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BIBLIOTHEKSDIENST Heft 11, 98

"Das wissen wir doch am besten, was die Benutzer wollen."

oder

Fokusgruppeninterviews mit Bibliotheksbenutzern zum Thema "Elektronische Informationsvermittlung im BIS Oldenburg 1)"


Ein Erfahrungsbericht

Christine Gläser, Brigitte Kranz, Katharina Lück

Einleitung

Benutzerforschung scheint in jüngster Zeit mit dem Aufkommen moderner Managementstrukturen und verstärktem äußeren Druck durch knappere Ressourcen und Evaluationsprozesse in wissenschaftlichen Bibliotheken wieder interessant zu werden.

Hierzu werden verschiedene quantitative und qualitative Methoden der Benutzerforschung eingesetzt. Eine hierzulande recht unbekannte Methode ist die der sog. Fokusgruppeninterviews, die im folgenden anhand eines konkreten Beispiels vorgestellt werden soll.

Situationsanalyse

Zum Wintersemester 1996 wurde im BIS die öffentliche Informationsvermittlungsstelle (IVS) im Benutzungsbereich der Eingangsebene eingerichtet. Es wurden, zusätzlich zu den bereits im Hause verteilten OPACs, zwanzig Katalog-Terminals auf Stehtischen installiert und an Sitzarbeitsplätzen acht Online-Datenbank-Rechner, sechs Internetarbeitsplätze sowie zwei Einzelplatzrechner für lokale CD-ROM-Anwendungen aufgestellt.

Für die technische Betreuung wurde zusätzliches Personal eingesetzt. Es entstand eine neue Abteilung, die der öffentlichen IVS, die eng mit der Zentralen Information zusammenarbeiten sollte.

Die inhaltliche Beratung zu den elektronischen Medien obliegt der Zentralen Information und den Fachreferaten. Technische Fragen zur Benutzung der einzelnen Anwendungen gehören in den Aufgabenbereich der IVS.

Gleichzeitig mit der Einrichtung der IVS wurde ein inhaltliches Konzept zur Schulung und Betreuung der Nutzer entworfen. Ein Schulungsraum mit neun Arbeitsplätzen und einem Vorführgerät mit Beamer ermöglichte Kurse für die Studierenden. Es wurden allgemeine Einführungen zur elektronischen Bibliothek, Fachschulungen und aufeinander aufbauende Kurse zum Thema Internet angeboten.

Nach Ablauf eines Jahres ergab sich für die Mitarbeiter der IVS zu verschiedenen Bereichen eine Reihe von Fragen. Besonders wichtig erschien, wie die Studierenden auf die neuen Medien aufmerksam wurden, und welche Erfahrungen sie gesammelt hatten. Die Kommunikationswege zur Verbreitung von Informationen sollten hinterfragt werden. Auch im Bereich der Schulungen und Beratung erschien eine Überprüfung angebracht.

Fokusgruppeninterview-Methode

Bei der Auswahl der geeigneten Methode wurde eine Fragebogenaktion abgelehnt, da für die Fragestellungen die Ergebnisse unzureichend erschienen, der Aufwand jedoch relativ hoch gewesen wäre. Wichtig erschien es, mit den Nutzern ins Gespräch zu kommen, um Meinungen und Bewertungen zu hören. Einzelinterviews wiederum erwiesen sich als zu aufwendig und die Gefahr der Beeinflussung dabei zu hoch. Es wurde deshalb die Methode der Fokusgruppeninterviews gewählt, eine Form der Benutzerforschung, die bisher vor allem im anglo-amerikanischen Bereich verbreitet ist und dort auch im Zusammenhang mit Qualitätsmessung in Bibliotheken eingesetzt wird.

Was ist nun eine Fokusgruppe überhaupt?

"A focus group can be defined as a carefully planned discussion designed to obtain perceptions on a defined area of interest in a permissive, nonthreatening environment. It is conducted with approximately seven to ten people by a skilled interviewer. The discussion is relaxed, comfortable, and often enjoyable for participants as they share their ideas and perceptions. Group members influence o thers by responding to ideas and comments in the discus-

sion."2)

Fokusgruppen ermöglichen intensive Gruppeninterviews, um Informationen darüber zu sammeln, was die Teilnehmer über ein Produkt oder eine Dienstleistung denken, und warum sie dies tun. Durch die Gruppendynamik und die Interaktion in der Gruppe werden weit mehr Informationen vermittelt als zunächst erfragt werden.

Es handelt sich dabei um eine qualitative Forschungsmethode, die selbständig oder in Kombination mit anderen angewendet werden kann. Fokusgruppeninterviews sind im Gegensatz zu umfangreichen Fragebogenaktionen eine kostengünstige und schnelle Methode.

In dem Maße, in dem Fokusgruppen neue Ideen und neue Sichtweisen in das Denken der Bibliothekare bringen, ist auch ihre Außenwirkung zu sehen, denn Fokusgruppen stellen ein nicht zu unterschätzendes Element der Öffentlichkeitsarbeit dar. Es wird Gesprächsbereitschaft zwischen Bibliothek und Nutzern signalisiert, und die Nutzer fühlen sich durch ihre "Aufgabe" aufgewertet. Durch regelmäßige Fokusgruppen können Entwicklungen aufgezeigt werden, die eine bessere Anpassung an Benutzerwünsche ermöglichen.

Vorgehensweise

Die Interviewgruppen sollten eine Größe von 6 bis 12 Teilnehmern haben; wichtig ist hier die Zusammensetzung, da die Gruppen möglichst homogen sein sollten (sozialer Status, Beruf).

Der Moderator sollte nicht aus dem gleichen institutionellen Kontext stammen, zu dem Fragen gestellt werden. Wichtig ist dessen neutrale Rolle; der Moderator dirigiert, hört zu, überwacht und analysiert.

Interview

Der zugrundeliegende Fragenkatalog sollte 5 bis 10 logisch aufeinander aufbauende Fragen beinhalten. Das Interview, das zwischen 90 und 120 Minuten dauert, sollte auf Band mitgeschnitten werden.

Anders als bei anderen Methoden der empirischen Sozialforschung, bei denen repräsentative Stichproben gebildet werden, gibt es keine feste Anzahl von Interviews, die durchzuführen sind. Es gilt, daß so viele Gruppen einberufen werden, bis keine neuen Argumente oder Thesen mehr auftauchen. Eine absolute Verallgemeinerung von einzelnen Aussagen ist nicht zulässig.

Vor der tatsächlichen Umsetzung stand jedoch noch ein sehr wichtiger Schritt an, nämlich die Festlegung der eigentlichen Aufgabenstellung der öffentlichen Informationsvermittlungsstelle. Folgende Aspekte ergaben sich dabei:

Zum einen sollte als Basis eine bestimmte "Infrastruktur" angeboten werden wie z.B: das eigentliche Medienangebot und die einhergehende Betreuung sowie das Schulungsangebot.

Weiterhin sollten mit dieser "Infrastruktur" gewisse Inhalte transportiert werden, wie z.B. Grundbegriffe des wissenschaftlichen Arbeitens mit Medien und deren technische Nutzungs- und Recherchemöglichkeiten, Kriterien für die inhaltliche Einordnung und Bewertung.

Als Ziel wurde die technische wie auch inhaltliche Selbständigkeit der Nutzer definiert, um die Informationskompetenz, "information literacy", der Nutzer zu entwickeln.

Diese Zielbestimmung diente zur Spezifizierung konkreter Fragen, die in den Interviewleitfaden3) eingingen, der bei der Fokusgruppenmethode zum Einsatz kam.

Auswahl der Teilnehmer

Die Auswahl der Interviewteilnehmer erwies sich zunächst als nicht so einfach wie gedacht.

Die Versuche, Interviewteilnehmer auf rein freiwilliger Basis zu rekrutieren, schlugen leider fehl. Als weitere Möglichkeit wurde erwogen, im reinen Zufallsverfahren Teilnehmer aus der Benutzerdatenbank herauszusuchen. Die darauf folgende eigentliche Motivationsarbeit (Telefonate, Einladungsbriefe, Erinnerungschreiben usw.) erschien uns für einen ersten Versuch mit dieser Methode jedoch zu unverbindlich.

So wurden z. T. Schulungsteilnehmer angesprochen, wenn sie als qualifizierte und sachkundige Interviewpartner erschienen. Zusätzlich wurden Benutzer gezielt angesprochen, die sich in der Bibliothek zum Arbeiten aufhielten. Dabei wurden auch sog. Nicht-Nutzer aktiviert, die die elektronische Bibliothek noch nicht kennengelernt hatten.

Auf diese Weise konnten drei Fokusgruppen mit je 8 - 10 Teilnehmern durchgeführt werden.

Randbedingungen für die Interviews

Um für alle Teilnehmer eine möglichst angenehme Atmosphäre zu schaffen, wurde ein geräumiger Sitzungsraum der Bibliothek ausgewählt. Die Stühle wurden um zusammengestellte Tische gruppiert, so daß eine übersichtliche Runde für ca. 15 Personen entstand. Getränke wurden serviert und Namensschilder aufgestellt. Auf den Tischen wurden 2 Mikrophone installiert, die die 90-minütige Aufnahme der Gespräche garantierten.

Nach den Sitzungen sollte jeder Teilnehmer ein kleines Geschenk als Dankeschön erhalten. Dazu wurden in genügender Anzahl Publikationen aus dem BIS-Verlag bereitgehalten.

Als Moderatorin konnte eine den Interviewteilnehmern unbekannte Bibliothekarin aus einer anderen Oldenburger Bibliothek gewonnen werden. Außer der Moderatorin beteiligte sich noch eine weitere Mitarbeiterin als Beisitzerin an den Fokusgruppen. Sie betreute die Technik, sorgte für den Service und sollte als stille Beobachterin wichtige nonverbale Äußerungen während des Gespräches notieren.

Vor dem Beginn der ersten Fokusgruppe sollte der Moderatorin die Gelegenheit gegeben werden, sich auf die Gesprächssituation einzustimmen, die Fragen aus dem Leitfaden anzuwenden und ein Gefühl für die zur Verfügung stehende Zeit zu bekommen.

Für diesen "Pre-Test" wurden Mitarbeiter aus dem BIS zur Teilnahme eingeladen und gebeten, in die Rolle von Bibliotheksbenutzern zu schlüpfen.

Ein solches Test-Interview empfiehlt sich sehr, denn in unserem Fall ergaben sich z.B. Änderungen in der Abfolge der Themen des Leitfadens.

Auswertung

Die drei Gesprächsprotokolle wurden nach der Bandaufnahme komplett transkribiert und umfaßten je ca. 30 DIN A 4-Seiten.

Die Auswertung der Interviews wurde mit Hilfe der Software QSR NUD*IST4) durchgeführt. Hierbei wurden anhand der durch den Interviewleitfaden angesprochenen Themen Kategorien gebildet, um die Aussagen der Teilnehmer zu diesen Themen zu bündeln, dadurch wurden Schwerpunkte in den Aussagen deutlich.

Weitere, über die Themen des Leitfadens hinausgehende Kategorien wurden als eigenständige Punkte aufgenommen, da sie im Verlauf der Interviews als immer wiederkehrende Inhalte auffielen.

Die ausführliche Auswertung wurde in einem 25 Seiten umfassenden Papier zusammengefaßt und mit Zitaten aus den Hörprotokollen belegt. Diese "Studie" dient nun als Basis für die bibliotheksinterne Diskussion und Arbeit mit den Ergebnissen. Mit der Auswertung wurden bereits erste Empfehlungen entwickelt.

Die Ergebnisse in Auszügen

Die volle Auswertung kann an dieser Stelle nicht dargestellt werden, nicht nur des Umfangs wegen, sondern auch, weil diese auch spezifische Oldenburger Gegebenheiten widerspiegelt.

Einige der Ergebnisse sollen hier beispielhaft vorgestellt werden, um die Möglichkeiten der Fokusgruppen-Methode aufzuzeigen.

Es folgen zwei Aspekte, die im Verlauf der Interviews von den Teilnehmern verstärkt thematisiert wurden, ohne daß entsprechende Fragen im Leitfaden vorgesehen waren. Durch die Diskussion und die z.T. drastischen Formulierungen der Teilnehmer wurde uns die Relevanz dieser Themen für die Studierenden überhaupt erst deutlich.