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BIBLIOTHEKSDIENST Heft 3, 98

New Developments in Electronic Copyright


EBLIDA-Konferenz und Workshop in Kopenhagen

Helmut Rösner

Welch ein Thema! Juristen und mit der Materie wenigstens ansatzweise vertraute Bibliotheksfachleute könnten sich wochenlang die Köpfe heißreden, der "normale Bibliothekar" versteht vielleicht nur banegården (zu deutsch: Bahnhof).

Eine Hundertschaft von Vertretern der ersten Kategorie aus nahezu allen EU-Ländern war am 12. und 13. Februar in die dänische Bibliotheksschule gekommen, um in einem professionell organisierten Programm (EBLIDA gemeinsam mit der Danish Library Authority) mit Referaten im Halbstundentakt über neue Entwicklungen im elektronischen Copyright zu informieren und zu diskutieren.

Ziel der Konferenz am ersten Tag war die umfassende Information einerseits über den derzeitigen Stand der urheberrechtlichen Regelungen in den einzelnen europäischen Ländern (in der Tat recht unterschiedlich), andererseits und vor allem über Inhalt, Bedeutung und mögliche Konsequenzen des neuen EU-Richtlinienvorschlags über "Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts" - darunter sind vor allem vereinheitlichte Regelungen und Ausnahmen zum Recht der Vervielfältigung, der Verbreitung und der "communication to the public" in Bezug auf digitale Medien zu verstehen. Der am nächsten Tag folgende Workshop für EBLIDA-Mitglieder verfolgte das Ziel, eine gemeinsame Position der europäischen Bibliotheken zu erarbeiten und in eine abgestimmte Stellungnahme zu den kritischen Punkten der Richtlinie einfließen zu lassen. Nationales und EU-weites Lobbying ist jetzt dringend angesagt.

Die zentralen Punkte der Richtlinie betreffen die exklusiven Rechte der Urheber im digitalen Umfeld. Auf Grund dieser ausschließlichen Rechte unterliegt künftig die Nutzung digitaler Werke durch und in Bibliotheken erheblichen Restriktionen, die im Regelfall nur auf der Basis von Lizenzverträgen aufzuheben sind. Erklärtes bibliothekspolitisches Ziel der EBLIDA-Konferenz: möglichst umfassender freier (kostenloser?) Zugang zu Informationen für Bibliotheken auf der Basis gesetzlicher Regelungen (als Ausnahmen vom exklusiven Recht), erst zusätzliche und spezielle Nutzungsformen und Nutzergruppen über Lizenzvereinbarungen. Es bestand allerdings weitgehende Übereinstimmung, daß dies ein schwer erreichbares Maximalziel ist, zumal der Zeitplan sehr eng ist.

Wie Frode Bakken (Norwegischer Bibliotheksverband) einleitend herausstellte, hat die digitale Industrie in der EU-Wirtschaftspolitik große Bedeutung erlangt, das Copyright als Schutzrecht der Ware "Geistiges Eigentum" ist ein kleiner, aber zunehmend wichtiger Bestandteil der Wirtschaftspolitik geworden. Die Bibliotheken als Glied in der Kette des Handels mit digitalen Produkten müssen klar definierte rechtliche Rahmenbedingungen zu erreichen versuchen, um ihren gesellschaftlichen Auftrag erfüllen zu können.

An dieser Stelle setzte Harald Müller (Max-Planck-Institut für Völkerrecht, Heidelberg) ein, indem er auf die internationalen Erklärungen zur "Freedom of information" hinwies (z. B. Artikel 10 der Europäischen Konvention über Menschenrechte) und die gemeinsamen Positionen von IFLA und ECUP zum freien Zugang zu allen, also auch den digitalen Medien, zitierte. Sein Schwerpunktthema in diesem Zusammenhang war das "Legal deposit", das Pflichtexemplarrecht für elektronische Medien, das derzeit in den europäischen Ländern noch nicht geregelt ist - mit einer aktuellen Ausnahme, wie zu erfahren war: in Dänemark ist seit Januar 1998 ein neues Pflichtexemplargesetz in Kraft ("Act on Legal Deposit of Published Works", Act no. 423 vom 10. Juni 1997), das die Ablieferung auch digitaler Publikationen einschließlich Passwort und anderer für den Zugang erforderlicher Informationen ausdrücklich vorsieht.

Worum geht es genau bei den "bestimmten Aspekten" des Urheberrechts? Unter dem Datum 10. Dezember 1997 legte die Kommission der Europäischen Gemeinschaften das Dokument KOM(97)628 vor als "Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft". Damit soll praktisch der Schlußstein eines jahrelangen Konsultationsprozesses zum Schutz des geistigen Eigentums gesetzt werden, dessen wichtigste Stationen waren:

Die drei zuletzt genannten Richtlinien, die bereits in die nationale Gesetzgebung der EU-Länder umgesetzt wurden, bilden den bestehenden Rechtsrahmen, der aber mit dem neuen Richtlinienvorschlag für das "neue technologische Umfeld" der Informationsgesellschaft ergänzt und angepaßt werden soll.

Die Bestimmungen von zentraler Bedeutung für Bibliotheken betreffen:

  1. Das Vervielfältigungsrecht (Art. 2) als "das ausschließliche Recht, die unmittelbare oder mittelbare, vorübergehende oder dauerhafte Vervielfältigung auf jede Art und Weise und in jeder Form ganz oder teilweise zu erlauben oder zu verbieten" für a) die Urheber in bezug auf das Original und auf Vervielfältigungsstücke ihrer Werke, b) die ausübenden Künstler in bezug auf die Aufzeichnungen ihrer Darbietungen, c) die Tonträgerhersteller in bezug auf ihre Tonträger sowie für die Filmhersteller und Sendunternehmen.

  2. Das Recht der öffentlichen Wiedergabe einschließlich des Rechts der Zugänglichmachung von Werken und sonstigen Schutzgegenständen (Art. 3) als das ausschließliche Recht der Urheber, "die öffentliche drahtgebundene oder drahtlose Wiedergabe von Originalen und Vervielfältigungsstücken ihrer Werke einschließlich der öffentlichen Zugänglichmachung der Werke in der Weise, daß sie Mitgliedern der Öffentlichkeit von Orten und zu Zeiten ihrer Wahl zugänglich sind, zu erlauben oder zu verbieten".

  3. Das Verbreitungsrecht (Art. 4), wonach den "Urhebern in bezug auf das Original ihrer Werke oder auf Vervielfältigungsstücke davon das ausschließliche Recht der Verbreitung an die Öffentlichkeit in beliebiger Form durch Verkauf oder auf sonstige Weise zusteht". Dieses Recht erschöpft sich "mit dem Erstverkauf oder einer anderen Eigentumsübertragung dieses Gegenstands in der Gemeinschaft durch den Rechtsinhaber oder mit dessen Zustimmung".

  4. Nach diesen Restriktionen erfordern die Ausnahmen von den zustimmungsbedürftigen Handlungen (Art. 5) besondere Aufmerksamkeit:

    Aus dem ausschließlichen Vervielfältigungsrecht nach Art. 2 ausgenommen sind zunächst "vorübergehende Vervielfältigungshandlungen, die als Teil eines technischen Verfahrens nur deshalb vorgenommen werden, um eine Nutzung eines Werks oder sonstigen Schutzgegenstands zu ermöglichen und die keine eigenständige wirtschaftliche Bedeutung haben". Ferner können die Mitgliedstaaten "Schranken" vorsehen für a) "Vervielfältigungen auf Papier oder einen ähnlichen Träger mittels beliebiger photomechanischer Verfahren oder anderer Verfahren mit ähnlicher Wirkung", b) "Vervielfältigungen auf Ton-, Bild- oder audiovisuelle Träger durch eine natürliche Person zur privaten Verwendung für nicht gewerbliche Zwecke", und - für Bibliotheken entscheidend - c) "in bezug auf Vervielfältigungshandlungen ohne unmittelbaren oder mittelbaren wirtschaftlichen oder kommerziellen Nutzen, die von der Öffentlichkeit zugänglichen Einrichtungen vorgenommen werden".

    Weitere Beschränkungen des ausschließlichen Vervielfältigungsrechts und des ausschließlichen Rechts auf öffentliche Wiedergabe bzw. Zugänglichmachung können von den Mitgliedstaaten vorgesehen werden für folgende genau benannte Fälle in Art. 5, Abs. 3:

    "a) für die Nutzung ausschließlich zur Veranschaulichung im Unterricht oder für Zwecke der wissenschaftlichen Forschung, sofern die Quelle angegeben wird und soweit dies durch den damit verfolgten nicht gewerblichen Zweck gerechtfertigt ist

    b) für die Nutzung zugunsten sehbehinderter oder gehörgeschädigter Personen ...

    c) für die Verwendung von Auszügen in Verbindung mit der Berichterstattung über Tagesereignisse ...

    d) für zu Zwecken wie Kritik oder Rezensionen verwendete Zitate aus einem der Öffentlichkeit bereits rechtmäßig zugänglich gemachten Werk ...

    e) für Zwecke der öffentlichen Sicherheit oder für den ordnungsgemäßen Ablauf eines Verwaltungs- oder Gerichtverfahrens."

    Der Abs. 4 nimmt allerdings einen Teil dieser Ausnahmen und Schranken wieder zurück, indem er sie beschränkt auf "bestimmte Sonderfälle"; sie "dürfen nicht so ausgelegt werden, daß ihre Anwendung in einer Weise genutzt werden kann, daß die berechtigten Interessen der Urheber unzumutbar verletzt werden oder die normale Verwertung ihrer Werke und sonstiger Schutzgegenstände beeinträchtigt wird."

Soweit in komprimierter Form die Kernbestimmungen des Richtlinienvorschlags - Stoff genug zum Grübeln und Diskutieren, was im einzelnen genau gemeint und wie es auszulegen sein könnte. In zahlreichen Vorträgen (unmöglich, sie alle zu referieren) kam es zum Schlagabtausch zwischen Vertretern der Verleger- bzw. Produzentenseite und dem bibliothekarischen Lager, wobei das Stichwort von der "Balance der Interessen" zwar unumstritten, aber doch unterschiedlich interpretiert im Mittelpunkt stand.

Emanuela Giavarra (ECUP, London) erläuterte den Richtlinien-Text mit Blick auf ein nicht ganz auszuschließendes Worst-Case-Szenario; sie verglich die vorgesehenen Bestimmungen mit dem WIPO-Copyright-Vertrag von Ende 1996 und wies nach, daß der Richtlinienvorschlag in manchen Teilen deutlich darüber hinausgeht, d. h. noch restriktiver, in anderen Teilen unklarer ist. Was z. B. hat man unter einer "mittelbaren Vervielfältigung" zu verstehen, wie weit oder wie eng ist der Begriff "der Öffentlichkeit zugängliche Einrichtungen" aufzufassen (beispielsweise bezogen auf nichtöffentliche Bibliotheken), wo sind die Grenzen der "normalen Verwertung" zu ziehen, was kann unter "bestimmte Vervielfältigungshandlungen" oder "bestimmte Sonderfälle" in Bibliotheken fallen (Bestandserhaltung oder mehr)?

Auch der Brüsseler Anwalt Thomas Vinje stimmte dieser Einschätzung weitgehend zu und betonte das Recht der Allgemeinheit, Zugang zu Informationen jeder Art zu erhalten bei Aufrechterhaltung der Balance mit den Interessen der Urheber - diese Balance allerdings sieht er gefährdet, denn die vorwiegend Begünstigten sind die Verwerter des geistigen Eigentums, also die Produzenten, Verleger, Provider usw.; daher wird eine Präzisierung des Urhebervertragsrechts erforderlich werden.

Die bibliothekarische Beurteilung des Richtlinienvorschlags erhielt von einer kaum erwarteten Seite Unterstützung: Ursula Pachl vom Europäischen Verbraucherschutz-Büro in Brüssel erhob die Forderung, die Verbraucherrechte in der Informationsgesellschaft ebenso gesetzlich festzuschreiben wie das Recht auf geistiges Eigentum; dazu gehört nicht nur das Recht auf Zugang zu Informationen, sondern auch auf Wahrung der Privatsphäre, auf transparente Preis- und Servicegestaltung sowie klare datenschutzrechtliche Regelungen. Überdies bemängelte sie die zu enge Ausnahmebestimmung des Richtlinienvorschlags für die Nutzung zugunsten sehbehinderter oder gehörgeschädigter Personen, sie wäre auszuweiten auf Behinderte im weiteren Sinn.

Ganz konkret zur Sache ging es am folgenden Tag in dem EBLIDA-Workshop. Hier wurden die einzelnen Bestimmungen der Richtlinie eingehend untersucht, auf Fallstricke oder Interpretationsräume hin abgeklopft und in einem als Entwurf vorgelegten Positionspapier aus Sicht der Bibliotheken kommentiert. Erklärtes Ziel ist es, zu verhindern, daß die EU-Richtlinie hinter die WIPO-Festlegungen zurückweicht, und zu erreichen, daß der ungehinderte Zugang der Bibliotheken zu digitalen Informationen gesetzlich festgeschrieben und nicht erst Lizenzvereinbarungen überlassen wird.

Sowohl europaweit als auch im nationalen Rahmen werden nun unverzüglich Aktivitäten gestartet, um die vorgeschlagenen Bestimmungen juristisch zu prüfen und bibliothekspolitisch zu kommentieren, Einsprüche zu formulieren und politische Entscheidungsträger als Verbündete zu gewinnen. Freilich: die Zeit ist arg knapp bemessen. Barbara Schleihagen erläuterte den vorgesehenen Zeitrahmen:

Nach der ersten Lesung im Europäischen Parlament wird die Kommission im Sommer 1998 eine entsprechend veränderte Fassung des Richtlinienvorschlags erarbeiten, der nach Diskussionen in Gremien des Ministerrats gegen Jahresende zur zweiten Lesung in das EU-Parlament gelangt; die Prüfung im Ministerrat soll bis zum Sommer 1999 erfolgen, innerhalb von sechs Wochen soll daraufhin die Richtlinie von Parlament und Ministerrat verabschiedet werden; laut Art. 11 des Vorschlag sollen die Mitgliedstaaten ihre Umsetzung in die nationale Gesetzgebung bis zum 30. Juni 2000 vornehmen.

Also ans Werk, ohne Verzug. Eine wichtige Vorarbeit haben bereits die schwedischen Kollegen geleistet mit einer Denkschrift "Digital is Different?"*), die - wenngleich auf der Grundlage des schwedischen Urheberrechtsgesetzes - den Richtlinienvorschlag eingehend überprüft und beurteilt und somit ein wertvolles Ausgangsmaterial für eine EU-weit abgestimmte Allianz der Non-Profit-Nutzer elektronischer Werke darstellt, die sich nun anschickt zu einer breit angelegten Lobbyarbeit mit dem Ziel, die vorgesehenen Regelungen bzw. Restriktionen im Sinne der Bibliotheken zu liberalisieren. Auch in Italien sind schon einige Aktionen angelaufen.

Und Germany? Die DBI-Rechtskommission ist natürlich bereits tätig und plant, ähnlich wie zu früheren Richtlinien, wieder gemeinsam mit der BDB eine Denkschrift zu dieser Copyright-Richtlinie zu erarbeiten.

*) Digital is Different? DIK on copyrights in lbraries, museums and archives. 2nd draft. - ISBN: 91-630-6490-1.
The DIK Association, Box 760, S-131 24 Nacka. E-Mail: dik@akademikerhuset.se.


Stand: 10.03.98
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