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Rechtskommission des DBI
Veröffentlichungen

Harald Müller
Die Zulassung minderjähriger Bibliotheksbenutzer
Eine bibliotheksrechtliche Darstellung des Problems
Veröffentlicht in: Bibliotheksdienst 26.(1992), S. 351

In dem grundlegenden Werk über "Bibliotheksbenutzungsordnungen"1) schreiben die Autoren: "Der Minderjährige, der das 7. Lebensjahr vollendet hat, bedarf (zur Anmeldung) der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters."2) Eine solche Einwilligung wird in der Regel schriftlich erteilt. Die allermeisten öffentlichen Bibliotheken fordern deshalb von Kindern und Jugendlichen eine Unterschrift zumindest eines Elternteils, bevor sie dem Betreffenden einen Benutzerausweis aushändigen.

Obwohl in der bibliothekarischen Praxis fast durchweg in dieser Weise verfahren wird, scheinen doch viele Bibliothekare mit den zugrunde liegenden Rechtsbestimmungen nicht recht vertraut zu sein. Denn immer wieder erreichen die DBI-Rechtskommission Anfragen zu dem Problem der Zulassung Minderjähriger. Es erscheint deshalb angebracht, die damit zusammenhängenden Fragen einmal aus bibliothekarischer Sicht kurz darzustellen.

Bei der Zulassung Minderjähriger zur Bibliotheksbenutzung gilt es, zwei gesetzliche Regelungsbereiche zu unterscheiden. Einmal spielt die Frage der Geschäftsfähigkeit des Kindes/Jugendlichen eine äußerst wichtige Rolle. Gemäß § 2 BGB beginnt beim Menschen die Volljährigkeit mit Vollendung des 18. Lebensjahres. Davor gilt er als minderjährig im Sinne des BGB. Ein Minderjähriger, der das siebte Lebensjahr vollendet hat, wird vom Gesetz (§ 106 BGB) als beschränkt geschäftsfähig bezeichnet. Daraus folgt:

  1. Kinder unter 7 Jahren können überhaupt keine Rechtsgeschäfte abschließen.
  2. Kinder und Jugendliche im Alter zwischen sieben und achtzehn Jahren können unter gewissen
  3. Voraussetzungen Verträge wirksam vereinbaren. Näheres regeln die §§ 107 bis 113 BGB. Andere Altersgrenzen kennt das BGB nicht.
Die BGB-Vorschriften kommen bei der Zulassung zur Bibliotheksbenutzung auf jeden Fall zur Anwendung, nämlich bei einem privatrechtlichen Benutzungsverhältnis über § 12 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG. Für ein z. B. sechs Jahre altes Kind können also nur die gesetzlichen Vertreter, d. h. zumeist seine Eltern, die Anmeldung zur Bibliothek vornehmen.

Die Situation Jugendlicher erscheint lediglich auf den ersten Blick als unübersichtlich und komplex. Sie benötigen keine Zustimmung ihrer Eltern zur Bibliotheksbenutzung, wenn eine der Regelungen in den §§ 107 bis 113 BGB auf sie zutreffen würde. Zunächst gilt § 107 BGB, wonach der Minderjährige eine Zustimmung seiner Eltern braucht, wenn das beabsichtigte Rechtsgeschäft (hier die Zulassung zur Bibliothek) für ihn auch Nachteile mit sich bringt. Die Zulassung zur Bibliothek beschert einem Benutzer nicht nur rechtliche Vorteile, sondern auch gewisse Belastungen, z. B. eine Haftung für Beschädigungen. Deshalb ist gemäß § 107 BGB für eine Anmeldung eines Minderjährigen die Einwilligung der Eltern erforderlich.

Der "Taschengeldparagraph" § 110 BGB hilft nur eingeschränkt weiter, da der Minderjährige ja einen Schaden anrichten kann, der durch sein verfügbares Geld nicht abgedeckt ist. In sogenannten Dauerschuldverhältnissen, wie bei einer jahrelangen Bibliotheksbenutzung, ist seine Anwendung sowieso fraglich. Gerade im Hinblick auf die Haftung im Rahmen der Bibliotheksbenutzung gilt deshalb grundsätzlich, daß eine Bibliothek bei Minderjährigen eine Unterschrift der Eltern als Beweis für deren Zustimmung zur Bibliotheksbenutzung verlangen sollte.

Der zweite Aspekt im Zusammenhang mit der Bibliotheksbenutzung durch Minderjährige betrifft das elterliche Erziehungsrecht, wie es durch Art. 6 Abs. 2 GG und § 1626 BGB zum Ausdruck kommt. Eltern können bestimmen, welche Bücher ihr Kind lesen darf und welche nicht. Es liegt im Rahmen des ihnen zustehenden Grundrechts zu untersagen, daß ihr Kind Kenntnis von Medien mit religiösem oder atheistischem, liberalem oder konservativem, puritanischem oder erotischem Inhalt erhält. Deshalb kommt es immer wieder vor, daß Eltern aus religiösen, moralischen, ideologischen, politischen usw. Gründen mit einer Bibliotheksbenutzung ihres Kindes grundsätzlich nicht einverstanden sind. Diese Haltung ist als Ausfluß ihres Elternrechts durch das Grundgesetz voll abgedeckt. Eine Zulassung eines Minderjährigen zur Bibliothek greift also stets auch in das elterliche Erziehungsrecht ein. Deshalb sollte jede Bibliothek, um sich abzusichern, daß die Bibliotheksbenutzung dem Erziehungswunsch der Eltern entspricht, bei Minderjährigen grundsätzlich eine Unterschrift zumindest eines Elternteils verlangen.

Die Rechtsordnung geht jedoch auch davon aus, daß der Jugendliche mit zunehmendem Alter selbst über sein Leben bestimmen wird. Bei älteren Jugendlichen zwischen sechzehn und achtzehn Jahren unterstellt unsere Gesellschaft heutzutage, daß eine generelle Zustimmung der Eltern zu Geschäften im finanziell überschaubaren Rahmen gegeben ist. Deshalb wird eine Bibliothek beim Verzicht auf eine elterliche Unterschrift von Minderjährigen über sechzehn Jahren nur noch ein geringes Risiko eingehen. Der Bibliothek bleibt aber im Konfliktfall ein Restrisiko. Wenn etwa ein Jugendlicher über eine höhere Summe schadensersatzpflichtig wird, die er nicht selbst bezahlen kann, bleibt die Bibliothek unter Umständen auf ihrem Schaden sitzen.

Ohne Zustimmung der Eltern kommt kein rechtlich wirksames Benutzungsverhältnis zwischen der Bibliothek und einem minderjährigen Bibliotheksbenutzer zustande. Als Folge davon können beispielsweise keinerlei Rechte und Pflichten zwischen Bibliothek und jugendlichem Benutzer entstehen. Die Bibliothek kann sich nicht auf ihre Benutzungsordnung berufen, also z. B. keine Versäumniskosten verlangen. Um jedes Risiko auszuschließen, müßte sich eine Bibliothek bei allen Jugendlichen unter achtzehn Jahren die Zustimmung der Eltern durch deren Unterschrift bestätigen lassen. Sie kann aber auch bei allen Altersklassen (nicht nur ab sechzehn Jahren) darauf verzichten3), da das BGB insofern keinen Zwang ausübt. Im Konfliktfall hat die Bibliothek dann aber das Nachsehen. Eine Bibliothek ist also völlig frei, ob oder ob nicht sie die elterliche Unterschrift verlangt. Ein Verzicht auf eine Zustimmung der Eltern von älteren Jugendlichen über sechzehn Jahren kann aus bibliothekspädagogischen Gründen als vertretbar angesehen werden. Die Frage der Strafbarkeit des Jugendlichen (§ 1 JGG: ab vierzehn Jahre) spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle.

Anmerkungen:

1) Kirchner, Hildebert: Bibliotheksbenutzungsordnungen : Regelungsgegenstände, Formulierungshilfen, Rechtsgutachten / Hildebert Kirchner ; Rosa Maria Wendt. - Berlin: DBI, 1990. - 292 S. - (DBI-Materialien; 93) ISBN 3-87068-893-9

2) wie Anm. 1, S. 19

3) vgl. die Beispiele in: Gacek, Detlef: Zur Ausarbeitung von Benutzungsordnungen für Öffentliche Bibliotheken : Arbeitshilfe / erarb. von Detlef Gacek und Erika Rossoll. - Berlin: ZIB, 1991. - S. 24 (Norderstedt= 14 Jahre), S. 27 (Paderborn= 16 Jahre), S. 31 (München= 18 Jahre).


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