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Rechtskommission des DBI
Veröffentlichungen

Klaus Peters
Computerprogramme - Neues Recht
Das Zweite Gesetz zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes
Veröffentlicht in: Bibliotheksdienst 27.(1993), S. 1386.

1. Allgemeines

Am 24. Juni 1993 ist das Zweite Gesetz zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes vom 9. Juni 1993 (BGBl. I S. 910) in Kraft getreten. Ausschließlicher Zweck des Gesetzes ist die Umsetzung der Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 14. Mai 1991 über den Rechtsschutz von Computerprogrammen (ABl. Nr. L 122 vom 17.5.1991, S. 42) in das deutsche Recht. Mit diesem Gesetz gewinnt erstmals EG-Urheberrecht unmittelbare Bedeutung für die Bibliothekspraxis. Die von den EG in Angriff genommene umfassende Harmonisierung des Urheberrechts wird zu weiteren Änderungen des Urheberrechtsgesetzes mit erheblichen Auswirkungen auf die Bibliotheksarbeit führen. Bis Ende Juni 1994 ist die sog. Verleihrechtrichtlinie (ABl. Nr. L vom 27.11.1992, S. 61) in nationales Recht umzusetzen. Anschließen wird sich die Umsetzung der bereits als Kommissionsvorschlag vorliegenden Datenkbankrichtlinie (KOM(92) 24 endg. vom 13.5.1992) und der Reprographierichtlinie, für die ein Vorschlag derzeit noch erarbeitet wird.

Im folgenden sollen Hinweise zu den für die Bibliotheksbenutzung wichtigsten Vorschriften des neuen Computerrechts gegeben werden.

2. Schutzvoraussetzungen

Nach bisherigem Recht erlangten nur Computerprogramme, die in qualitativer Hinsicht weit über dem Durchschnitt lagen, Urheberrechtsschutz (BGHZ 94, 285ff - Inkasso-Programm). Die große Masse der Programme blieb schutzlos. Das neue Recht schafft in diesem Punkt grundlegenden Wandel. § 69a Abs. 3 UrhG bestimmt:

"Computerprogramme werden geschützt, wenn sie individuelle Werke in dem Sinne darstellen, daß sie das Ergebnis der eigenen geistigen Schöpfung ihres Urhebers sind. Zur Bestimmung ihrer Schutzfähigkeit sind keine anderen Kriterien, insbesondere nicht qualitative oder ästhetische, anzuwenden."

Das Verbot, qualitative oder ästhetische Kriterien für die Bestimmung der Schutzfähigkeit anzuwenden, hat zur Folge, daß Computerprogramme nunmehr im Regelfall geschützt sind (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT Drucks. 12/4022 vom 18.12.1992, S. 10). Lediglich sehr einfach strukturierte Programme (sog. Banalprogramme) und bloße Nachahmungen erlangen keinen Urheberrechtsschutz (ebd.).

3. Vervielfältigung

Die Vervielfältigung eines Computerprogramms war nach bisherigem Recht ausnahmslos nur mit Einwilligung des Rechtsinhabers zulässig (§ 53 Abs. 4 Satz 2 UrhG a.F.). Gestritten wurde über den Umfang des Vervielfältigungsbegriffs. Die meisten Urheberrechtler vertraten die Ansicht, nicht nur die Herstellung einer dauerhaften Kopie, sondern auch das Laden eines Programms in den Arbeitsspeicher eines Computers und der Ablauf des Programms erfüllten den Vervielfältigungsbegriff (vgl. Zur Handhabung von Disketten in Bibliotheken. In: MB NRW 38(1988)2, S. 102-108, S. 105 mit weiteren Nachw.). Die Rechtskommission des DBI vertrat demgegenüber einen engen Vervielfältigungsbegriff (vgl. Müller, Harald: Erwerb und Nutzung von Software und Datenträgern in Bibliotheken. Berlin 1990, S. 29ff.). Das neue Recht nimmt zum Umfang des Vervielfältigungsrechts Stellung (a) und sieht Ausnahmen für das Vervielfältigungsrecht vor (b).

a) Gem. § 69c Nr. 1 UrhG umfaßt das Vervielfältigungsrecht

"die dauerhafte oder vorübergehende Vervielfältigung, ganz oder teilweise, eines Computerprogramms mit jedem Mittel und in jeder Form. Soweit das Laden, Anzeigen, Ablaufen, Übertragen oder Speichern des Computerprogramms eine Vervielfältigung erfordert, bedürfen diese Handlungen der Zustimmung des Rechtsinhabers."

Satz 1 der Vorschrift bestätigt die bereits einhellig zum alten Recht vertretene Auffassung, daß die Übertragung eines Programms auf eine Diskette oder auf die Festplatte eines Computers einen Eingriff in das Vervielfältigungsrecht darstellt. Bei der Interpretation von Satz 2 sind die Materialien der europäischen Rechtssetzung zu berücksichtigen. Der Wortlaut des § 69c Nr. 1 UrhG geht auf Art. 4 a) des Kommissionsvorschlags für die Computerprogramm-Richtlinie vom 17.3.1989 (KOM(88) 816 endg., S. 33) zurück. Zur Begründung von Art. 4 a) vertrat die Kommission den Standpunkt, das Laden und Ablaufen eines Programms könne "nur im Wege einer Vervielfältigung des Programms ausgeführt werden" (ebd. S. 22). Danach ist davon auszugehen, daß § 69c Nr. 1 UrhG die Auffassung zugrunde liegt, das Laden eines Programms in den Arbeitsspeicher und der Programmlauf stellten eine Vervielfältigung dar.

b) Das Vervielfältigungsrecht gem. § 69c Nr. 1 UrhG wird durch § 69d UrhG zur Sicherung der bestimmungsgemäßen Programmbenutzung (aa) sowie zur Sicherung künftiger Benutzung (bb) eingeschränkt. Eine Anwendung der Ausnahmebestimmungen des § 53 UrhG (Recht der Bibliothek, im Auftrage von Benutzern für deren eigenen Gebrauch Kopien herzustellen; Recht der Bibliothek, zur Ergänzung des Bestandes seit mindestens zwei Jahren vergriffene Werke zu kopieren) sieht das neue Recht in Übereinstimmung mit dem bisherigen Recht nicht vor (vgl. Regierungsentwurf, a.a.O., S. 8f.).

aa) § 69d Abs. 1 UrhG lautet:

"Soweit keine besonderen vertraglichen Bestimmungen vorliegen, bedürfen die in § 69c Nr. 1 und 2 genannten Handlungen nicht der Zustimmung des Rechtsinhabers, wenn sie für eine bestimmungsgemäße Benutzung des Computerprogramms einschließlich der Fehlerberichtigung durch jeden zur Verwendung eines Vervielfältigungsstücks des Programms Berechtigten notwendig sind."

Unter der bestimmungsgemäßen Benutzung eines Computerprogramms ist das Ablaufen des Programms, d. h. die Durchführung von Rechenoperationen mit Hilfe des Programms, zu verstehen. Gem. § 69d Abs. 1 UrhG bedürfen die mit dem Laden und dem Ablaufen des Programms verbundenen Vervielfältigungen nicht der Zustimmung des Rechtsinhabers. Auf diese Beschränkung des Vervielfältigungsrechts kann sich allerdings nur der zur Verwendung des Programmträgers Berechtigte berufen. Nach Auffassung der Bundesregierung sind dies nicht nur der Käufer und der Lizenznehmer, sondern auch die Bibliotheksbenutzer (Regierungsentwurf, a.a.O., S. 12). Die Bibliotheksbenutzer dürfen also ohne Einwilligung der Rechtsinhaber die ihnen von der Bibliothek zur Verfügung gestellten Programme benutzen. Diese ausdrückliche Anerkennung der Benutzerinteressen geht zurück auf eine Intervention der Bundesvereinigung Deutscher Bibliotheksverbände (BDB) beim Bundesjustizministerium (vgl. Peters, Klaus: Änderung des Gesetzentwurfs zur Umsetzung der EG-Computerprogrammrichtlinie. In BIBLIOTHEKSDIENST 26(1992)9, S. 1368f.).

Die Ausnahmen vom urheberrechtlichen Vervielfältigungsrecht gem. § 69d Abs. 1 UrhG stehen unter dem Vorbehalt, daß keine entgegenstehenden vertraglichen Vereinbarungen vorliegen. Dieser Vorbehalt kann sich auf Bibliotheksbenutzer jedoch kaum auswirken, da diese i.d.R. zu den Rechtsinhabern nicht in vertragliche Beziehungen treten. Einseitige Bestimmungen des Rechtsinhabers (z. B. auf einem Diskettenumschlag), denen ein Benutzungsverbot zu entnehmen ist, sind rechtlich unbeachtlich. Bibliotheksbenutzer sind nach dem neuen Recht also i.d.R. befugt, Programme aus Bibliotheksbeständen zu benutzen. Dies ist eine wichtige Voraussetzung dafür, daß Bibliotheken ihren Benutzern Programme auch ohne Einwilligung des Rechtsinhabers zur Verfügung stellen können (näheres dazu unter 4.).

bb) § 69d Abs. 2 UrhG bestimmt:

"Die Erstellung einer Sicherungskopie durch eine Person, die zur Benutzung des Programms berechtigt ist, darf nicht vertraglich untersagt werden, wenn sie für die Sicherung künftiger Benutzung erforderlich ist."

Nach dieser Bestimmung darf die Bibliothek als Käufer oder Lizenznehmer des Programms, das sie einem Benutzer überläßt, eine Sicherungskopie anfertigen. Vertragliche Bestimmungen, die diesem Recht widersprechen, sind gem. § 69g Abs. 2 UrhG nichtig.

4. Verbreitung

Nach den Erwägungsgründen der EG-Computerprogramm-Richtlinie bleibt "der öffentliche Verleih" "aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie ausgeschlossen" (ABl. Nr. L 122 vom 17.5.1991, S. 42, S. 43). Dementsprechend vertritt die Bundesregierung in der Begründung zu ihrem Gesetzentwurf die Auffassung: "Die Tätigkeit der Bibliotheken wird daher von der Richtlinie nicht erfaßt. Dieser Entwurf nimmt insoweit ausschließlich die durch die Richtlinie gebotenen Gesetzesänderungen vor. Er verändert daher die bestehende Rechtslage zur Frage des Verleihs von Computerprogrammen in Bibliotheken nicht. Im Zuge der Vorbereitung des Gesetzgebungsverfahrens sind Forderungen erhoben worden, auch für den öffentlichen Verleih von Computerprogrammen ein ausschließliches Recht einzuführen. Demnächst ist eine Richtlinie des Rates zum Vermietrecht, Verleihrecht und zu bestimmten verwandten Schutzrechten zu erwarten, die sich in generellerem Rahmen mit der Vermiet- und Verleihproblematik befaßt. Die Umsetzung dieser Richtlinie ist der geeignete Zeitpunkt zur Überprüfung der Frage, ob sich gesetzgeberischer Handlungsbedarf für den Verleih von Vervielfältigungsstücken von Computerprogrammen ergibt" (Regierungsentwurf, a.a.O., S. 11f.).

Die Gesetzesänderung beabsichtigt also keine Änderung des bibliothekarischen Verbreitungsrechts. Da aber die Änderungen in Bereichen des Vervielfältigungsrechts durchaus Rückwirkungen auf die Bedingungen haben, unter denen Bibliotheken Computerprogramme an Benutzer überlassen dürfen, sollen im folgenden kurz die wichtigsten Grundsätze dargestellt werden, die bei der Überlassung von Computerprogrammen gelten:

a) Die Überlassung von Programmen zur Präsenznutzung tangiert, da keine Besitzübergabe erfolgt, nicht das urheberrechtliche Verbreitungsrecht. Die Benutzungsfreiheit gem. § 69d Abs. 1 UrhG hat zur Folge, daß Bibliotheken urheberrechtlich nicht gehindert sind, ihren Benutzern Programme zur Benutzung im Wege der Präsenznutzung zu überlassen. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Bibliotheken Eigentümer der Programmträger sind.

b) Die Ausleihe von Computerprogrammen ist zulässig, wenn der Programmträger mit Zustimmung des Rechtsinhabers im Wege der Veräußerung in Verkehr gebracht worden ist. Damit kommt eine Verletzung des Verbreitungsrechts durch Ausleihe von Programmen, die im seriösen Handel gekauft worden sind, praktisch nicht in Betracht. Programmträger, die der Bibliothek nicht zu Eigentum, sondern (z. B. auf der Grundlage eines Lizenzvertrages) lediglich zum Besitz überlassen sind, dürfen jedoch i.d.R. nur mit Einwilligung des Rechtsinhabers ausgeliehen werden.

c) Die unter a) und b) aufgeführten Befugnisse können nicht durch einseitige Bestimmungen des Rechtsinhabers (z. B. durch Überlassungsverbote auf Diskettenumschlägen) aufgehoben oder eingeschränkt werden (vgl. BGH GRUR 1986, 736, 737 - Schallplattenvermietung).

d) Grundsätzlich ist es jedoch möglich, die unter a) und b) aufgeführten Befugnisse durch vertragliche Vereinbarungen (z. B. durch Unterschreiben eines Lizenzvertrages) aufzuheben oder einzuschränken. Solche Vereinbarungen können nicht von vornherein als unwirksam gem. § 9 des Gesetzes zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB-Gesetz) angesehen werden, da § 69d Abs. 1 UrhG grundsätzlich die Möglichkeit vorsieht, die Benutzung von Computerprogrammen zu beschränken. Umstritten ist, ob vertragliche Beschränkungen durch sog. Schutzhüllenverträge begründet werden können. Die Rechtskommission des DBI hat dies verneint (Müller a.a.O., s. 19f.).


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