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Deutsches Bibliotheksinstitut
Bundesvereinigung Deutscher Bibliotheksverbände (BDB e.V.)


Elektronische Information und Urheberrecht

In den vergangenen Jahren hat das über Jahrzehnte bewährte Urheberrecht eine Reihe von Änderungen erfahren, die aufgrund der technischen Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnik und der Harmonisierung der Rechtsgrundlage in den Ländern der Europäischen Union notwendig geworden sind.

Von diesen Gesetzesänderungen waren die Bibliotheken als die traditionellen Bewahrer und Vermittler von Medien und Information betroffen; der Gesetzgeber hat jedoch im Verlaufe der Beratungen und Anhörungen die Argumente der Bibliotheken berücksichtigt, so daß sie ihren gesellschafts- und kulturpolitischen Auftrag weiterhin wahrnehmen können. Diesen Auftrag erkennen die Bibliotheken nicht nur für den Bereich der gedruckten, audiovisuellen und physischen elektronischen Medien, sondern auch in besonderem Maße im Hinblick auf die sich entwickelnde Informationsgesellschaft für den Bereich der digitalen Online-Information.

Allerdings besteht aus Sicht der Bibliotheken derzeit die Gefahr, daß unter dem Druck der einseitig wirtschaftlich ausgerichteten Harmonisierungsvorhaben innerhalb der EU genau an dieser Stelle das legitime Interesse und Recht der Öffentlichkeit auf Informationsfreiheit in den Hintergrund gedrängt wird: Der EU-Richtlinien-Vorschlag zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte vom Dezember 1997 sieht zu viele Restriktionen für die Nutzung digitaler Informationen durch den Einzelnen vor, so daß die Bibliotheken ihrem Informationsauftrag nicht mehr gerecht werden könnten.

Wir betrachten es als eine politische Entscheidung von großer Tragweite, daß die Bibliotheken im Sinne und zum Nutzen der Allgemeinheit auch und gerade in der Informationsgesellschaft ihre zentralen Aufgaben der Sammlung, Bewahrung und Vermittlung von Wissen und Information ungehindert erfüllen können unter Wahrung einer Balance zwischen den Interessen der Urheber, der Verleger bzw. Produzenten und der Allgemeinheit.

Folgende Leitsätze werden aus Sicht der Bibliotheken für wesentlich gehalten:

  1. Geistiges Eigentum, d.h. persönliche schöpferische Leistung, muß geschützt werden - im konventionellen wie im digitalen Umfeld. Die Stellung der Urheber gegenüber den Verwertern ihrer Werke bedarf eher der Stärkung. Auch darf es im digitalen Zeitalter kein Primat der kommerziellen Auswertung gegenüber dem legitimen Interesse der Allgemeinheit geben.

  2. Wie jedes Eigentum unterliegt auch das geistige Eigentum gewissen Schranken im Rahmen der Sozialpflichtigkeit. Ein der Öffentlichkeit - auf welche Weise immer - zugänglich gemachtes Werk ist durch seine Veröffentlichung Teil der Gesellschaft geworden - wie das Bundesverfassungsgericht formuliert hat. Es sollte ihr zur ungehinderten Nutzung zur Verfügung stehen.

  3. In der sich entwickelnden Informationsgesellschaft gewinnt der freie und chancengleiche Zugang zu Information besondere Bedeutung, um das Auseinanderfallen der Gesellschaft in Informationsreiche und Informationsarme zu vermeiden, nicht zuletzt aber auch, um die geistigen Fähigkeiten der Bevölkerung voll zu entwickeln. Dem sollte mit einem kultur- und gesellschaftspolitischen Konsens Rechnung getragen werden.

  4. Die Bibliotheken als Bestandteil des demokratischen Informationssystems und als Infrastruktureinrichtungen für Bildung, Wissenschaft und Forschung haben seit jeher und künftig die Funktion, Wissen und Information zu sammeln, zu bewahren, zu erschließen und zu vermitteln. Elektronische Informationen stellen dabei keine grundlegend neue Qualität dar, sondern eine Fortsetzung und Intensivierung des traditionellen Auftrages der Gesellschaft an die Bibliotheken.

  5. Die Bibliotheken arbeiten im Interesse der Allgemeinheit. Dabei nehmen sie eine wichtige Mittlerrolle zwischen den Urhebern bzw. den Produzenten ihrer Werke und den Nutzern wahr. Beide Seiten verfolgen unterschiedlich akzentuierte Interessen, die in ein Gleichgewicht gebracht werden müssen. Das fordern die Revidierte Berner Übereinkunft und in ihrer Folge der WIPO-Copyright-Vertrag; die EU-Richtlinie gefährdet diese Balance der Interessen.

  6. Dieses Gleichgewicht ist nur zu erreichen durch bestimmte sozialstaatlich und demokratisch legitimierte Ausnahmeregelungen vom ausschließlichen Recht der Urheber bzw. Produzenten zugunsten der privaten Nutzung auch digitaler Informationen durch die einzelnen Mitglieder der Informationsgesellschaft - die "Informationsbürger". Wie im Protokoll zum Urheberrechts-Vertrag der WIPO vorgesehen, können derartige Ausnahmen, die es für die gedruckten Werke gibt, auch bei digitaler Veröffentlichung erhalten bleiben und erweitert werden.

  7. Die Nutzung geistigen Eigentums in Bibliotheken bedeutet keineswegs den Verzicht der Urheber auf materielle Vergütung. Der Kauf durch Bibliotheken stellt einen entscheidenden Beitrag zum stabilen Absatz hochwertiger Werke aller Art dar. Für die Ausleihe gedruckter und audiovisueller Materialien aus Bibliotheken partizipieren die Urheber an der Bibliothekstantieme, das Kopieren zu privatem Gebrauch aus solchen Quellen wird über Bibliotheken mit der Kopierabgabe vergütet. Eine vergleichbare Lösung ist auch für die private Nutzung digitaler Informationen sinnvoll und notwendig. Diese "fair practice" ist keine Infragestellung der Interessen der Urheber.

  8. Bibliotheken bieten ihre Bücher und anderen Medien, für die sie den Kaufpreis entrichtet haben, seit jeher zur allgemeinen Nutzung an; dementsprechend sind sie natürlich bereit, für die digitalen Informationen zu zahlen. In den jetzt üblichen Lizenzverträgen allerdings wird ihnen, anders als beim Kauf, in der Regel nicht das Eigentum an diesen Informationen übertragen, sondern nur bestimmte, eng begrenzte Nutzungsrechte eingeräumt. Ohne klare rechtliche Regelungen sind die Bibliotheken in einer schwachen Position.

  9. Die rechtliche Basis für den rechtmäßigen Gebrauch der Bibliotheksbestände ist im Urheberrecht festgelegt. Das nationale Urheberrecht umfaßt auch bisher Ausnahmen vom ausschließlichen Verwertungsrecht für bestimmte Nutzungen, insbesondere für den nicht-kommerziellen privaten Gebrauch, für Unterrrichtszwecke oder Wissenschaft. Für diese Zwecke können bei gleichzeitiger Vergütungspflicht in Bibliotheken von bzw. für Benutzer(n) Kopien angefertigt werden, ohne die Erlaubnis des Urhebers einzuholen. Diese geltenden Ausnahmen vom ausschließlichen Verwertungsrecht der Urheber bei gleichzeitiger Vergütungspflicht sollten von der Papierwelt in die digitale Welt übertragen werden, um die Balance zwischen den Rechtsinhabern und dem Recht der Allgemeinheit auf Zugang zu Informationen zu erhalten.

  10. Entsprechend muß die Nutzung digitaler Informationen, für deren Verfügbarkeit durch Kauf oder im Rahmen einer Lizenz von Bibliotheken bezahlt wurde, ohne zusätzliche Vergütung gewährleistet sein; dazu gehört auch die Ausnahmeregelung, eine Kopie im Rahmen wissenschaftlicher Arbeit oder zu nicht-kommerziellen rein privaten Zwecken in Bibliotheken herstellen oder herstellen lassen zu können. Der EU-Richtlinien-Vorschlag sieht demgegenüber entscheidend eingeschränkte Ausnahmebestimmungen für die Nutzung digitaler Medien vor.

  11. Eine besondere Gefahr für den Informationszugang der Allgemeinheit ist in den vorgesehenen Regelungen der "öffentlichen Zugänglichmachung" (communication to the public) zu sehen. Zugang zu elektronischer Information ist ohne das Sichtbarmachen auf dem Bildschirm praktisch nicht möglich. Dieses Sichtbarmachen als "öffentliche Wiedergabe" zu definieren, auch wenn es im klar eingeschränkten Rahmen der eingetragenen Benutzerschaft einer Bibliothek erfolgt, und damit dem Rechtsinhaber ein ausschließliches Recht auf "communication" ohne entscheidende Ausnahmeregelungen für Bibliotheken zu einzuräumen, bedeutet eine massive Verschlechterung der Stellung der Bibliotheken bei der Bereitsstellung der Literatur. Denn bisher konnte jeder Benutzer selbstverständlich ein von der Bibliothek erworbenes Werk lesen; jetzt unterliegt das bloße Aufrufen auf den Bildschirm zusätzlicher Kontrolle durch den Rechtsinhaber, dessen Position damit einseitig gestärkt wird.

  12. Durch das bisherige Urheberrecht und die darin verankerten Aunahmeregelungen war es den Bibliotheken trotz großer finanzieller Restriktionen möglich, die Information für Forschung und Lehre sowie für weite Kreise der Bevölkerung zu sichern. Durch die Bereitstellung von Literatur vor Ort, die Fernleihe oder die Kopie zum persönlichen Gebrauch im Auftrag des Nutzers konnte im Bedarfsfall auch Literatur, die nur in anderen Bibliotheken vorhanden war, bereitgestellt werden. Das massive Beschneiden der Bereitstellungs- und Kopiermöglichkeiten, wie es in dem Entwurf der Harmonisierungs-Richtlinie - weit über die entsprechenden Regelungen des WIPO-Urheberrechtsvertrags hinausgehend - vorgesehen ist, bedeutet demgegenüber eine akute Gefährdung der allgemeinen Informationsversorgung. Daraus folgt eine Schwächung von Wissenschaft, Forschung und Lehre, eine Reduzierung der Leistungsfähigkeit des Bürgers und ein Senkung des Bildungsniveaus. Dem ist entschieden entgegenzutreten. Statt dessen sollten die positiven Möglichkeiten der Informationstechnologie zugunsten von Bildung, Studium und Information voll genutzt werden. Es gilt, das einsetzende Informationszeitalter zu fördern, nicht es im Keim zu ersticken.


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