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Das Klicken eines Lichtschalters, ansonsten vollkommene Stille
in fensterlosen Räumen. 18 Grad Celsius bei einer relativen
Luftfeuchtigkeit von 50 Prozent. Wer mit Roland Pankonin die
Magazinräume im Erweiterungsbau betritt, fühlt sich ein wenig
wie Jonas im Bauch des Wals. Plötzlich, mit einem sanften
Summen, teilen sich die kompakten Regalblöcke, fahren wie
von Zauberhand auseinander. „Die Schlafstellung“, lächelt Pan-
konin. „Unsere elektronisch gesteuerten Fahrregalanlagen öf-
nen sich nach längerer Verwaistheit automatisch, das dient der
besseren Luftzirkulation und hilft, die Bestände zu schützen.“
Roland Pankonin ist Leiter des Referats Bestandsverwaltung
und in seiner Brust schlagen, ach, zwei Herzen: Eines für die
Archivierung, das andere für die Bereitstellung der ihm anver-
trauten Bestände. Beide Leidenschaften in Einklang zu bringen
ist nicht einfach. „Der ‚Erfolg’ eines gut archivierten Bestands
zeigt sich auf lange Sicht. Im Tagesbetrieb werden wir daran
gemessen, ob das Benutzergesicht strahlt. Da sind wir mit gan-
zem Herzen Servicekraft. Wenn ich Ihnen aber einen Band
herausgebe, vernachlässige ich im Prinzip dessen Schutz.“
Rund zehn Kolleginnen und Kollegen sind ab dem frühen Mor-
gen damit beschäftigt, Bestände auszuheben und Bestellungen
zu versenden. Ein komplexer, fein abgestimmter Organismus;
kleinere Störungen, krankheitsbedingte Personalausfälle etwa,
machen sich sofort bemerkbar. Wenn kurz nach acht aus
einem Magazinbereich über die Büchertransportanlage zwei,
drei gefüllte Wannen weniger als üblich zur Ausgabestelle
reisen, schrillt das Telefon. Alles klar bei euch? Montags sind
meist über 1.500 Anforderungen zu bearbeiten, über die
Woche sinkt die Zahl auf rund 1.000 pro Tag.
„Ein guter Magaziner“, so Pankonin, „muss kontinuierlich
und berechenbar arbeiten“. Er wirkt im Verborgenen. Hin und
wieder muss er innerhalb der ungeschriebenen Bibliothekshie-
rarchien beweisen, dass man ihn braucht, dass er mehr kann,
als Medien von A nach B zu bewegen. Anerkennung an der
Bücherausgabe: „Ganz lässig und auf den Punkt mit dem hän-
deringend gesuchten Regalmeter Fachzeitschriften vorfahren,
auch das ist ein Stück neu hinzugewonnene Souveränität“,
meint Pankonin lächelnd.
Bis zu 18 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind im Bereich
Archivierung in Leipzig gleichzeitig tätig, darunter viele
Stammkräfte. Pankonin ist stolz, dass das Gros der Kollegen
über die schwierige Zeit der Magazinumzüge im Zuge der
Errichtung des jüngsten Erweiterungsbaus zusammengeblie-
ben ist. „Wir haben den Umzug als Chance nutzen können,
wieder deutlichere Konturen in die Magazinbelegung zu
bekommen.“ Aktuelle Zeitschriften fnden sich in den oberen
Etagen des Hauptgebäudes, der Magazinturm wird heute nur
noch mit Monografen bestückt. Täglich kommen 15 bis 20
Regalmeter dazu. Angesichts dessen rechnet Pankonin in der
Langzeitplanung in der Einheit ‚Kilometer‘: „Das ist beinahe
das Paradies. Bis 2025 bietet uns der neu geordnete Turm
wieder Platz.“ Aufgrund seiner perfekten Raumbedingungen
sind die ältesten und bislang meiststrapazierten Medien – Zeit-
schriften, dazu auch die Bestände des Deutschen Musikarchivs
– im jüngsten Erweiterungsbau untergebracht. Pankonin zieht
einen Band aus dem Regal, dessen Signatur 1913, im Grün-
dungsjahr der Bibliothek, vergeben wurde: „Diese Bestände
wurden jahrzehntelang in den Magazinen des Hauptgebäudes
hin- und hergeschoben, haben die Tortur des Außenlagers
auf der Alten Messe hinter sich. Die freuen sich gerade.“ Las-
sen wir sie also weiterträumen – die Bücher in Schlafstellung
und Roland Pankonin, der jetzt das Licht löscht, womöglich
schon vom nächsten Erweiterungsbau.
IM BAUCH
DES WALS
Gesichter der Nationalbibliothek, Leipzig. Die schnellstmögliche
Bereitstellung von Medien und die Sorge um deren dauerhaften
Erhalt: In der Brust von Roland Pankonin, Leiter des Referats
Bestandsverwaltung, schlagen mindestens zwei Herzen.
PORTRÄT: NILS KAHLEFENDT FOTO: STEPHAN JOCKEL

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