Exemplaren, die bisher noch an unseren beiden Bibliotheks-Standorten (Campus Charité Mitte und Campus Virchow-Klinikum) vorhanden waren, von unseren Nutzern in der Regel leichter akzeptiert, wenn wir als Ersatz dafür den campusweiten Volltext-Zugang anbieten.

Wir präsentieren die Online-Bibliothek in unserer Homepage unter der Option "Volltexte medizinischer Zeitschriften im Internet" und haben hierfür eine eigene Darbietungsform entworfen2 (vgl. Abb. 4). Diese enthält auch die Information darüber, ob die aufgeführten Titel als Print-Version in der Medizinischen Bibliothek vorhanden sind und ab wann (Band und Jahrgang) die elektronischen Volltexte vorliegen. Bei den passwortgeschützten Volltext-Zugängen (z. B. zu den Zeitschriften des Verlages Karger) haben wir die Information über USERNAME und PASSWORD so an den betreffenden Titel "angehängt", dass unsere Nutzer nur auf "Passwort" zu klicken brauchen, um diese Information zu erhalten (vgl. in Abb. 4 "Gynecologic and Obstetric Investigation").

Abb. 4: Ausschnitt aus der alphabetischen Titelübersicht der Online-Bibliothek

 

3. Zur Verknüpfung mit dem Zeitschriften-OPAC

Der über 3000 Datensätze umfassende elektronische Zeitschriftenkatalog der Medizinischen Bibliothek, der mittels der Software ALLEGRO-C geführt wird, liegt als campusweit nutzbarer "Online Public Access Catalog" auf DOS-Basis vor und ist das wichtigste Auskunftsinstrument der Bibliothek, das auch von unseren Lesern häufig und gern benutzt wird (eine internetfähige WWW-Version ist in Vorbereitung und wird voraussichtlich ab April 2000 über die Homepage aufrufbar sein). Um den Auskunftswert des Kataloges zu erhöhen und die Nutzung der Online-Zeitschriftenbibliothek zu propagieren, haben wir die Information über die Verfügbarkeit von Volltexten im Internet nach und nach vollständig in den Zeitschriften-OPAC übernommen und hierfür in unserer kategorisierten Titelbeschreibung die zusätzliche Kategorie "Internet:" eingeführt (vgl. Abb. 5).

Abb. 5: Titelaufnahme einer in der Charité vorhandenen Zeitschrift

 

Zur Erläuterung: Mit "Kurztitel" ist der von der Datenbank MEDLINE verwendete Kurztitel gemeint, das Kürzel "Mitte" bedeutet Campus Charité Mitte und "Sign." ist die Signatur. Wir haben aber nicht nur die in der Charité vorhandenen Zeitschriften mit diesem Internet-Vermerk versehen, sondern auch jene 198 Titel in den Zeitschriften-OPAC übernommen, deren Print-Versionen wir hier niemals oder nur zeitweilig bezogen haben oder die nur in elektronischer Form vorliegen. Damit unsere Nutzer nicht annehmen, dass die Printversionen dieser Titel womöglich doch in der Medizinischen Bibliothek vorhanden sind, haben wir hier noch eine entsprechende Anmerkung eingefügt (vgl. Abb. 6).

Abb. 6: Titelaufnahme einer in der Charité nicht vorhandenen Zeitschrift

 

Wir haben ferner eine Reihe von internen Verwaltungsdaten zur Online-Bibliothek in unseren Zeitschriften-OPAC eingefügt, jedoch werden die betreffenden Kategorien nur im "Hintergrund" geführt und erscheinen nicht in der Titelbeschreibung auf dem Bildschirm. Sie können jedoch von den Mitarbeitern der Bibliothek durch Betätigung einer bestimmten Funktionstaste als ALLEGRO-Internformat sichtbar gemacht bzw. von einem besonderen Register her aufgerufen werden. So können wir uns anhand des Zeitschriftenkataloges z.B. jederzeit einen Überblick über die völlig freien, die befristet freien, die über Print-Abos laufenden, die kostenpflichtigen und die bestellten Volltext-Zugänge verschaffen und gegebenenfalls entsprechende Teillisten ausdrucken.

 

4. Werbung für die Online-Zeitschriftenbibliothek

Wir haben von Anfang an auch versucht, für die Online-Bibliothek in der Charité zu werben und auf ihre besonderen Vorzüge (campusweite Nutzung, die völlig unabhängig von den Öffnungszeiten der Bibliothek ist) hinzuweisen. Hierzu bedienen wir uns vor allem der folgenden Methoden:

 

5. Probleme bei der Verwaltung der Online-Zeitschriftenbibliothek

Das Hauptproblem beim oben geschilderten Auf- und Ausbau der Online-Bibliothek ist der hohe Verwaltungs- und Pflegeaufwand, der nach unseren bisherigen Erfahrungen den Einsatz einer ganzen Vollkraft erfordert. Dieser hohe Aufwand ist u. a. zurückzuführen:

Zu Beginn dieses Jahres gab es darüber hinaus leider bei einigen Volltext-Zeitschriften noch ein besonderes "Jahr 2000-Problem": Die betreffenden Verlage (z. B. Annual Reviews, Blackwell) sperrten den Online-Zugang mit der Begründung, die Bezahlung für 2000 sei noch nicht erfolgt. In der Regel hatten aber unsere Agenturen die Print-Abos und die zusätzlich kostenpflichtigen Online-Zugänge schon 1999 vorausbezahlt! Es bedurfte in allen diesen Fällen einer umfänglichen Kommunikation zwischen uns und unseren Agenturen einerseits und diesen und den Verlagen andererseits, um dieses (aus unser Sicht unverständliche!) Problem zu lösen.

 

6. Urheber- und lizenzrechtliche Probleme

Im Januar 2000 versuchte ein Nutzer in der Charité, mittels eines besonderen "Mirror"-Programmes mehrere Hefte der Zeitschrift "Hypertension" auf seinen Rechner herunterzuladen. Das hatte zur Folge, dass das Unternehmen HighWire Press nicht nur den Zugang zu diesem Titel, sondern auch zu seinen übrigen 164 Zeitschriften (darunter auch zu den "PNAS" und zur "Science") für die Charité sperrte. Da sich der betreffende Nutzer bei uns meldete (wir hätten ihn unter der anonymen IP-Adresse des Proxy-Servers der Charité nur schwer ausfindig machen können), konnten wir ihn entsprechend verwarnen und uns bei HighWire Press für diesen klaren Missbrauchsfall entschuldigen. Daraufhin gab der Verlag den Online-Zugang für die Charité wieder frei. Wir nahmen diesen "Warnschuss" zum Anlass, alle Nutzer in der Charité per E-Mail darauf hinzuweisen, dass es grundsätzlich nur erlaubt ist, einzelne Aufsätze zum privaten Gebrauch von den Servern der Verlage herunterzuladen oder auszudrucken. Auch in die Startseite unserer Online-Bibliothek haben wir jetzt einen entsprechenden Hinweis auf die urheber- und lizenzrechtlichen Bestimmungen eingefügt.

 

7. Zur Akzeptanz der Online-Zeitschriftenbibliothek durch unsere Nutzer

Erfreulicherweise fand die neue Online-Bibliothek sofort ein überwältigend positives Echo bei unseren Nutzern. Aus den Dutzenden von zustimmenden E-Mails, die wir im Laufe des Jahres 1999 hierzu erhalten haben, sollen im folgenden ein paar besonders charakteristische zitiert werden:

Tausend Dank für Ihr andauerndes Engagement, uns die Zeitschriften online verfügbar zu machen. Sie wissen gar nicht, oder vielleicht doch, welch riesigen Dienst Sie uns Ärzten und Wissenschaftlern erweisen, deren Arbeitszeiten sich nicht immer mit den Öffnungszeiten der Bibliothek decken.

Besten Dank für diese gute Nachricht. Würde doch alles so gut vorangehen in der Charité!

Gratulation! Ich habe schon sehr in unserer Klinik für die Online-Nutzung Werbung gemacht. Ich selbst bin davon nachhaltig begeistert.

An dieser Stelle sei ein Lob an die Online-Journal-Organisatoren gerichtet. Der schnelle Zugriff auf die Inhalte der Artikel erhöht den Informationsgewinn überproportional. So stelle ich mir ein innovatives WEB-Zeitalter vor.

Die neuerlichen Erweiterungen sind toll, wie überhaupt das unvergleichlich gute Angebot an Volltexten! Weiter so!

Ich wollte nur kurz vielen, vielen Dank sagen. Dadurch, dass wir etwas bibliotheksfern liegen, war die Literatursuche bisher eine Qual.

Herzlichen Glückwunsch zu Ihrer fortschrittlichen Online-Politik. Wir sind damit vielen Unis um Längen voraus.

Die Erweiterung des Online-Angebots der Bibliothek ist einer der wenigen echten Lichtblicke an der Charité.

Da inzwischen einige Volltext-Zeitschriften von HighWire Press eine monatlich abrufbare Nutzungsstatistik im Internet anbieten, können wir uns in diesen Fällen schon ein sehr genaues Bild über die Art und die Anzahl der Zugriffe aus der Charité auf diese Titel machen. So ist z. B. im November 1999 das "Journal of Biological Chemistry" von den Mitarbeitern der Charité wie folgt benutzt worden:

Die stärker spezialisierte Zeitschrift "Clinical Chemistry" wurde dagegen im November 1999 wie folgt benutzt:

So belegen auch diese ersten online verfügbaren Nutzungsstatistiken die hohe Akzeptanz der Online-Bibliothek durch unsere Nutzer. Wir werden uns deshalb darum bemühen, die Bibliothek auch im Jahre 2000 zu erweitern und zu konsolidieren.

 

1 Wir fügen in der Regel nur solche befristet freien Zeitschriften in die Online-Bibliothek ein, deren Printversionen wir fortlaufend beziehen und bei denen wir uns nach Ablauf der "Free Trial Period" mittels unserer "Subscriber Number" für eine dauerhafte Online-Nutzung registrieren können. Übernähmen wir dagegen auch solche befristet freien Titel, deren Online-Nutzung wir danach sowieso nicht fortführen können, würden wir bei unseren Nutzern bloß Erwartungen wecken, die wir dann doch nicht erfüllen können.

2 Die Mitnutzung anderer Online-Verzeichnisse (z. B. der von der UB Regensburg betreuten "Elektronischen Zeitschriftenbibliothek des Friedrich-Althoff-Konsortiums") kam für uns aus den folgenden Gründen nicht in Frage. Zum einem sind diese (zumeist nicht standortgebundenen) Listen so umfänglich, dass ihre Benutzung manchmal recht umständlich ist. Zum anderen enthalten diese Listen zahlreiche Fehler. So sind z. B. in der Liste des Althoff-Konsortiums eine Reihe von Titeln als Volltext-Zeitschriften aufgeführt, die bisher nur Inhaltsverzeichnisse und Abstracts anbieten (z. B. "Geburtshilfe und Frauenheilkunde", "Nuklearmedizin", "Phlebologie"). Andere Zeitschriften tragen den Vermerk "frei zugänglich", obwohl der Volltext-Zugang kostenpflichtig ist oder nur im Rahmen konsortialer Vereinbarungen gewährt wird (z. B. "American Journal of Hypertension", "American Journal of Medicine", "Nursing Research"). Problematisch ist ferner, dass die Althoff-Liste eine Reihe von "Online-Leichen" verzeichnet, also Titel, die nur in wenigen Ausgaben und schon seit vielen Jahren nicht mehr erschienen sind (z. B. "European Menopause Journal", "International Journal of Psychopathology, Psychopharmacology and Psychotherapy", "Urology International"). Wir übernehmen derartige Titel gar nicht erst in die Online-Bibliothek oder eliminieren sie nach einer gewissen Zeit wieder daraus.

3 Der Umstand, dass die Medizinische Bibliothek der Charité aus historischen Gründen ihre Zeitschriften über zahlreiche Agenturen bezieht (u. a. über Swets, Lange & Springer, Lehmanns, Harrassowitz), hat sich bei der Verwaltung der Online-Bibliothek als äußerst nachteilig erwiesen. Manche Probleme wären einfacher zu lösen gewesen, wenn wir alle Doppelexemplare eines Titels bzw. alle Zeitschriften eines Verlages auch über eine Agentur bezögen. Es war auch für die betreffenden Verlage nicht immer einfach, unsere Print- und Online-Abos den verschiedenen Agenturen zuzuordnen und uns dennoch als einen Nutzer zu erkennen. Wir stellten auch fest, dass die verschiedenen Agenturen unterschiedlich effizient arbeiten und die meisten von ihnen ihre Online-Verwaltung für die wissenschaftlichen Bibliotheken noch erheblich verbessern müssen. So sollte es eine selbstverständliche Dienstleistung aller Agenturen sein, zusammen mit der Erneuerung der Print-Abos die Modalitäten der Volltext-Nutzung und die Subscriber Numbers bei den Verlagen zu erfragen und die Bibliotheken hierüber zu informieren. Es ist sehr begrüßenswert, dass die Agentur Swets neuerdings mit ihren "Abonnementsmitteilungen" diesen Service für ihre Kunden anzubieten versucht.


Stand: 29.03.2000
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