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Rechtskommission des DBI
Veröffentlichungen

Monika Rasche
Die Rechtmäßigkeit einer zusätzlichen Benutzungsgebühr nach 2. Mahnung

Veröffentlicht in: Bibliotheksdienst 28. (1994), S. 1282.

Eine Großstadtbibliothek in Nordrhein-Westfalen erhebt gem. § 6 Abs. 3 ihrer Satzung über die Benutzung Versäumnisgebühren. Die Gebühren betragen für die ersten zwei Wochen nach Ablauf der Leihfrist 2,- DM pro entliehenem Gegenstand, in der 3. - 5. Woche 2,- DM je Woche und Gegenstand, so daß insgesamt eine Versäumnisgebühr in Höhe von 8,- DM entstehen kann.

Zwei Wochen nach der letztgesetzten Frist, d. h. mit Beginn der 8. Woche wird eine weitere sog. "Benutzungsgebühr" in Höhe von 50,- DM fällig, die vom Benutzer zusätzlich zu den o. g. Versäumnisgebühren erhoben wird.

Die Entstehung dieser Gebühren ist unabhängig von dem Erinnerungs- und Mahnverfahren, das in § 6 Abs. 2 der Satzung festgelegt ist, und ebenfalls unabhängig von einem Verwaltungsvollstreckungsverfahren. Es stellt sich die Frage, ob die Benutzungsgebühr in dieser Höhe rechtmäßig ist.

Die Benutzungsgebühr ist rechtswidrig, wenn für den o. g. Sachverhalt bereits eine abschließende Gebührenregelung durch höherrangiges Recht getroffen wurde. Hier käme das Verwaltungsvollstreckungsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen (VwVG NW) und die auf Grund dieses Gesetzes erlassene Kostenordnung in Betracht. Nach § 77 Abs. 1 VwVG NW können vom Vollstreckungsschuldner bzw. Handlungspflichtigen Kosten für Amtshandlungen nach diesem Gesetz erhoben werden.

Die Benutzungsgebühr in Höhe von 50,- DM entsteht unabhängig von Maßnahmen nach dem Verwaltungsvollstreckungsgesetz. Es handelt sich hierbei auch nicht um eine Mahngebühr gem. § 2 der Kostenordnung. Eine solche Mahngebühr kann nur für Mahnungen nach § 19 VwVG NW erhoben werden. Die Mahnung nach § 19 erfolgt nur bei überfälligen und vollstreckbaren Geldforderungen. Bei der Mahnung nach § 6 Abs. 2 der Satzung handelt es sich lediglich um einen Verwaltungsakt auf Herausgabe der überfälligen Bücher und Medien, nicht jedoch um eine Mahnung im Sinne des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes.

Somit steht das Verwaltungsvollstreckungsgesetz mit der dazugehörigen Kostenordnung einer Erhebung der erhöhten Benutzungsgebühr nicht entgegen.

Gem. § 4 des Kommunalabgabengesetzes (KAG) NW können Gemeinden Benutzungsgebühren für die Inanspruchnahme öffentlicher Einrichtungen und Anlagen erheben, wozu auch die Bibliotheken in kommunaler Trägerschaft zählen. Benutzungsgebühren sind gem. § 6 Abs. 1 KAG dann zu erheben, wenn eine Einrichtung überwiegend dem Vorteil einzelner Personen oder Personengruppen dient. Es gilt das Kostendeckungsprinzip, d. h. die Gebühren sind so zu bemessen, daß das Gebührenaufkommen die Kosten der Einrichtung in der Regel deckt. Sie dürfen diese jedoch auch nicht übersteigen. In besonders begründeten Fällen kann von einer Kostendeckung abgesehen werden, z. B. bei Vorliegen besonderer öffentlicher Interessen. So ist bei öffentlichen Bibliotheken die gängige Abweichung vom Kostendeckungsprinzip durch das allgemeine Bildungs- und Informationsinteresse gerechtfertigt. Daraus folgt, daß es der Kommune freigestellt ist, ob sie für die Stadtbücherei Benutzungsgebühren erhebt oder nicht.

Die konkrete Benutzungsgebühr in Höhe von 50,- DM, die nach achtwöchiger Überschreitung der Leihfrist fällig wird, könnte jedoch gegen § 6 Abs. 3 KAG NW verstoßen. Im Einzelfall ist die Gebühr nach der tatsächlich erfolgten Inanspruchnahme der Einrichtung zu bemessen. Eine solche Bemessung nach dem sog. Wirklichkeitsmaßstab ist in Bibliotheken wirtschaftlich nicht vertretbar, so daß ein Wahrscheinlichkeitsmaßstab gewählt werden kann. Bei Anwendung dieses Maßstabes muß zunächst einmal der Gleichheitsgrundsatz beachtet werden. Ebensowenig darf die Gebühr in einem offensichtlichen Mißverhältnis zur Inanspruchnahme stehen und so das Äquivalenzprinzip verletzt werden.

Die einheitliche Benutzungsgebühr von 50,- DM nach achtwöchiger Ausleihdauer könnte deswegen gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßen, weil sie unabhängig von dem Wert des Buches erhoben wird, das nicht fristgemäß zurückgegeben wurde. Sowohl derjenige, der ein Taschenbuch im Wert von 9,80 DM entliehen hat, als auch derjenige, der einen Kunstband zum Ladenpreis von 198,- DM entliehen hat, muß im Falle der langfristigen Überziehung 50,- DM bezahlen. Dieser Kostenfaktor kann hier jedoch außer acht gelassen werden, weil die Leistung der Bibliothek sich eben nicht ausschließlich nach dem materiellen Wert der Bücher bemißt.

Durch den Gleichheitsgrundsatz soll gewährleistet werden, daß die Gesamtkosten gerecht auf die einzelnen Gebührenschuldner verteilt werden. Bei Zugrundelegung der Gesamtkosten ist der Wert des einzelnen Buches im Verhältnis zu dem Gesamtaufwand des Bibliotheksbetriebes von untergeordneter Bedeutung. Die Gebühr in Höhe von 50,- DM verstößt somit nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz.

Es könnte jedoch ein Verstoß gegen das Äquivalenzprinzip vorliegen. Während die betreffende Stadt sich insgesamt für eine moderate Gebührenbemessung bei der Bibliotheksbenutzung und gegen kostendeckende Gebühren entschieden hat, steht die Gebühr in Höhe von 50,- DM hierzu in einem Mißverhältnis. Die Gebühr hat keinen Entgeltcharakter mehr, sondern sie dient offensichtlich der Bestrafung der säumigen Benutzer und der Erzwingung der Rückgabe.

Nach der früheren Rechtsprechung waren solche Gebühren unzulässig. Diese Meinung wird heute nur noch wenig vertreten. Die herrschende Meinung geht vielmehr davon aus, daß Benutzungsgebühren neben dem Zweck der Einnahmeerzielung auch lenkende Ziele verfolgen dürfen. Hierbei sind jedoch bestimmte Grenzen zu beachten. Die Mitberücksichtigung von anderen Zwecken darf ein gewisses, sachbezogen abgewogenes Maß nicht überschreiten. Da sowohl Einnahme- als auch Lenkungszweck einer Gebühr dem mit der originären Sachregelung (d. h. der Regelung der Bibliotheksbenutzung) verfolgten Zweck unterworfen sind, ist bei der Ausgestaltung der lenkenden Gebühr Zurückhaltung angebracht. Unter diesen Gesichtspunkten erscheint die Benutzungsgebühr in Höhe von 50,- DM als nicht gerechtfertigt. Zum einen weicht sie in krasser Form von der übrigen Gebührengestaltung ab, zum anderen gibt es, um die Rückgabe zu erzwingen, im Rahmen des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes geeignetere Mittel. Die Stadt K. sollte daher die betreffende Benutzungsgebühr auf ein vertretbares Maß senken, das nach Auffassung der Rechtskommission des DBI bei 20,- DM liegt, und sich im übrigen der Maßnahmen nach dem Verwaltungsvollstreckungsrecht bedienen.

(vgl. zu diesem Thema: Rdz. 55 ff. zu § 4 in:
Kommunalabgabenrecht. Kommentar dargestellt auf der Grundlage des KAG NW ... Hrsg. von Hans J. Driehaus. Loseblattausgabe. Stand: Sept. 1992)


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