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BRAUCHEN WIR EINE
NEUE INFRASTRUKTUR
DES WISSENS?
Zunehmend verschmelzen die Inhalte von Informationen mit den Tech-
nologien zum Zugang und zur Nutzung. Was bedeutet diese wachsende
„Convergence“ für traditionelle Informationsanbieter wie Bibliotheken?
Und was lehrt das Beispiel Deutsche Digitale Bibliothek?
Antworten von
SABINE BRÜNGER-WEILANDT UND DR. LENI HELMES
„Convergence Now!“ – so lautet der Titel des Jahresausblicks
2014 von Outsell, der renommierten amerikanischen Markt-
forschungs- und Beratungsgesellschaft, die spezialisiert ist
auf die internationale Information Industry, deren Trends,
Herausforderungen und Handlungsoptionen. Die These zum
Titel lautet: „As we head into 2014, we see devices, humans,
technologies, value chains, content, and workfows blending
and becoming one human-machine ecosystem. (…) Techno
sapiens, anyone? There’s no need for more discussion about
the print-to-digital shift or about device adoption. It’s all
one now, as information and technology have come together
as a result of (…) industry players grokking what growth in
the New Normal requires.“
Dies trift einen wesentlichen Aspekt von „Crossing Borders
– The Future of Access“, das Motto der internationalen Konfe-
renz für Elisabeth Niggemann mit Blick auf die Zeit, die sie als
Generaldirektorin der Deutschen Nationalbibliothek seit 1999
gestaltet hat und weiterhin prägen wird. Auch wenn für die
Deutsche Nationalbibliothek gilt, dass sie als Bau, als Raum
real und zugänglich ist und ihre Bestände weiterhin real nutz-
bar sind und bleiben werden, so gilt für die Dimension des
Zugangs (access), dass sich hier völlig neue, zusätzliche Ho-
rizonte eröfnen. Davon ausgehend, dass in diesem Kontext
access Zugang und Zugangsmöglichkeiten zu Information,
Kommunikation und zu Wissen meint, bezieht sich conver-
gence auf das zunehmende Verschmelzen von Informations-
inhalten (content) mit Technologien zum Zugang und zur
Nutzung. Die Konvergenz von Content und Technologie wird
umso stärker, je mehr die Digitalisierung sowohl das private
Umfeld als auch die Geschäftsprozesse durchdringt und somit
unseren Alltag wie auch bestehende Märkte und Geschäftsmo-
delle radikal verändert. Analoge Medien und Objekte (z. B.
gedruckte Zeitschriften, Bücher, Filme, Fotografen, Gemälde,
Skulpturen, Archivalien) können und werden uns nach wie vor
in ihren Bann ziehen und für bestimmte Zeiträume fesseln –
aber wir beobachten, dass die digitalen Medien vor allem bei
Kindern und Jugendlichen so selbstverständlich zu ihrem Le-
ben gehören, dass sie völlig unbewusst damit umgehen; Smart-
phones z. B. scheinen ein integraler Bestandteil von ihnen
selbst zu sein (techno sapiens).
Der ständige Zugrif auf völlig verschiedenartige Informatio-
nen ebenso wie die Nutzung mehrerer Geräte gleichzeitig wird
immer mehr zur Normalität. Wir erinnern uns alle noch an
die Anfänge von Google als reine Suchmaschine, die Websei-
ten durchforstete und dort erstellte Informationen aufndbar
machte – dieses Angebot ist zu einem Quasi-Standard gewor-
den. Dazu sind im Laufe der Jahre eine Menge an neuen, in-
novativen Angeboten gekommen, die wir mittlerweile ebenfalls
ganz selbstverständlich in unseren Alltag integriert haben. Die
Deutsche Nationalbibliothek in Frankfurt am Main zu fnden
ist nach wie vor ohne Google Maps durchaus machbar – aber
oftmals führen uns z. B. Veranstaltungen auch an Orte, deren
Aufnden in früheren Jahren speziell für Menschen, die des
Kartenlesens nicht so mächtig sind, durchaus eine Herausfor-
derung darstellte. Neueste Kooperationen von Google z. B.
mit Herstellern von Automobilen oder auch Haustechniken
lassen nur erahnen, was uns hier in Zukunft noch erwarten
wird. Die reale Welt wird von der digitalen immer schneller
erreicht – und durchdrungen.
Angetrieben wurden und werden diese Entwicklungen durch
solche Unternehmen, die sich von Anfang an ausschließlich
mit nativ digitalen Medien beschäftigten, sie konnten ohne
weitere Hindernisse unmittelbar ihre Ideen umsetzen. Die öf-
fentliche Wahrnehmung des Internets begann in den 1990er-
Jahren mit dem Erscheinen des ersten Webbrowers. Tim
Berners-Lee ist der Erfnder der HTML (Hypertext Markup
Language) und der Begründer des World Wide Web. Er schlug
seinem Arbeitgeber CERN ein Projekt vor, das auf dem Prin-
zip des Hypertexts beruhte und den weltweiten Austausch
sowie die Aktualisierung von Informationen zwischen Wissen-
schaftlern vereinfachen sollte. 1990 veröfentlichte er dann ein
Konzept für ein weltweites Hypertext-Projekt, anschließend
entwickelte er die Seitenbeschreibungssprache HTML, das
Transferprotokoll HTTP, die URL (der Name kam allerdings
erst später), den ersten Webserver und Webbrowser – über die
Bedeutung dieser genialen Ideen muss hier nichts weiter gesagt
werden. Berners-Lees visionäre Ideen zum semantic web waren
bahnbrechend und sind nach wie vor zukunftsorientiert: Alle
in menschlicher Sprache ausgedrückten Informationen im In-
ternet sollen mit einer eindeutigen Beschreibung ihrer Bedeu-
tung (Semantik) versehen werden, die auch von Computern
verstanden oder zumindest verarbeitet und in neue Kontexte
gestellt werden kann.
Der Zugang zu Information und Wissen über Webbrowser
stellte die traditionellen Informationsanbieter, die Informati-
on Industry, vor die erste große „digitale“ Herausforderung.
Selbst solche Anbieter, die bereits digitale Informationsversor-
gung über Online Hosts betrieben, mussten erkennen, dass
sie sich dem Web öfnen mussten – wozu sowohl technisch
als auch geschäftspolitisch neue Wege einzuschlagen waren.
Das Web setzte die Standards, denen die oftmals proprietä-
ren Techniken und traditionellen Geschäftsmodelle weichen
mussten. Damit wiederum eröfneten sich aber ganz neue
Möglichkeiten, Verlinken von Inhalten wurde z. B. ein großes
Thema, das in der Folge viele neue Angebote hervorgebracht
hat. Informationsanbieter, deren Inhalte nicht in digitaler
Form vorlagen, sahen sich mit dem Thema der Digitalisierung
konfrontiert. Verlage z. B. begannen, ihre Inhalte zusätzlich zu
den gedruckten Medien auch in elektronischer Form zur Ver-
fügung zu stellen, und mittlerweile ist das sogenannte e-only
auf vielen Gebieten zum Standard geworden.
Die Deutsche Nationalbibliothek ist seit 2011 der technische
Koordinator der Deutschen Digitalen Bibliothek (DDB) – ein
Mandat, das weit über das rein technische hinausgeht. Die
DDB ist ein von Bund und Ländern gefördertes Jahrhundert-
projekt, das den Anspruch hat, Zugang (access) zu schafen zu
dem gesamten kulturellen Erbe Deutschlands in seiner ganzen
Breite und Vielfältigkeit – und zwar Zugang für jedermann, ge-
nerationsübergreifend, egal ob Laie oder Prof, Hobbyforscher
oder Wissenschaftler, auf Reisen oder zuhause. Digitalisierung
ist eine Grundvoraussetzung, um das kulturelle Erbe sowohl
zu erhalten als auch im breitesten Sinne zugänglich zu machen:
sowohl für Menschen wie Maschinen, für Wissenschaft, For-
schung und Bildung, fachübergreifend, unabhängig von dem
jeweiligen physikalischen Speicher-, Lager- oder Aufenthaltsort,
und unabhängig vom jeweiligen Zugrifssystem (device).
Digitalisierung bedeutet aber nicht nur den Transfer der jewei-
ligen Medien aus der physischen (oder in unserem Kontext:
analogen) in die digitale Ausprägung – obwohl bereits dies
eine sehr große Herausforderung bedeutet. Digitalisierung
bedeutet auch, dass es entsprechender digitaler Strukturen
bedarf, konkret: des Aufbaus einer nachhaltigen digitalen In-
formationsinfrastruktur, die unsichtbar im Hintergrund agiert
und die heutigen und künftigen Möglichkeiten realisiert, und
zwar nicht nur für den Zugang, sondern auch für den Wissens-
transfer (z. B. Europeana).
Dies sind ambitionierte Ziele, und um sie zu erreichen, bedarf
es der qualifzierten Ausbildung und der umfassenden Erfah-
rungen, die bei den traditionellen Informationsvermittlern und
Gedächtnisorganisationen in der Vergangenheit aufgebaut wur-
den und etabliert sind. Um erfolgreich Informationsinfrastruk-
turen aufzubauen und zu betreiben, die höchsten Ansprüchen
und – zumindest heute absehbaren – Nutzungsszenarien gerecht
werden, sind professionelle Konzepte, Methoden und Techni-
ken zwingend notwendig: auch und gerade die digitalen Inhalte
müssen standardisiert erschlossen, gespeichert und zugreifbar
gemacht werden; nur auf dieser Basis wird man den höchstmög-
lichen Wert aus ihnen ziehen können, für ganz unterschiedliche
Nutzungsszenarien. Ein Beispiel: Es macht einen Unterschied,
g
Nur auf Basis professionel-
ler Konzepte, Methoden und
Techniken kann man den
höchstmöglichen Wert aus
digitalen Inhalten ziehen.