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Formulierungshilfen zum
Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft

KOM(97)628

Vorgelegt von der Rechtskommission des Deutschen Bibliotheksinstituts

Einleitung

Die folgenden Formulierungshilfen befinden sich ausnahmslos in Übereinstimmung mit den Ausnahmegrundsätzen der Revidierten Berner Übereinkunft, insbesondere mit Art. 9, sowie mit den international anerkannten Prinzipien der WIPO. Dabei kommt dem neu zu definierenden Interessenausgleich zwischen Produzenten und Nutzern im digitalen Umfeld ein besonderer Stellenwert zu. Ziel muß es sein, alle Maßnahmen auszuschließen, die eine ungehinderte innovative wirtschaftliche Entwicklung in der Informationsgesellschaft - so auch den Zugang zu Information durch den Bürger - unangemessen behindern. Der Richtlinienvorschlag sollte unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen und zugleich kulturellen und sozialen Aspekte insofern revidiert werden, als die Schranken des geistigen Eigentums einheitlich für die europäischen Länder festgelegt werden sollten mit dem Ziel, freien Zugang zu Information und ihre nichtkommerzielle Nutzung einschließlich Vervielfältigung zu privaten Zwecken sowie für Bildung und Wissenschaft zu ermöglichen.

Das Sichtbarmachen, d.h. der Zugang zu Information und Bildung ist eine Grundvoraussetzung. Nutzungshandlungen, wie das Kopierrecht zum privaten und sonstigen eigenen Gebrauch, sind als Ausnahmetatbestände zu regeln. Dabei sind klare Definitionen, z.B. von unwesentlichen und wesentlichen Teilen zu unterschiedlichen Konditionen zu sanktionieren. Das deutsche Urheberrecht hat dabei in seinem § 53 UrhG für Print- u.a. Medien bislang sehr differenziert Stellung bezogen. Hier sollte der Ansatz für eine harmonisierte Regelung im digitalen Umfeld i.V.m. Elementen des anglo-amerikanischen "fair use" im Allgemeininteresse ansetzen.

1) Erwägungsgrundsatz 21

Derzeitiger Text:

Änderungsvorschlag: Begründung:

Die Diplomatische Konferenz der WIPO hat im Jahre 1996 durch Änderung der Präambel zum Urheberrechtsvertrag eindeutig die herausragende Stellung bestimmter unentbehrlicher Werte der Gesellschaft wiedergegeben. Die neuen Probleme der Rechte auf geistiges Eigentum im digitalen Umfeld sind nicht allein eine Frage der Industrie, sondern auch der mit ihr verbundenen Gesellschaft. Es ist dringend erforderlich, dieses Gleichgewicht wiederherzustellen.

2) Art. 1

Derzeitiger Text:

Änderungsvorschlag: Begründung:

Der Begriff "Informationsgesellschaft", wie er im Richtlinien-Vorschlag gebraucht wird, ist zu unpräzis und könnte zu Interpretationen führen, die alle Arten von Medien umfassen. Um den Anwendungsbereich der Richtlinie in Übereinstimmung mit der früheren Dokumentation der Europäischen Kommission ("Grünbuch...") zu berücksichtigen, will der Richtlinien-Vorschlag die Ausnahmen und Beschränkungen nur im digitalen Umfeld harmonisieren. Es ist erforderlich, den Anwendungsbereich der Richtlinie genau zu beschreiben, um ungleiche Interpretationen zu vermeiden.

3) Art. 5.2:

Derzeitiger Text:

Änderungsvorschlag: Begründung:

Der Richtlinien-Vorschlag behandelt die genannten Ausnahmen als reine Optionen, die den Mitgliedstaaten freigestellt sind ( Erwägungsgrundsatz 24). Für zahlreiche dieser Ausnahmen wird es nicht nur völlige Desharmonisierung geben, sondern es fehlt darüber hinaus auch jede Garantie, daß bei der Umsetzung ein gerechtes Gleichgewicht zwischen den Urheberrechten und den gesellschaftlichen Interessen bewahrt wird. Die folgenden Änderungsvorschläge sollen sicherstellen, daß das Gleichgewicht zwischen den Rechten der Urheber und den Interessen der breiten Öffentlichkeit beachtet wird, wie es im WCT vorgesehen ist.

4) Art. 5.2.c:

Derzeitiger Text:

Änderungsvorschlag: Begründung:

Die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages "Zukunft der Medien in Wirtschaft und Gesellschaft - Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft" verweist in ihrem Zweiten Zwischenbericht vom 23. Juni 1997 auf "das Interesse der Allgemeinheit an der möglichst einfachen, schnellen und preiswerten Verbreitung von Wissen und Information", und sie fordert: "Namentlich die Nutzung von öffentlichen Bibliotheken ... sollte nicht behindert werden". Dabei hebt sie die Rolle der Bibliotheken als Vermittler von Medienkompetenz explizit hervor. Art. 5.2.c eröffnet den Mitgliedsstaaten, dieser Forderung durch ihre nichtkommerziell, öffentlich zugänglichen Bibliotheken zu entsprechen. Dabei sollten insbesondere vier Ausnahmetatbestände Regelung finden:

1. die Vervielfältigung zum privaten und sonstigen eigenen Gebrauch aus elektroni- schen Medien auf Papier

2. die Vervielfältigung unwesentlicher Teile zum privaten Gebrauch aus elektronsichen Medien in elektronischer Form

3. die Vervielfältigung wesentlicher Teile zum wissenschaftlichen Gebrauch aus elektronischen Medien in elektronsicher Form

4. die Vervielfältigung elektronischer Medien durch Bibliotheken und Archive zur Aufnahme in ein eigenes Archiv, soweit die Vervielfältigung zu diesem Zweck geboten ist und als Vorlage ein eigenes Werkstück benutzt wird.

Zu einer fairen und angemessenen Ausnahmeregelung gehört in der Folge die Festlegung, daß die unter Pkt 1 - 4 verfügten Vervielfältigungshandlungen nicht zu kommerziellen Zwecken genutzt werden dürfen sowie nicht der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

Die Richtlinie sollte als Ausnahme vorsehen, daß die Vervielfältigungen für und durch Nutzer in oder von Bibliotheken und ähnlichen Einrichtungen zum (rein) privaten Gebrauch und ohne kommerziellen Nutzen, die dem "Drei-Stufen-Test" gemäß Art. 9.2. der Berner Übereinkunft und Art. 5 Abs. 4. des Richtlinien-Vorschlags unterliegen, zustimmungsfrei gewährleistet wird. Der Erwägungsgrundsatz 26 sollte diese Änderung aufnehmen. Sie wäre weniger restriktiv, weil alle Typen von Bibliotheken und Archiven öffentlicher Trägerschaft eingeschlossen wären, die dem Bedarf der breiten Öffentlichkeit dienen. Für die Gewährung dieses Ausnahmetatbestandes haben sich auch der Börsenverein des Deutschen Buchhandels, die Verwertungsgesellschaften (VG Wort und Bild-Kunst), der Deutsche Hochschulverband sowie der Deutsche Schriftstellerverband in der IG Medien in ihrer gemeinsamen Stellungnahme vom 26. Mai 1997 gegenüber dem Bundesminister der Justiz ausdrücklich ausgesprochen.

Als weitere Ausnahme ist die ausdrückliche Nennung der Bestandssicherung und Archivierung auf Gemeinschaftsebene notwendig, um diese grundlegende Maßnahme für den Informationszugang durch die Öffentlichkeit und die Bewahrung des kulturellen Erbes sicherzustellen ( Erwägungsgrundsatz 28). Zu diesem Erfordernis wird sich der Deutsche Kulturrat in seiner Stellungnahme zur EU-Richtlinie positiv äußern.

Gleichzeitig sollte ein Vergütungssystem für digitale Dokumente einerseits und für Geräte, wie PC, Festplatte und Diskette (analog dem deutschen § 54 f UrhG) vorgesehen werden.

Der vorgeschlagene Terminus "gewerblicher Zweck" entspricht der bereits angewandten Formulierung bei der Umsetzung von EU-Richtlinien (vgl. §§ 27, 53 (5), 87c UrhG) und sollte deshalb durchgängig zur Erlangung einer Rechtssicherheit verwandt werden.

5) (neu) Art. 5.2.d:

Vorschlag für einen neuen Abschnitt:

Begründung:

Der Richtlinien-Vorschlag gestattet es den Mitgliedstaaten nicht, in ihrer nationalen Gesetzgebung Ausnahmen für Bibliotheken vorzusehen, die im Richtlinien-Vorschlag nicht vorgesehen sind ( Erwägungsgrundsatz 22). In der Datenbank-Richtlinie von 1996 (Art. 6 Abs. 2 d) ist es den Mitgliedstaaten gestattet, Ausnahmen, die traditionell im nationalen Urheberrechtsgesetz Berücksichtigung finden, bei der Umsetzung der Richtlinie beizubehalten, sofern sie sich in Übereinstimmung mit der Richtlinie und dem "Drei-Stufen-Test" des Art. 9 der RBÜ befinden.

In Anlehnung an Art 10 WIPO-WCP sollte diese Option auch Eingang in den vorliegenden Richtlinien-Text finden.

6) Kommentar zu Art. 5.3

Im 1. Kapitel des Kommentars werden unter Ziff. 3 lediglich Hinweise auf die unharmonischen Ausnahmetatbestandsregelungen in den einzelnen nationalen Gesetzgebungen aufgezählt, die weder dem Dienstleistungscharakter der öffentlich zugänglichen Informationseinrichtungen wie Bibliotheken wiedergeben noch ihre Tätigkeit im Sinne der Allgemeinheit verdeutlichen. Hier wäre eine eindeutige Positionierung der EU-Kommission zu einheitlichen Ausnahmetatbeständen im Allgemeininteresse wünschenswert.

Im 2. Teil der Begründung zum Richtlinien-Vorschlag (Kommentar zu Art. 5, Abs. 7) heißt es, das "Sichtbarmachen auf dem Bildschirm" sei Teil der "öffentlichen Wiedergabe".

Das "Sichtbarmachen auf dem Bildschirm" ist im digitalen Umfeld vergleichbar mit dem Betrachten eines Buches durch einen Bibliotheksbenutzer in der Bibliothek; dafür braucht er nicht die Erlaubnis durch den Urheber, weil die Überlassung schon durch gesetzliche Erlaubnis vorgenommen wird. Unter diesem Gesichtspunkt enthält der Kommentar zur Begründung unter Art. 5 eine irrige Interpretation des Vorgangs der Sichtbarmachung. Wenn es schon für nötig gehalten wird, hier einen neuen Sachverhalt einzuführen, muß er begleitet werden von konkret benannten, der Fortentwicklung der Informationsgesellschaft entsprechenden Ausnahmen für private, Bildungs- und Forschungszwecke sowie für anderen sonstigen eigenen Gebrauch, soweit sich diese im Einklang mit dem "Drei-Stufen-Test" befinden. Das Sichtbarmachen von Information kann nicht allein auf dem Lizenzweg geregelt werden, ohne den Zugang zu Information gravierend für die Allgemeinheit zu beeinträchtigen.

Zweifelsfrei ist die generelle Nutzungsüberlassung, soweit der Rechtsinhaber dies vorsieht, mittels Lizenzvertrag zu regeln. Dies entspricht der bisherigen Erwerbungspraxis des Kaufs von Printmedien durch Bibliotheken. Das wiederholte Sichtbarmachen, kann nicht durch stets erneut notwendige Zustimmungshandlungen sanktioniert werden. Die Bürger sollten elektronische Materialien in ihren Bibliotheken, Archiven und Museen betrachten und konsultieren können, wie sie ein Buch lesen können, ohne dies vom Urheber genehmigen lassen zu müssen. Unter Berufung auf "die Möglichkeit, Ausnahmen vom ausschließlichen Recht für die Ausleihe vorzusehen, wie sie im Art. 5 der Richtlinie zum Vermiet- und Verleihrecht geregelt sind" ist dieser Ausnahmetatbestand im Interesse einer breiten gebildeten und qualifizierten Gesellschaft auch in die vorliegende Richtlinie einzuarbeiten. Der Begriff "Communication to the public" kann nicht mit dem bereits klar definierten Begriff "Öffentlichkeit" bewertet werden, sondern vielmehr mit dem Begriff "Allgemeinheit".

Das Sichtbarmachen auf dem Bildschirm sollte durch eine gesetzliche Lizenz im Interesse der Allgemeinheit geregelt werden. Durch die technischen Möglichkeiten sind die Bibliotheken in der Lage bei einem Abruf zwischen registrierten und nichtregistrierten Bibliotheksbenutzern zuverlässig zu unterscheiden. Die von der ECUP erarbeitete Matrix (als Anlage beigefügt) sollte generell für Ausnahmetatbestände, die eine diesbezügliche Unterscheidung verlangen, herangezogen werden. Der Abruf innerhalb der Bibliotheken ist stets einer Präsenznutzung von Printmedien gleichzusetzen und deshalb genauso rechtlich zu würdigen, d.h. als zustimmungs- und vergütungsfreie Handlung gesetzlich zu regeln.

Dies ist explizit unter den Ausnahmetatbeständen des Art. 5.3. a in Übereinstimmung mit Art 9 RBÜ und WIPO-Urheberrechtsvertrag sowie unter Berufung auf die Aussage der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages vom 23. Juni 1997, "das Interesse der Allgemeinheit an der möglichst einfachen, schnellen und preiswerten Verbreitung von Wissen und Information" zu gewährleisten und die Nutzung von öffentlichen Bibliotheken für wissenschaftliche und schulische Ausbildungs- und Fortbildungszwecke nicht zu behindern", zu subsumieren.

7) Art. 5.3.a:

Derzeitiger Text:

Änderungsvorschlag: Begründung:

"Zur Veranschaulichung im Unterricht oder für Zwecke der wissenschaftlichen Forschung" schließt andere Formen erzieherischer oder nichtwissenschaftlicher Forschung aus. Der Änderungsvorschlag sollte in den Erwägungsgrundsatz 24 eingebracht werden, wonach die Möglichkeit für Ausnahmen vorgesehen werden können für Fälle "wie solche, die erzieherischen oder wissenschaftlichen Zwecken dienen", und deren Auslegung nicht zu restriktiv sein dürfte. An dieser Stelle sollte der Abruf zum ausschließlich privaten Gebrauch mitaufgenommen werden. Dies ist ein anerkanntes Recht im geltendem deutschen Urheberrechtsgesetz (§ 27). Im übrigen wird auf die Begründung zum Kommentar zu Art. 5.3. verwiesen.

8) Art. 5.3.b:

Derzeitiger Text:

Änderungsvorschlag: Begründung:

Der Wortlaut dieses Artikels schließt Personen mit anderen Behinderungen wie Lernbehinderte oder andere körperliche Behinderungen aus. Er bedarf demzufolge zweifelsfrei einer umfassenden entsprechenden Erweiterung.

9) Art 6:

Derzeitiger Text:

Änderungsvorschlag: Begründung:

Art. 6 sollte ersatzlos gestrichen werden, weil er nicht ausreichend differenziert zwischen rechtmäßigen und rechtsverletzenden Handlungen.

D. Schlußfolgerungen

Der Richtlinien-Vorschlag über die "Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts ..." soll den in den EU-Ländern bestehenden Rechtsrahmen für das neue technologische Umfeld der Informationsgesellschaft ergänzen und anpassen. Zielsetzung der Richtlinie ist die Schaffung eines einheitlichen Marktes in Beziehung auf Urheberrecht und verwandte Schutzrechte. Zentrale Bedeutung für die Bibliotheken und ähnliche Einrichtungen haben die Bestimmungen zum Vervielfältigungsrecht, zum Verbreitungsrecht und zum Recht der öffentlichen Wiedergabe. Der Richtlinien-Vorschlag sieht vor, diese Rechte als ausschließliche Rechte zugunsten der Rechtsinhaber festzuschreiben.

Die für Bibliotheken und ähnliche Einrichtungen vorgesehenen Ausnahmebestimmungen sind zu eng gefaßt. In Folge unterliegt künftig die Nutzung digitaler Werke durch und in Bibliotheken erheblichen Einschränkungen, die nur über die Mechanismen von Lizenzvereinbarungen/Verträgen zwischen Informationsanbietern und Informationsnutzern aufzuheben sind. In diesem Mechanismus befinden sich Bibliotheken und Informationsanbieter keinesfalls in einer gleichwertigen Verhandlungsposition. Im Interesse der Allgemeinheit sollte der Richtlinien-Vorschlag dahingehend revidiert werden, daß im Geltungsbereich der EU auf der Basis gesetzlicher Regelungen für Bibliotheken der umfassende freie, am Demokratie- und Sozialstaatsprinzip orientierte Zugang auch zu digitalen Informationen als Ausnahmen von den ausschließlichen Rechten ermöglicht wird.


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