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Rechtskommission des DBI
Veröffentlichungen

Jürgen Christoph Gödan
Zur rechtlichen Zulässigkeit besonderer Bedingungen für die Benutzung von Handschriftenbibliotheken

Veröffentlicht in: Bibliotheksdienst 28. (1994), S. 1638 mit Zusammenfassung in Bibliotheksdienst 29. (1995), S. 296

Problemstellung

Für die Benutzung von Handschriftenbibliotheken wurden von Bibliotheken und Kommissionen Empfehlungen und Muster für Formulare erarbeitet1). Damit soll gewährleistet werden, daß die unersetzlichen Objekte einerseits bestmöglich geschont und andererseits angemessene Regeln für ihre Benutzung aufgestellt werden.

Zwei typische Regeln lauten:

  1. Für jede Veröffentlichung (Edition) oder bildliche Wiedergabe von handschriftlichen Materialien (Handschriften, Autographen, Nachlässe und andere wertvolle Bestände) ist eine Genehmigung der Bibliothek einzuholen2).

  2. Häufig wird auch die Genehmigung einer Benutzung von der Unterzeichnung eines "Verpflichtungsscheines" abhängig gemacht, der die unentgeltliche Abgabe eines Belegexemplares (Freiexemplar) festlegt3).

Gegenstand der folgenden Untersuchung ist die Frage, ob die beiden genannten Regeln in einem öffentlich-rechtlich ausgestalteten Benutzungsverhältnis rechtlich zulässig sind.

1. Teil:

Genehmigungspflicht zur Veröffentlichung

In letzter Zeit haben Benutzer an der Empfehlung Anstoß genommen, daß jede auch teilweise Veröffentlichung (Edition) von Materialien der Genehmigung bedarf4). Entsprechend dieser Vorgabe enthalten viele Benutzungsordnungen die Verpflichtung, jede Veröffentlichung von der Bibliothek genehmigen zu lassen. Ist diese Einschränkung der Benutzung nicht gerechtfertigt, läßt sich die Maßnahme spätestens dann nicht mehr aufrecht erhalten, wenn ein Benutzer Rechtsmittel ergreift5).

Eine Einschränkung der Benutzung ist nur zulässig, wenn eine Rechtsgrundlage dafür gegeben ist. Dies folgt daraus, daß in ein Grundrecht des Benutzers eingegriffen wird, und zwar in erster Linie in das Grundrecht des allgemeinen Informationsrechtes aus Art. 5 I GG sowie ggf. der Wissenschaftsfreiheit aus Art. 5 III GG. Für jeden Eingriff in Art. 5 I GG ist eine Grundlage im Sinne der "allgemeinen Gesetze", wie es Art. 5 II GG formuliert, erforderlich6). Als "allgemeine Gesetze" kommen die privatrechtlichen und öffentlichen Rechte in Betracht, da durch eine Wiedergabe die Handschrift als Sache, d. h. als körperlicher Gegenstand, betroffen ist. Anders als in der Archivgesetzgebung des Bundes (§ 5 Abs. 6 Bundesarchivgesetz) und der Länder gibt es für Handschriftenbibliotheken keine speziellen gesetzlichen Regelungen, welche die Möglichkeit von Benutzungsbeschränkungen vorsehen.

Zu berücksichtigen ist, daß die Veröffentlichung einer Handschrift zwar nicht die Handschrift als Sache, wohl aber ihren geistigen Inhalt im Sinne des Urheberrechtes berühren könnte. Beide Aspekte sind scharf voneinander zu trennen und werden im folgenden nacheinander behandelt.

A. Der Schutz der Handschrift als Sache

I. Anwendung der §§ 903, 1004 BGB

§§ 903, 1004 BGB könnten als Rechtsgrundlagen für die Genehmigungspflicht von Veröffentlichungen in Betracht kommen. Das hieße, daß die Veröffentlichung das den Bibliotheken zustehende Eigentumsrecht an den Handschriften verletzen müßte. Voraussetzung ist, daß sachenrechtliches Eigentum betroffen ist. Gegenstand der Eigentumsrechte können bewegliche Sachen im Sinne des § 90 BGB sein, nicht aber unkörperliche Gegenstände7).

Die bürgerlichrechtliche Eigentumsordnung dient dem Schutz der Rechte an einem körperlichen Gegenstand, hier also dem in den Bibliotheken befindlichen Original der Handschrift8). Öffentlich-rechtlich organisierte Bibliotheken können von dem Eigentumsschutz der §§ 903, 1004 insoweit keinen Gebrauch machen, als Sachen betroffen sind, die dem Benutzergebrauch gewidmet wurden, und das Original durch die Nutzung keinen Schaden nimmt. Die Veröffentlichung des Inhaltes der Handschrift unterliegt zudem nicht der Sachherrschaft des Eigentümers, da lediglich von einem in der Sache verkörperten immateriellen Gut, nämlich seinem geistigen Gehalt, Gebrauch gemacht wird. Das Werk als unkörperliches geistiges Gebilde stellt keine Sache im Sinne des § 90 BGB dar und unterliegt daher nicht dem sachenrechtlichen Eigentumsschutz9).

§§ 903, 1004 BGB entfallen daher als ein das Grundrecht aus Art. 5 I GG einschränkendes "allgemeines Gesetz".

II. Veröffentlichung als öffentlich-rechtliche Sondernutzung

Die Veröffentlichung von Handschriftentexten könnte nicht mehr vom öffentlich-rechtlichen "Gemeingebrauch" einer öffentlichen Sache umfaßt sein und damit eine genehmigungspflichtige Sondernutzung im Sinne des allgemeinen Verwaltungsrechtes darstellen. Ähnlich wie bei den Sachen im Gemeingebrauch gibt es auch bei Sachen, die öffentlichen Anstalten zugeordnet sind, normale Benutzung und Sondernutzung.

Sofern es sich bei den Handschriftenbibliotheken um öffentlich-rechtliche Anstalten handelt10), ist ihr Zweck insbesondere (z. B. als Teil einer Universitätsbibliothek), Forschung und Lehre durch Bereitstellen von Literatur zu unterstützen. Der Zweck der Anstalt ist jedoch grundsätzlich nur auf die normale Benutzung gerichtet, so daß die Sondernutzung eine Ausnahme bleiben muß. Allgemein ergibt sich für die Abgrenzung, daß der Gemeingebrauch aus dem Zweck der Anstalt resultiert und jede darüber hinausgehende Nutzung Sondernutzung darstellt. Die Zulässigkeit einer Überschreitung der normalen Nutzung kann sich aus Gesetz, Widmung, auf Grund von Benutzerabsicht oder Benutzungswirkung ergeben11).

Von Sondernutzung ist auszugehen, wenn zum Zweck der Veröffentlichung Fotografien oder Kopien der Handschrift angefertigt werden: Die Vorlage selbst wird bei Ablichtungen und ähnlichem in erhöhtem Maße beansprucht, und der Bibliothek müssen zum Schutz des wertvollen Originals alle Möglichkeiten offenstehen. Anders als durch Benutzungsbeschränkungen kann der Gefahr einer Beschädigung der unersetzbaren Objekte nicht begegnet werden12). Zudem gebietet auch der öffentliche Auftrag von Bibliotheken und Archiven, wertvolles Kulturgut zu erhalten; eine Verletzung der Pflicht, die Beschädigung von Unikaten zu verhindern, würde eine Amtspflichtverletzung bedeuten. Somit darf die Sondernutzung an Bedingungen zum Schutze der Objekte geknüpft werden, beispielsweise durch Selbstvorbehalt der Vervielfältigung gegen Gebühr.

Von diesem Aspekt ist jedoch der Fall der Veröffentlichung des geistigen Inhaltes der Handschrift streng zu unterscheiden. Dadurch wird nicht die Sache selbst erhöht beansprucht, sondern nur ihr Inhalt in anderer Gestalt wiedergegeben. Daher liegt keine Sondernutzung vor, wenn der Inhalt der Handschrift z. B. durch Abschreiben, Transkribieren des aus dem Text Gewonnenen etc. wiedergegeben wird, da nicht die Sache über das normale Maß hinaus genutzt wird. Diese Art der Wiedergabe betrifft nicht die Handschrift in corpore, sondern den Gehalt, der durch die urheberrechtlichen Vorschriften geschützt ist.

Hinzu kommt, daß im Gegenteil durch die Veröffentlichung des Inhaltes einer Handschrift der weitere unmittelbare Zugriff auf das Original verringert wird: Die Handschriftenbibliothek kann spätere Benutzer zunächst auf den Nachdruck verweisen.

B. Der Schutz des Inhaltes der Handschrift

I. Schutz nach dem Urhebergesetz

Als Rechtsgrundlage für den Zwang zur Genehmigung jeder Veröffentlichung kommt das Urhebergesetz in Betracht, da mit der Wiedergabe der geistige Inhalt einer Handschrift betroffen ist.

Grundsätzlich steht jedem Schöpfer eines geistigen Werkes das Urheberrecht zu, also das alleinige Recht zur Veröffentlichung gemäß §§ 1, 7, 12 UrhG. Er soll entscheiden, ob überhaupt und in welcher Weise sein Werk der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird (§ 6 UrhG). Allerdings erlischt das Urheberrecht automatisch 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers (§ 64 I UrhG). Werke, die erstmals in den letzten zehn Jahren der Frist veröffentlicht werden, genießen nach § 64 II UrhG einen Schutz von weiteren zehn Jahren. Mit Ablauf der Schutzfrist fällt das Veröffentlichungsrecht an die Allgemeinheit, nicht etwa an den Eigentümer der Sache, in der das Werk verkörpert ist13). Somit ist das Urheberrecht kein "ewiges" Recht, sondern wird nur für eine bestimmte Zeit gewährt. Nach Fristablauf ist das Werk gemeinfrei; seine Nachbildung kann aus urheberrechtlichen Gründen niemandem verwehrt werden14). Die Bibliothek kann daher die Wiedergabe des Inhalts nicht an eine vorherige Genehmigung binden.

Fraglich ist, ob dieses Ergebnis auch bei bildlicher Wiedergabe gilt, wenn die Bibliothek selbst eine Kopie der Handschrift für den Benutzer herstellt. In diesem Falle könnte ein Schutzrecht des Lichtbildes gemäß § 72 UrhG bestehen, womit der Bibliothek an der Fotografie 25 Jahre lang ein Leistungsschutzrecht zustünde. Zwar unterfällt nach der früheren Rechtsprechung15) die schrift- und bildgetreue Wiedergabe (Faksimile-Ausgabe) einer Handschrift dem Schutzrecht von Lichtbildern im Sinne des § 72 UrhG. Diese Ansicht ist jedoch abzulehnen: Ein Mindestmaß an persönlicher Leistung ist unabdingbare Voraussetzung für den Leistungsschutz16). Bei originalgetreuen, mechanisch hergestellten Ablichtungen einer Reproduktionsvorlage wie z. B. einer Fotokopie oder einer "facsimile" erfolgenden Übertragung von Bild und Text auf Filme fehlt der Spielraum für die individuelle Gestaltung der Lichtbilder17). Sie sind daher lediglich Vervielfältigungen im Sinne des § 16 UrhG, die kein eigenes Leistungsschutzrecht des Kopierenden entstehen lassen.

II. Schutz durch wettbewerbsrechtliche Vorschriften

Auch wenn das Urheberrechtsgesetz nicht zu einer Genehmigungspflicht gemeinfreier Werke berechtigt, könnte sich davon unabhängig eine Rechtsgrundlage aus § 1 UWG ergeben. Zwar dürfen die Vorschriften des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb nicht herangezogen werden, um fehlenden Urheberrechtsschutz zu ersetzen; anderenfalls verlöre dessen zeitliche Begrenzung nach § 64 UrhG ihren Sinn18). Das schließt jedoch nicht aus, eine Leistung dann gegen eine im Wege der Nachahmung erfolgende Ausnutzung zu schützen, wenn besondere, außerhalb des urheberrechtlichen Tatbestandes liegende Umstände hinzutreten, die die Ausnutzung wettbewerbsrechtlich als unlauter erscheinen lassen.

Ein Anspruch aus § 1 UWG besteht nicht bei bloßer Nachahmung. Dies beruht auf dem Grundsatz der Nachahmungsfreiheit, um im Allgemeininteresse eine auf fremder Leistung aufbauende, dem Fortschritt dienende eigene Leistung zu ermöglichen. Die Methode der Verwertung wird allerdings dann unlauter und führt zu einem Anspruch aus § 1 UWG, wenn die bloße Übernahme fremder Leistung den Charakter "schmarotzerischer Ausbeutung" trägt19). Als wettbewerbsrechtlich unlauter ist es zu werten, wenn ein fremdes, den Einsatz beträchtlicher Arbeit und Kosten erforderndes Leistungsergebnis ohne ins Gewicht fallende zusätzliche eigene Leistung zur Förderung des eigenen Erwerbes mühelos ausgebeutet wird, wobei der, der das Leistungsergebnis geschaffen hat, in seiner wettbewerbsrechtlichen Stellung geschädigt wird20).

Dabei müssen jedoch gemäß § 1 UWG diese Handlungen zu Zwecken des Wettbewerbes im geschäftlichen Verkehr vorgenommen werden. Fraglich ist, ob die Benutzer einer Handschriftenbibliothek dieses Tatbestandsmerkmal erfüllen, da ihre Tätigkeit in der Regel der in Art. 5 III GG institutionell geschützten Freiheit der Wissenschaft unterfällt. Bei wissenschaftlichen Aufsätzen oder fachlichen Äußerungen ist davon auszugehen, daß eine Wettbewerbsabsicht fehlt, selbst wenn sie sich auf den Wettbewerb auswirken und einem oder mehreren Mitarbeitern förderlich sind21).

Anders kann es bei gewerblicher Nutzung liegen: Wenn der Benutzer die Handschriften veröffentlichen will, um damit Gewinn zu erzielen, beispielsweise indem er sie als überteuerte Microfiche-Edition anbieten will, steht ihm lediglich der Schutz der Gewerbefreiheit nach Art. 2 I GG zu, der jedoch das Eingreifen des § 1 UWG nicht hindert.

Somit gibt, von Grenzfällen rein gewerblicher "ausbeuterischer" Nutzung abgesehen, § 1 UWG ebenfalls keine Rechtsgrundlage für die Genehmigungspflicht von Veröffentlichungen ab.

III. Vertragliche Vereinbarungen

Vertragliche Vereinbarungen, die auf eine Verpflichtung zur Genehmigung der inhaltlichen Wiedergabe abzielen, sind mit den Grundsätzen des Privat- und Urheberrechts unvereinbar, da nach Ablauf der Schutzfrist das Werk gemeinfrei werden soll. Somit stehen der Bibliothek an der Handschrift weder sachen- noch urheberrechtliche Ausschließlichkeitsrechte zu. In einem solchen Fall ist es daher nicht zulässig, sich für einen unbegrenzten Zeitraum Rechte an Werken durch Beschränkung der Kopiermöglichkeiten durch eine vertragliche Abmachung zu sichern22).

Als Ergebnis des ersten Teils ist festzuhalten, daß die Verpflichtung, zur Veröffentlichung einer Handschrift die Genehmigung der Bibliothek einzuholen, mangels rechtlicher Grundlage in der Regel unwirksam ist23).

2. Teil:

Anspruch der Bibliotheken auf Freiexemplare

Bei der Benutzung von Handschriften ist weiterhin die Empfehlung üblich, daß "Veröffentlichungen über die Handschrift der besitzenden Bibliothek in einem Exemplar zur Verfügung zu stellen sind, beziehungsweise, falls es zu einer Veröffentlichung nicht kommt, Feststellungen, die zur Kenntnis der Handschrift notwendig sind, der Bibliothek mitzuteilen sind". In den Benutzungsordnungen der Handschriftenbibliotheken oder Überlassungsverträgen ist daher für die Bibliothek - als Gegenleistung für die Überlassung von Bibliotheksgut zur Vorlage von Faksimileausgaben und Reprints - ein Anspruch auf Freiexemplare festgelegt24).

Auch für diese Einschränkung des Grundrechts aus Art. 5 I GG muß eine Rechtsgrundlage im Sinne des Art. 5 II GG gegeben sein. Das gilt gleichermaßen für in Benutzungsordnungen festgelegte Verpflichtungen als auch für solche, die in individuell ausgehandelten Benutzungsverträgen angeführt sind, da der zum Schutz der Benutzer bestehende Grundsatz nicht durch einen Individualvertrag umgangen werden darf25). Eine gesetzliche Grundlage ist im Bereich des Bibliotheksrechtes nicht gegeben. Die Rechtfertigung durch eine Benutzungsordnung reicht nicht aus, da das Grundrecht nach Art. 5 II GG nur vom Gesetz- beziehungsweise Verordnungsgeber eingeschränkt werden darf26).

Ferner kann auch der Hinweis auf die allgemein übliche Praxis nicht überzeugen: Einerseits ist das Bestehen eines dahingehenden Gewohnheitsrechtes ohnehin fraglich, denn wozu bräuchte man dann die Festsetzungen in den Benutzungsordnungen? Andererseits genügt derartiges "Recht" nicht dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot27).

A. Rechtfertigung durch Pflichtexemplargesetz?

Die Ablieferungspflicht könnte sich aus einem Pflichtexemplargesetz ergeben28). In keinem Pflichtexemplargesetz existiert allerdings eine Bestimmung, wonach als Gegenleistung für die Überlassung von Vorlagen für Reprints ein Pflichtexemplar abzugeben ist. In diesem Zusammenhang ist ferner auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 14.7.198129) hinzuweisen, wonach sogar die gesetzlich angeordnete Pflichtablieferung eines Druckwerkes nicht ausnahmslos unentgeltlich erfolgen darf.

B. Rechtfertigung durch Auflage oder Benutzungsgebühren?

Die Erlaubnis der Benutzung einer Handschriftenbibliothek könnte zulässigerweise mit der Auflage verbunden sein, ein Pflichtexemplar abzugeben. Unter einer Auflage ist eine Nebenbestimmung zu verstehen, durch die dem Begünstigten ein Tun oder Unterlassen vorgeschrieben wird. Für diese Verpflichtung müßte eine Rechtsgrundlage bestehen. Eine gesetzliche Regelung der Verbindung einer Bibliotheksnutzungserlaubnis mit einer Auflage ist, anders als beispielsweise im klassischen Fall der Sondernutzungserlaubnis nach § 8 I 1 Fernstraßengesetz30), nicht ersichtlich.

Eine Auflage kann ferner gemäß § 36 II Nr.4 VwVfG nach pflichtgemäßem Ermessen gemacht werden. Während für - in der Wirkung vergleichbare - unabhängige belastende Verwaltungsakte wegen des Gesetzesvorbehaltes eine detaillierte Ermächtigungsgrundlage erforderlich ist, findet die Auflage ihre Grundlage in behördlichen Ermessenserwägungen. Das bedeutet, daß sich die Auflage im Rahmen der Zwecksetzung des Verwaltungsaktes und der gesetzlichen Regelung bewegen, somit sachbezogen und sachgerecht sein muß31). Eine weitere Bindung des Ermessens ergibt sich aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz32), nach dem die Auflage zur Zweckerreichung geeignet sein und das mildeste Mittel darstellen muß sowie keine unangemessene Belastung bedeuten darf. Nachteile, die sich durch die Erlaubnis für Dritte oder das öffentliche Wohl ergeben, müssen durch die Anordnung von Auflagen gemildert oder beseitigt werden33).

Bei der Benutzung von Handschriften durch Dritte ist von den Bibliotheken der Schutz der Handschriften zu beachten und zu gewährleisten. Der unersetzbare Wert für die Allgemeinheit kann aber geschützt werden, indem die Kopien von der Bibliothek selbst angefertigt werden und der Benutzer die Kosten zu tragen hat. Damit ist die Gefahr der Beschädigung weitgehend gebannt. Für die Auflage, zusätzlich ein Pflichtexemplar abzugeben, besteht kein Grund; sie wäre nicht als sachgerecht und verhältnismäßig anzusehen, da es ein milderes Mittel gibt, das der Zweckerreichung in gleicher Weise dienen kann. Diese Grundsätze führen dazu, daß die Sondernutzung an einer Handschrift nicht die Ablieferungspflicht als Auflage rechtfertigt.

Die Abgabeverpflichtung läßt sich auch nicht als Quasi-Gebühr begreifen. Gebühren können nur aus fiskalischen Gründen auferlegt werden. Sie sollen den wirtschaftlichen Vorteil der Sondernutzung, der im Vergleich zu Dritten eintritt, ganz oder teilweise abschöpfen34). Erfolgt die Kopie oder Ablichtung gegen eine Gebühr, kommt die Ablieferung eines Freiexemplares als zusätzliches Entgelt ohnehin nicht mehr in Betracht.

Ferner ist auch die Ablieferungspflicht als Quasi-Gebührenerhebung nicht zulässig, denn in den Gebührenordnungen sind Freiexemplare als Gebührenersatz nicht vorgesehen.

Aus verwaltungsrechtlichen Erwägungen kann die Bibliothek somit die Ablieferung eines Belegexemplares nicht verlangen.

C. Rechtfertigung durch vertragliche Vereinbarung?

Möglich wäre, daß die Bibliothek versucht, im Wege einer vertraglichen Verpflichtung des Benutzers ein Belegexemplar zu erhalten. Ein solcher Vertrag ist, sofern es um die Benutzung einer öffentlichen Bibliothek geht, ein öffentlich-rechtlicher Vertrag im Sinne der §§ 54 ff. VwVfG.

Daß der Benutzer nicht gezwungen werden kann, eine solche Verpflichtung einzugehen, ergibt sich daraus, daß die Bibliothek Rechtswirkungen, die sie durch hoheitliche Maßnahmen wie Verwaltungsakte oder Auflagen nicht erreichen kann, auch nicht durch Verträge herbeiführen darf.

Selbst wenn aber der Benutzer einen solchen Vertrag eingegangen ist, unterliegt dieser der Inhaltskontrolle nach dem Gesetz über Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGBG). Dies gilt unabhängig davon, ob der Vertrag als privatrechtlich oder öffentlich-rechtlich im Sinne der §§ 54 ff. VwVfG zu qualifizieren ist35), denn auch im letzteren Fall gilt das AGBG entsprechend auf Grund der Verweisung in § 62 Satz 2 VwVfG36).

Bei den in Rede stehenden Vereinbarungen handelt es sich um von der Bibliothek vorformulierte Bedingungen, die für eine Vielzahl von Benutzern gelten sollen, und damit um Allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne des § 1 I AGBG.

Bei der damit notwendigen Inhaltskontrolle nach § 9 AGBG ist eine Vereinbarung als unangemessen anzusehen, in der der Verwender eigene Interessen auf Kosten des Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne von vornherein die Interessen seines Partners hinreichend zu berücksichtigen und ihm einen angemessenen Ausgleich zu gewähren37). Wie sich bereits gezeigt hat, stehen der Bibliothek andere Möglichkeiten zur Verfügung, die Handschriften vor übermäßiger Inanspruchnahme zu schützen. Daher ist sie wegen des Übermaßverbotes nicht berechtigt, ein Belegexemplar zu verlangen. Wegen Verstoßes gegen § 9 AGBG ist daher auch eine vertragliche Vereinbarung des Inhaltes, daß der Benutzer ein Freiexemplar zu stellen hat, unwirksam. Im Ergebnis ist zwar das Interesse der Bibliothek verständlich, Belegexemplare der Nachdrucke zu erhalten, die nach Vorlagen aus ihren Beständen angefertigt werden; eine Rechtsgrundlage dafür ist jedoch nicht ersichtlich.

Die Bibliotheken können daher lediglich die dringende Bitte formulieren, ein Freiexemplar zu erhalten38). Dabei können speziell die Handschriftenbibliotheken ausführen, dies diene dem Schutz der wertvollen Originale, damit der Allgemeinheit und allen künftigen Benutzern.

D. Informationsanspruch der Bibliothek

Die Handschriftenbibliotheken sind nicht nur verpflichtet, alles zu tun, um die Substanz der Originale zu erhalten; ihnen kommt auch die Aufgabe zu, alle Erkenntnisse über das ihnen anvertraute Gut zu gewinnen und zu archivieren. Auch wenn die eigentliche Forschungsarbeit nicht ihnen obliegt, so gehört doch die Fixierung der Altbestände nebst eingehender Beschreibung zum Pflichtenkreis der Bibliotheken39). Aus dem Sachzusammenhang dieses öffentlich-rechtlichen Auftrages, der sonst nicht umfassend zu verwirklichen wäre, ergibt sich - als mildestes Mittel - ein Anspruch der Bibliothek auf Auskunft bezüglich aller Ferststellungen, die zur Kenntnis der Handschrift notwendig sind. Ein Zwang zur unentgeltlichen Ablieferung eines Exemplares des die Informationen enthaltenden Werkes ist zwar aus der Natur dieses öffentlichen Auftrags nicht abzuleiten, jedoch ist der Benutzer verpflichtet, der Bibliothek eine Ausgabe vorzulegen, damit die Bibliothek die Möglichkeit hat, sich zu informieren.

Stützen läßt sich dieses Ergebnis auch auf einen Vergleich mit der Archivgesetzgebung, bei der eine ähnliche Interessenlage den Regelungsgegenstand bildet.

So findet sich beispielsweise eine Überlassungspflicht im Landesarchivgesetz von Baden-Württemberg40), wo sie in § 6 VII statuiert wird. Dort steht sie unter der Voraussetzung, daß dem Nutzer die unentgeltliche Ablieferung eines Belegexemplares wegen der niedrigen Auflage oder der hohen Druckkosten unzumutbar ist. Als Alternative kann der Benutzer auch für die Ablieferung eines Exemplares eine Entschädigung verlangen, die allerdings die Hälfte des Ladenpreises oder, falls ein solcher nicht existiert, der Herstellungskosten nicht überschreiten darf41). Dieses Vorgehen im vergleichbaren Bereich der Archivgesetzgebung42) zeigt, daß dort zu Recht erkannt wurde, daß eine Pflicht zur Ablieferung eines Belegexemplares der gesetzlichen Grundlage bedarf.

Diese Lösung ist auch unter dem Aspekt sinnvoll, daß nicht pauschal ein Freiexemplar zur Verfügung gestellt werden muß, obwohl die Bibliothek daran im Einzelfall möglicherweise gar kein bleibendes Interesse hat. Durch die kurzfristige Vorlage wird der Benutzer einerseits nur gering belastet, andererseits hat aber die Bibliothek die Möglichkeit, sich die gewünschten Informationen zu verschaffen.

Es ergeben sich damit zwei Möglichkeiten, die Voraussetzungen für die Bibliotheken zu schaffen, ein Freiexemplar zu erhalten:

Entweder müssen die Pflichtexemplar- beziehungsweise Pressegesetze dahin geändert werden, daß eine Ablieferungspflicht der oben dargestellten Art auch für Veröffentlichungen von Handschriften aus Bibliotheken gilt. Dies ist der für Bibliotheken sicherste Weg.

Eine weitere Möglichkeit besteht darin, daß die Bibliotheken in ihre Benutzungsordnungen ein nobile officium zur Ablieferung eines Belegexemplars hineinschreiben. Dieses ist zwar rechtlich nicht durchsetzbar, jedoch sind andererseits Weigerungen der Benutzer, dieser "Ehrenpflicht" nachzukommen, in der Regel wenig wahrscheinlich.

Ergebnis

Eine Genehmigungspflicht zur Edition handschriftlicher Materialien, wie sie Bibliotheksbenutzungsordnungen vorsehen, besteht in der Regel nicht. Die Genehmigung der Benutzung von der Unterzeichnung eines sog. Verpflichtungsscheins, der sich auf die unentgeltliche Ablieferung eines Freiexemplars richtet, abhängig zu machen, ist unzulässig.

Anmerkungen:

1) Vgl. Merkblatt für die Benutzung von Handschriften und wertvollen Drucken, in: Zur Praxis des Handschriftenbibliothekars, ZfBB-Sonderheft 30, 1988, S.19 f.

2) ZfBB-Sonderheft 30, 1988, S.20.

3) ZfBB-Sonderheft 30, 1988, S.15.

4) Kirchner/Wendt, Bibliotheksbenutzungsordnungen, 1990, S.50; ZfBB-Sonderheft 30, 1988, S. 20 Ziffer 11.

5) Kirchner, Bibliotheks- und Dokumentationsrecht, 1981, S.149.

6) Vgl. H. Müller, Rechtsprobleme bei Nachlässen in Bibliotheken und Archiven, 1983, S.141 f.

7) Statt aller: BGHZ 44, S.288 (293 f.); Palandt-Bassenge, BGB, 53. Aufl. 1994, § 903, RN 2.

8) Vgl. BGHZ 44, S.288 (293).

9) BGHZ 44, S.288 (294); Ulmer, Urheber- und Verlagsrecht, 3. Aufl. 1980, S.12 ff.

10) Bei Privatbibliotheken gilt § 903 BGB, so daß der Eigentümer nach Belieben Dritte von der Benutzung ausschließen oder ihnen Bedingungen auferlegen kann.

11) Vgl. Erichsen/Martens/Salzwedel, Allgemeines Verwaltungsrecht, 9. Aufl. 1992, S.547 f.

12) Vgl. H. Müller, Rechtsprobleme bei Nachlässen in Bibliotheken und Archiven, 1983, S.141.

13) Kirchner, Bibliotheks- und Dokumentationsrecht, 1981, S.366.

14) BGHZ 44, S.288 (292); vgl. auch Schmieder, NJW 1966, S.1446(1447) sowie RGZ 112, S.2(4).

15) RGZ 130, S.196 (198) ("codex aureus").

16) Schricker, Urheberrecht, 1987, § 72 RN 5; Ulmer, Urheber- und Verlagsrecht, 3. Aufl. 1980, S.511; Hubmann, Urheber- und Verlagsrecht, 7. Aufl. 1991, S.97.

17) Dies gilt auch für originalgetreue Fotografien von Handschriften, da die Originaltreue eine persönliche Gestaltung ausschließt, vgl. Nordemann, GRUR 1987, S.15 (17 f.).

18) BGHZ 44, S.288 (296).

19) Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 17. Aufl. 1993, § 1 UWG RN 496.

20) BGHZ 44, S.288 (296).

21) Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 17. Aufl. 1993, Einl. UWG, RN 238.

22) BGHZ 44, S.288 (294 f.).

23) So auch im Ergebnis H. Müller, Rechtsprobleme bei Nachlässen in Bibliotheken und Archiven, 1983, S.142.

24) Vgl. Merkblatt für die Überlassung von Originalen für Faksimileausgaben, in: Zur Praxis des Handschriftenbibliothekars, ZfBB-Sonderheft Nr.30, 1988, S.63 ff.; ebenda: Bedingungen für die Lieferung von Vorlagen für den Nachdruck (Reprint) von Druckwerken, S.71 f.

25) Erichsen/Martens/Erichsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, 9. Aufl. 1992, S.373 ff.

26) Dies gilt selbst für Benutzungsordnungen in Satzungsform, da die Satzungsautonomie Grundrechtseinschränkungen nicht rechtfertigen kann, vgl. Erichsen/Martens/Ossenbühl, Allgemeines Verwaltungsrecht, 9. Aufl. 1992, S.150.

27) Ähnlich für das Parallelproblem der Archivbenutzung Günther, Rechtsprobleme der Archivbenutzung, in: Archivgesetzgebung in Deutschland, Marburg 1991, S.172.

28) Dazu näher Kirchner, Bibliotheks- und Dokumentationsrecht, 1981, S.178 ff; derselbe, Grundriß des Bibliotheks- und Dokumentationsrechts, 2. Aufl. 1993, S.98 ff.

29) BVerfGE 58, S.137 ff.

30) In der Fassung der Bekanntmachung v. 8.8.1990 (BGBl. I, S.1714).

31) Erichsen/Martens/Erichsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, 9. Aufl. 1992, S.265.

32) Erichsen/Martens/Erichsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, 9. Aufl. 1992, S. 265.

33) Kopp, Verwaltungsverfahrensgesetz, 5. Aufl. 1991, § 36 RN 2.

34) v. Münch/Schmidt-Aßmann/Salzwedel, Besonderes Verwaltungsrecht, 9. Aufl. 1992, S.711.

35) Beide Möglichkeiten, die Benutzung zu regeln, stehen der Bibliothek offen; vgl. Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht II, 5. Aufl. 1987, S.335 f.

36) Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Gesetz, 7. Aufl. 1993, § 1 RN 14, 73 m.w.N.

37) Grundlegend BGHZ 89, S.206 (210 f.).

38) Vgl. H. Müller, Rechtsprobleme bei Nachlässen in Bibliotheken und Archiven, 1983, S.169 f.

39) Ebenso für die Pflicht zur Erschließung durch öffentliche Archive: Bannasch, Archivgutnutzung in Baden-Württemberg, in: Archivgesetzgebung in Deutschland, Marburg 1991, S.218.

40) Gesetz vom 27. Juli 1987 (GBl. 1987, S.230 ff.) mit Änderung vom 12. März 1990 (GBl. 1990, S.89 f.). Eine ebensolche Regelung enthält das Thüringische Archivgesetz v. 23. April 1992 (GVBl. 1992, S.139) in § 16 IV.

41) Näher dazu Bannasch, Archivgutnutzung in Baden-Württemberg, in: Archivgesetzgebung in Deutschland, Marburg 1991, S.217.

42) Dabei besteht allerdings die Besonderheit, daß einige Bundesländer in neuerer Zeit Landesarchivgesetze erlassen haben, in denen die Pflicht zur unentgeltlichen Abgabe eines Belegexemplares festgesetzt wird. Dies ist geschehen in Nordrhein-Westfalen (§ 11 Archivbenutzungsordnung vom 19.11.1990, GVBl. 1990, S. 587 ff.), Bayern (§ 10 Archivbenutzungsordnung vom 16.1.1990, GVBl. 1990, S. 6 ff.), Hamburg (§ 5 XI Archivgesetz vom 29.1.1991, GVBl. S. 7 ff.), Bremen (§ 9 Archivbenutzungsordnung v. 1.3.1993, GBl. 1993, S. 99 ff.) und in Sachsen (§ 9 III Archivgesetz v. 17.5.1993, GVBl. 1993, S.449 ff.); in anderen Ländergesetzen befindet sich ein Verordnungsvorbehalt zugunsten des Kunst- und Wissenschaftsministers bzw. -senators.
Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfGE 58, S.137 ff.) begegnet eine solche Regelung erheblichen Bedenken: Einmal ist die ausnahmslose Statuierung der Pflicht als nicht verhältnismäßiger Eingriff in das durch Art. 14 GG geschützte Eigentum anzusehen. Zum anderen kann der Eingriff zugleich auch das Urheberrecht und die daraus fließenden Verwertungsrechte des Benutzers berühren.


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