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BIBLIOTHEKSDIENST Heft 9, 97

Lektorieren des Internets?

Qualitätssicherung für Benutzer Öffentlicher Bibliotheken

Henner Grube

"Lektorieren des Internets? Qualitätssicherung für Benutzer öffentlicher Bibliotheken" - unter diesem Titel fanden am 15. Juli 1997 eine Vortrags- und Diskussionsveranstaltung mit 100 Teilnehmern und am folgenden Tag ein Workshop mit zwanzig Teilnehmern (einschließlich ekz-Lektorat) in Reutlingen in der ekz statt.

Die Bibliotheken tragen zur Demokratisierung einer Informationstechnologie bei, der demokratische Struktur nachgesagt wird. Was können die öffentlichen Bibliotheken an zusätzlichem Mehrwert bieten, wenn sie das Internet in ihr Dienstleistungsspektrum nehmen?

Bekanntlich ist auch im Internet nicht alles Gold, was glänzt. Kann die Bibliothek den Aufwand (mindestens den Zeitaufwand) für den Benutzer reduzieren, indem sie ihn schnell, ohne Umwege, an die geeigneten Internet-Quellen heranführt? Muß die Bibliothek solche Qualitätssicherung, die sie bei ihren Literatur- und Informationsbeständen ganz selbstverständlich gewährleistet, nicht auch für die neuen Informationsquellen herbeiführen? Das heißt: Gliederung, Erläuterung und Bewertung der Online-Quellen durch die Bibliothek wären gefordert. Kann sie das überhaupt leisten?

Angesichts solcher Überlegungen wurde die ekz in den letzten Monaten von Bibliothekarinnen und Bibliothekaren aus kleinen und großen Bibliotheken und aus Fachstellen wiederholt aufgefordert, für den Internet-Bereich zu leisten, was für den Buch- und AV-Medien-Sektor eine Selbstverständlichkeit ist: Lektorierung. Aber ... würde sie sich damit nicht ganz erheblich übernehmen?

Fragen über Fragen. Sie führten zu den beiden ekz-Veranstaltungen Mitte Juli 1997.

Brigitte Rüdiger (Deutsches Bibliotheksinstitut, Berlin) stellte am 15. Juli derzeitige Hilfsmittel zur Erschließung des Internets dar. Dabei vergaß sie nicht die Suchmaschinen und die kommerziellen Dienste, schenkte aber vor allem bibliothekarischen Diensten Aufmerksamkeit. Als ganz besonders erhellend wurde der Blick ins Ausland empfunden. Aus kleinen Anfängen in einzelnen Bibliotheken haben sich dort vereinzelte, auch kommerziell erfolgreiche Dienste entwickelt - wie ARGUS in USA.

Frank Daniel (Stadtbibliothek Köln) vertrat die These "Ein Lektoratsdienst fürs Internet ist sinnlos!" Die Netzgröße läßt jedes Unternehmen dieser Art scheitern. Die ungeheure Dynamik des Netzes läßt eine Auswahl rapide veralten. Wie bald kann sich beispielsweise eine Internet-Adresse ändern. Und was ist mit Informationsquellen, die nicht gepflegt werden? Darüber hinaus folgt der Lektorierungs-Ansatz einem Besitz- und Bestands-Denken, während es beim Internet doch nur um die Herstellung des Zugangs geht. Schließlich gibt es auch effektive Suchmaschinen, nichtbibliothekarische Dienste und das Bremer BINE-Projekt. Statt sich aufs Auswählen zu kaprizieren, sollten die Bibliotheken sich um Internet-Schulungen kümmern.

Cornelia Vonhof (Stadtbibliothek Göppingen) hingegen plädierte für: "Vielleicht kein Lektoratsdienst, aber ... ein vergleichbares Etwas." Bibliotheken müssen - orientiert an ihren Zielen und ihren Zielgruppen - den Bürgern für die Internet-Recherche ein "Sprungbrett" bieten, ein Sprungbrett, das zum Erfolg führt. Dieses Sprungbrett kann nicht jede Bibliothek für sich schaffen, das wäre viel zu aufwendig. Nicht jede Bibliothek kann sich den "Internet-Bibliothekar" leisten. Kooperation der Bibliotheken auch bei der Internet-Sichtung sei dringend erforderlich. Erwünscht seien "Grundbestands-Links" für die Bibliotheken, die gerade mit dem Internet-Angebot beginnen, aber auch eine Ergänzung durch spezielle Angebote. Es solle dafür doch die fachliche Kompetenz der Lektoratskooperation genutzt werden.

Spontan stellte Prof. Dr. Horst Heidtmann ein Projekt an der Hochschule für Bibliotheks- und Informationswesen, Stuttgart, vor: "Multikids". Hier wird eine Web-Site-Empfehlungsliste für Kinder und Jugendliche erarbeitet. Die Liste liegt im Internet unter der Adresse: http://machno.hbi-stuttgart.de/ifak/multikids/.

In der anschließenden Diskussion wollten die meisten dem von Cornelia Vonhof skizzierten Weg folgen - wenigstens im wesentlichen. Eine totale "Lektorierung" des Internets sei nicht leistbar und nicht nötig. Eine Auswahl von Internet-Quellen für die stark gefragten Sachgebiete sei zum Einstieg nötig, mehr nicht. Man würde ansonsten die Bibliotheksbenutzer vergrätzen; sie suchen vielleicht lange und finden nicht, was sie brauchen. Auch den Bibliothekaren selbst wäre ein solcher Auswahl-Dienst eine Hilfe.

Mit diesem Hintergrund startete am nächsten Morgen der Workshop. Und hier war es nicht anders: Die Gäste der ekz aus den Stadtbibliotheken Bremen, Göppingen, Köln, aus den Hamburger Öffentlichen Bücherhallen sowie aus dem DBI waren sich bald einig: Wir brauchen Hilfen für Bibliotheksbenutzer und Bibliothekare zur Strukturierung, Erschließung und Bewertung der Internet-Quellen! Die Aufgabe sollte von den Bibliotheken kooperativ gelöst werden. Die Kooperation zwischen Stuttgart und Ludwigsburg wird als äußerst nützlicher Ansatz verstanden. Perfektionismus solle nicht angestrebt werden, vielmehr solle schnell eine pragmatische Lösung entwickelt werden, die immer für rasche Weiterentwicklungen offen sein müsse.

Als erforderlich wird allerdings angesehen, daß möglichst schnell einheitliche Spielregeln für die Erfassung der Daten angewendet werden. Die entsprechende Erfassungsmaske aus dem Bremer BINE-Projekt fand Befürworter.

Für nötig wird auch angesehen, daß möglichst bald eine gemeinsame Datenbank für die Aufgabe bereitsteht. Und schließlich wird eine zentrale Stelle als nützlich für die Kooperation und Redaktion erachtet.

Aber wer soll das bezahlen? Und wer soll "die zentrale Stelle" sein? Diese Fragen standen schon sehr bald im Mittelpunkt der weiteren Überlegungen.

Der Deutsche Bibliotheksverband soll sehr schnell auf die gesamte Fragestellung hingewiesen werden. DBI und ekz wurden gebeten, ihre Möglichkeiten in die skizzierte Kooperation einzubringen. Von der Stadtbibliothek Bremen wird die Öffnung ihrer Datenbank für kooperierende Bibliotheken - mindestens in einer Übergangsphase - erhofft.

Der größte Wunsch: Das BINE-Projekt möge ein vom BMBF gefördertes Nachfolgeprojekt finden; in diesem Projekt sollen die Spielregeln der Kooperation entwickelt, soll der Verbund modellhaft installiert werden. Und schließlich soll die Zeit der beiden Projekte genutzt werden, um die Finanzierung der Infrastruktur zu sichern.

Die Veranstaltungen, die am 15. und 16. Juli 1997 zum Thema Internet stattgefunden haben, sind Teil des Projektes New Book Economy, an dem sich die ekz beteiligt; daher werden sie gefördert aus Mitteln der Gemeinschaftsinitiative ADAPT des Europarates.


Stand: 04.09.97
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