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Tatsächlich weist eine genauere Betrachtung den Weg, wie
ein Interessenausgleich funktionieren könnte.
Warum brauchen wir überhaupt das Urheberrecht? Denn
auch dessen Befürworter werden eines kaum bestreiten wol-
len: Auch ohne den Schutz des Urheberrechts würde weiter
gedichtet und komponiert, gemalt und musiziert werden,
würde Theater gespielt und konzertiert. Schließlich ist die
abendländische Kultur über 2.000 Jahre ohne Urheberrecht
ausgekommen, denn ganz wie man rechnet, ist es höchstens
runde 500 Jahre alt, was den Schutz der Verlage über Privi-
legien, rund 300 Jahre, was die Begründung eines eigenen
Schutzrechts, knapp über 200 Jahre, was den Schutz indi-
vidueller Autoren und gerade 100 Jahre, was den Schutz
ausübender Künstler und Tonträgerhersteller angeht.
So sehr es zutrift, dass auch ohne Urheberrecht Werke ge-
schafen und künstlerische Leistungen erbracht würden, so
fraglich erscheint es jedoch, wie vielen Menschen die für die
Entwicklung unserer Kultur wichtigen kreativen Leistungen
ohne den Schutz des Urheberrechts auch bekannt würden.
Ohne Verlage, Musik- oder sonstige Produktionsfrmen der
verschiedensten Art bliebe die Reichweite der Kreativen be-
schränkt. Es geht beim Urheberrecht also (auch) um den
Schutz der Mittler zwischen Kreativen und Publikum – und
diese Mittlerfunktion ist heute wichtiger denn je. Wir brau-
chen solche Mittler für die Redaktion von Inhalten, aber
auch als Qualitätsgaranten, um in der Menge der Informa-
tionen diejenigen zu fnden, die ein bestimmtes Publikum
erreichen könnten und genau diese Inhalte dem jeweiligen
Publikum anzubieten. Denn gerade durch die Möglichkei-
ten des Internet fühlen sich viele berufen, ihre Hervorbrin-
gungen öfentlich anzubieten, und gerade deshalb hat das
Publikum Bedarf nach glaubwürdigen Mittlern, die für sie
(vor-)auswählen.
Jeder kann einen Song im Internet veröfentlichen. Trotz-
dem versuchen Musiker auch heute noch, bei einer Musik-
frma unter Vertrag zu kommen – weil es Prestige verspricht
und ihnen einen besseren Zugang zu ihrem Publikum ver-
schaft. Jeder Wissenschaftler könnte seinen Artikel irgend-
wo online stellen. Tatsächlich hilft die Veröfentlichung der
wissenschaftlichen Karriere nur, wenn er in einer der angese-
henen Zeitschriften (auch online) erscheint, die durch Peer
Review eine Qualitätssicherung durch die eigenen Kollegen
garantiert.
Zugleich muss sich ein Unternehmen, das in geistige Inhalte
investiert, darauf verlassen können, seine Investitionen zu-
rückverdienen und dabei noch Gewinn machen zu können.
Und da im Geschäft mit Inhalten im Voraus nicht immer er-
kennbar ist, welcher Inhalt erfolgreich wird, rechnen sie häu-
fg in einer Mischkalkulation, so dass erfolgreiche Inhalte,
für die alle Investitionen möglicherweise längst amortisiert
sind, die unvermeidlichen „Flops“ durchzufüttern helfen.
Schon dieser kurze Blick auf die Interessenlage der Rechte-
inhaber zeigt, dass es im Bereich des Sammelns und Bewah-
rens eigentlich kaum Anlass zu Konfikten geben sollte. In
der Tat dürften die meisten Verwerter keine Probleme damit
haben, dieses Anliegen sogar aktiv zu fördern. Und dass
die Urheber und Künstler auch aus persönlicher Sicht ein
Interesse am Anliegen des Sammelns und Bewahrens haben,
versteht sich von selbst.
Seit jeher darf eine Bibliothek zu Archivzwecken kopieren
– auch digital – wenn und soweit die Vervielfältigung zu
diesem Zweck geboten ist und als Vorlage für die Verviel-
fältigung ein Werkstück aus dem eigenen Bestand benutzt
wird, wenn ferner das Archiv im öfentlichen Interesse tätig
ist und keinen unmittelbar oder mittelbar wirtschaftlichen
oder Erwerbszweck verfolgt (§ 53 Abs. 2 Nr. 3 UrhG).
Konfikte entstehen überall dort, wo Angebote der öfent-
lichen Bibliotheken und Archive die kommerziellen Ange-
bote der Rechteinhaber kostenlos zu substituieren drohen.
Unlimitierter kostenloser Zugang zu geschützten Inhalten
über solche eng begrenzten Zweckbindungen (z. B. „für Ar-
chivzwecke“) hinaus – durch eine so kleine Wunde könnte
die gesamte Kreativindustrie ausbluten; denn es versteht sich
von selbst, dass sich ein Inhalt nur noch schwer verkaufen
ließe, wenn man ihn nebenan – eben bei einer öfentlichen
Bibliothek – umsonst nutzen könnte.
Das ist z. B. der Grund, weshalb Schulbücher nicht ohne
Lizenz des Verlags von Schulen über das Netz für die Schüler
zugänglich gemacht werden dürfen. Wer sollte noch Schul-
bücher produzieren, wenn die Online-Nutzung für Schul-
und Unterrichtszwecke generell erlaubt wäre? Mit einem
einzigen Exemplar wäre ja die ganze Schule versorgt. Das
gleiche Problem stellt sich im Bereich der universitären Leh-
re. Auch dort gibt es Lehrbücher, und auch dort besteht ein
legitimes Interesse der Verlage, nicht unter Berufung auf die
zweifellos förderungswürdigen Zwecke der Lehre den Verla-
gen, die solche Lehrbücher auf den Markt bringen, die Exis-
tenzgrundlage zu entziehen. Die Zahl der Beispiele lässt sich
beliebig vergrößern: Viele Stadtbibliotheken bieten Filme,
Ein unbegrenzter und
freier Zugang für alle
gefährdet den Nachschub
an Kultur- und Wissen-
schaftsproduktionen.
DVDs und Hörbücher an, die anderweitig nur gegen Bezahlung
zu bekommen wären. Kaum auszudenken, wie die Nutzerzahlen
explodieren würden, sollte man diese – im Moment durch die
beschränkte Zahl der (physischen) Exemplare begrenzten – An-
gebote nun unbegrenzt online verfügbar machen dürfen. Wer
sollte noch Filme oder Musik, E-Books oder andere geschützte
Inhalte kaufen oder gegen Geld mieten, wenn öfentliche Biblio-
theken diese Angebote umsonst machen?
Darum, und nur darum geht es den Rechteinhabern bei der
Diskussion um den Online-Zugang bei Bibliotheken und
Archiven, also um die Frage: Wie können wir den Kultur-
auftrag von Bibliotheken und Archiven fördern, ohne die
berechtigten Interessen der Urheber und Künstler einerseits
und derer zu gefährden, die in deren Werke und Leistungen
investiert haben?
Einige der Antworten auf diese Frage sind erstaunlich einfach:
So könnte man beispielsweise festlegen, welche Bibliothe-
ken, Archive und sonstige Institutionen zu den besonders
förderungswürdigen Orten des „kulturellen Gedächtnisses“
gehören und solchen Institutionen eine Vorzugsstellung ver-
schafen, zum Beispiel der Deutschen Nationalbibliothek,
den Staatsbibliotheken der Länder sowie bedeutenden Ar-
chiven und Sammlungen.
Schon jetzt ist eine Digitalisierung von Beständen für Ar-
chivzwecke ohne Weiteres zulässig, auch bei Gegenständen,
die noch urheberrechtlich geschützt sind. Dies könnte man
erweitern auf Voll-Inhaltsrecherchen einschließlich der Wie-
dergabe von Suchergebnissen im Kurz-Kontext, soweit da-
mit (vor allem bei den Nutzern) keine unmittelbaren oder
mittelbaren Erwerbszwecke verfolgt werden.
Nicht einmal der Online-Zugang wäre hier notwendigerweise
ausgeschlossen: Warum sollte es nicht möglich sein, alle dieje-
nigen Inhalte, die kommerziell (online) angeboten werden, bei
der Recherche als solche auszuweisen und von der kostenlosen
Nutzung auszuschließen? Schon jetzt existieren viele Suchma-
schinen, deren Suchergebnisse Links zu kommerziellen Anbie-
tern der betrefenden Inhalte angefügt sind. Schon jetzt müs-
sen sich Bibliotheksnutzer namentlich identifzieren, wenn
sie Medien physisch entleihen. Eine anonyme Nutzung soll-
te es erst recht dort nicht geben, wo ein Online-Zugang
eröfnet wird. Es erscheint durchaus denkbar, die genutzten
Inhalte durch Nutzungsbedingungen und technische Maß-
nahmen so an die Nutzer zu binden, dass ein Missbrauch
weniger wahrscheinlich wird. So ließe sich auch verhindern,
dass unter dem Zugangsprivileg erworbene Inhalte später
unerlaubt kommerziell „nachgenutzt“ werden.
Ein weiterer Ansatz könnte darin bestehen, viel deutlicher
als bisher nach Nutzungszwecken zu diferenzieren. Eine
Nutzung zu Forschungszwecken muss anders behandelt wer-
den als eine Nutzung zu Unterhaltungszwecken. Natürlich
brauchen wir schleunigst den Online-Zugang für Forscher,
die Manuskripte oder seltene Bücher suchen, die nur in ein-
zelnen Archiven oder Bibliotheken verfügbar sind – aber
sollte sich auf dasselbe Privileg berufen dürfen, wer nur kos-
tenlos einen aktuellen Kinoflm anschauen oder umsonst
die jüngste Veröfentlichung irgendeiner Popmusik-Größe
anhören möchte?
Es ist letztlich so ähnlich wie im Straßenverkehr: „Freie
Fahrt für freie Bürger“ ist ein ebenso plakatives Schlagwort
wie „Freier Zugang zu Informationen – kostenlos für alle“
– und ebenso gefährlich. Im Allgemeinen haben mündige
Bürger ein realistisches Verständnis dafür, dass die Freiheiten
der einen durch die Freiheiten der anderen begrenzt werden.
Unbegrenzt freien Zugang kostenlos für alle wird es hin-
sichtlich geschützter Inhalte nicht geben können, ohne den
Nachschub an genau den Kultur- und Wissenschaftsproduk-
tionen zu gefährden, um die es eigentlich geht.
Zugleich, davon bin ich fest überzeugt, wird die Mehrzahl
der Rechteinhaber Projekte unterstützen, denen es darum
geht, ein nationales, europäisches und schließlich weltweites
„digitales kulturelles Gedächtnis“ zu schafen.
ARE COPYRIGHT LAWS HOLDING DIGITAL LIBRARIES
BACK?
“Copyright“ is repeatedly presented as an obstacle that stands
in the way of the development of public digital libraries, archives and
collections. But it is more complicated than this. Without publishing
houses, music and other production companies of various sorts, the
range of creative work would be limited. Copyright is therefore (also) a
matter of protecting the mediators between the creative world and the
public – and this mediation function is more important today than
ever. Conficts occur wherever services ofered by the public libraries and
archives threaten to replace the commercial oferings of copyright hold-
ers free of charge. Ultimately, material is difcult to sell if it can be used
free of charge in a public library. This is the issue copyright holders have
in the discussion about online access to libraries and archives: how can
we promote the cultural remit of libraries and archives without breach-
ing the legitimate rights of copyright holders and artists on the one
hand and those who have invested in their works and performances on
the other? Some of the responses to this question are surprisingly simple.
For example, one could identify which libraries, archives and
g
Es geht beim Urheberrecht
(auch) um den Schutz der
Mittler zwischen Kreativen
und Publikum.