Neue Strukturen für neue Aufgabe. Veränderung gewachsener Organisationsstrukturen im Hochschulbibliothekszentrum des Landes Nordrhein-Westfalen von Klaus Marklein

Das Hochschulbibliothekszentrum des Landes Nordrhein-Westfalen hat vor einem guten Jahr mit einer Entwicklung begonnen, über die passend zum Motto des diesjährigen Bibliothekartags zu berichten ist. Begonnen wurde ein Organisationseentwicklungsprozeß, der alle Arbeitsbereiche, alle Beschäftigten, die Innenbeziehungen und Außenwirkungen in die Diskussion einbrachte, der bisher zu strukturellen Teilergebnissen führte und in den nächsten Monate fortgeführt wird.

Die Situation ist vielerortens ähnlich: Die Innovation drängt zu neuen Aufgaben. Die gewachsenen alten Strukturen behindern mögliche Reaktionen. Die folgenden Ausführungen konzentrieren sich auf den Veränderungsprozeß, d.h. wie wurde am Beispiel des Hochschulbibliothekszentrums der innerbetriebliche Prozeß zur Veränderung der Strukturen und zur Ausrichtung auf neue Aufgaben durchgeführt.
 
   
 

Das HBZ ist im März 25 Jahre alt geworden und birgt in sich noch den älteren Zentralkatalog NRW. Seit der Gründung des HBZ gab es eine Struktur mit  Dezernaten und Referaten, dazu eine Verwaltungsabteilung und zentrale Organisationseinheiten für Sonderaufgaben. An dieser Struktur haben sich im Laufe der Jahre zwar Stellenverlagerungen ergeben, auch wurden Dezernate und Referate neu gebildet oder zusammengelegt; an der Grundstruktur aber wurde bisher festgehalten.
Bei Gründung des HBZ standen noch die Aufgaben des Katalogisierungsverbundes und des Zentralkataloges im Vordergrund. Parallel mit der Integration von über 30 Bibliotheken der Region wurden diese Verbundaufgaben über die Jahre ausgeweitet, wie etwa durch bessere Recherchemöglichkeiten, Anschlüsse für Erwerbungszwecke, Verschlagwortung, Einbeziehung von Normdatenbanken, Ausbau der Datenkommunikation oder inhaltliche Erweiterungen. Das neue in Arbeit befindliche Bibliotheksverbundsystem wird diesen gesamten Bereich integriert mit Fernleihe und Volltextangeboten abdecken. Darüberhinaus ergeben sich für das HBZ als regionales Dienstleistungszentrum gänzlich neue Aufgaben, wie z. Bsp.:

Da das HBZ den neu gestellten Anforderungen nur unbefriedigend nachkommen konnte, war eine Neuausrichtung des HBZ zur Zukunftssicherung unumgänglich. Dies wurde sowohl von der Leitung des Hauses als auch vom Personalrat gefordert. Die Zusammenarbeit von Dienststellenleitung und Personalrat war eine wesentliche Hilfe für die schwierige Unternehmung.

Von Anfang an war klar: Veränderung kann substantiell und erfolgreich nur mit externer Beratung gelingen. Dabei waren keinesfalls die Experten gesucht, die langwierig durchleuchten und am Ende Hochglanzkonzepte vorsetzen. Das HBZ wollte mitwirken, die Konzeptideen verstehen und mit tragen. Nach verschiedenen Testveranstaltungen wurde eine kleinere Unternehmensberatung gefunden, deren Vorschläge diesen Vorstellungen recht nahe kamen. Die Firma erhielt am 31.3.97 einen sehr eng bis zum 30.6.97 begrenzten Auftrag.

Start der Beratertätigkeit war der 10.4.97. Es begann mit 13 zweistündigen Interviews mit ausgewählten Gesprächspartnern. Hier wurden nicht nur die verschiedenen Arbeitsbereiche ausgewählt, sondern insbesondere auch Beschäftigte, die bis dahin Unzufriedenheiten äußerten oder konträre Meinungen vertraten. In diesem ersten Schritt ging es nur darum, aus der Sammlung von Schwierigkeiten und Chancen mögliche Handlungsfelder auszuloten. Dabei ergab sich ein breites Spektrum von Hinweisen, beginnend bei der Arbeitsverteilung, den Arbeitsbedingungen und Handlungsspielräumen, der Personalentwicklung, bis hin zu Managementverfahren, Führungsstil, Informationsfluß und Kundenverständnis. Natürlich mußte die Führungsetage erst einmal kräftig schlucken, um die gesammelte Kritik zu verdauen. Andererseits war es das gerade, was gewollt war: nämlich mit den Beschäftigten in ein offenes Gespräch über das zu kommen, was zukünftig grundsätzlich verbessert werden kann.

Ein wesentliches Credo der Beratungsfirma war, daß ein nachhaltiger und erfolgreicher Veränderungsprozeß einer ständigen kritischen Begleitung und Steuerung bedarf. Hier forderte sie ein Gremium, das sie „Führungskoalition" benannte, das losgelöst von Sacharbeit und hierarchischen Strukturen Kompetenz aufbaut, um den Wandel herbeizuführen. Bereits ganz zu Beginn wurde daher überlegt, wer in die Führungskoalition gehörte. Da gab es ganz konträre Ansichten, von: Sollen mal unverbrauchte Köpfe ran, bis: Die Verantwortungsträger müssen mitwirken. Schließlich wurde, wie bei jeder Koalition, ein Kompromiß erreicht, indem man sowohl Funktionsträger, wie auch Normalbeschäftigte,  Dienststellenleitung wie Personalrat,  alters- und geschlechtsausgewogen und aus verschiedenen Arbeitsbereichen benannte. Insgesamt waren dies 8 Personen.
Die Führungskoalition arbeitet als Team: Alle sind gleichberechtigt. Spielregeln für den Umgang wurden aufgestellt, Offenheit, Fairneß und Toleranz untereinander versprochen. Als Ausdruck der Teamorientierung wechseln Sitzungsleitung und Protokollführung im Umlauf ab.
Der Führungskoalition geht es darum, Ideen zu provozieren. Wer aber aktiv mitwirken soll, muß erst einmal informiert sein. Daher ist die Offenheit über die Entscheidungen des Veränderungsprozesses wesentlich. Daher informiert die Führungskoalition möglichst umfassend über alle wesentlichen Vorgänge im Veränderungsprozeß. Hierzu nutzte sie alle Möglichkeiten:

Ideen müssen nicht nur geäußert, sondern auch gehört werden. Andererseits wird man auch nicht jede formulierte Idee umsetzen können. Manch eine vernünftige Idee ist zu teuer, zu spät oder läßt sich aus anderen Gründen nicht realisieren. Also ist eine Aufarbeitung der Vorschläge notwendig und eine Entscheidung, wie Vorschläge weiterverfolgt werden. Diese Aufgabe nimmt die Führungskoalition wahr. Sie diskutiert eingehende Vorschläge, weist sie ab oder verfolgt sie weiter. Sie setzt Rahmenbedingungen für die Veränderung, formuliert konkrete Aufgaben, sucht Interessenten für neue Aufgaben, richtet Projektgruppen ein, setzt einen zeitlichen Rahmen und definiert den Projektaufwand, gibt Hilfen und sorgt für Klärungen.
Dabei ist die Aufgabe der Führungskoalition zeitlich begrenzt. Sie ist ausschließlich für den Veränderungsprozeß zuständig. Daher wird sie sich auflösen, wenn die wesentlichen Ziele erreicht sind und das HBZ mit neuen Strukturen arbeiten kann.
Auch inhaltlich hat sie sich nur dem Veränderungsprozeß zu widmen. Fachliche Entscheidungen gehören dort nicht hin. Sie müssen von den Verantwortlichen in den alten - oder bald dann neuen Entscheidungsstrukturen gelöst werden. Schon gar nicht zuständig ist die Führungskoalition für die Frage der personellen Besetzung neuer Positionen. Die Behandlung von Personalangelegenheiten in diesem Gremium verbieten schon die einschlägigen Gesetze. Daher wurde stets sauber getrennt zwischen Organisationsdiskussion und Personalentscheidung.

Veränderungen, die wirksam und erfolgreich sind, müssen von einer möglichst großen Basis getragen werden. Der Veränderungsprozeß muß daher von jedem Beschäftigten als sein Prozeß verstanden werden. Die Beraterfirma hat deshalb zusammen mit der Führungskoalition sich zum Ziel gesetzt, neben der umfassenden Information möglichst alle Beschäftigten auch aktiv in den Veränderungsprozeß einzubeziehen. Dabei kam es im April und Mai des letzten Jahres zu folgenden Veranstaltungen:

Als Richtschnur für die weitere Arbeit wurde eine Vision definiert, die mit folgenden Worten beginnt: „Wir verstehen uns als modernes Dienstleistungsunternehmen und Kompetenzzentrum. Die Zufriedenheit unserer Kunden ist für uns oberstes Gebot. Wir orientieren uns mit unseren Dienstleistungen und Produkten an ihren Wünschen, die wir durch regelmäßige Markt- und Bedarfsanalysen erheben." Im weiteren Text wird die Bedeutung der Dienstleistungen herausgestellt, und der Anspruch auf Qualität hervorgehoben.

Damit war der Veränderungsprozeß losgetreten, und es galt, die herbeigerufene Eigendynamik zu kanalisieren. Auf vier Ebenen wurden die Ziele weiter verfolgt:

Zum 30.6.97 lief der Auftrag der Berater ab. In einem 130-seitigem Papier wurden die Diskussionen und Grundsätze für eine Neuausrichtung des HBZ festgehalten. Die Empfehlungen enthielten sowohl Einzelvorschläge für konkrete Maßnahmen, als auch einen generellen Strukturvorschlag für die Leitungsstruktur auf der Basis der geführten Diskussionen. Nicht enthalten - und in der Kürze der Zeit sicher auch nicht möglich - war die konkrete Abgrenzung einzelner Fachteams oder Abteilungen. Hierzu machten die Berater Vorschläge für die Fortführung des Veränderungsprozesses, insbesondere auch in einem Projektplan für die folgenden 12 Monate.

Die Hauptleistung der Berater bestand in der Herbeiführung eines Grundverständnisses für Veränderung, Kundenorientierung und zu Kostengesichtspunkten. Sie verstanden es,  Diskussionen aufzunehmen, am Leben zu halten und auf wesentliche Ziele zu lenken.  Schwierig wurde die Diskussion dort, wo es um die Bewertung einzelner Arbeitsbereiche ging. In uns wuchs die Überzeugung, daß hier Fachwissen gefordert war, das von außen nur in einem längerem Lernprozeß aufgebaut werden konnte. Von da an wollten wir die Fortführung des Veränderungsprozesses in die eigene Hand nehmen und uns nur noch in besonderen Problemfeldern externer Berater bedienen. Ab Mitte letzten Jahres steuert das HBZ daher den Veränderungsprozeß in Eigenregie.

Die Berater hatten empfohlen, möglichst bald eine neu strukturierte übergeordnete Führungsstruktur in Betrieb zu setzen. Dies zum einen, weil die Abgrenzungen der Produktteams noch längere Zeit in den entsprechenden Projektgruppen erforderten, vor allem aber, damit die neu gebildete Führungsstruktur den Veränderungsprozeß belebt und die neu definierten Führungspersonen ihre Bereiche aktiv mitgestalten. Das HBZ folgte der Empfehlung, allerdings dauerte die möglichst-baldige-Inbetriebsetzung weit länger als alle bisherigen Aktivitäten, nämlich bis etwa zum Jahresende 97.
Als erstes mußten hierzu die Strukturempfehlungen in eine konkrete HBZ-Struktur umgesetzt werden. Dies wurde von der Führungskoalition noch relativ schnell bewerkstelligt. Dabei wurde folgende Hauptstruktur festgelegt:
 
   
 
 

Nach diesen Festlegungen der Führungskoalition war es die schwierige Aufgabe des Direktors des HBZ, die Personalbesetzungen der neuen Positionen vorzunehmen. Jeder, der hierzu die Abläufe im Öffentlichen Bereich kennt, wird nachvollziehen können, daß dies erhebliche Zeit und Mühen kostete und daher die Bestellung des Vorstandes, der Fachbereichs- und Gruppenleiter erst Ende 1997 geleistet war.
 
Die genaue Bildung der Produktteams nahm die restliche Zeit bis heute in Anspruch. Hierzu kam die Führungskoalition mit den ernannten Leitern der Fachbereiche, Gruppen und Projekte in einer erneuten Klausur und weiteren Gesprächsrunden, teils auch mit den Betroffenen, zusammen. Größere Diskussionen ergaben sich dabei etwa zu folgenden Themen:

Schließlich wurden die Produktteams definiert, wie sie in dem Organisationsdiagramm ersichtlich sind: In der Gruppe EDV wurden die Teams Unix, PCs und Datenbanken eingerichtet. Die Gruppe Verwaltung besteht aus den klassischen Verwaltungsbereichen und der Dienstbibliothek, In der Gruppe Bibliothekarischer Service spiegeln sich die direkten Dienstleistungen für Bibliotheken wieder wie Leihverkehr, Auskunft, Lokalsystemunterstützung, Konversion, Speichermagazin und Bücherwagen. Die Gruppe Katalog- und Informationsdienste bündelt alle Arbeiten an den Informationsangeboten wie WWW-Betreuung, Normdaten, Titeldaten, Landesbibliographie sowie Format- und Regelwerksfragen. Schließlich sind die Ausbildung und die Fortbildung zusammen mit Qualifizierungsangeboten in der letzten Produktgruppe zusammengefaßt.

Die Gewichtung und personelle Besetzung der Teams wurde nach Vorschlag der Gruppen- und Fachbereichsleiterin bis Ende Mai abgeschlossen. Nach der Beteiligung des  Personalrats soll die Einführung der neuen Teamstrukturen zum 1.7.98 realisiert werden. Für alle Teams sind spezielle Teamcoachings mit externer Unterstützung als Start vorgesehen.

Als erste Erfahrungswerte aus dem Veränderungsprozeß bleibt festzuhalten:

Nach diesen Strukturentscheidungen des letzten Jahres verbleibt die Aufgabe, betriebswirtschaftliche Steuerungsmechanismen einzuführen.  Hierzu wurden im HBZ bereits Grundlagen gelegt, insbesondere auch entsprechendes Fachpersonal für die Umstrukturierungszeit eingestellt. Angestrebt wird die Führung durch Zielvereinbarung,  Budgetierung und Controlling. Man darf davon ausgehen, daß dieser zweite Abschnitt ein weiteres Jahr Zeitaufwand erfordern wird.
 


HTML von Horst Obermüller (15.06.1998)