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Indes ging es nun nicht mehr darum,
ausschließlich westdeutsche Neuerschei-
nungen zu archivieren und zu erfassen.
Es ging um alle deutschsprachigen Pu-
blikationen – und damit um eine ganze
Menge Bücher. Aufgrund der wachsen-
den Buchproduktion stieg die Zahl der
Neuzugänge von 10.000 Exemplaren
1946/47 auf fast 100.000 Bücher im Jahr
1952. Die Bücher waren provisorisch in
Kellerräumen und in einer Holzbaracke
untergebracht. Auch ein eigener Lese-
raum für die Benutzer fehlte, der mitbe-
nutzte Lesesaal der Stadt- und Universi-
tätsbibliothek platzte aus allen Nähten.
Es war ofensichtlich, dass die fnanzi-
elle Ausstattung der Deutschen Biblio-
thek an ihre Grenzen geriet und dass
eine neue Lösung für die Finanzierung
gefunden werden musste. Juristisch
war die Deutsche Bibliothek bis dahin
eine Einrichtung des Börsenvereins des
Deutschen Buchhandels. Unterstützt
wurde sie maßgeblich von der Stadt
Frankfurt, die Raum und Personal
zur Verfügung stellte – darunter auch
Eppelsheimer, der in Personalunion
Direktor der Stadt- und Universitäts-
bibliothek und bis 1959 Direktor der
Deutschen Bibliothek war. Das Land
beteiligte sich ein wenig, der Bund
bis dato – mit dem Hinweis, dass dies
Ländersache sei – gar nicht. Dass es so
angesichts der wachsenden Anforde-
rungen nicht weitergehen konnte, war
allen Beteiligten klar. Ein Blick über
die deutsch-deutsche Grenze und in
die Geschichte zeigte, wie es nur funk-
tionieren konnte, nämlich indem sich
nicht nur die Buchhändlervereinigung
und die Stadt, sondern eben auch
Land und Bund beteiligten. Mit der
Stiftungsurkunde vom Juli 1952 wurde
die Deutsche Bibliothek eine rechtsfä-
hige Stiftung des öfentlichen Rechts.
Stadt und Land waren die Hauptstifter,
der Börsenverein und jetzt auch die
Bundesrepublik beteiligten sich an der
Stiftung. Damit hatte die Deutsche Bib-
liothek vorläufg ein fnanzielles Funda-
ment, auf das sich – im wahrsten Sinne
des Wortes – aufbauen ließ.
Ein geeignetes Grundstück für einen
Bibliotheksbau hatte die Stadt Frankfurt
bereits im Stiftungsvertrag zugesichert.
Allerdings zog sich der Baubeginn an
der Zeppelinallee im Frankfurter West-
end noch eine Weile hin. Aus fnanziel-
len Gründen, möglicherweise auch im
Hinblick auf die ungewisse politische
Zukunft des geteilten Deutschlands,
entschloss man sich zu mehreren Bauab-
schnitten, von denen der erste im April
1959 vom Bundespräsidenten Theodor
Heuss feierlich eröfnet wurde. Mit nun-
mehr 480.000 Medieneinheiten zog die
Bibliothek in das vom Architekten Her-
mann Mäckler geplante Gebäude um.
Mit dem Wegzug aus der Stadt- und Uni-
versitätsbibliothek bekam die Deutsche
Bibliothek auch einen neuen Direktor:
Prof. Kurt Köster.
Die Bibliothek wuchs weiterhin rasant
– und damit wuchsen auch die Kosten.
1966 erklärten die Stadt und das Land,
dass sie sich nicht mehr weiter in der
Lage sähen, die fnanzielle Hauptlast
zu tragen. 1969 beschloss daher der
Bundestag nach langen Diskussionen
das „Gesetz über die Deutsche Biblio-
thek“, die damit von einer hessischen
Stiftung zu einer bundesunmittelbaren
Anstalt des öfentlichen Rechts wurde.
Mit dem Gesetz wurde auch erstmals
die Ablieferungspficht (Pfichtexemp-
lar) bundesweit gesetzlich festgelegt. Das
heißt, von jeder in der Bundesrepublik
Deutschland erschienenen Veröfentli-
chung musste von da an ein Exemplar
der Deutschen Bibliothek zur Archivie-
rung übergeben werden. Neben der Ab-
lieferung eines „westdeutschen Pficht-
exemplars“ schickten viele Verlage ein
weiteres Exemplar nach Leipzig.
DIE (OST-)
DEUTSCHE BÜCHEREI
Welche Auswirkungen hatte die Teilung Deutschlands und die Politik
des DDR-Regimes auf die Deutsche Bücherei? Und wie war die
Zusammenarbeit mit dem Westen? Fragen an Prof. Helmut Rötzsch,
der in den Jahren 1961 bis 1990 die Deutsche Bücherei leitete.
INTERVIEW: DR. CHRISTIAN HORN
Welche Erinnerungen haben Sie an
den 10. Januar 1991, als Sie nach
über vierzig Dienstjahren feierlich
in den Ruhestand verabschiedet
wurden?
Im großen Lesesaal waren viele Gäste zu-
sammengekommen. Ich wollte nicht in
diesem großen Rahmen verabschiedet
werden, doch der Generaldirektor des
Gesamthauses Klaus-Dieter Lehmann be-
stand darauf. Als ich in den Saal kam, war
ich sehr ergrifen. Fast 500 Mitarbeiter
sind aufgestanden und haben geklatscht.
Der Betriebsratsvorsitzende sagte, ich sei
„ein Chef zum Anfassen“ gewesen. Diese
Aussage vergesse ich nie und ich fnde,
man kann sie auch so unterstreichen.
Sie haben als Verwaltungsleiter ange-
fangen in einer Zeit, als der legendä-
re Direktor Heinrich Uhlendahl das
Haus noch leitete, was er bereits in
der Weimarer Republik und im Drit-
ten Reich getan hatte. Wie haben Sie
Uhlendahl erlebt?
Ich wurde 1950 als Verwaltungsleiter in
die Deutsche Bücherei vermittelt, ohne
dass Uhlendahl davon Kenntnis hatte.
Er war eine Art Diktator. Man wusste als
Mitarbeiter nie genau, ob man seinen an-
gestammten Arbeitsplatz noch hatte. Von
Versetzungen erfuhr man am Schwarzen
Brett, ohne dass der Personalrat gefragt
wurde. Er alleine bestimmte, wer morgen
wo arbeitete. Großen Streit hatte ich mit
ihm, als ich mich für den Verbleib des
Deutschen Buch- und Schriftmuseums in
der Deutschen Bücherei einsetzte.
In der Zeit des Neubeginns nach
dem Zweiten Weltkrieg hätte Uhlen-
dahl seines Postens auch enthoben
werden können.
Er hatte großes Glück, weil er nicht in
der NSDAP war. Er hatte einfussreiche
Freunde, vor allem in Kirchenkreisen,
wie zum Beispiel Kardinal Frings. In der
Nazizeit hat Uhlendahl drei Tage in Ge-
wahrsam gesessen, das wurde ihm positiv
angerechnet.
Angeblich war er Ofzier eines Frei-
korps, das mitverantwortlich für die
Ermordung von Karl Liebknecht
und Rosa Luxemburg war. Damit
wäre er in der DDR nicht mehr trag-
bar gewesen.
Die Leipziger SED-Führung war der
Meinung, dass man Uhlendahl seines
Amtes entheben müsse, auch wegen
seiner diktatorischen Leitungsmethoden.
Dennoch wurde er, ich glaube 1954, mit
dem Vaterländischen Verdienstorden in
Silber ausgezeichnet.
Vor welchen Herausforderungen
standen Sie, als Sie 1961 Hauptdi-
rektor wurden?
Mein Vorgänger, Kurt Brückmann,
wollte die Nationalbibliographie spal-
ten. Es sollte eine Bibliografe nur mit
DDR-Titeln erscheinen, was den Grün-
dungsauftrag zunichte gemacht hätte.
Und das hätte den Zusammenbruch der
Deutschen Bücherei bedeutet. Ich konn-
te diesen absurden Gedanken sofort
g
„Eppelsheimer und seine Freunde
haben früher als andere erkannt,
daß die Bibliographie keine
harmlose kulturelle Veranstaltung
ist, die auch bei politischer
Trennung – dazu ausgerechnet
von einem diktatorisch regierten
Partner – für den anderen
miterledigt werden könnte.
Sperrmagazine und „parteiliche“
Bibliographie haben uns inzwischen
darüber belehrt, dass auch auf
diesem Felde Einheit nur um
einen Preis hätte gewahrt werden
können, den ein freiheitliches
demokratisches Land nicht
zahlen kann.“
Kurt Köster (in einer Brandrede 1969)

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