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Rechtskommission des DBI
Veröffentlichungen

Taschenkontrollen im Supermarkt - Taschenkontrollen in Bibliotheken:
Eine vergleichbare Situation?
Claudia Holland
Veröffentlicht in: Bibliotheksdienst 29.(1995), S. 967.

1. Sachverhalt

Dem Bundesgerichtshof (BGH) lag Anfang 1994 ein Fall zur Entscheidung (BGH NJW 1994, 188f) vor, in dem zwei Themenkomplexe angesprochen wurden, die für den allgemeinen Benutzungsbetrieb in Bibliotheken weitreichende Folgen haben könnten.

Es ging dabei zum einen um die Frage, ob generell eine Taschenkontrolle an den Kassen eines Supermarktes durchgeführt werden darf. Als Rechtsgrundlage kämen hierfür das Hausrecht des Marktbetreibers und seine Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB), die er durch Aushang bekannt gegeben hat, in Betracht. Der BGH verwies auf das Persönlichkeitsrecht des Kunden, in welches nur bei einem konkret vorliegenden Tatverdacht eingegriffen werden dürfe (vgl. §§ 102 StGB, 229, 859 BGB). Dies bedeutet, daß entweder eine strafbare Handlung von seiten des Kunden vorliegen oder die konkrete Gefahr einer Erschwerung / Vereitelung der Durchsetzung eines bestehenden Anspruchs bestehen muß. Da im zu entscheidenden Sachverhalt weder die eine noch die andere Voraussetzung konkret vorlag, wurde dem Betreiber des Supermarktes das Recht einer generell durchgeführten Taschenkontrolle im Kassenbereich abgesprochen.

Der BGH sah es auch nicht als ausreichend an, daß der Supermarkt generell unter vielen Diebstählen zu leiden hat.

Der zweite Aspekt der Entscheidung behandelte die rechtliche Gültigkeit der Bitte des Supermarktes an die Kunden, sie möchten ihre Taschen am Eingang abgeben, da sie anderenfalls mit Taschenkontrollen an den Kassen rechnen müßten. Unter dem Aspekt, daß dem Betreiber des Supermarktes kein generelles Kontrollrecht von Gesetzes wegen zustehe, werden an die Ausgestaltung derartiger AGB strenge Maßstäbe im Hinblick auf Bestimmtheit und Eindeutigkeit angelegt: "Es muß hinreichend erkennbar sein, unter welchen Bedingungen der Inhaber des Hausrechts mit dem Betreten der Geschäftsräume nicht einverstanden ist."(BGH NJW 94, 189)

Auch eine möglicherweise erlassene Hausordnung, die den Zutritt mit Taschen verbiete, müsse unmißverständlich erklären, zu welchen Konditionen eine Nutzung des Supermarktes zulässig sei.

Überträgt man nun diesen Sachverhalt auf die Benutzung von Bibliotheken, so ist zu unterscheiden, ob es sich um Bibliotheken mit einem öffentlich-rechtlichen oder privatrechtlichen Nutzungsverhältnis handelt.

2. Privatrechtliche Bibliotheken

Privatrechtlich organisierte Bibliotheken sollten eine Taschenkontrolle unmißverständlich und unter Androhung von Konsequenzen in ihre AGB aufnehmen. Der Nutzer muß damit rechnen können, daß der Inhaber des Hausrechts nur dann seine Einwilligung zur Nutzung der Bibliothek gibt, wenn er - der Nutzer - sich an die AGB hält. Gemäß § 11 Nr.7 AGBG iVm § 1 I AGBG ist die Bibliothek befugt, als AGB-Verwender Regelungen zu treffen, die bereits beim Betreten der Bibliothek wirksam werden. Sind diese AGB deutlich sichtbar im Eingangsbereich der Bibliothek ausgehängt, manifestiert der Nutzer sein Einverständnis gemäß § 2 Abs. 1 AGB im Moment des Betretens und Verweilens in den Bibliotheksräumen1).

Es bleibt nun im Rahmen einer Inhaltskontrolle nach § 9 I AGBG zu prüfen, inwieweit die Bibliothek befugt ist, eine unbedingte Taschenkontrollklausel in ihre AGB aufzunehmen. Eine solche Klausel wäre unwirksam, wenn sie die Bibliotheksnutzer entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt. Es stehen sich hier die Interessen des Nutzers (Persönlichkeitsrecht) und der Bibliothek (Bewahrung des Leseguts vor Diebstahl) gegenüber.

Im Gegensatz zur vorliegenden Entscheidung des BGH wiegt das öffentliche Interesse an einer Bewahrung des Literaturguts wesentlich schwerer gegenüber einem Eingriff in das Persönlichkeitsrecht eines einzelnen als dies in einem Supermarkt der Fall ist. Nach § 9 AGBG weicht eine Klausel dann nicht von wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung ab, wenn das Verwenderinteresse durch wichtige Gemeinschaftsbelange verstärkt wird2). Die Bibliothek ist nach dem Grundgesetz verpflichtet, die von ihr verwaltete Literatur den Lesern ungehindert zur Verfügung zu stellen (Art. 5 GG). Davon sind sowohl die Meinungs- und Informationsfreiheit als auch die Wissenschafts- und Forschungsfreiheit umfaßt3). Die Bibliothek ist demnach auch verpflichtet, dieses Literaturgut so zu schützen, daß es nicht nur einmalig von einer Person benutzt werden kann, sondern daß es auch der interessierten Nachwelt erhalten bleibt. Hinzu kommt, daß häufig abhanden gekommene Literatur gar nicht mehr wiederbeschafft werden kann (vergriffen, Einzelstücke, etc.) Aus diesem Grund ist eine strenge und konsequente Sicherung des Literatur vor Diebstahl geboten. Das Interesse der Nutzergemeinschaft, auch in Zukunft auf diese Literatur zugreifen zu können, überwiegt das Interesse des einzelnen Nutzers, in seinem Persönlichkeitsrecht unangetastet zu bleiben. Die Bibliothek ist daher auch zu einer generellen Taschenkontrolle beim Verlassen der Bibliotheksräume berechtigt.

Die Bibliothek sollte aber den Nutzern ermöglichen, ihre Taschen in Schränke einschließen zu können, um ihnen eine erhöhte Sicherheit zu gewähren.

3. Öffentlich-rechtlich Bibliotheken

Bei öffentlich-rechtlich organisierten Bibliotheken ist nochmals zwischen zwei Nutzergruppen zu unterscheiden:

a. registrierte Nutzer

Öffentlich-rechtliche Bibliotheken finden meistens ihren Anstaltszweck bereits in den einschlägigen Normen der Hochschulgesetze umschrieben, die auf eine genaue Ausgestaltung durch Bibliotheksordnungen verweisen (so z.B. § 127 SächsHG, § 106 NiedersHG). Eine Regelung der Benutzungsordnung, die den Nutzer über das vom Anstaltszweck notwendige Maß hinaus belastet, ist rechtswidrig und unwirksam4). Es ist daher die Frage zu klären, ob eine unbedingte Taschenkontrollklausel in der Benutzungsordnung vom Anstaltszweck der Bibliothek noch gedeckt ist. Dieser wird in der Regel im ersten Abschnitt der Benutzungsordnung definiert5). Die Bibliothek stellt den Nutzern die von ihr verwaltete Literatur nicht nur zur Verfügung. Sie muß ebenfalls Sorge tragen, daß diese Literatur von mehreren Nutzern genutzt werden kann. Sie ist demnach auch für ihren Schutz verantwortlich. Dies könnte durch eine Taschenkontrolle geschehen, soweit dadurch nicht in anderweitige Rechte des Nutzers tiefgreifend eingegriffen wird. Dies wäre zum Beispiel gegeben, wenn der Nutzer zuerst mit seiner Tasche ungehindert die Bibliotheksräume betritt und dann beim Verlassen vom Bibliothekspersonal ohne Vorwarnung generell kontrolliert wird. Es fehlt der konkrete Anlaß, der vom BGH gefordert wird. Wird jedoch am Eingang zu den Bibliotheksräumen, die nicht mit einer Tasche betreten werden dürfen, der Nutzer bereits ausdrücklich darauf hingewiesen, daß er bei Betreten mit Tasche der Benutzungsordnung zuwiderhandelt und daß er dadurch mit einer Taschenkontrolle bei Verlassen der Räume rechnen muß, so ist der vom BGH geforderten Eindeutigkeit und Bestimmtheit Rechnung getragen: Durch genaue Ausgestaltung der Klausel in der Benutzungsordnung muß dem Nutzer - ähnlich wie oben bei den AGB - in berechenbarer Weise verdeutlicht werden, mit welchen Konsequenzen er im Falle einer Zuwiderhandlung zu rechnen hat. Der Einwand, daß ein Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Nutzers vorliege, steht hier - ebenso wie in privatrechtlich organisierten Bibliotheken - hinter dem öffentlichen Interesse eines strengen Schutzes des Literaturgutes zurück (s. obige Ausführungen zu § 9 AGBG). Eine Klausel in der Benutzungsordnung, welche verlangt, daß der Nutzer seine Tasche an der Garderobe abgibt bzw. in einem Schrank einschließt, ist demzufolge vom Anstaltszweck gedeckt.

b. nicht registrierte Nutzer

Soweit diese Gruppe von Nutzern nach der Benutzungsordnung grundsätzlich zur Benutzung zugelassen ist, entsteht allein schon durch das Betreten der Bibliotheksräume ein Nutzungsverhältnis kraft Anstaltsordnung. Zwar ist zumeist erwünscht, daß der Nutzer sich anmeldet, jedoch ist in einigen Benutzungsordnungen festgelegt, daß die Leseäle und Freihandbereiche, soweit sie nicht in die Ausleihe einbezogen sind, öffentlich zugänglich sind6). Der Nutzer bringt durch sein Verweilen in den Bibliotheksräumen zum Ausdruck, daß er die entsprechenden Regelungen der Benutzungsordnungen anerkennt. Hinsichtlich der inhaltlichen Ausgestaltung der Benutzungsordnung - insbesondere im Bezug auf Taschenkontrollen - gilt das oben Gesagte. Desweiteren müßten z.B. die entsprechenden Passagen gut sichtbar vor den Freihandbereichen ausgehängt sein, damit der Nutzer sie ohne weiteres zur Kenntnis nehmen kann.

Ist die Gruppe von Nutzern nicht von der Benutzungsordnung umfaßt, muß die Bibliothek auf ihr Hausrecht zurückgreifen, welches ihr gestattet, das Lite-raturgut gegen Schäden und Störungen zu schützen und entsprechende Maßnahmen gegen störende Außenstehende zu ergreifen7).

Ergebnis

Eine Klausel, die Taschenkontrollen androht, muß in der Benutzungsordnung / den AGB / der Hausordnung enthalten sein. Sie muß im Inhalt eindeutig und bestimmt sein (siehe obige Ausführungen), so müssen die Konsequenzen klar genannt werden. Auszüge aus der Benutzungsordnung sollten gut sichtbar ab Beginn des Geltungsbereichs aushängen, so daß vor allem auch nicht angemeldete Nutzer diese zur Kenntnis nehmen können.

Anmerkungen:

1) Ulmer, AGB 7. Aufl. § 2 Rdnr. 61

2) Wolf/Horn/Lindacher 3. Aufl. § 9 AGBG Rdnr. 81, 141

3) Kirchner S. 9f

4) Salzwedel in Erichsen/Martens 9. Aufl. § 44 III, S. 525

5) so § 1 BenutzungsO Hessen; § 1 Niedersächs. Muster-BenutzungsO

6) so § 2 Abs. 1 Hessische BenutzungsO

7) Lenckner in: Schönke/Schröder 24 Aufl. § 123 Rdnr. 20, Kirchner S. 66


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