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Nach der konfiktreichen Zeit der
deutsch-deutschen Teilung, die zwei
große nationale Bibliotheken in
Leipzig und Frankfurt am Main zur
Folge hatte, stand mit dem Fall der
Mauer die große Frage, wie damit
in einem vereinigten Deutschland
umgegangen werden soll. Prof. Leh-
mann, Sie waren seit 1988 General-
direktor der Deutschen Bibliothek
in Frankfurt. Wie tief waren die
Gräben? Haben Sie vermintes Ter-
rain vorgefunden oder eher die Be-
reitschaft zur Kooperation?
Die alten Kämpfe waren weitgehend ge-
schlagen. Beide Bibliotheken hatten die
Aufgabe, die Literatur aus dem gesamten
deutschsprachigen Kulturraum zu sam-
meln. Das haben sie bei aller Konkurrenz
getan. Belegexemplare der Verlage gingen
über die Grenzen hinweg, jeder wollte auf
der anderen Seite auch wahrgenommen
werden. In den beiden großen Biblio-
theken waren zum Glück in erster Linie
Fachleute am Werk, die sich politisch
nicht so vereinnahmen ließen, wie das
jeweils erwartet wurde. Das Professionelle
war letztlich stärker als die politische Vor-
schrift. Deshalb hielt man auch immer
am deutschen Sprachraum als Sammel-
auftrag fest. Während in den 1950er- und
1960er-Jahren die Kooperation noch sehr
schwierig verlief, änderte sich das nach
dem Grundlagenvertrag zwischen den
beiden deutschen Staaten 1972 und der
Unterzeichnung der Helsinki-Akte 1975
über die europäische Zusammenarbeit.
Die DDR benutzte die Deutsche Bü-
cherei jetzt als Aushängeschild für ihre
internationale Ofenheit. Eine sinnvolle
Zusammenarbeit gab es fortan beispiels-
weise bei der Standardisierung der Titel-
aufnahmen, bei der Kataloggestaltung,
da dies ein internationales Vorhaben
unter Einbeziehung Österreichs war und
somit kein beargwöhntes rein deutsch-
deutsches Projekt. Spürbar leichter wurde
es dann nach der Unterzeichnung des
zehn Jahre lang verhandelten Kulturab-
kommens zwischen der DDR und der
Bundesrepublik im Jahre 1986. Nun wa-
ren sogar gegenseitige Buchausstellungen
außerhalb der Messen möglich.
Wie sahen konkret Ihre ersten Be-
gegnungen mit den Leipziger Kolle-
gen aus?
Meine erste Reise außerhalb der Bun-
desrepublik führte mich 1988 unverzüg-
lich nach Leipzig. Das war für mich
g
MAUERFALL UND
DEUTSCHE EINHEIT
Der dritte Teil der Reihe „Die Geschichte der Deutschen
Nationalbibliothek“ behandelt die Wendejahre. Der damalige
Generaldirektor der Deutschen Bibliothek Prof. Klaus-Dieter
Lehmann über einen geglückten Fall von deutscher Einheit.
INTERVIEW: CHRISTOPH LINKS

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