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BIBLIOTHEKSDIENST Heft 1, 2000

Convenience-Dienste in Bibliotheken - ein Irrweg?

Eine Erwiderung auf Klaus Franken

Achim Bonte

In seinem Beitrag "Kann der subito1.-Lieferdienst den Leihverkehr in Teilen ablösen?" (Bibliotheksdienst 11/1999) stellt Klaus Franken Überlegungen zur Zukunft der konventionellen Fernleihe an und bejaht angesichts zahlreicher handfester Vorteile gerade bei Aufsatzkopien die gestellte Frage.1 Daher solle als Ziel verfolgt werden, "die Zahl der Leihverkehrsbestellungen auf Aufsätze zu reduzieren" (S.1853). Als Hürde auf diesem Weg betrachtet Franken mentale Barrieren, die Bibliotheken an der althergebrachten Rolle des Mittlers zwischen Lieferanten und Lesern festhalten lasse, statt den direkten Kontakt zwischen beiden zu fördern. Ausdrücklich als abwegig und gegenüber den Bibliothekskunden eher unfair bezeichnet Franken Versuche, subito für Zwecke der nehmenden Fernleihe zu "instrumentalisieren". Einige Häuser, darunter die Universitätsbibliotheken Heidelberg und Mainz, benutzten "subito.1 zur Erledigung der an sie als nehmende Bibliothek von ihren Benutzern gegebenen Fernleihwünsche" und "kassieren [...] die Fernleihgebühr und einen Zuschlag, so dass der Auftraggeber bis zu DM 9,- je aufgegebenem Auftrag zahlen muss" (S. 1853).

Direkt angesprochen sind hier die OnlineLiteraturVermittlung der Universitätsbibliothek Mainz (OliVer) und die Heidelberger Komfortliteraturvermittlung (HEIKO). Während Frankens grundsätzliche Empfehlungen zur weiteren Verbreitung von elektronischen Lieferdiensten völlig unstrittig sind, kann die zitierte Einschätzung des Heidelberger Vermittlungsdienstes nicht widerspruchslos hingenommen werden. Wie zu zeigen ist, unterliegt Franken in diesem Punkt gleich mehreren Missverständnissen bzw. unterstellt er Motive, die bei Einführung des Dienstes keineswegs maßgeblich waren und bis heute auch nicht maßgeblich sind. Eine ausführliche Vorstellung der Heidelberger Komfortliteraturvermittlung HEIKO wird in einem der nächsten Hefte des Bibliotheksdienst folgen. Nähere Informationen bieten zudem die WWW-Seiten der Universitätsbibliothek Heidelberg.2

Im Wesentlichen sind gegen Frankens Darstellung drei Punkte vorzubringen:

  1. Die Einführung einer speziellen Komfortliteraturvermittlung und der engagierte Einsatz für die direkte subito-Nutzung durch den Endnutzer schließen sich nicht aus, sondern ergänzen sich glücklich. HEIKO und die subito-Selbstbedienung sind zwei Wege zu einem Ziel.
  2. Bestimmend für die Einführung von HEIKO war nicht etwa die Anhänglichkeit an die aufwendige nehmende Fernleihe, sondern der Wunsch, rund 26.000 aktiven Bibliothekskunden mit ihren individuellen Voraussetzungen und Ansprüchen jeweils ein möglichst passendes Angebot zu machen.
  3. Die Ausweitung der unmittelbaren Bibliotheksservicedienste trifft die Erwartungen vieler Kunden und trägt dem generellen Trend zu mehr customer convenience Rechnung. Auch unter diesem Aspekt fügt sich HEIKO an der Universitätsbibliothek Heidelberg in einen entsprechenden Gesamtzusammenhang ein.

1. subito und HEIKO

Ganz im Sinne von Klaus Frankens Empfehlungen am Ende seines Beitrags bemüht sich die Universitätsbibliothek Heidelberg seit Bestehen von subito, die Vorzüge der elektronischen Bestellung und Lieferung von nicht am Ort vorhandener Aufsatzliteratur unter ihren Kunden populär zu machen. Einige dazu erarbeitete Werbe- und Schulungsmaßnahmen wurden auch bereits von anderen Bibliotheken übernommen bzw. kopiert. Im Einzelnen sind beispielhaft zu nennen:

Trotz aller Aktivitäten wird in Kundengesprächen jedoch deutlich, dass subito nicht allen Erwartungen gerecht werden kann und für andere Lieferformen mithin durchaus Marktlücken hinterlässt. Die konventionelle Aufsatzkopienbestellung, subito und HEIKO verfolgen sämtlich das gleiche Ziel, stellen jedoch bei den relevanten Produktparametern "notwendige Kundenkenntnisse", "notwendige Kundenmitarbeit", "Lieferzeit" und "Preis" je unterschiedliche Anforderungen.

2. Mehrere Wege zu einem Ziel

Im tabellarischen Vergleich werden die jeweiligen Vor- und Nachteile der einzelnen Liefermöglichkeiten rasch deutlich. Zugleich wird klar, dass HEIKO den entscheidenden Vorteil der elektronischen Liefersysteme - die rasche Verfügbarkeit des Gewünschten - mit dem auch von Klaus Franken hervorgehobenen besonderen Vorzug der klassischen Fernleihe vereint: "dass sich ein Benutzer lediglich um das korrekte Ausfüllen der Bestellscheine und die Bezahlung der Gebühr kümmern muss; alles andere wird von ‚seiner‘ Bibliothek erledigt" (S. 1850).

Qualitätsmerkmale

Konventionelle Fernleihe

subito

HEIKO

Bestellung

Formular ausfüllen

Arbeit am PC:
Formular ausfüllen, Zeitschriftentitel recherchieren, Lieferbibliothek auswählen, Mail absenden

Formular ausfüllen

Ausgewählte
Lieferbibliothek kann nicht liefern

Lieferbibliothek schickt den Auftrag jeweils ohne Rücksprache weiter

Rückmeldung an Auftraggeber, Vorgang muss ggf. mehrfach neu angestoßen werden

Gesamte Kommunikation mit Lieferanten wird von heimischer Bibliothek erledigt

Physische
Aufsatzform

Papierkopie/Fax

Elektronische Form/ Papierkopie/Fax

Papierkopie

Bearbeitungszeit

Unbestimmt; vergleichsweise lange

Normalfall 3 Tage

Normalfall 4 Tage

Gebühr
(Aufsatz bis 20 Seiten)

DM 3,-
(Baden-Württ.)

Per E-Mail DM 5,-, Papierkopie DM 8,-

DM 9,-

Wie Franken selbst einräumt, wird es "auch künftig vorkommen, dass Benutzer die direkten Dokumentlieferdienste [...] nicht nutzen können oder wollen" (S. 1848), sei es aus Bequemlichkeit, aus Scheu vor elektronischen Systemen oder aus anderen Gründen. Für eben diese Benutzergruppe soll HEIKO neben der konventionellen Fernleihe eine zweite Alternative bieten. Dass der Komfortlieferdienst die subito-Selbstbedienung auch in Heidelberg keineswegs ersetzt, sondern lediglich ergänzt, belegen die HEIKO-Nutzungszahlen: Zwischen Mai und November 1999 wurden insgesamt 486 Bestellungen erledigt, d.h. ca. 3,5 pro Arbeitstag. Die genaue Zahl der selbständigen oder lediglich durch bibliothekarische Beratungsleistungen begleiteten subito-Bestellungen von Heidelberger Benutzern ist unbekannt, dürfte diesen Wert aber nach aller Erfahrung bei weitem übertreffen.

Von vornherein erwünscht und seit Aufnahme der Komfortlieferung tatsächlich zu beobachten, ist im Übrigen ein Wandern zwischen den verschiedenen Bestellmöglichkeiten. Während z.B. ein zunächst skeptischer Kunde durch HEIKO erste positive Erfahrungen mit elektronischen Lieferdiensten macht und später zum passionierten subito-Selbstnutzer wird, entschließt sich vielleicht ein zweiter angesichts gelegentlich fehlgeschlagener Bestellungen und Schwierigkeiten mit dem Entpacken elektronischer Lieferungen, die Arbeit künftig bisweilen den Informationsbibliothekaren zu übertragen. Ein dritter differenziert sichtlich nach Lage des Falles: Unkomplizierte Bestellwünsche ohne Zeitdruck werden über die preiswerte konventionelle Fernleihe geleitet, terminlich dringendes wie bibliographisch schwieriges Material bevorzugt über HEIKO.

3. Convenience-Dienste als Bestandteil moderner Bibliotheksarbeit

In einer Zeit, in der sich der gewaschene Salat einschließlich Dressing in der Plastikbox oder der Pizza-Home-Service wachsender Beliebtheit erfreuen, die Post frankierte Briefumschläge verkauft und einen Geschenkservice anbietet und zugleich die Entwicklung der information literacy oder Informationskompetenz des durchschnittlichen Bibliothekskunden zunehmend schwerer mit der rasanten Entwicklung der Informationsmöglichkeiten Schritt hält, werden Bibliotheken verstärkt mit dem Thema Convenience-Dienste konfrontiert.

Dass für besondere Dienstleistungen besondere Gebühren anfallen, ist bei angemessener Produktqualität nach unserer Erfahrung relativ leicht zu vermitteln. Komfortdienste sollten niemals ein professionelles Schulungsangebot zur Erweiterung der Informationskompetenz der Kunden ersetzen, andererseits bilden Schulungen allein keine hinreichende Antwort auf die sich wandelnden Kundenerwartungen. Die Ära, in der sich Bibliotheken weitgehend auf Hinweise zur informatorischen Selbsthilfe beschränken durften, scheint in jedem Fall vorbei. Entscheidend ist nun, diesen Wandel weniger als Belastung, denn als Chance zu begreifen; als Chance, die Bibliothek in ihrem Umfeld als zentrale Informationsdienstleisterin zu profilieren und so solide zu legitimieren.

Über die dezidierte Serviceorientierung der Bibliotheken in den USA wird in den Fachzeitschriften regelmäßig berichtet.5 In Deutschland haben Öffentliche Bibliotheken früher auf die wachsenden Kundenansprüche reagiert als die wissenschaftlichen. Buchliefer- und Recherchedienste zählen dort nicht mehr zum bestaunten Ausnahmefall, sondern zunehmend zum bibliothekarischen Alltag.6

Mit dem elektronischen Lieferdienst HELIOS/EDD, der wissenschaftlichen Mitarbeitern der Universität Heidelberg und der Kliniken Heidelberg und Mannheim die kostenlose elektronische Bestellung und Lieferung von medizinisch-naturwissenschaftlichen Zeitschriftenaufsätzen aus der Universitätsbibliothek Heidelberg und der Medizinisch-wissenschaftlichen Bibliothek des Klinikums Mannheim ermöglicht, hat die UB Heidelberg bereits 1996 einen ersten Schritt in die beschriebene Richtung getan.7 HEIKO kann in dieser Reihe als zweites geglücktes Experiment angesehen werden. Aufbauend auf Überlegungen des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg wird gegenwärtig geprüft, inwiefern die Universitätsbibliothek auch im Bereich der Informationsrecherche ein geeignetes Angebot machen kann. Die bisherige positive Resonanz ermutigt uns jedenfalls, den eingeschlagenen Weg weiterzugehen. Die knappen Ausführungen dürften gezeigt haben, dass die Universitätsbibliothek Heidelberg keineswegs am Althergebrachten hängt, sondern entschlossen der Zukunft entgegengeht. subito aktiv zu unterstützen und zugleich andere Wege der Informationsdienste anzubieten - dies muss kein Widerspruch sein.

1 Vgl. K. Franken, Kann der subito.1-Lieferdienst den Leihverkehr in Teilen ablösen?, in: Bibliotheksdienst 33 (1999), S.1848-1856.

2 Vgl. http://www.ub.uni-heidelberg.de/helios/EDD/HEIKO.html

3 Vgl. http://www.ub.uni-heidelberg.de/helios/EDD/vergleich.html

4 Vgl. http://www.ub.uni-heidelberg.de/allg/schulung.html

5 Vgl. jüngst z.B. Elektronische Bibliotheken in den USA: Bericht über eine USA-Reise von Bibliothekaren und Wissenschaftlern im September 1998 (dbi-materialien ; 188. Berlin: DBI, 1999).

6 Vgl. z.B Köln http://www.koeln.de/cgi-bin/extern.cgi?url=http://www.stbib-koeln.de/termine/index.htm oder Mannheim http://www.mannheim.de/stadtbuecherei/index.html

7 Vgl. http://hedd.ub.uni-heidelberg.de/lea/; A. Eckes/E. Pietzsch, Heidelberger Electronic Document Delivery: elektronische Bestellung und Lieferung von Zeitschriftenaufsätzen aus der Universitätsbibliothek Heidelberg (EDD), in: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie 44 (1997), S.167-181.


Stand: 05.01.2000
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