Publikationen Hierarchiestufe höher Vorherige Seite Nächste Seite

BIBLIOTHEKSDIENST Heft 6, 98

DOI - die ISBN des 21. Jahrhunderts?

Gernot Gabel

Angesichts des weltweit zunehmenden Handels mit urheberrechtlich geschützten Materialien in elektronischen Netzen ergibt sich für die in diesem Markt agierenden Verlage die Notwendigkeit, eine eindeutige Identifizierung ihrer Produkte vorzusehen. Die von mehreren Großverlagen und Verlegerverbänden kürzlich vorgeschlagene Lösung heißt Digitales Objekt-Identifizierungs (Digital Object Identifier = DOI)-System, das sowohl für die Identifizierung von Verlagsprodukten als auch für Transaktionen in Netzen eine befriedigende Lösung verspricht.

Bereits 1995 hatte der amerikanische Verlegerverband American Association of Publishers eine Übersicht über alle bekannten und in Entwicklung befindlichen Systeme und Codes (ISBN, ISSN, ISMN, ISWC, SICI, BICI, CAE, usw.) erstellt und angesichts der großen Vielfalt davon abgesehen, daraus ein Einheitssystem konstruieren zu wollen. Stattdessen war man übereingekommen, etwa völlig Neues zu entwickeln, wobei sich ergab, daß die bisher verwendeten internationalen Codes sich in das neue System gut einpassen lassen.

Die grundlegende Architektur des neuen Modells wurde dem sogenannten "Handle System" der amerikanischen Corporation for National Research Initiatives (CNRI) entnommen, einer 1986 gegründeten gemeinnützigen Organisation. Das Handle-System (handle = name) operiert mit unveränderlichen Identifizierungen, die für digitale Objekte im Internet verwendet werden, um damit sowohl Urheberschaft wie Verwertung sicherstellen zu können. Während sich das digitale Umfeld verändern kann, bleibt das Handle unverändert. Über Protokolle wird in verteilten Computer-Systemen sichergestellt, daß das Handle identifizierbar und die somit gekennzeichneten Objekte über einen Link zugänglich sind. Jedes Handle besteht aus zwei Teilen: einem Präfix und einem Suffix. Mit dem Präfix wird die namengebende Organisation gekennzeichnet, mit dem Suffix das zu identifizierende Objekt.

Die Entwickler des DOI-Systems machten sich die Architektur des Handle-Systems zunutze, indem sie einfach darauf aufsetzten. Da das Suffix im Handle-System nur wenige Stukturmerkmale aufweist und damit Integrationsmöglichkeiten zuläßt, wurde vereinbart, die im Buchhandel bestehenden Codes in das Suffix zu integrieren. Damit war die Struktur des DOI-Systems festgelegt, das daher gleichfalls aus einer Kombination von Präfix und Suffix besteht.

Als Zentrum des neuen Verfahrens fungiert das DOI-Directory, das für die Registrierung der Firmen wie der Produkte sorgt. Das DOI-Directory agiert allerdings nur als Verteiler und somit als Mittler zwischen dem Nutzer und dem Anbieter. Wenn ein Nutzer eine DOI anklickt, wird eine Meldung an das DOI-Directory versandt, auf dem die aktuelle Web-Adresse des Anbieters gespeichert ist. Diese Adresse wird an den Nutzer zurückgeschickt mit der Meldung, daß das System diese Web-Adresse anzusteuern hat. Der Nutzer erhält umgehend eine Rückmeldung auf seinem Bildschirm - eine Web-Seite -, aus der weitere Informationen über das gesuchte Objekt hervorgehen. Der Verlag ist verpflichtet, eine aktuelle Datenbank auf einem dem DOI-Directory gemeldeten Server zu pflegen, die alle produktrelevanten Daten enthält sowie dessen Verfügbarkeit und Datenintegrität sicherstellt. Die Gestaltung der produktbezogenen Informationen ist einzig dem Verlag vorbehalten.

Falls das registrierte Objekt auf einen anderen Server migriert oder ein Verlag das Recht an einem Produkt an einen anderen Verlag veräußert oder der Verlag selbst den Eigentümer wechselt oder mit anderen Firmen fusioniert, so bleibt die DOI des Produkts dennoch unverändert. Im DOI-Directory braucht nur die neue Adresse des neuen Rechteinhabers gespeichert zu werden, alle anderen das Produkt betreffenden Kennzeichnungen bleiben von einem Wechsel unberührt.

Ein DOI (siehe Beispiel) setzt sich aus einer Kette von alphanumerischen Zeichen zusammen, die im Falle eines Buches (z. B.: 10.1234/[ISBN]3922331163) aus vier Gliedern besteht: das Präfix enthält die Kennzeichnung für das Directory der namengebenden Agentur (1a), etwa die Internationale ISBN-Agentur (10), sowie die registrierende Organisation (1b), also den das Produkt publizierenden Verlag (1234). Das Suffix enthält zum einen den Produkt-Code (2a =ISBN) und zum anderen die Identifikationsnummer des Produkts selbst (2b=3922331163).

Abbildung: DOI-Struktur

1a
Registration Agency
10.
Präfix
1b
Registrant
1234 /

2a
Product Identifier
[ISBN]

2b
Product Identification
3922331163
Suffix

Ein Schrägstrich trennt Präfix von Suffix und ein Punkt trennt Teil 1a von Teil 1b des Präfix. Im Suffix wird Teil 2a in eckige Klammern gesetzt. Das DOI ist also ein aus mehreren Komponenten zusammengesetztes Identifikationsschema. Die Kette wird in ihrer Gesamtheit benötigt, einzelne Teile der Kette sind für die Nutzung in Netzen nicht aussagefähig. Um das volle Potential des Systems nutzen zu können, muß allerdings die Einschränkung hingenommen werden, daß eine einmal vergebene DOI nicht mehr geändert werden kann.

Da das Suffix bisher nur in seiner Struktur und Länge (256 Zeichen) festgelegt ist, läßt sich auch eine Erweiterung dahingehend planen, daß nicht nur ein ganzes Buch oder eine Zeitschrift (ISSN), sondern sogar jedes Kapitel aus einem Buch oder Aufsätze in einer Zeitschrift jeweils eine eigene DOI erhalten können, ja sogar einzelne Darstellungen in einem Text (z. B. Abbildungen oder mathematische Formeln) oder Teile multimedialer Produkte. Somit könnte alles, was Verlage oder Organisationen für einzeln vermarktbar halten (Texte, AV-Medien, Software und Multimedia), mit einem DOI versehen werden. Zudem liegt es in der Logik des Systems, nicht nur die Identifizierung vorzusehen, sondern auch das Dokumentenliefersystem, das Abrechnungsverfahren und die Rechteverwaltung in die Nutzung einzubeziehen.

Das DOI-System wird den Wünschen führender Verlage weitgehend gerecht, und daher haben gerade die international agierenden Verlagsgiganten (Wiley, Academic Press, Springer, Elsevier, Houghton Mifflin, etc.) sich entschlossen, dessen Weiterentwicklung zügig voranzutreiben. Um die Akzeptanz des DOI-Systems weiter zu erhöhen, ist die nicht-kommerzielle Internationale DOI Foundation mit Sitz in Washington und Genf gegründet worden. Gegenwärtig sind bei der DOI-Foundation rund 30 Organisationen als Mitglieder registriert, und diese haben bereits mehrere hunderttausend DOIs vergeben. Neben einzelnen Verlagen unterstützt auch der Internationale Verlegerverband sowie mehrere nationale Verlegervereinigungen (darunter der Börsenverein) diese Initiative. Der internationalen Fachwelt wurde das DOI-System im Oktober 1997 auf der Frankfurter Buchmesse vorgestellt. Daß die Verleger mit Nachdruck auf diese Karte setzen, zeigte sich jüngst bei einer Personalentscheidung. Norman Paskin, bisher Direktor beim Elsevier Wissenschaftsverlag, wo er für den Sektor Informationstechnik zuständig war, ist im April 1998 zum neuen Direktor der Internationalen DOI-Foundation ernannt wurde. Ihm wird die kurzfristige Einführung des neuen Registrierungsverfahrens zugetraut, und daher werden sich die Bibliotheken wohl darauf einzustellen haben, die DOI als eine weitere Kategorie in ihre Katalogisierungsregeln aufnehmen zu müssen.

Weiterführende Informationen sind erhältlich über: http://www.doi.org; Handle - http://www.handle.net.


Stand: 09.06.98
Seitenanfang