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BIBLIOTHEKSDIENST Heft 2, 2000

Integrierte Buchbearbeitung – noch immer ein Phantom?

Erfahrungen aus der UB Marburg und der UB Essen1

Irmgard Siebert

 

Seit mehr als 25 Jahren wird in der bibliothekswissenschaftlichen Literatur über den integrierten Geschäftsgang geschrieben und diskutiert. Nur in wenigen Hochschulbibliotheken wurde die organisatorische Zusammenlegung der Sachgebiete Erwerbung und Katalogisierung in Verbindung mit der Durchführung der Akzessionierung und Katalogisierung durch einen Mitarbeiter tatsächlich realisiert. Die schleppend vorangehende Umstrukturierung ist begründet in einer noch häufig anzutreffenden insuffizienten EDV-Ausstattung, in der theoretischen Überfrachtung der Diskussion sowie der ins Stocken geratenen Reformierung der RAK-WB, die durch die Metadatendiskussion der letzten Jahre nicht wie erwartet befördert,2 sondern offensichtlich eher behindert wurde.

Eine wichtige Voraussetzung für die Effektivität integrierten Arbeitens ist eine moderne Bibliothekssoftware, die einen reibungslosen, simultan erfolgenden Datenfluss zwischen den einzelnen Modulen eines Lokalsystems sowie zwischen Lokal- und Verbundsystem gewährleistet. Gegenüber den Mitarbeitern ist die Einführung des integrierten Geschäftsganges eher begründbar, wenn sichergestellt ist, dass bei der Katalogisierung auf Bestell- und Akzessionierungsdaten zurückgegriffen werden kann, dass heißt die Katalogisierung auch in Bezug auf die Lokaldaten zu einer Ergänzungstätigkeit wird, die im Zuge der Akzessionierung "miterledigt" werden kann. Die Entwertung, die die Katalogisierungstätigkeit durch die Fremddatennutzung bereits im Rahmen der Verbundkatalogisierung erfahren hat, wird durch die Datenintegration noch verstärkt und erfordert im Interesse der Mitarbeiter eine strukturelle Änderung.

Sobald die EDV-technischen Voraussetzungen geschaffen sind, gibt es keinen Grund mehr, auf die Zusammenlegung von Erwerbung und Katalogisierung zu verzichten. Unabdingbar sind - das sollen die im Folgenden dargestellten Erfahrungen aus den Universitätsbibliotheken Marburg und Essen zeigen - ein gut durchdachter neuer Geschäftsgang auf Basis der lokalen Spezifika sowie die Einbeziehung und Schulung der betroffenen Mitarbeiter. In der UB Marburg, einer Magazinbibliothek innerhalb eines zweischichtigen Bibliothekssystems,3 wurde die Geschäftsgangsintegration unmittelbar nach der Einführung von PICA als Verbund- und Lokalsystem im Jahr 1996 ohne Übergangszeit umfassend vollzogen. Die UB Essen, eine Freihandbibliothek in einem einschichtigen Bibliothekssystem, wird die Integration im Laufe dieses Jahres stufenweise realisieren.

Die Teamfrage

Durch das Beispiel der UB Konstanz ist die Diskussion um den integrierten Geschäftsgang eng verknüpft mit dem Thema Teambildung. Begründet wurde die Konstituierung von Teams in Konstanz unter anderem mit der Notwendigkeit, die Abteilungsstruktur der Bibliothek, in der Katalogisierung und Erwerbung selbständige Einheiten darstellten, zu überwinden.4 Durch Teams sollten neue persönliche Zuständigkeiten und Verantwortungsbereiche geschaffen werden, welche die Transparenz der Buchbearbeitung nach innen und außen erhöhen sollten.5 Die gleichzeitige Einrichtung von Mischarbeitsplätzen, die man heute als integrierte Arbeitsplätze bezeichnen würde, diente der Zusammenfassung zersplitterter Arbeitsgänge und der gleichmäßigen Verteilung von Bildschirm- und Nichtbildschirmarbeit. Die Bildung von Teams hatte aber nicht nur organisatorische Gründe; durch sie sollte eine moderne, antihierarchische Arbeitsstruktur geschaffen werden, in der der neue, "kompetente Bibliothekar" selbstbestimmt, zufrieden und hochmotiviert seine Werkstückarbeit vollbringt.6

Obgleich die Bildung von Bearbeitungsgruppen bei geringeren Zugangszahlen und einer kleineren Personalausstattung keine optimale Lösung darstellt, werden Teams – wie schon erwähnt - meistens als eine zwingend mit der Integration verbundene Organisationsstruktur betrachtet. Diese offensichtlich unlösbare Assoziation ist bei der konkreten Vorbereitung der Integration hinderlich, weil die Idee "Team" stets allen Beteiligten präsent ist, die Diskussion dominiert, erschwert und wesentlichere Fragen in den Hintergrund drängt.

In Bibliotheken mit kleinen oder mittleren Erwerbungsetats kann die Teambildung in Verbindung mit der Aufteilung der Arbeit nach festgelegten Kriterien zu massiven Problemen beim Arbeitsfluss7 und damit zu großen Schwierigkeiten bei der betriebswirtschaftlich und kollegial gebotenen gleichmäßigen Auslastung der Mitarbeiter führen; Schwierigkeiten, die durch Urlaub und Krankheit zusätzlich verstärkt werden. Sofern diese Ungleichgewichtigkeit nicht von den Mitarbeitern selbst ausbalanciert wird, ist eine ständige Steuerung durch Vorgesetzte erforderlich. Aus diesem Grunde wurde in der UB Marburg auf die Einführung von Teams verzichtet. Wie zu Zeiten des konventionellen Geschäftsgangs werden die gelieferten Bücher zwar nach Fächern sortiert, wodurch die Akzessionierung beschleunigt wird, auf eine feste Zuordnung von Fächern zu Mitarbeitern wird jedoch verzichtet. Beibehalten wurden diejenigen Spezialisierungen, die sich bereits im Zuge des konventionellen Geschäftsganges herausgebildet hatten, zum Beispiel für die Katalogisierung von Karten, Musikalien, elektronischen Medien oder die Katalogisierung von Titeln in schwierigen Sprachen. Desgleichen gibt es weiterhin Spezialisten für die Vorakzession, für RAK-Schulungen und -Fortbildungen, für die Überwachung des Etats usw. Obgleich in Marburg sowohl im konventionellen wie anschließend im integrierten Geschäftsgang Mitarbeiter des mittleren und des gehobenen Dienstes mit- und nebeneinander tätig sind, wird im Interesse der Zufriedenheit der Mitarbeiter und der Qualität des Arbeitsergebnisses nicht der Philosophie des "jeder macht alles", sondern eher dem Motto "jeder nach seinen Möglichkeiten und Fähigkeiten" gefolgt, was ganz ausgezeichnet funktioniert. Die Arbeit wird nicht zugeteilt, sondern jeder nimmt sich, was er glaubt bearbeiten zu können.

Neustrukturierung des Geschäftsgangs

In der UB Marburg war die Katalogisierung vor Einführung der Integration am Ende des Geschäftsganges angesiedelt, um die von Fachreferenten auf Laufzetteln notierten Sacherschließungsdaten online nachtragen und um gewährleisten zu können, dass ein Titel erst dann im Katalog erscheint, wenn er auch tatsächlich ausleihbar, also am Standort verfügbar ist. Durch die Zusammenführung von Erwerbung und Titelaufnahme, das heißt Vorverlegung der Katalogisierung, wurde dieser Zusammenhang empfindlich gestört. Folglich wurde intensiv diskutiert, ob die Fachreferenten vor der Akzessionierung/Katalogisierung anzusiedeln seien oder ob sie die Sacherschließungsdaten selbst online eingeben sollten. Beide Vorschläge wurden mit guten Gründen verworfen.

Schließlich entschied man sich für die Einrichtung einer Schlussstelle, deren Mitarbeiter nicht nur die Sacherschließungsdaten nachtragen, sondern auch den Verfügbarkeitsstatus von "im Geschäftsgang" auf "verfügbar" ändern. Im traditionellen Geschäftsgang war eine solche Änderung nicht erforderlich gewesen, weil die konventionelle Bestellabwicklung und Akzessionierung die Transparenz des Bearbeitungsstatus für Benutzer gar nicht ermöglichte. Erst die Einführung der elektronischen Erwerbungskatalogisierung in Verbindung mit der Sichtbarmachung des Bestellstatus im simultan aktualisierten OPAC und die durch die Integration bedingte Vorverlegung der Katalogisierung erzwangen diesen zusätzlichen Arbeitsgang. Der Umstand, einen Titel am Ende des Geschäftsganges noch einmal aufrufen zu müssen - zum Teil nur, um den Verfügbarkeitsstatus zu ändern - wurde in Kauf genommen, weil durch die Transparenz des Bestellstatus im OPAC sowohl die Information der Benutzer als auch die Kooperation der Erwerbung zwischen der Universitätsbibliothek und den Institutsbibliotheken erheblich optimiert werden konnte.8

Im konventionellen Geschäftsgang der UB Essen ist die Katalogisierung nach dem Fachreferat und vor der Einbandstelle angesiedelt. Das mit dieser Abfolge im Prinzip verbundene Problem, dass Titel im OPAC als ausleihbar erscheinen, obgleich sie sich noch in der Bearbeitung befinden, besteht zur Zeit noch nicht, weil der OPAC mit einem etwa zweiwöchigen Verzug aktualisiert wird. Bücher, die extern gebunden werden, sind auf "Dienstgebrauch" verbucht, wodurch dem Benutzer die Nichtverfügbarkeit signalisiert wird. Die Zusammenlegung von Erwerbung und Katalogisierung und Nachordnung des Fachreferats erschien zunächst unmöglich, weil die Signaturen der frei zugänglich aufgestellten Monographien auf den von Fachreferenten vergebenen Systemstellen beruhen, was bedeutet, dass ein Titel erst dann abschließend katalogisiert werden kann, nachdem der Fachreferent eine Systemstelle bestimmt hat.

In einem Feldversuch wurde getestet, ob das Katalogisierungssystem eine Aufnahme ohne Signatur annimmt und ob das Nachtragen der Signatur durch einen Mitarbeiter, der nicht das Katalogisat erstellt hat, ohne intellektuellen Doppelaufwand und ohne Rücksprache mit dem ursprünglichen Katalogisierer möglich ist. Das Resultat ist, dass die Nacherfassung der Signatur kein Problem darstellt. Sie kann entweder in einer neu zu schaffenden Schlussstelle von Mitarbeitern des mittleren Dienstes - ggf. im Rotationsverfahren – oder in der Einbandstelle ohne Mehraufwand vorgenommen werden. Da im Zusammenhang mit der bevorstehenden Einführung eines neuen Lokalsystems die simultane Aktualisierung des OPACs angestrebt wird, wird ebenso wie in der UB Marburg eine Änderung des Verfügbarkeitsstatus am Ende des Geschäftsganges, das heißt ein erneuter Aufruf des Titels erforderlich werden. Die Neuschaffung einer Schlussstelle widerspricht zwar dem Ziel des integrierten Geschäftsganges, die Zahl der Liegestätten zu reduzieren; sie ist aber vertretbar, weil sie eine wichtige Serviceverbesserung bietet.

Integration und Fachreferat

Die verlockende Vorstellung, durch Geschäftsgangsintegration die Akzessionierung und Katalogisierung eines Buches mittels eines einzigen Online-Zugriffs erledigen zu können, scheitert in der Regel daran, dass zum Zeitpunkt der integrierten Bearbeitung die lokalen Sacherschließungsdaten noch nicht verfügbar sind. Um das Katalogisat in einem Zug ohne umständliche Nacherfassung anfertigen zu können, müssten die Fachreferenten vor der Akzessionierung/Katalogisierung angesiedelt werden. In der UB Marburg wurde diese Idee sehr intensiv diskutiert und entschieden verworfen. Die damit verbundenen Probleme sind schon vor knapp zwanzig Jahren von einem Mitarbeiter der UB Konstanz beschrieben worden;9 sie haben bis heute nichts von ihrer Aktualität verloren.

Die zweite Möglichkeit - die Sacherschließungsdaten von den Fachreferenten online eingeben zu lassen - entlastet zwar den gehobenen Dienst von der lästigen Nacherfassung, realisiert aber nicht das Ideal, ein Buch durch nur einen Online-Zugriff abschließend zu bearbeiten. Darüber hinaus birgt diese Methode die Gefahr, einen neuen Flaschenhals zu erzeugen. Sie funktioniert zudem nur, wenn es sich bei den zu erfassenden Daten um verbale Sacherschließungsdaten oder einfache Standortsignaturen handelt. In Freihandbibliotheken, die die Individualsignatur auf Basis der Systemstelle errechnen, empfiehlt sich dieses Verfahren nicht, weil die Fachreferenten mit Tätigkeiten befasst werden müssten, die ihren eigentlichen Aufgaben nicht entsprechen.

Grundsätzlich ist die Bedeutung der Fachreferenten für die Buchbearbeitung abhängig von Art und Umfang der lokalen Sacherschließungspraxis. In der UB Marburg zum Beispiel, die nur wenige ihrer Bestände präsent aufstellt und bei der Sacherschließung nach den RSWK in umfangreichem Maße Fremddaten der Deutschen Bibliothek nutzt, müssen im Durchschnitt lediglich zwanzig bis dreißig Prozent der erworbenen Monographien mit Standortsignaturen oder Schlagwörtern versehen werden, siebzig bis achtzig Prozent können nach einem bloßen Sichtvermerk zur weiteren Bearbeitung freigegeben werden, so dass kein Engpass entsteht. Bei Urlaub und Krankheit von mehr als zwei Wochen kann die Bearbeitung der meisten Titel von Kollegen übernommen werden. In Freihandbibliotheken hingegen, die nicht nach Numerus currens aufstellen und keine maschinelle oder kooperative Systematisierungsmethode anwenden, muss jede Monographie vom zuständigen Fachreferenten intellektuell bearbeitet werden.

Beteiligung und Schulung der Mitarbeiter

Eine so grundlegende Neustrukturierung der Erwerbung und Katalogisierung, wie sie der integrierte Geschäftsgang impliziert, sollte nicht direktorial oktroyiert, sondern von den Mitarbeitern selbst konzipiert werden. In Marburg wurde zu diesem Zweck eine Arbeitsgruppe unter Beteiligung der zuständigen Abteilungsleiterin eingerichtet, die in acht Sitzungen ein Konzept entwickelte, das ohne wesentliche Änderungen umgesetzt wurde. Auch die Fachreferenten wurden in die Diskussion einbezogen, da deren Arbeit unter Umständen erheblich von der Neustrukturierung des Geschäftsganges betroffen sein kann.

Die Widerstände gegen die Integration waren anfangs nicht gering. Insbesondere befürchtete man eine Entspezialisierung der Arbeit, eine Verminderung der Arbeitsqualität, eine Nivellierung der Anforderungen und zugleich eine Überforderung durch die gleichmäßige Beherrschung von zwei Arbeitsgebieten. Dass die mit der Integration verbundenen Anforderungen zu leisten sind, wurde in Marburg durch Mitarbeiter demonstriert, die schon lange vor der Integration über einen zwischen Erwerbung und Katalogisierung geteilten Arbeitsplatz verfügten. Die übrigen Mitarbeiter wurden zeitnah zur Geschäftsgangsumstellung in Erwerbung und Katalogisierung geschult. Einige langjährige Katalogisierer konnten sich nicht vorstellen, integriert zu arbeiten. Sie wurden nicht dazu gezwungen. Sie übernahmen die in der Schlussstelle anfallenden Arbeiten und wurden mit anspruchsvollen Retrokonversionsaufnahmen befasst. Praktisch vollzog sich der Übergang vom konventionellen zum integrierten Geschäftsgang trotz gleichzeitiger Einführung einer neuen Bibliothekssoftware rasch und problemlos. Heute würde keiner der integriert Arbeitenden seine Tätigkeit gegen eine andere eintauschen wollen.

In der Universitätsbibliothek Essen bestanden alle potentiell von der Integration betroffenen Mitarbeiter darauf, an den vorbereitenden Diskussionen beteiligt zu werden. Folglich wurde keine Arbeitsgruppe gebildet, sondern die erforderlichen Gespräche sind im Plenum geführt worden. Dieses Verfahren war – wider Erwarten – in relativ kurzer Zeit erfolgreich. Bereits in der ersten Sitzung wurde eine grundsätzliche Entscheidung für den integrierten Geschäftsgang getroffen, so dass parallel zur Fortführung der Diskussion die notwendigen Mitarbeiterschulungen in RAK-WB und Titelaufnahme eingeleitet werden konnten. Seit Einführung der Bestellkatalogisierung im Februar 2000 werden in einer Art Probelauf diejenigen Bücher, die bereits zum Zeitpunkt der Bestellung eine Systemstelle erhielten - etwa dreißig Prozent der Erwerbungen -, integriert bearbeitet. Geschenke, Dissertationen, Blitzbestellungen und unabgeschlossene Fortsetzungen wurden bereits unabhängig von der Einführung des integrierten Geschäftsganges in einem Zug akzessioniert und katalogisiert. Die Ausdifferenzierung des Grobkonzeptes und sukzessive Ausdehnung der Integration erfolgt im Laufe dieses Jahres in Abhängigkeit von der zeitlich noch nicht genau feststehenden Migration des lokalen Bibliothekssystems.

Beschleunigung des Geschäftsganges

Mit der Einführung des integrierten Geschäftsganges ist die Erwartung verknüpft, dass die Buchdurchgangszeiten vermindert und damit die Qualität der Literaturversorgung für die Benutzer verbessert wird. Diese Erwartungen gründen sich auf konkrete Geschäftsgangsevaluierungen, die schon in den siebziger Jahren in der Staatsbibliothek Berlin durchgeführt wurden10 und vor kurzem durch Ergebnisse der SUB Göttingen Bestätigung fanden.11 Im Prinzip geht man davon aus, dass der integrierte Geschäftsgang einerseits eine Komprimierung der Arbeit zur Folge hat, ein Gewinn, der sich pro Medieneinheit nur in Minuten ausdrücken lässt, und andererseits zur Verminderung der Bearbeitungsstationen führt, wodurch unter Umständen Wochen und Monate eingespart werden können. Dieses willkommene Rationalisierungs- und Beschleunigungspotential wird meines Erachtens überschätzt und zu einseitig auf den integrierten Geschäftsgang als solchen zurückgeführt. Um Enttäuschungen und Personalfehlplanungen zu vermeiden, lohnt es sich, bei dieser Frage ein wenig genauer hinzusehen.

Die Bearbeitungszeit pro Medium kann durch den integrierten Geschäftsgang nur dann spürbar reduziert werden, wenn die Geschäftsgangsintegration von arbeitsrationalisierenden Maßnahmen wie Automatisierung der Erwerbung, Einführung der Bestellkatalogisierung, Vermehrung und Verbesserung der Fremddatennutzung oder der Implementierung eines vollintegrierten Lokal- und Verbundsystems begleitet wird. Die tatsächlich zu erzielende Rationalisierung ist weniger auf die Geschäftsgangsintegration als auf die EDV-technisch ermöglichte konsequente Datenintegration und Fremddatennutzung zurückzuführen, die Doppel- und Mehrfacherfassungen überflüssig macht. Fällt die Einführung des integrierten Geschäftsganges zum Beispiel mit der Implementierung eines neuen Bibliothekssystems zusammen, durch das vorübergehend die Fremddatennutzung verschlechtert wird, kann sich die Bearbeitungszeit pro Titel und damit der Personalbedarf sogar erhöhen statt vermindern. Die Rationalisierungs-Wunderwaffe Integration funktioniert also nur im Kontext optimaler Rahmenbedingungen.

Als Zeitfresser innerhalb des konventionellen Geschäftsganges werden vor allem die Liegezeiten und damit die Zahl der Bearbeitungsstationen gegeißelt. Die Integration soll hier Abhilfe schaffen und eine Reduktion der Liegestätten bringen. Dies ist leichter gesagt als getan, das Nacheinander der Stationen im nicht-integrierten Geschäftsgang beruht - wie oben ausgeführt - in der Regel auf einer inneren Logik und ist nicht ohne Probleme veränderbar. Aus der Tatsache, dass die Zahl der Bearbeitungsstationen zum Beispiel durch die Einrichtung einer Schlussstelle konstant bleibt, ist keineswegs zu folgern, dass die Buchbearbeitung nicht beschleunigt werden könne. Durch die Zusammenlegung von Akzession und Titelaufnahme können die vor der Integration stets mit einer gewissen zeitlichen Versetzung auftretenden Arbeitsspitzen in der Akzession und Katalogisierung besser ausgeglichen werden. Die im konventionellen Geschäftsgang üblichen Liegezeiten vor der Akzessionierung und vor der Katalogisierung müssen sich bei der integrierten Buchbearbeitung nicht summieren, sondern sind ohne Personalvermehrung allein aufgrund der größeren Flexibilität der Mitarbeiter reduzierbar.

Als weiterer Beschleunigungseffekt kommt hinzu, dass ein personeller Engpass in einer Schlussstelle mit den oben beschriebenen Aufgaben leichter zu beheben ist als ein entsprechender Engpass in der Katalogisierungsabteilung, deren hochqualifizierte Mitarbeiter nicht so einfach ersetzt oder vermehrt werden können. Unter bestimmten Voraussetzungen ist auch denkbar, dass die Schlussstelle räumlich und personell mit der Einbandstelle zusammengelegt wird, wodurch dann tatsächlich eine Bearbeitungsstation eingespart würde.

Da die Integration in der Regel im Zusammenhang mit der Einführung eines neuen lokalen Bibliothekssystems erfolgt, das zusätzliche Schulungen der Mitarbeiter erfordert, ist es sicherlich nicht ratsam, gleich zu Beginn der Umstellung - in Erwartung des bevorstehenden Rationalisierungseffektes - das Personal übermäßig zu verknappen. Während der Übergangs- und Einarbeitungszeit, in der sich die Mitarbeiter an das neue System, die neuen Arbeitsbereiche und den neuen Geschäftsgang gewöhnen müssen, sollte auf Einsparungen verzichtet werden.

 

1 Auch unter: http://archiv.ub.uni-marburg.de/sonst/2000/0001/welcome.html.

2 Lehmann, Klaus: Die Mühen der Ebenen. Regelwerke – Datenformate – Kommunikationsschnittstellen. In: ZfBB 44 (1997), S. 229-240, hier S. 235.

3 Zum Marburger Bibliothekssystem siehe Barth, Dirk: Vom zweischichtigen Bibliothekssystem zur kooperativen Einschichtigkeit. In: ZfBB 44 (1997), S. 495-522.

4 Vgl. dazu Franken, Klaus: Mischarbeitsplätze in Bibliotheken. In: Wege zur neuen Bibliothek. ZfBB Sonderheft 41. Frankfurt a.M. 1985, S. 85-97, hier S. 86 und ders.: Von der Abteilung zum Team. Vorbereitung und Durchführung der im Jahre 1985 an der Bibliothek der Universität Konstanz durchgeführten Änderung der internen Verwaltungsstruktur. In: Bibliotheken in neuen und alten Hochschulen. ZfBB Sonderheft 55. Frankfurt a.M. 1992, S. 333-347.

5 Franken, Klaus: Mischarbeitsplätze ... (wie Anm. 4), S. 91.

6 Stolzenburg, Joachim: Bibliothek zwischen Tradition und Fortschritt. In: Mitteilungsblatt, hrsg. vom Verband der Bibliotheken des Landes Nordrhein-Westfalen N.F. 34 (1984), S. 433-456, v.a. S. 448-455.

7 Die UB Konstanz hatte in bestimmten Erwerbungsjahren vergleichbare Probleme. Vgl. dazu Franken, Klaus: Einige Personalprobleme bei der Bildung von Teams. In: Bibliothek aktuell 47 (1982), S. 9-11, hier S. 10.

8 Vgl. dazu Haubfleisch, Dietmar: Bestellkatalogisierung in der Bibliothek Erziehungswissenschaft (BE). Erfahrungsbericht einer dezentralen Bibliothek. Marburg 1998: http://archiv.ub.uni-marburg.de/mbi/1998/m04-1-02.html. Auch in: Marburger Bibliotheksinformationen (MBI). Mitteilungsblatt für das Bibliothekssystem der Universität Marburg 4 (1998), Heft 1, S. 27f.

9 Wilkens, Karsten: Wie, wann und wo bringen wir die Fachreferenten unter? In: Bibliothek aktuell 48 (1983), S. 27-30.

10 Drozd, Kurt W.: Die Integration von Akzession und Katalogisierung in einer Betriebsabteilung. In: Organisation und Bibliotheksarbeit. Hrsg. von Tibor Süle und Ellen Branthin. Berlin 1977, S. 288-298.

11 Halle, Axel: Integrierte Buchbearbeitung an der SUB Göttingen. In: Bibliothek – Forschung und Praxis 22 (1998), S. 247-251.


Stand: 26.01.2000
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