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Deutsches Bibliotheksinstitut /
Bundesvereinigung Deutscher Bibliotheksverbände (BDB e.V.)


Urheberrecht und verwandte Schutzrechte in der Informationsgesellschaft und die Rolle der Bibliotheken

1. Informationsdienstleister Bibliothek

Die Aufgabe der Bibliotheken, Informationsdienstleistungen für Bildung, Wissenschaft und Gesellschaft als flächendeckende Infrastrukturleistungen zu erbringen, bleibt auch im elektronischen Umfeld bestehen, auch wenn sich Formen und Methoden der Erwerbung, des Nachweises, der Erschließung und der Informationsvermittlung verändern:

Die Bibliotheken haben den kulturpolitischen Auftrag, jedem Bürger der Zugang zu Informationen jeder Art und deren normale Verwertung zu ermöglichen. Darauf beruhen vielfältige Tätigkeiten der Bibliotheken, die für breite Schichten der Bevölkerung eine wichtige vermittelnde Rolle für das Grundrecht der Informationsfreiheit spielen und ihnen so ermöglichen, an der Informationsgesellschaft konkurrenzfähig teilzunehmen.

Zwischen den Polen der Informationsgesellschaft - den Urhebern, Produzenten und Anbietern von Informationen auf der einen, den Nutzern auf der anderen Seite - nehmen die Bibliotheken die Rolle des Übermittlers wahr.

Das Urheberrecht sieht einen von den Bibliotheken nachdrücklich unterstützten Schutz des geistigen Eigentums der Urheber vor. Sowohl im Bereich gedruckter wie digitaler Medien besteht die Notwendigkeit, das Gleichgewicht zwischen den Rechten der Autoren und Hersteller und den Bedürfnissen einer breiten Öffentlichkeit, insbesondere für Bildung, Forschung und Informationszugang zu wahren, wie dies in der Berner Übereinkunft und im WIPO-Urheberrechtsvertrag gefordert ist. Dieses Prinzip des Ausgleichs behält auch im Zeitalter der elektronischen Information seine Gültigkeit.

Kooperationen zwischen Bibliotheken und Urhebern bzw. Rechtsinhabern sind notwendig, um eine optimale Verbreitung und Nutzung von Informationen im elektronischen Zeitalter zu fördern und akzeptable Bedingungen für die Informationsgesellschaft zu vereinbaren.

In dem Positionspapier "Copyright im elektronischen Umfeld", verabschiedet auf der IFLA-Konferenz 25.-31. August 1996 in Beijing/China, stellt die International Federation of Libraries and Associations (IFLA) u.a. fest, daß

Daher betont die IFLA, daß

Der Gedanke des Ausgleichs der Interessen wird in der Aussage aufgegriffen:

Der Schutz der Rechtsinhaber darf nicht dazu führen, daß nur zahlungskräftige Nutzer auf die Information zugreifen können und die Gesellschaft in "Informationsreiche und Informationsarme" aufgeteilt wird. Deshalb fordert die IFLA:

2. Bibliotheksdienste - ein kulturpolitischer Auftrag

Der Schutz des geistigen Eigentum wird im Artikel 128 des EG-Vertrags als gemeinsame Verpflichtung festgestellt, indem

hat. Zugleich enthält er unter Abs. 2 aber auch die Bestimmung,

und den "nichtkommerziellen Kulturaustausch" zu unterstützen und zu fördern. Hier sind die Aufgabenfelder von Bibliotheken und ähnlichen Einrichtungen angesprochen.

Im "Grünbuch: Urheberrecht und verwandte Schutzrechte" der Kommission der EG vom 19.7. 1995 (KOM(95)382 endg), II. Kapitel, Teil 2, Abschnitt V (Rechte der digitalen Verbreitung / Übertragung) wird ausgeführt:

Der exakte Punkt des Gleichgewichts zwischen den widerstreitenden Interessen ist schwer zu bestimmen und bleibt letztendlich eine politische Entscheidung, die kaum je alle beteiligten Seiten zufriedenstellen wird. Der kultur- und gesellschaftspolitische Auftrag der Bibliotheken als Informationsvermittler im öffentlichen Interesse wird auch von den Entscheidungs-trägern der europäischen Staaten anerkannt. Auf der Ministerkonferenz 6. - 8. Juli 1997 in Bonn wurde eine "Ministererklärung" verabschiedet, in der es heißt:

Verstärkt wurde diese politische Absicht in einer Entschließung des Europäischen Parlaments vom 19. Juni 1998, in der es heißt:

Die USA haben in ihrem "Telecommunications Act" vom 8. Februar 1996 (Sect. 254: Universal Service, (6) Access to advanced telecommunications service for schools, health care, and libraries, (h) (1) (B) Educational providers and libraries) einen Rabatt für die öffentliche Informationsversorgung vorgesehen.

Auf diese Regelung weist auch die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages "Zukunft der Medien in Wirtschaft und Gesellschaft - Deutschlands Weg in die Informations-gesellschaft" hin (Erster Zwischenbericht, Bundestag-Drucksache 13/6000 vom 7.1.1996); sie ergänzt:

Da sich die Enquete-Kommission nicht auf einen gemeinsamen Ersten Zwischenbericht einigen konnte, haben die Mitglieder verschiedener Parteien abweichende Berichte erstellt. So sprechen sich die SPD-Mitglieder der Kommission eindeutiger für Chancengleichheit beim Zugang zu Information aus:

Von diesen grundsätzlichen Ausführungen gelangen die SPD-Mitglieder der Enquete-Kommission zu der speziellen Aussage, es

Auch die Kommissionsmitglieder von Bündnis 90/Die Grünen - sowie in weitgehend gleichem Sinn die der PDS - fordern den Ausbau einer öffentlichen Infrastruktur, die

In ihrem Zweiten Zwischenbericht vom 23. Juni 1997 weist die Enquete-Kommission auf die verfassungsrechtlichen Vorgaben hin, wonach das Urheberrecht

steht, aber als Eigentumsrecht auch einer "sozialen Verpflichtung" (Gemeinwohl-pflichtigkeit nach Art. 14 Abs. 2 GG) unterliegt.

Bezogen auf die Funktion der Bibliotheken kommt die Enquete-Kommission zu dem Schluß:

Als Lösungsmöglichkeiten für die erforderlich werdende Neujustierung der Interessen schlägt die Enquete-Kommission eine Vergütungspflicht für Festplatten und andere Speichermedien nach dem Muster der Geräte- und Leerkassettenabgabe vor oder eine Anhebung der gegenwärtig geltenden Vergütungssätze (Kopierabgabe).

3. Bibliotheksdienste - auch ein sozialpolitischer Auftrag

Es läßt sich ein weitreichender politischer Konsens feststellen, wonach ein chancengleicher öffentlicher Zugang zu elektronischen Informationen gewährleistet sein muß. Bibliotheken gelten in den meisten Ländern als anerkannter Bestandteil des Sozialstaatsprinzips; sie werden demzufolge vom Staat finanziert, und es werden ihnen bestimmte Rechte eingeräumt.

Auch die EU hat in einem Grünbuch "Leben und Arbeiten in der Informationsgesellschaft: Im Vordergrund der Mensch" (Entwurf KOM(96)389) ausgeführt, daß neben der wirtschaftlichen Bedeutung der Informationsgesellschaft auch der Aspekt des "sozialen Zusammenhalts" nicht vernachlässigt werden darf: "People First" - für die Bibliotheken als die klassischen Bewahrer und Vermittler von Informationen steht seit jeher der Benutzer im Vordergrund, auf sie sind die folgenden Auszüge ohne Einschränkung anzuwenden:

4. Ausgleich der Interessen = Gleichgewicht?

Die Leitidee vom Interessenausgleich zwischen Rechts-inhabern und Öffentlichkeit tritt in allen amtlichen Verlautbarungen zum Urheberrecht, so auch in der Präambel des WIPO-Urheberrechtsvertrags vom Dezember 1996 zutage:

Nach der Veröffentlichung des Urheberrechts-Grünbuchs folgte ein Konsultationsprozeß, in dessen Verlauf über 350 Meinungsäußerungen von "interessierten Kreisen" eingingen und der mit einer Anhörung über spezifische Fragen der Rechteverwertung (Brüssel, 8. - 9. Januar 1996) sowie der Konferenz "Urheberrechte und verwandte Schutzrechte an der Schwelle zum 21. Jahrhundert" (Florenz 2. - 4. Juni 1996) abgeschlossen wurde.

Im Zuge dieses Konsultationsprozesses konnten sich die wirtschaftlichen Interessen eindeutig gegenüber den Interessen der Allgemeinheit durchsetzen, dies kulminiert in der Frage des Vervielfältigungsrechts, speziell der Vervielfältigung zu privaten Zwecken. Das Follow-up des "Grünbuchs" ("Initiativen zum Grünbuch über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte in der Informationsgesellschaft", KOM(96)568) wird unter Kap. 2, Abschnitt 1 (Vervielfältigungsrecht) hierzu ausgeführt:

5. Harmonisierung der europäischen Urheberrechts:
Primat der wirtschaftlichen Interessen

Mit dem Richtlinien-Vorschlag zur "Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und verwandter Schutzrechte" hat sich das Gewicht eindeutig auf die Seite der Urheber und Produzenten elektronischer Information verlagert. Das Interesse der breiteren Öffentlichkeit wird - allen Lippenbekenntnissen zum "angemessenen Ausgleich" zum Trotz - als wirtschaftlich relevante Nutzung und Verwertung fremden geistigen Eigentums verstanden. Der kultur- und sozialpolitisch legitimierte freie Zugang zu Information wird mit wenigen, restriktiven Ausnahmetatbeständen in ein rechtliches Biotop im wesentlichen ohne praktische Bedeutung abgeschoben.

Ziel des Richtlinien-Vorschlags ist die Harmonisierung des Rechtsrahmens für Urheberrecht im Rahmen des Binnenmarkts, insbesondere in bezug auf die Informationsgesellschaft, für deren Weiterentwicklung der Schutz des geistigen Eigentums als einer der "Schüsselfaktoren" gilt. Der Richtlinien-Vorschlag baut zwar auf den WIPO-Verträgen vom Dezember 1996 auf (WIPO-Urheberrechtsvertrag / WCT und WIPO-Vertrag betr. Darbietungen und Tonträger / WPPT), insbesondere dient er der Umsetzung des Art. 7 WCT (Vervielfältigungsrecht) und Art. 10 (öffentliche Wiedergabe) gleichzeitig geht er aber in seinen Schutzbestimmungen deutlich über die WIPO-Vereinbarungen hinaus.

Der stark wirtschaftlich akzentuierte Charakter des Richtlinien-Vorschlags kommt in den Erwägungsgründen (ErwGr) deutlich zum Ausdruck, z.B.:

In den Ausnahmebestimmungen (Art. 5) finden die von den Bibliotheken vertretenen Interessen der Allgemeinheit in gewissem Maße Berücksichtigung, aber die Grenzen sind sehr eng - zu eng - gezogen.

6. EU-weite Harmonisierung kontra nationale Konsensbildung

Die vorrangig auf die wirtschaftlichen Interessen des EU-Binnenmarktes ausgerichteten Harmonisierungsbemühungen sollten im nationalen Rahmen bereits erreichte Verständigungen zwischen den Partnern des Wissens- und Informationsmarktes nicht in Frage stellen oder gar aufheben. So haben z.B. in Deutschland der Börsenverein des Deutschen Buchhandels, der Deutsche Hochschulverband, der Verband der Schriftsteller (VS), die Verwertungsgesellschaften BILD-KUNST und WORT und am 26. Mai 1997 folgende gemeinsame "Stellungnahme zu einer Neuregelung von §§ 53 und 54a UrhG im Hinblick auf elektronische (digitale) Vervielfältigungen" unterzeichnet:

  1. Das ausschließliche Verbotsrecht gem. § 16 UrhG muß grundsätzlich auch und erst recht für digitale Vervielfältigungen gelten.

  2. Die Ausnahmen hiervon sind gegenüber den Regelungen, wie sie § 53 UrhG bisher für (analoge) Vervielfältigungen vorsieht, deutlich einzuschränken.

    a) Eine Ausnahme kann auch weiterhin zulässig sein für Vervielfältigungen zum (rein) privaten Gebrauch (§ 53 Abs. 1 S. 1 UrhG), da dieser auch im digitalen Umfeld nicht kontrolliert werden kann und soll.

    b) Ausnahmen können weiter zugelassen werden zum persönlichen, nicht-gewerblichen Gebrauch eines einzelnen Wissenschaftlers, soweit die Vervielfältigung zu diesem Zweck geboten ist.

    Nach Abwägung der Interessen der Beteiligten sollte im Hinblick auf die bestehende Rechtslage der persönliche Gebrauch eines einzelnen Wissenschaftlers auch im digitalen Umfeld privilegiert bleiben. Durch den Begriff "persönlich" muß allerdings § 53 Abs. 2 Ziff. 1 UrhG insoweit eingeschränkt werden.

  3. Zum Ausgleich für die kraft gesetzlicher Lizenz gemäß Ziff. 2 gestatteten Vervielfältigungen ist in § 54 a Abs. 1 UrhG klarzustellen, daß auch PCs sowie elektronische Speichermedien für Vervielfältigungen im Rahmen von § 53 UrhG "bestimmt" sind.


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