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Bibliotheksdienst Heft 12, 96

Arbeitsgemeinschaft für medizinisches Bibliothekswesen (AGMB):
Jahrestagung 1996 in Basel


Volker Johst

Vom 30. 9. - 2. 10. 1996 fand in Basel die von der Medizinbibliothek im Kantonsspital, einer Zweigbibliothek der Universitätsbibliothek Basel, ausgerichtete Jahrestagung 1996 der AGMB statt. In ihrer nunmehr 26jährigen Geschichte hatte die AGMB, die sich als eine Gemeinschaft zur Förderung des medizinischen Bibliotheks- und Informationswesens in den deutschsprachigen Ländern versteht, schon einmal in der Schweiz getagt: nämlich im April 1976 in Basel und in Bern. Was aber im Jahre 1976 noch ziemlich unproblematisch gewesen sein dürfte, erwies sich 1996 angesichts der akuten Finanznöte in Deutschland leider als recht schwierig: Zahlreiche Medizinbibliothekare und -bibliothekarinnen, die gern an der Tagung teilgenommen hätten, erhielten von ihren zuständigen Klinik- bzw. Finanzchefs mit der Begründung, es handle sich hierbei um eine Auslandsreise, nicht die Genehmigung hierzu. Mit 135 Teilnehmern (darunter 20 aus der Schweiz) war die Tagung dennoch gut besucht. Der Vorstand der AGMB hatte sich wiederum darum bemüht, ein vielseitiges Programm für die Tagungsteilnehmer zu gestalten: So wurden insgesamt 21 Vorträge von 6 Referentinnen und 16 Referenten gehalten; außerdem gab es Vorträge im Rahmen von Firmenrepräsentationen. 14 Aussteller (u. a. EBSCO International, Hans Huber AG, S. Karger AG, Lange & Springer, J. F. Lehmanns, NOVA IDEA, Ovid Technologies, SilverPlatter, Springer-Verlag, Swets & Zeitlinger) beteiligten sich an der sehr informativen Firmenausstellung, die seit einigen Jahren ein wichtiger und nicht mehr wegzudenkender Bestandteil der Jahrestagungen der AGMB ist.

Wie immer trafen sich am Nachmittag des ersten Veranstaltungstages (30. September) die 3 Arbeitskreise der AGMB. Vor dem Arbeitskreis der Krankenhausbibliotheken hielt Anna Maria Huesmann (Hannover) einen Vortrag über "Sparmaßnahmen, Leistungsdruck! Was nun? Strategien für Krankenhausbibliotheken als Antwort auf finanzielle Restriktionen und veränderte Kundenerwartungen", in dem sie hauptsächlich Grundsätze und Strategien des sog. "Lean managements" darstellte. Norbert Erichsen (Universität Göttingen) befaßte sich sodann mit dem Thema "Literatur - ein wichtiger Katalysator zur Weiterentwicklung in der Pflege". Er stellte fest, daß es im Krankenhausbereich einen erhöhten Bedarf an Pflegeliteratur gibt, ging auf die Gründe hierfür ein und zeigte an Beispielen aus den Universitätskliniken Göttingen, wie dem Pflegepersonal diese Literatur zugänglich gemacht werden kann. Turnusgemäß war auf diesem Treffen eine neue Sprecherin des Arbeitskreises Krankenhausbibliotheken für den Zeitraum 1996-1998 zu wählen. Da niemand hierfür kandidieren wollte, erklärte sich die bisherige Sprecherin, Inge Pawel (Stadtkrankenhaus Wolfsburg), dazu bereit, diese Funktion nochmals für 1 Jahr zu übernehmen. Sie wurde einstimmig in ihrer Funktion bestätigt. - Im Arbeitskreis der Pharmabibliotheken berichtete Dr. Reinhard Ecker (ABC Datenservice GmbH, Frankfurt am Main) über "Schnelle Dokumentlieferung mit FastDoc", einen Bereitstellungsdienst für Publikationen aus der chemischen Fachliteratur, dessen wichtigste Komponenten die elektronische Bestellung und die Dokumentlieferung per Fax sind. - Vor dem Arbeitskreis Medizinbibliotheken an Hochschulen referierte zunächst Dr. Volker Johst (Zentralbibliothek der Charité, Berlin) über Möglichkeiten und Probleme der "Fremddatennutzung bei der verbalen Sacherschließung mittels der Schlagwörter des MEDLINE-Thesaurus". Diese erfolgt in der Zentralbibliothek der Charité u. a. durch die regelmäßige Online-Abfrage der Katalogdatenbanken MEDIKAT der Deutschen Zentralbibliothek für Medizin und CATLINE der National Library of Medicine; ihr Anteil liegt bei durchschnittlich 45%, d. h. ca. 55% aller neuerworbenen Bücher müssen hier doch noch selbst indexiert werden, was hauptsächlich auf den schnellen Geschäftsgang in dieser Bibliothek zurückzuführen ist. Danach informierte Dr. Ulf Paepcke (Medizinische Bibliothek des Universitätsklinikums "Benjamin Franklin", Berlin) über "Stand und Probleme des Internen Leihverkehrs (ILV) medizinischer Hochschulbibliotheken", an dem seit Januar 1996 immerhin schon 12 Hochschulbibliotheken teilnehmen und dessen Volumen stetig gewachsen ist: So haben die beteiligten Bibliotheken einander im ILV vom Januar - Juli 1996 insgesamt 16.298 Bestellungen per Fax übermittelt. Mit "Methoden der Bestandsevaluierung: Auswertung der passiven Fernleihe" befaßte sich sodann Dr. Hansjörg Kowark (Universitätsbibliothek Freiburg). Zwar läßt sich die Auswertung der passiven Fernleihe mit relativ einfachen Mitteln sowohl für die Monographien wie auch die Zeitschriften organisieren, doch müssen gerade die Fernleihbestellungen von Zeitschriften sehr sorgfältig analysiert werden, weil von einer Häufung bei bestimmten Titeln nicht unbedingt auf eine generelle Unterversorgung geschlossen werden kann. Abschließend gab Dr. Oliver Obst (Universitäts- und Landesbibliothek Münster) Hinweise zur "Evaluierung von Internet-Quellen", wobei er besonders auf einige bereits vorliegende Beispiele zur Internet-Katalogisierung und -Indexierung einging.

Die eigentliche Jahrestagung wurde am 1. Oktober durch den Vorsitzenden der AGMB, Peter Stadler (Zentralbibliothek der Boehringer Mannheim GmbH) eröffnet. Danach begrüßten der Direktor der Universitätsbibliothek Basel, Hannes Hug, und der Leiter des Departements für Innere Medizin des Kantonsspitals Basel, Prof. Dr. Niklaus Gier, die Tagungsteilnehmer. Als verantwortlicher Veranstalter stellte sodann Dr. Peter Wolff (Medizinbibliothek Basel) "Die Medizinbibliothek Basel und das medizinische Bibliothekswesen der Schweiz" vor, wobei er auf sehr humoristische Weise auch einige Probleme beschrieb, die auf die sprachliche und kulturelle Vielfalt in der Schweiz zurückzuführen sind. Anschließend befaßte sich Beatrice Mettraux (Verband der Bibliotheken und BibliothekarInnen der Schweiz) mit dem Thema "Fernleihe und Dokumentlieferung in der Schweiz". Sie ging hierbei u. a. auf die 50jährige Nachweisarbeit des Schweizerischen Gesamtkataloges ein und stellte dar, wie gegenwärtig in der Schweiz die konventionelle Fernleihe und Dokumentenlieferung auf der Grundlage des Projektes "ILL électronique" durch ein elektronisches Bestell- und Verrechnungssystem abgelöst wird. Zu einem der ersten Höhepunkte der Tagung wurde sodann der sehr informative und wohl die meisten Zuhörer recht nachdenklich stimmende Vortrag von Steven Karger (S. Karger AG, Basel). Der Urenkel des Verlagsgründers Siegbert Samuel Karger schilderte, wie sein Urgroßvater den Verlag in Berlin seit 1890 zu einem der führenden deutschen Medizinverlage ausbaute und wie sein Großvater Heinz Karger diesen im Jahre 1937 im letzten Augenblick vor dem Zugriff der Nationalsozialisten retten und nach Basel verlagern konnte. Er ging ferner ausführlich auf die seit diesem Zeitpunkt auch im Karger-Verlag erfolgende Ablösung des Deutschen als Wissenschaftssprache durch das Englische und auf das künftige elektronische Publizieren ein. Eher etwas trocken geriet dagegen der folgende Vortrag von Sascha Höning (Bibliographisches Institut & F.A. Brockhaus AG, Mannheim) über "Elektronisches Publizieren mit SGML im Lexikonverlag". Bei SGML (= Standard Generalized Markup Language) handelt es sich um eine ISO-Norm für die softwareunabhängige Verarbeitung und Archivierung von Texten im Verlagsmetier, deren Anwendungsweise und Nutzen im Brockhaus-Verlag der Referent erläuterte.

In der Nachmittagsveranstaltung berichteten zunächst Lisa Denz (Bibliothek der Dr. Karl Thomae GmbH, Biberach) und Ursel Lux (Zentralbibliothek der Boehringer Ingelheim KG) über "Das elektronische Verwaltungs- und Informationssystem Bibliotheken (VIB)", das in den beiden Pharmabibliotheken seit 1990 konzipiert und schrittweise realisiert wurde und hauptsächlich als Verwaltungssystem für den Zeitschrifteneingang, die Umläufe, das Mahn- und Rechnungswesen, die Buchbinderaufträge und die elektronische Bearbeitung von Literaturanforderungen dient. Daß und wie es möglich ist, die beliebten Zeitschriftenumläufe in einer wissenschaftlichen Einrichtung gänzlich abzuschaffen, alle Zeitschriftenhefte in der Bibliothek präsent zu halten und dennoch die Wissenschaftler schnell und aktuell über deren Inhalte zu informieren, beschrieb Dr. Marianne Gretz (Zentralbibliothek der Boehringer Mannheim GmbH) in ihrem Vortrag "Vom Zeitschriftenumlauf zum elektronischen Inhaltsverzeichnis: MB-SwetScan im Netz". Ihre Bibliothek stellt den ca. 240 betriebsinternen Interessenten die Inhaltsverzeichnisse von ungefähr 330 Zeitschriften, deren Rohdaten von SwetScan geliefert werden, über das elektronische Postsystem zur Verfügung: Jeder Kunde erhält die von ihm ausgewählten Inhaltsverzeichnisse direkt in sein elektronisches Postfach. Auch der folgende Vortrag von Dr. Annette Eckes (Universitätsbibliothek Heidelberg) zum Thema "Heidelberger Electronic Document Delivery" zeigte Möglichkeiten auf, wie man das Internet mit seinen Komponenten E-mail und World Wide Web für die elektronische Bestellung und Bereitstellung von Dokumenten innerhalb einer Institution nutzen und einen vollautomatisierten Lieferdienst für Zeitschriften aus dem eigenen Bestand aufbauen kann. Gegenwärtig können in der Universitätsbibliothek Heidelberg Artikel aus rund 3.500 medizinisch-naturwissenschaftlichen Zeitschriften elektronisch bestellt werden; die gewünschten Aufsätze werden mit einem Hochleistungsscanner kopiert und innerhalb von 24 Stunden als Datei über WWW-Browser oder per E-mail zur Verfügung gestellt. Zu einem weiteren Höhepunkt der Tagung wurde das Referat von Prof. Günter Beyersdorff (Deutsches Bibliotheksinstitut, Berlin) über "25 Jahre Zeitschriftendatenbank", in dem dieser ausführlich auf die Geschichte, die Probleme und die Perspektive dieses einzigen nationalen Online-Katalogisierungs- und Nachweissystems einging, das ständig an Bedeutung gewonnen hat und mit 580.000 Titeln und 3,9 Millionen Bestandsnachweisen zur weltweit größten Datenbank ihrer Art wurde. Daß der Direktor des Deutschen Bibliotheksinstitutes mit seinen Ausführungen ungeteilte Zustimmung fand, lag sicher nicht nur an der souveränen und lebendigen Art seines Vortrages, sondern auch daran, daß die Zeitschriftendatenbank (ZDB) in ihren verschiedenen Versionen (Mikrofiches, CD-ROM, Online-GRiPS) eines der wichtigsten und meistgebrauchten Arbeitsinstrumente im medizinischen Bibliothekswesen überhaupt ist.

Am Vormittag des 2. Oktober referierte zunächst Ulrich Korwitz (Deutsche Zentralbibliothek für Medizin, Köln) über "Elektronische Zeitschriften und die medizinische Literaturversorgung der Zukunft". Er gab einen Überblick über neue und zumeist auf die Darbietung ganzer Zeitschriftenbestände zielende Angebote von Verlagen und Agenturen im WWW, die freilich bezüglich der Angebotsformen (Volltext, Inhaltsverzeichnisse und Abstracts, nur Inhaltsverzeichnisse) und der Nutzungsbedingungen (kostenlose versus gebührenpflichtige Nutzung) noch stark variieren. "Wir haben eine Homepage! Die AGMB präsentiert sich im World Wide Web" hieß der anschließende Vortrag von Dr. Oliver Obst (Universitäts- und Landesbibliothek Münster), in dem dieser die von ihm initiierte und gestaltete Präsentationsseite der AGMB im WWW mit ihren verschiedenen "Links" ausführlich beschrieb (URL: http://medsun08.uni-muenster.de/agmb/). Dr. Volker Johst (Zentralbibliothek der Charité, Berlin) berichtete sodann über "5 Jahre Informationsvermittlung in der Zentralbibliothek der Charité" und stellte einige wichtige Ergebnisse und Probleme der hier überhaupt erst seit 1991 stattfindenden Vermittlungstätigkeit in den Bereichen Expertenrecherchen, Endnutzerrecherchen und Nutzerschulung dar. Den traditionellen Bericht des Deutschen Institutes für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) erstattete in diesem Jahre wieder Dr. Werner Stöber, der dabei besonders auf die neuen gesetzlichen Aufgaben des DIMDI (z. B. im Rahmen des Gesundheitsstruktur- und des Medizinproduktegesetzes) einging und u. a. die hierfür neu bereitgestellten bzw. in Vorbereitung befindlichen Datenbanken vorstellte. Den Bericht der Deutschen Zentralbibliothek für Medizin (ZBMED) gab letztmalig deren bisheriger und langjähriger Direktor, Dr. Franz Josef Kühnen. Zu den Positiva seines Berichtes zählten vor allem 2 Umstände: Zum einen hat sich die Personalsituation in der ZBMED im laufenden Jahr nach der Einstellung von 6 befristet Beschäftigten im Benutzungsbereich erheblich entspannt (so daß die Lieferzeiten in der Fernleihe und im Direktversand wieder erfreulich kurz sind), zum anderen wurde im März 1996 mit dem Neubau der Bibliothek begonnen, der bereits im August 1997 fertiggestellt sein soll. Außerhalb des offiziellen Tagungsprogrammes würdigte danach Klaus Gerber (Bibliothek des Robert-Koch-Institutes, Berlin) in einer kurzen Ansprache die Leistungen von Herrn Dr. Kühnen, der am 1. 10. 1996 in den Ruhestand getreten ist und sich nicht nur um die ZBMED, sondern namentlich auch um die AGMB große Verdienste erworben hat: Er gehörte 1970 zu ihren Mitbegründern, war von 1970 - 1974 und von 1978 - 1982 ihr Vorsitzender, hat ihre Aktivitäten immer wieder entscheidend gefördert und ihr wichtige fachliche Impulse vermittelt. Mit dieser alle Teilnehmer sehr bewegenden Verabschiedung von Herrn Dr. Kühnen ging eine Tagung zu Ende, die wiederum sehr informativ und anregend war und dank der hervorragenden Organisation durch das Team der Medizinbibliothek Basel auch vielfältige Gelegenheiten zum individuellen Erfahrungsaustausch und zu persönlichen Kontakten bot. Höhepunkt des gesellschaftlichen Teils der Tagung war am Abend des 1. Oktober ein gemeinsames Abendessen im Restaurant Mägd, in dessen Verlauf als eine besondere Überraschung ein Basler "Fasnachts"-Verein in seinen phantastischen Masken und mit Trommeln und Querpfeifen auftrat.

Wie in jedem Jahr trafen sich ferner alle Mitglieder der AGMB am Abend des zweiten Veranstaltungstages zu einer gesonderten Mitgliederversammlung, auf der der Vorsitzende, Peter Stadler, den Rechenschaftsbericht des Vorstandes über die im zurückliegenden Jahr geleistete Arbeit gab. Satzungsgemäß wurde zugleich ein neuer Vorstand für die Amtszeit 1996 - 1998 gewählt, der sich wie folgt zusammensetzt:

Die nächste Jahrestagung der AGMB wird vom 6. 10. - 8. 10. 1997 in der Universitätsbibliothek Mainz stattfinden.


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