Seite 38-39 - DNB_Leseraum_FINAL

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Sprachraum, Klangraum, Leseraum, welch
ein Zauber liegt in diesen Worten, wie ein
Klang aus weiter Ferne, als Sprache noch
nicht der Schnelllebigkeit des Alltags und dem
E-Mail-Verkehr geopfert wurde. Mit Sprache, ge-
nauer gesagt mit juristischer Sprache, hatte ich ein
ganzes langes Berufsleben zu tun. Sprachkraft, Rhetorik,
Logik, bisweilen Dialektik eröfnen den gestaltenden Raum des
Juristen; Grammatik, saubere Diktion, Klarheit des Gedanken
in Worte gefasst, sollten seine Instrumente sein. Mühsam und
holprig beginnen die Wege, bis man gelernt hat, den juristi-
schen Sprachraum zu erobern, bis das „von Rechts wegen“
gesprochene und geschriebene Wort die nötige Überzeugungs-
kraft gewinnt. Vor allem ist dazu viel Lesearbeit gefordert, noch
immer in der von Gutenberg erfundenen großartigen Form
des gedruckten Worts, die durch E-Learning noch nicht ersetzt
werden kann. Und so verbringt der Jurist einen großen Teil
seiner berufichen Zeit in „Leseräumen“ aller Art.
Meine Gedanken schweifen zurück, ich wandere durch all die
Leseräume meiner Erinnerung. Sofort fällt mir als bleiben-
der Eindruck der wunderbare Büchersaal der Stiftsbibliothek
St. Gallen ebenso ein wie die zauberhafte Herzogin Anna
Amalia Bibliothek in Weimar. Nein, so imposant waren weder
die juristischen Bibliotheken der Universitäten noch die der
Gerichte und Behörden, in denen ich 40 Jahre deutsche Justiz
erlebte. Es waren in meinen Studienjahren eher funktionel-
le, karge Räume mit Büchersammlungen, deren Qualität sich
daran messen lassen musste, wie schnell man die gewünschten
Titel fand und ob angesichts der Vielzahl studentischer Mitbe-
werber die begehrten Bücher und Kommentare in ausreichender
Zahl vorhanden waren.
Wegen ihrer Bedeutung dürfen in diesem Zusammenhang nicht
unerwähnt bleiben die allerorts zu fndenden abgeschabten
hölzernen Karteikästen mit ihren in Jahrzehnten abgegrifenen
Karteikarten, die einem halfen, im Findungsprozess vor dem
Leseraum erfolgreich zu sein. Hatte man sich sodann in zu-
meist überfüllten Seminarräumen noch einen Leseplatz erobert,
konnte der justizielle Bildungsprozess fortgesetzt werden.
Die Gerichtsbibliotheken waren weniger bevölkert; soweit sie
in den alten Gerichtsgebäuden aus der Zeit der Reichsgrün-
dung und der Reichsjustizgesetze untergebracht
waren, hatten sie sich den Charme ihrer Zeit
bewahrt, als dem Recht und der Rechtsverein-
heitlichung noch eine überragende Bedeutung
zukam. Holzvertäfelungen und holzgeschnitzte,
verzierte Bücherborde atmeten mit ihrem alten, in Le-
der gebundenen Bücherschatz Wärme, Würde, Dignität und
justizielles Selbstbewusstsein.
Ganz anders stellte sich später der „Leseraum“ des Bundesge-
richtshofes in Karlsruhe dar, dem ich ab 1987 angehörte. Die
Bibliothek, in einem schmucklosen Seitengebäude neben dem
Erzherzoglichen Palais untergebracht, erreichte man durch einen
unterirdischen Gang. Im Untergeschoss befanden sich auch die
Bücherbestände, nach Alphabet sortiert, nicht nach Sachgebie-
ten zusammengefasst, in ebenfalls schmucklosen Metallborden
aneinandergereiht. Wenn man nach Durchschreiten der Un-
terwelt das Tageslicht wieder erreichte, traf man auf die schon
bekannten abgeschabten Karteikästen, die man umso dankbarer
wahrnahm, als sie dabei halfen, das Alphabet des Bücherbestan-
des im Untergeschoss dem Nutzer sinnreich zu erschließen.
Als ob die Zeit dort stehen geblieben sei, strahlte der „Leseraum“
des Bundesgerichtshofes die Atmosphäre der 60er-Jahre aus, ein
abgenutzter Teppichboden (oder war es doch Linoleum?), Ar-
beitstische mit deutlichen Spuren einer langen „Dienstzeit“ und
davor mit königsblauem, strukturiertem Leinenstof bezogene
Drehstühle, deren Plastiklehnen durch langjährige Nutzung
ermüdet und aufgeplatzt waren. Nein, Inspiration vermochte
dieser Leseraum nicht zu vermitteln, hier gaben sich Armut und
Demut die Hand! Welch ein Glück, dass Justitia eine Binde vor
den Augen trägt, sonst wären ihr die Tränen gekommen.
Heute ist alles anders, der Bundesgerichtshof hat eine helle,
lichtdurchfutete neue Bibliothek bekommen, die eines Obers-
ten Gerichtshofes des Bundes in Zivil- und Strafsachen würdig
ist, aber das geschah erst sehr viel später, im nächsten Jahrhun-
dert, als ich schon in Leipzig war und dort wieder eintauchen
konnte in die alten Bibliotheken dieser wunderschönen Stadt
mit ihrer langen Buchtradition.
PROF. MONIKA HARMS.
Die Juristin war von 2006 bis 2011 Generalbundes-
anwältin beim Bundesgerichtshof der Bundesrepublik Deutschland.
VON RECHTS
WEGEN
Juristische Leseräume: In dieser Kolumne
erinnert sich Monika Harms an die Bibliotheken ihres Lebens.
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4. Jahrgang
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