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DENK ICH AN
DEUTSCHLAND…
JOHANNES EBERT ÜBER DAS DEUTSCHLANDBILD IN DER WELT
UND DIE ARBEIT DES GOETHE-INSTITUTS
Einzig der Taxifahrer in London war
– oh Wunder! – nicht willens, sich auf
das dünne Eis der Politinterpretation
zu begeben. „Germany has changed“,
erklärt er staatsmännisch. Die Fuß-
ball-WM 2006 habe viel verändert, die
Briten hätten seither ein ganz anderes
Bild von den Deutschen – aber die
würden ja auch erstmals in ihrer Ge-
schichte „richtigen Fußball“ spielen.
Die Submarke Berlin:
kreatives Chaos
Bier, BMW und Bayern – im Großen
und Ganzen funktionieren sie mit
ungebrochener Kraft, die alten Stereo-
type, die unserem Land weltweit ein
Gefühl etwas unterkühlter Hochach-
tung einbringen. Neu dazugekommen
ist in den letzten Jahren mit „Berlin“
ein weiteres wirkmächtiges „B“. Die
deutsche Hauptstadt steht für eine
fast eigenständige „Submarke“, die
die traditionellen Komponenten des
Deutschlandbildes in interessanter
Weise ergänzt und modifziert. Wird
Deutschland auch im 21. Jahrhundert
refexartig mit Präzision, Pünktlich-
keit und ein wenig Langeweile assozi-
iert, punktet Berlin mit dem „Charme
von kreativem Chaos“. Zahllose junge
Kreative aus aller Welt, die sich in Ber-
lin niedergelassen haben, senden diese
Botschaft an ihre Freundeskreise da-
heim und agieren so als authentische
„Markenbotschafter Deutschlands“.
Ein solcher ist qua Amt auch das
Goethe-Institut. Mit seinem Netz
von derzeit 149 Instituten in 93 Län-
dern beeinfusst es seit 60 Jahren das
Deutschlandbild. „Sprache. Kultur.
Deutschland.“ lautet der Claim, der
die Arbeit des Goethe-Instituts in
größtmöglicher Verknappung zusam-
menfasst. Die „Spracharbeit“ besteht
unter anderem aus den rund 21.500
Kursen, in denen 2011 mit 234.587
Teilnehmerinnen und Teilnehmern so
viele Menschen unsere Sprache gelernt
haben wie nie zuvor. Zudem betreut
das Goethe-Institut die Dozentinnen
und Dozenten sowie Lehrerinnen und
Lehrer in aller Welt. Das breite Fort-
bildungsangebot sorgt dafür, dass sich
unsere Partner aus den Erziehungssys-
temen in Deutschland auch immer
wieder selbst ein Bild davon machen
können, wie es in unserem Land aus-
sieht. Mehr als 5.000 Kulturveranstal-
tungen pro Jahr ermöglichen zudem
einen diferenzierten Eindruck davon,
was hierzulande gedacht, erdichtet
und ersonnen wird – ein Spiegel der
kulturellen Vielfalt und Dichte un-
seres Landes. Neben „Spracharbeit“
und Veranstaltungen sind es die ak-
tuell insgesamt 95 Bibliotheken des
Goethe-Instituts, die in 68 Ländern
Informationen über Deutschland an-
bieten. Schließlich wird das Deutsch-
landbild auch durch den multimedia-
len, vielsprachigen Internetauftritt des
Goethe-Instituts mit geprägt. Bei Ge-
nese und Präsentation seiner Projekte
verzichtet das Goethe-Institut bewusst
auf die große Geste des Kulturexports.
Seit 60 Jahren setzt es konsequent auf
die Kraft des Dialogs auf Augenhöhe.
Dies wird weltweit als ein Stück geleb-
te Demokratie wahrgenommen, ein
Ansatz, der seinerseits das Deutsch-
landbild nicht unerheblich beeinfusst.
Sympathie als
Währungsreserve
Das individuelle Informationsverhal-
ten unterliegt indes in allen Teilen der
Welt einem stetigen Wandel. Für die
Bibliotheken des Goethe-Instituts mit
ihrer starken lokalen und regionalen
Verankerung birgt dies die Herausfor-
derung, ihre Rolle als Vermittler und
Lotse in den sich rasant entwickeln-
den Medien- und Informationsland-
schaften zu gestalten und die Funk-
tion als „Fenster nach Deutschland“
in physischer und digitaler Form neu
zu defnieren. Wichtiger als der Besitz
von Medien und Information wird
angesichts von deren praktisch un-
begrenzter Verfügbarkeit die Zugäng-
lichkeit, Vermittlung und qualitative
Bewertung. Die Wissensgesellschaft
des 21. Jahrhunderts mit ihrer digi-
talen Wunderkiste verfügt über ganz
neue Möglichkeiten, sich rasch und
umfassend zu informieren. Zugleich
zeigt sich jedoch weltweit, dass Kli-
schees und Stereotype fortbestehen.
Die Vielzahl der Angebote scheint die
Ausbildung diferenzierter Meinun-
gen mitunter eher zu behindern als zu
befördern. Und doch hat sich in den
letzten 60 Jahren viel bewegt. Deutsch-
land verfügt über ein weit verzweigtes
Netz an Fürsprechern und Freunden
in aller Welt, Menschen, die oft zu
einem frühen Zeitpunkt ihrer Karrie-
re mit Deutsch und Deutschland in
Kontakt gekommen sind, Anregungen
oder Förderung ihrer beginnenden
Karriere erfahren haben. Die Arbeit
der deutschen „Antennen in aller
Welt“ – Goethe-Institut, Humboldt-
Stiftung, Deutscher Akademischer
Austauschdienst, Deutsche Welle, In-
stitut für Auslandsbeziehungen und
Zentralstelle für Auslandsschulwesen
– bildet so ein wertvolles Kapital für
Deutschland. Eine krisensichere Wäh-
rungsreserve aus unerschütterlicher
Sympathie und Hochachtung. Es wird
spannend sein, zu sehen, was die Taxi-
fahrer in den Metropolen der Welt
2050 über unser Land zu sagen haben.
JOHANNES EBERT
Der studierte Orientalist
ist seit März 2012 Gene-
ralsekretär des Goethe-
Instituts.
Sammelauftrag, wenn mehr als die
Hälfte des Inhalts Deutschland be-
trift. Belletristische Werke, in denen
Persönlichkeiten und Ereignisse aus
dem deutschen Sprachgebiet be-
schrieben werden, sind zu sammeln,
Medienwerke zu Erzeugnissen, die in
Deutschland hergestellt wurden, hin-
gegen nicht. Wie aber erfährt man in
Leipzig überhaupt von derartigen Ver-
öfentlichungen? In mühsamer Klein-
arbeit durchforsten die Mitarbeiterin-
nen und Mitarbeiter des Sachgebietes
Auslandserwerbung mehr als 100 Na-
tionalbibliografen weltweit, zum Teil
auch in nicht lateinischer oder nicht
kyrillischer Schrift, hier unterstützt
von externen Sprachkundigen. Die
nächste Herausforderung besteht da-
rin, die ermittelten Medien möglichst
kostengünstig zu beschafen – Verlage
im Ausland sind ja nicht zu einer Ab-
lieferung in Deutschland verpfichtet.
Die drei gängigsten Wege: Die Deut-
sche Nationalbibliothek erhält Pub-
likationen über direkte Kontakte zu
den jeweiligen Verlagen, sie tauscht
mit anderen Bibliotheken oder sie
bezieht sie von Buchhändlern, die
sich auf bestimmte Länder oder Spra-
chen spezialisiert haben. So kommt
zum Schluss zwar nicht jedes Buch
der Welt mit Deutschlandbezug nach
Leipzig, aber doch der wichtigste Teil.
Jedes dieser 126.000 Medien stellt
einen Mosaikstein in einem globalen
Deutschlandbild dar – eine Fundgru-
be von Perspektiven aus mehreren
Jahrzehnten und allen Kontinenten,
die auch Einblicke in Wandel und
Veränderungen geben. Dank der dif-
ferenzierten Suchmöglichkeiten im
Online-Katalog der Deutschen Nati-
onalbibliothek lassen sich selbst für
spezifsche Fragestellungen zielgenau
Publikationen fnden. Was ist in der
UdSSR über den Mauerfall veröfent-
licht worden, was in den USA? Wie
unterscheiden sich polnische Publika-
tionen über den Nationalsozialismus
aus den 1950er-Jahren von aktuellen?
Wie erklären japanische Autoren ihren
Landsleuten die deutsche Lebensart?
Antworten fnden sich in Leipzig.
die jüngste Niederlage der Bayern in
der Champions League, sondern die
gemeinsame Kriegserfahrung Deutsch-
lands und Japans. Eine fragwürdige
Hommage an die Herkunft des deut-
schen Fahrgastes. Was die Situation
rettet? Das allgegenwärtige Oktober-
fest, ein weit unverfänglicheres Ge-
sprächsthema. Natürlich gibt es auch
in Tokyo alljährlich ein „Beer Festi-
val“, veranstaltet von der deutschen
Handelskammer. Neben Maßkrug
und Blasmusik ist die deutsche Inge-
nieurskunst ein fester Bestandteil des
Deutschlandbildes rund um den Glo-
bus. „Ein BMW oder Mercedes, ja,
das wäre schon ein Traum“, schwärmt
der Taxifahrer in Singapur, der unsere
Kollegin in seinem Toyota durch die
Vier-Millionen-Metropole fährt.
In Europa ist der Taxidiskurs dieser
Tage eher von der Eurokrise geprägt.
Unverhohlen zeigt der Fahrer eines
Athener Kollegen seinen Unmut über
das Schlamassel, das „die Europäer
da im schönen Griechenland ange-
richtet haben“. „Deutschland ist jetzt
gefragt“, heißt es dagegen in einem
Warschauer Taxi, ein durchaus bemer-
kenswertes Bekenntnis, wenn man an
die Ängste der Nachbarn vor einem
übermächtigen Deutschland bei der
deutschen Wiedervereinigung denkt.
Eine sichere Quelle für Informationen
jeder Art sind bekanntlich Taxifahrer.
Befissen, nur manchmal etwas mür-
risch, geben sie Auskunft zu Wetter,
Weltpolitik und allem Wesentlichen.
Das gilt auch für das Deutschlandbild
in der Welt. Möchte man wissen, wie
es um das Ansehen unseres Landes bei
Otto, Marianne oder Naoko Normal-
verbraucher bestellt ist, lohnt sich ein
Blick in das globale Taxi. Auch wenn
sich mein Taxifahrer in Kairo in ers-
ter Linie fußballkundig gibt. Mühe-
los subsumiert er die Gemengelage
der deutschen Bundesliga. Sein Herz
schlage auf jeden Fall für den FC Bay-
ern. Es scheint, dass die regelmäßigen
Reisen des Clubs und zuletzt die Teil-
nahme am Endspiel der Champions
League ihre Wirkung nicht verfehlen.
Als globaler Botschafter Deutschlands
ist der FC Bayern jedenfalls eine ver-
lässliche Größe.
BMW
oder Mercedes
– ein Traum
Der Taxifahrer, der unsere Kollegin
mit feinen weißen Handschuhen
durch das Straßengewirr Tokyos diri-
giert, gibt sich leutselig: „Das nächste
Mal zeigen wir es ihnen“, deklamiert
er stolz. Gemeint ist damit keineswegs

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