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Arbeitsaufenthalt an der Bibliothèque Universitaire Lyon 1

Simone Haas, Deutsche Zentralbibliothek für Medizin, Köln

Im Rahmen eines Austauschprogramms, das vom Deutschen Bibliotheksinstitut in Berlin und dem Ministère de l'Education Nationale, de la Recherche et de la Technologie in Paris organisiert wird, konnte ich vom 7.9.-2.10.98 einen Arbeitsaufenthalt an der Bibliothèque Universitaire Lyon 1, Section Santé absolvieren. Zum Auftakt fand ein Treffen mit Mme Mathieu von der Sous-Direction des Bibliothèques et de la Documentation in Paris statt. In Lyon hatte ich auch Gelegenheit, die Médiathèque der Universität Lyon 1 sowie die Bibliothèque Universitaire Lyon 3 zu besuchen.
über den Einblick in das französische Bibliothekswesen und die Funktionsweise einer wichtigen medizinischen Bibliothek hinaus galt mein Interesse vor allem dem integrierten Bibliotheksverwaltungssystem auf EDV-Basis, da ich selber gerade von der Einführung eines solchen Systems betroffen bin, sowie dem Stellenwert der neuen Medien und dem Umgang mit ihnen.

Ausgewählte Aspekte des französischen Bibliothekswesens
Seit geraumer Zeit schon unternehmen die französischen Universitätsbibliotheken und die großen Forschungsbibliotheken Anstrengungen, um ihren Bestand durch nationale Kataloge übergreifend nachzuweisen. Die Aufgabe, diese Recherchewerkzeuge weiterzuentwickeln, ist nun der Agence Bibliographique de l'Enseignement Supérieur (ABES) in Montpellier übertragen worden. Es handelt sich zum einen um den schon gut funktionierenden Catalogue Collectif National des Publications en Série, dessen CD-ROM-Ausgabe unter dem Namen Myriade bekannt ist. Diese Datenbank ist auch über Minitel oder für Abonnenten über Internet zu erreichen. Zum anderen wurde der Pancatalogue entwickelt, ein nationaler Katalog, der theoretisch alle Titel der Universitätsbibliotheken nachweisen soll. Man muss dazu wissen, dass sich alle Universitätsbibliotheken für die Katalogisierung einem der drei Verbünde OCLC, Sibil oder BN-Opale angeschlossen haben. Die Daten aus diesen drei Verbundkatalogen werden in den Pancatalogue eingespeist, was nicht ohne Dubletten bei den Titelaufnahmen und den Personennamen- und Körperschaftsdateien bleibt. Auch ist die Retrokonversion bei vielen Bibliotheken noch nicht abgeschlossen, so dass die Bestandswiedergabe noch nicht vollständig ist. Die Abfrage des Kataloges über das Telnet ist sehr umständlich und benutzerunfreundlich. Trotzdem bilden beide Kataloge zusammen mit Docthèses, der die französischen Dissertationen ab 1972 (Medizin ab 1983) nachweist, wichtige Suchwerkzeuge für die Fernleihe, auf deren System ich später noch eingehen werde. Leider sind sie bis jetzt nur über das in Frankreich noch immer beliebte Minitel und online-Abonnements zugänglich.
Für die Zukunft ist die Installation eines einheitlichen französischen Systems zur Katalogisierung, Recherche und Dokumentenlieferung geplant, das sog. Système Universitaire (SU) (trotz immer wiederkehrender Aufforderungen zur Umbenennung scheint es bei diesem Namen zu bleiben), das von PICA erstellt wird. Diese integrierte Datenbank soll auch endlich über einen freien Internetzugang abfragbar sein. (1)
Neben großen Erwartungen, die an das neue Verbundsystem gestellt werden, werden aber auch skeptische Stimmen laut, da befürchtet wird, dass durch die Zusammenführung der drei Verbünde eine nur schwer wieder aufzuarbeitende Menge von Doppeleinträgen und fehlerhaften Aufnahmen entsteht. Insgesamt scheint in Frankreich bei der EDV-Einführung eine eher pragmatische Haltung vorzuherrschen, mit der gewisse Unzulänglichkeiten der Systeme erst einmal in Kauf genommen werden, um die Vorteile, die ihre Einführung mit sich bringt, schneller nutzen zu können. Die Entwicklung nationaler Kataloge ist, sicher auch auf Grund der Zentralisierung Frankreichs, weiter fortgeschritten als in Deutschland.

Die Bibliothèque Universitaire Lyon 1
Die Bibliothèque Universitaire (BU) Lyon 1, die der Universität für Naturwissenschaften und Medizin unterstellt ist, verteilt sich auf zwei Hauptsitze, die naturwissenschaftliche Abteilung auf dem Campus de la Doua und die medizinische Abteilung (BU Santé) in der Faculté de Médecine et de Pharmacie, Avenue Rockefeller. Letzteren sind noch weitere Zweigstellen in verschiedenen Krankenhäusern angegliedert. In der BU Santé sind 25 feste MitarbeiterInnen beschäftigt. Sie verfügt mit ca. 70.000 Monographien (ohne Dissertationen und andere Universitätsarbeiten) und 900 laufenden Zeitschriften über einen für französische Verhältnisse recht großen Bestand. Der alte Bestand aus den Jahren vor 1800 umfasst ca. 8000 Bände; überwiegend aus dem 19. Jahrhundert stammt eine interessante Sammlung homöopathischer Literatur, der Fonds Gallavardin. Die Bestände sind bis auf den ancien fonds frei zugänglich, im Lesesaal in Freihandaufstellung nach der NLM-Klassifikation, in den Magazinen nach der Zugangsnummer geordnet.
über die Aufgaben einer medizinischen Universitätsbibliothek hinaus erfüllt die BU Santé als CADIST (Centre d'acquisition et de diffusion de l'information scientifique et technique) für Pharmazie auch die Funktion einer Zentralbibliothek, d.h. sie soll umfassend die französische und in Auswahl die ausländische pharmazeutische Literatur sammeln und über die Fernleihe zur Verfügung stellen. Das schließt auch die Auflage mit ein, für diesen Bereich das ganze Jahr hindurch geöffnet zu sein. Für das gleiche Gebiet ist sie auch pôle associéder Bibliothèque Nationale de France und erhält in diesem Rahmen Mittelzuweisungen für die Anschaffung ausländischer Forschungsliteratur. Allerdings reicht das Budget nicht aus, um diesen Sammelauftrag umfassend zu erfüllen. So wurden 1997 die für das CADIST zur Verfügung gestellten Mittel für die Aufrechterhaltung der Zeitschriftenabonnements gebraucht, während für den Ankauf der monographischen Forschungsliteratur auf das Budget der Universitätsbibliothek zurückgegriffen werden musste.

Die EDV-Ausstattung
Die BU Santé verfügt über zwei verschiedene CD-ROM-Netze (Novell und Winspirs), über die allgemeine bibliographische (Myriade, Docthèses) und medizinische Datenbanken (Medline, Embase, Pascal Biomed) und ein enzyklopädisches Lexikon an ca. 15 PCs zugänglich gemacht werden. Thematische CD-ROMs werden von der BU Santé nicht gesammelt, da sie in den Zuständigkeitsbereich der Médiathèque der Universität fallen. Dort sind ca. 60 CD-ROM vorhanden, die auf Wunsch zur Konsultation am Platz ausgegeben werden. Die Möglichkeit der Ausleihe besteht nicht, Personal zur Beratung und Auskunft ist (jedenfalls z.Zt.) nicht vorhanden.
über die Geräte der BU wird auch der Zugang zu den von Swets im Internet bereitgestellten ca. 14.500 Inhaltsverzeichnissen von Zeitschriften und zu 38 Zeitschriften im Volltext geboten. (2) An einem PC ist ein Internetzugang für Nutzer eingerichtet (Stehpult).
Das integrierte Bibliotheksverwaltungssystem Horizon von der Firma Dynix (jetzt: Ameritech) (3) läuft in der BU Santé seit 1995 unter OS/2 und seit 1998 unter Windows in der Version 5.0. Der Entscheidung ging eine Ausschreibung voraus, die ein zweihundert Punkte umfassendes Anforderungsprofil beinhaltete. Grundvoraussetzungen waren das Format UNIMARC, die Möglichkeit, den Katalog als OPAC auf dem Internet aufzulegen, die Verwendung von Standardhardware und ein Client-Server-System. Horizon wurde vor allem wegen seiner Katalog- und Ausleihmodule ausgewählt. Unter Windows verfügt das System über eine recht große Flexibilität, die es z.B. erlaubt, verschiedene Module gleichzeitig zu öffnen und Daten nachvollziehbar zu übertragen, oder verschiedene Arten von Listen (Rechercheresultate, Posten einer Rechnung etc.) zu sortieren.

Erwerbung
Die Erwerbungsarbeit wird außer durch das bescheidene Budget (4) auch durch die äußerst schwerfällige universitäre Buchhaltung beeinträchtigt. Für die französischen, die englischsprachigen und die anderen ausländischen Monographien muss per Ausschreibung jeweils ein Lieferant festgelegt werden, der meistens vom Verwaltungsrat ausschließlich auf Grund des Preisangebots bestimmt wird. So liefert die Société Française du Livre mit 25% Rabatt auf den Ladenpreis, wobei der Service allerdings in manchen Punkten so schlecht ist, dass erhebliche Mehrarbeit anfällt.
Es werden immer mehrere Bestellung für einen Lieferanten auf einem bon de commande (BC) zusammengefasst. Für den Betrag des BC muss vorher ein bon d'engagement (eine Bindung der Mittel) bei der Buchhaltung beantragt werden. Eine Bestellung ohne Kenntnis des Preises ist daher praktisch kaum möglich. Für die Auswahl der zu bestellenden Literatur wird vor allem die Zeitschrift Livres Hebdo herangezogen, die in ihrer Rubrik Bibliographie de France wöchentlich die Neuerscheinungen nach Rubriken sortiert präsentiert. Weiter kommen Verlagsprospekte, wissenschaftliche Zeitschriften und die Vorschlagsliste der Nutzer für die Selektion zur Anwendung. Die Auswahl der Anschaffungen für den CADIST-Bestand wird von einer universitären Kommission getroffen. Die BU Santé erhält von der BNF die überzähligen Pflichtexemplare aus dem pharmazeutischen Bereich als Geschenk. Der Schwerpunkt des Bestandes liegt bei französischen Lehrbücher und der medizinischen Literatur aus den einschlägigen Verlagen, graue Literatur wird fast nur aus dem Bereich der eigenen Universität gesammelt.
Zur Bestellung muss zunächst ein BC erzeugt werden, dessen Kopf Bestelldaten wie Lieferant, Budget, Zweigstelle usw. enthält. F&uumAl;r die einzelnen Titel wird immer eine vereinfachte Titelaufnahme erzeugt, außer bei Nachbestellungen auf einen bereits im Katalog erfassten Titel. Eine Datenübernahme aus anderen Quellen ist theoretisch möglich, wird aber in Lyon nicht genutzt. Die Eintragung in die Bestellmaske wird durch die Personennamensdatei nicht unterstützt, etwaige falsche Eintragungen werden aber bei Einspielung der endgültigen Titelaufnahme gelöscht. Durch die Bestelltitelaufnahme wird ein Eintrag im Katalog/OPAC mit dem Hinweis "bestellt" erzeugt. Für die Bände, die unverlangt oder auf eine Fortsetzungsbestellung eingehen, wird ebenfalls eine Bestelltitelaufnahme erzeugt. Eine gesonderte Fortsetzungsverwaltung ist nicht vorgesehen, es wird weiter eine manuelle Fortsetzungsdatei geführt.
Bei Eintreffen der Bücher wird für jeden Titel Preis und Rechnungsnummer eingetragen. Die vorliegende Version von Horizon erzeugt keine Zugangsnummer, so dass die manuellen Register weitergeführt werden müssen. Das Buch wird mit einem Barcode-Etikett versehen, das sofort per Barcodeleser, der an jedem Dienst-PC angeschlossen ist, eingelesen wird.

Katalogisierung
Die Katalogisierung wird bis auf wenige Ausnahmen (Dissertationen, andere universitätsinterne Arbeiten, Broschüren) immer in OCLC (Online Computer Library Center, USA) vorgenommen. Die BU Santé hat sich 1990 diesem amerikanischen Verbundkatalog angeschlossen, da er bei einer stichprobenartigen überprüfung die meisten Titelaufnahmen der für die BU relevanten Literatur enthielt. Im Durchschnitt können für 90% der Titel Katalogisate aus dieser Datenbank übernommen werden. Die Kosten für die Katalogabfrage und die übernahme von Titelaufnahmen (aufgerechnet gegen die Zuwendungen für selbsterstellte Katalogisate) betragen zur Zeit 2100 F im Monat. Die Retrokonversion, für die Sondermittel vom Ministerium zur Verfügung gestellt wurde, wurde ebenfalls von OCLC auf der Basis der Katalogkarten vorgenommen. Mit Ausnahme der Dissertationen und einem Teil der grauen Literatur sind inzwischen ca. 95% des Bestandes erfasst; allerdings warten noch ca. 20.000 Titelaufnahmen auf die Einspielung in den Katalog, da die Kapazität des Servers z.Zt. nicht ausreicht. Durch die Zusammenführung der Kataloge der naturwissenschaftlichen und der medizinischen Abteilung sind viele Dubletten entstanden, die nach und nach bereinigt werden.
In die OCLC-Aufnahmen werden die Schlagwörter nach den MESH auf Französisch und die Inventarnummer eingesetzt, und sie werden per Datentransfer in den Horizon-Katalog und damit in den OPAC übernommen, wo sie die Bestelltitelaufnahme mit der gleichen Identnummer überschreiben.

Ausleihe
Das Ausleihmodul von Horizon scheint recht problemlos zu funktionieren. Vorteilhaft ist die direkte übernahme der Daten aller eingeschriebenen Studenten per Datentransfer, die somit ohne weitere Formalitäten mit ihrem mit Barcode versehenen Studentenausweis ausleihen können. Mit Ausnahme der Zeitschriften werden alle Bände ausgeliehen, die Handbücher nur über das Wochenende. Durch Codes bei der Erfassung sowohl der Nutzer als auch der Bücher wird die z.T. sehr komplizierte Regelung der Ausleihdauer und -menge automatisch verwaltet. Die Ausleihverbuchung wird vom Bibliothekspersonal vorgenommen
Die BU Lyon erhebt keine Säumnisgebühren, sondern verhängt ein Ausleihverbot für so viele Tage, wie das Buch verspätet zurückgegeben wurde. Beide Verfahrensweisen werden von Horizon unterstützt. Mahnbriefe werden automatisch nach 10 Tagen und dann im Abstand von 18 Tagen ausgedruckt. Durch diese Regelung entstehen der BU allerdings sehr hohe Portokosten, die nicht durch Mahngebühren ausgeglichen werden.

Zeitschriftenverwaltung
Das Zeitschriftenverwaltungsmodul steht zwar zur Verfügung, wurde aber aus personellen Gründen noch nicht eingerichtet. Für jeden Titel muss ein sehr komplexes Modell zur Erscheinungsfrequenz incl. Sondernummern, Index und anderer "regelmäßiger Unregelmäßigkeiten" entworfen werden, das genau dem erwarteten Abonnementverlauf entspricht (5). Ein Test erlaubt es, die Eingaben mit dem tatsächlichen Erscheinungsverlauf zu vergleichen. Dann wird das nächste eintreffende Exemplar erfasst und das System generiert automatisch die vorhergegangenen Nummern eines Jahrgangs sowie das nächste zu erwartende Exemplar. Unabhängig vom Modell können jederzeit Eintragungen "von Hand" vorgenommen werden. Die Erzeugung der Modelle erscheint sehr zeitaufwendig, aber vielleicht werden dadurch die Verwaltung der eintreffenden Hefte und evtl. Reklamationen tatsächlich vereinfacht.

Beurteilung des Einsatzes von Horizon
Neben dem Zeitschriftenmodul wurden auch einige weitere Funktionen von Horizon noch gar nicht getestet. So sind die Statistiken bisher noch nicht über das System erstellt worden. Insgesamt gibt es noch viele Kritikpunkte, Schwachstellen und eindeutige Fehler bei dieser Version von Horizon; einige davon hätten längst von Ameritech behoben werden sollen. Nach Angaben der französischen Kollegen arbeitet die Firma, was Verbesserungswünsche angeht, eher schleppend und unzuverlässig. Die ca. 60 französischen Bibliotheken, die Horizon nutzen, haben inzwischen einen Anwenderverein gegründet, um ihren Forderungen mehr Gewicht zu verleihen. Bezeichnend ist auch, dass die Windowsversion in Lyon erst zwei Jahre nach dem vereinbarten Liefertermin installiert wurde, so dass die Firma zur Abgleichung der Konventionalstrafe eine Menge unberechneter Sonderleistungen erbringen musste. Von Bibliotheksseite aus ist kaum ein Versuch unternommen worden, die Arbeitsgänge an die Möglichkeiten des Systems anzupassen. Erwerbung und Katalogisierung arbeiten weiter in getrennten Abteilungen und nehmen die doppelte Eingabe von Daten in Kauf. Die überschaubare Anzahl der eingehenden Titel reduziert allerdings auch die möglichen Probleme.

Fernleihe - prêt entre bibliothèques (PEB)
Für die Fernleihe zwischen französischen Universitäts- und anderen Bibliotheken stellt ebenfalls die ABES ein leistungsfähiges EDV-System zur Verfügung, dem z.Zt. ca. 300 Dokumentationszentren angeschlossen sind. Die Bestellungen werden in eine Bestellmaske eingegeben und per E-Mail verschickt. Für häufig angefragte Titel wird eine Liste angelegt werden, die bereits den Empfängercode der besitzenden Bibliothek enthält. Ebenso werden die Besteller in einer Kartei erfasst. Kann die Empfängerbibliothek nicht liefern, so wird sofort eine Benachrichtigung mit Begründung und evtl. Vorschlägen zur Umleitung der Bestellung zurückgemailt. Auch bei positiver Erledigung der Anfrage wird eine elektronische Nachricht geschickt; die Kopien werden allerdings konventionell per Post zugestellt. Die elektronische Antwort trifft meistens innerhalb von 24 Stunden ein, die Bearbeitungszeiten liegen insgesamt innerhalb einer Woche. Natürlich liegt das auch an der geringeren Anzahl der Bestellungen (6), die wiederum auf die höheren Preise zurückgeführt werden kann. Die Preisgestaltung wird vom Verwaltungsrat der Universität für die jeweilige Bibliothek individuell vorgenommen. Die Preise für eine Aufsatzkopie im bibliotheksinternen französischen Leihverkehr schwanken zwischen 8 und 15 DM. Das PEBNET unterstützt ebenfalls die recht komplizierte Abrechnung, die alle vier Monate vorgenommen wird.
Die BU Santé bearbeitete 1997 ca. 36.000 Bestellung, dabei ist sie eher Lieferant als Besteller. Ich hatte in den vier Wochen Gelegenheit, aktiv in der Fernleihabteilung mitzuarbeiten und mich von der Funktionsfähigkeit des PEBNET zu überzeugen. Eine sinnvolle Weiterentwicklung wäre es allerdings, wenn die Besteller ihre Angaben direkt im Programm (bzw. einem vorgeschalteten Modul) erfassen könnten, anstatt sie handschriftlich (oft unleserlich) zu hinterlegen. Die Ermittlung der möglichen Lieferanten erfolgt über die nationalen Kataloge Myriade, Docthèses und Pancatalogue (was für die ausländische Fernleihe wegen des fehlenden online-Zugangs noch Probleme birgt). Die Auswahl der Bibliothek, an die man dann die Anfrage schickt, wird aufgrund von Erfahrungswerten bezüglich Zuverlässigkeit, Schnelligkeit und der Preise vorgenommen. Meist wird versucht, die Anfragen so zu gruppieren, dass nicht allzu viele Einzelrechnungen fällig werden.
Bei Bestellungen auf Titel, die in Frankreich nicht nachweisbar sind, wird meist die British Library in Anspruch genommen. Da der Bestand der Deutschen Zentralbibliothek für Medizin in Köln im Vergleich zu dem in Lyon doch sehr viel umfassender ist, konnte ich den KollegInnen auch die ZBMed als möglichen Lieferanten näher bringen, was aufgrund von Sprachbarrieren bisher nur in Ausnahmefällen vorgekommen war.

Katalog und Internet an der Bibliothèque Universitaire Lyon 3
Die UB der Universität für Jura und Geisteswissenschaften Lyon 3 spielt bei dem Umgang mit den neuen Medien eine Vorreiterrolle in der französischen Bibliothekslandschaft. Bei einem Besuch konnte ich speziell die Kataloggestaltung und den Umgang mit dem Internet in Augenschein nehmen.
Das Grundprinzip der Kataloggestaltung, die in Zusammenarbeit mit der Firma Archimed erfolgte, besteht darin, dem Nutzer (ob vor Ort oder online) über eine einheitliche Oberfläche Zugang zu allen Informationsarten (Text, Bild, Ton und Video) auf allen möglichen Informationsträgern zu gewähren. (7) Der bibliographische Katalog auf der Basis von Geac Advance ist über das Z39.50-Protokoll mit dem Multimediaserver verbunden. (8) Die Titelaufnahmen, von denen aus ein Zugang zu weiteren Informationen besteht, sind durch verschiedene Ikone gekennzeichnet. Durch Anklicken kann der Nutzer z.B. das Inhaltsverzeichnis des betreffenden Werkes konsultieren, Bildmaterial betrachten, eine CD-ROM starten oder ein elektronisches Dokument, das entweder auf dem Server der UB gespeichert wurde oder im Internet zugänglich ist, im Volltext lesen. Bisher sind ca. 600 Titelaufnahmen mit solchen Möglichkeiten angereichert worden. Die Bibliothek verfügt über eine eigene Digitalisierungsstation. Systematisch werden für alle eingehenden ausländischen Monographien die Inhaltsverzeichnisse eingescannt. Bestimmte Funktionen wie der Zugang zum CD-ROM-Netz sind passwordgeschützt und nur über die Geräte in der UB möglich. Eine Liste aller in der BU vorhandenen Zeitschriften, zu denen es weitere kostenlose Informationen im Internet (Inhaltsverzeichnisse, Webseite des Verlegers) gibt, wurde ebenfalls samt der Verknüpfungen auf die Katalogseite gelegt. Zu einem späteren Zeitpunkt soll von hier auch ein Zugang zu elektronischen Ausgaben möglich sein. Ein registrierter Nutzer hat die Möglichkeit, ein persönliches "Album" anzulegen, in das er beliebige Dokumente speichern kann, um sie zu bearbeiten oder herunterzuladen.
Die Katalogisierung von elektronischen Texten, die nur im Internet existieren, befindet sich noch im Versuchsstadium mit dem Ziel, sich mit den technischen Möglichkeiten und den rechtlichen Problemen vertraut zu machen. Copyrightfreie Texte werden dabei z.T. auf dem eigenen Server gespeichert. Für die Zukunft hofft die UB Lyon 3 darauf, dass durch den Verbund SU die Aufgabe der Erfassung elektronischer Texte je nach Sammelschwerpunkt auf verschiedene Bibliotheken verteilt wird.
Die UB Lyon 3 stellt ihren lokalen Nutzern aus verschiedenen Gründen nur einen "gezügelten" Internetzugang zur Verfügung (mit Ausnahme von zwei PCs). Der Zugang zum Internet und damit zur E-Mail-Funktion wird in Frankreich traditionellerweise durch die Universitäten selbst gewährleistet. Da sich die BU Lyon 3 für einen einheitlichen Zugang zu Katalog, CD-ROM-Netz und Internet entschieden hat, darf die Möglichkeit, die ersten beiden Komponenten zu konsultieren nicht durch eine ausufernde Internetnutzung behindert werden. Auch ist erfahrungsgemäß der Wartungsanfall bei Geräten mit freiem Internetzugang höher und die Neuinstallation des integrierten Katalogs würde jedes Mal viel Aufwand erfordern.
Die Regelung des Internetzugangs erfolgt über den Explorer der Firma Archimed, der sich auf den herkömmlichen Internetexplorer legt. Die erlaubten Adressen werden in einer bestimmten Datei abgelegt. Dabei wird durch Trunkierung recht großzügig ausgewählt, so sind z.B. durch die Adresse *.univ-* alle Webseiten der französischen Universitäten zugänglich. Nach Auskunft des Administrators sind auf diese Weise ca. 100.000 Internetadressen zugelassen.
Der geregelte Zugang bedeutet aber auch, dass für jedes Fachgebiet eine Liste von interessanten Internetseiten zusammengestellt und ständig aktualisiert wird. Die Suche nach den entsprechenden URLs wurde dabei zum großen Teil von studentischen Hilfskräften geleistet, die endgültige Auswahl oblag der Verantwortung des jeweiligen Sachgebietsleiters. Auch die überprüfung und Aktualisierung wird hauptsächlich von Hilfskräften z.B. während Aufsichtszeiten im Multimediaraum geleistet. Ein positiver Nebeneffekt dieser Arbeit bestand in der größeren Sensibilisierung des Personals für die Möglichkeiten des Internets. Für die Nutzer der Bibliothek werden regelmäßige Internetschulungen durchgeführt.

Fazit
Die Arbeit an der BU Santé und an der ZBMed ist aufgrund der unterschiedlichen Größenordnung beider Institutionen nur bedingt vergleichbar. Trotzdem boten sich auch für meine eigene Tätigkeit interessante Einblicke. Die gründliche Erkundung eines bereits funktionierenden integrierten Bibliotheksverwaltungssystems vor dem Hintergrund der bevorstehenden Einführung in meiner Bibliothek hat mich für Möglichkeiten und Probleme dieser Programme sensibilisiert. Die Projekte des universitären französischen Bibliothekswesens haben mein Interesse geweckt; ich werde die Entwicklung mit Aufmerksamkeit verfolgen und meine davon betroffenen KollegInnen (Fernleihe, Auskunft) darüber informieren. Der Umgang mit elektronischen Medien in der BU Lyon 3 scheint mir Anregungen zu bieten, die auch auf andere Bibliotheken übertragbar sind. Vor allem für die französische Seite hat der Aufenthalt eine neue Bezugsquelle für medizinische Literatur erschlossen, aber auch der Fernleihe und Auskunft der ZBMed können Informationen über Aufbau und Funktionsweise des französischen Bibliothekswesens Vorteile bringen. Die Informationswünsche, die mir meine KollegInnen auf die Reise mitgegeben hatten, konnten zum größten Teil befriedigt werden, und natürlich wurden auch interessante Internet-Adressen ausgetauscht. Schließlich sollten aber gerade im Internet-Zeitalter auch persönliche Kontakte nicht unterschätzt werden.

Für die Organisation und die hilfreiche Unterstützung bei der Durchführung des Aufenthaltes danke ich Frau Courzakis und Frau Ullrich vom DBI in Berlin und Mme Mathieu von der Sous-Direction des Bibliothèques et de la Documentation in Paris. Ein besonderes Dankeschön an die KollegInnen in Lyon, die sich stets die Zeit nahmen, mir alles zu erklären, und geduldig immer neue Fragen beantworteten. Ich hoffe, dass dieser Kontakt auch in Zukunft zu einer engeren Zusammenarbeit der beiden Bibliotheken beitragen kann.


(1) Nähere Informationen unter http://www.abes.fr
(2) Informationen unter http://buweb.univ-lyon1.fr/Webscd13.htm
(3) Das gleiche Produkt wird als Nachfolgesystem vom HBZ eingeführt.
(4) 1997 konnten Monographien für ca 500.000 F erworben werden.
(5)Ein Beipspiel findet man auf der Homepage der Firma: http:// www.dynix.de
(6)1995 wurden 583.300 Bestellungen über das PEBNET abgewickelt.
(7) Eine ausführliche Darstellung und theoretische Begründung dieser Konzeption findet sich in dem Artikel der Direktorin Frédérique Molliné: L'offre électronique du service commun de la documentation de Lyon 3. BBF 42, 3, 1997, S. 25-30. Zugänglich überdie Homepage der BU: http://www-scd.univ-lyon3fr/scd/sommaire.htm: Accès à l'article parue dans le Bulletin des Bibliothèques de France (site de L'ENSSIB)
(8)Nähere Informationen über die Homepage der UB: http://www-scd.univ-lyon3.fr


Simone Haas
Deutsche Zentralbibliothek für Medizin
Abt. 2.1, Monigraphien für Medizin
D-50924 Köln
Tel: 0221/478 7089
Fax: 0221/478 7094
E-mail: haas@zbmed.uni-koeln.de


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