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Rechtskommission des DBI
Veröffentlichungen

Bibliotheksrechtliche Aspekte des EG-Binnenmarktes
Vorträge der Rechtskommission des DBI auf dem 80. Deutschen Bibliothekartag in Saarbrücken am 8. Juni 1990.
Ulrich Moeske
Rechtsgrundlagen der Preisbindung in Europa
Veröffentlicht in: Bibliotheksdienst 26. (1992), S. 987.

Über die Höhe der Buchpreise gibt es unterschiedliche Auffassungen - je nach Standort und Standpunkt. Während der Konsument, in diesem Falle auch der Bibliothekar, die Bücher gerne billiger hätte, würde der Buchhändler sie vermutlich gerne etwas teurer machen. Die Forderung: "Macht unsere Bücher billiger", wird Kurt Tucholsky zugeschrieben, vermutlich in einem Brief an seinen Verleger Rowohlt.

Irgendwie müssen die Bücher jedoch zu ihrem Preis gekommen sein. Wie, das wird oft erklärt und ist dennoch nicht immer verständlich, denn: Die üblichen Marktmechanismen scheinen hier nicht zu greifen. In jeder deutschen Buchhandlung hat jeder Titel einen identischen Verkaufspreis. Einen Wettbewerb scheint es nicht zu geben. Grund dafür ist der nach dem Wiesbadener Rechtsanwalt Franzen benannte "Franzenrevers", der dafür sorgt, daß das deutsche Preisbindungssystem, welches den Anschein eines gut funktionierenden mittelalterlichen Preiskartells vermittelt, reibungslos praktiziert wird.

Preisbindungssysteme sind jedoch auch in anderen Ländern der EG normal und üblich. In der Tat gibt es kaum ein Land ohne solche Mechanismen. Diese Aussage gilt auch, obwohl die Preisbindungen in den Staaten der EG unterschiedlich organisiert sind.

Die Hauptgruppe innerhalb der Europäischen Gemeinschaft bilden die Staaten, in denen Buchpreisbindung mittels einer kartellähnlichen Lösung herbeigeführt wird. Zu diesen Staaten gehören Belgien (es gibt kein Gesetz gegen eine kartellähnliche Buchpreisregelung), Dänemark (ausdrücklich vom Staat erlaubt), Italien (auch hier gibt es kein gesetzliches Verbot von Kartellen), Niederlande (hier liegt die ausdrückliche Erlaubnis des Staates vor, ebenso Luxemburg), Großbritannien (hier muß der Verleger sich freiwillig zur Buchpreisbindung bekennen und die Vertragsbedingungen bei Weiterverkäufen anwenden).

Staaten, die die Buchpreisbindung durch ein Gesetz herbeiführen, sind Frankreich und Spanien.

In Irland basiert die Buchpreisbindung auf einer Vereinbarung der Verleger, Buchpreise gegenüber Händlern verbindlich zu gestalten.

In Deutschland ist die Buchpreisbindung durch individuelle Verträge zwischen den am Buchhandel beteiligten Einrichtungen und Körperschaften gesetzlich erlaubt.

In Portugal funktioniert die Buchpreisbindung durch wirtschaftliche Gegebenheiten, jedoch ohne vertragliche Regelung.

Letztendlich Griechenland: Hier ist die Buchpreisbindung verboten.

Die Verschiedenartigkeit von Buchpreisbindungssystemen in der EG zeigt zugleich, daß die Frage nach der verbindlichen Preisgestaltung immer auch eine kulturpolitische Komponente hat. Besonderer Beachtung bedarf in diesem Zusammenhang die Entwicklung in Frankreich, weil sie beispielhaft sein kann für die Problematik von Buchpreisbindungen schlechthin.

Gemäß einer entsprechenden Verordnung vom 30. Juni 1945 waren Kartelle jeglicher Art, die den Wettbewerb beschränkten, in Frankreich verboten. Jeder Versuch einer vertikalen Preisbindungsregelung wurde für alle Waren, einschließlich Bücher, verboten. Seit dieser Zeit war es den Verlegern nur möglich, Preisempfehlungen, sogenannte 'Prix Conseilles' festzulegen, auch wenn sich die Bucheinzelhändler fast immer an den empfohlenen Richtpreis hielten. Gleichwohl ist Frankreich ein sehr aufschlußreiches Beispiel dafür, was geschieht, wenn Buchpreisbindungen nicht eingehalten werden. 1974 änderte sich die Situation grundlegend. In diesem Jahr nämlich beschloß die französische Großhandelskette FNAC, die bisher nur Elektrogeräte vertrieben hatte, auch ins Buchgeschäft einzusteigen, unter anderem mit dem Angebot, alle Bücher 20% billiger zu verkaufen als die von den Verlegern empfohlenen Endverkaufspreise. Das hatte zur Folge, daß viele Kunden ihre Bücher bei FNAC kauften, wie später auch bei der Supermarktkette Le?clerc. Betroffen waren vor allem die Großstädte. Da FNAC und Leclerc vor allem mit einem Vergleich der Buchpreisempfehlungen der Verleger und ihrer eigenen niedrigeren Buchpreise warben, erließ der damalige Wirtschaftsminister Monory 1979 den nach ihm benannten Erlaß, welcher die Preisempfehlung für Bücher verbot.

Ziel war es, die Vergleichbarkeit zwischen den Preisempfehlungen und den Rabattpreisen der Großhandelsketten zu verhindern. Das hatte jedoch keinen Wert mehr, weil jeder wußte, daß die Bücher bei FNAC billiger waren als im Buchhandel. Die normalen Buchhändler mußten nun ihre Bestseller zum Selbstkostenpreis anbieten und versuchten, die Einkommensverluste durch Preiserhöhungen bei ausgefallenen Werken auszugleichen. Gleichwohl ging der verlegerische Gesamtumsatz zurück. Erst durch das sogenannte "Lang-Gesetz" von 1981 sind Verleger wie auch Importeure wieder verpflichtet, Endverkaufspreise im Buch oder auf dem Buchumschlag anzugeben. Dieses Buchpreisbindungsgesetz verpflichtet den französischen Sortimenter zur Einhaltung der Endverkaufspreise. Die Hoffnung, daß hiermit der "Buchpreis-Krieg" zwischen Bucheinzelhändlern und Großhandelsketten beseitigt werden konnte, hat sich nicht erfüllt. Die Ketten FNAC und Leclerc gewähren trotz gesetzlichen Verbots weiterhin illegale Rabatte von über 5%. FNAC ging sogar weiter: Verkaufte Bücher wurden zurückgenommen und als Verbrauchsware für 60% weniger erneut im Handel angeboten. Mittlerweile hat sich diese Großhandelskette in vielen französischen Städten niedergelassen und gilt weithin als Adresse für den Buchhandel.

Insofern war die Situation in Frankreich auch die erste, die vor einem europäischen Gerichtshof verhandelt wurde. Die Frage lautete: Verstößt das Preisbindungsgesetz mit den Preisfestsetzungsverpflichtungen auch für Importeure gegen den Artikel 30 des EWG-Vertrages?

Das entsprechende Urteil führte dazu, daß in Frankreich kein französischer Importeur einen niedrigeren Preis festsetzen kann, als den, den der ausländische Verleger für den Verkauf an die französische Öffentlichkeit bestimmt oder empfohlen hat. Dieser Hinweis wiederum führt zu der Frage, ob es möglich ist, innerhalb eines EG-Landes durch Reimporte die Bücher billiger zu machen. Diese Frage im einzelnen zu beantworten sprengt den Rahmen des Themas. Jedoch ist festzuhalten, daß in Deutschland beispielsweise die Preise ausländischer Bücher schon immer vom Buchhändler selber festgesetzt wurden. Besonders die Kolleginnen und Kollegen der wissenschaftlichen Bibliotheken wissen dies. Hinzu kommt, daß Bücher in der Regel im Ausland teurer sind als im Verlagsland, weil die Transportkosten aufgrund der geringeren Stückzahlen und des längeren Anfahrtsweges meist schon höher liegen. Insofern ist die Frage der Reimportpreisbindung eher pragmatisch zu sehen. Das Ziel einer solchen Regelung währe es ausschließlich, es den Händlern zu verunmöglichen, mit Hilfe von Reimporten unterhalb des festgesetzten Endverkaufspreises für Bücher im eigenen Land zu bleiben. Daran haben weder die ausländischen noch inländischen Händler Interesse. Es sei denn, sie könnten das Buch preiswerter anbieten als der Inlandspreis dieses erlaubt und zusätzlich auch einen höheren Profit erzielen. Das kann wiederum nur der Fall sein, wenn die Zwischenhandelsspanne so hoch ist, daß der Endverkaufspreis trotz der Ausgaben für Export, Reimport, Transport usw. niedriger ist als der normale Preis im Lande selbst. Dies scheint mehr oder weniger ausgeschlossen zu sein.

Für Frankreich und Spanien gelten somit staatliche Maßnahmen, die unmittelbar eine Buchpreisbindung herbeiführen. Insofern sind diese beiden Länder in der EG die einzigen, die durch Gesetz unmittelbar eine Buchpreisbindung vorschreiben, so daß es nicht erforderlich ist, daß die Unternehmen Vereinbarungen schließen, die den Sortimenter verpflichten, die Bücher zu einem Einheitspreis zu vertreiben.

Völlig gesetzlos, wenn man diesen Ausdruck benutzen darf, sind die Preisbindungsverhältnisse in Belgien, Irland und Italien. In Belgien macht die Zweisprachigkeit die Situation vergleichsweise unübersichtlich. Der im belgischen Regierungssystem arbeitende Rat für Wirtschaftsstreitigkeiten hat 1984 festgestellt, daß es sich bei der Preisbindung um einen Mißbrauch wirtschaftlicher Macht handelt. Eine formelle Entscheidung hatte diese Auffassung jedoch nicht zur Folge. Man muß davon ausgehen, daß im französischsprachigen Teil Belgiens der Buchmarkt zu ca. 85% aus Frankreich bestückt wird. Die Preise werden nach einem speziellen Wechselkurs (Bücher-Francs) umgerechnet. Solche Preise werden in der Regel als Verkaufspreise betrachtet.

In Flandern haben sich Verleger, Buchhändler und weitere Teilnehmer des Buchhandels zu einer Übereinkunft zusammengeschlossen, die die Buchpreisbindung bedingt.

Die Italiener lassen sich viel Zeit mit der angekündigten Verabschiedung eines Kartellgesetzes. So gilt immer noch eine bereits 1926 angelegte Vereinbarung zwischen Verlegern und Buchhändlern, soweit sie den entsprechenden Vereinigungen oder Verbänden angehören. Jedoch halten sich auch Buchhändler, die nicht einer solchen Vereinigung angehören, an die ansonsten vereinbarten Buchpreise. Denn die Verleger drucken den Preis des Buches deutlich sichtbar auf das Buch und die meisten Händler halten sich schon aus Gründen ihres eigenen Profites daran.

Irische Buchhändler akzeptieren den Endverkaufspreis mit der Rechnung, die sie für die Ausstattung ihres Sortimentes begleichen müssen. Vorher haben sich die Verleger untereinander verständigt über die Handhabung einer Buchpreisbindung. Zwar kann jeder Verleger den Entscheid treffen, ob er eine Buchpreisbindung festsetzt oder nicht, doch in der Regel tut er dies, vor allem auch im Hinblick auf die Nähe der rechtlichen Regelung Großbritanniens.

In Griechenland ist die Buchpreisbindung rechtlich unzulässig.

In sämtlichen anderen Ländern regelt die Branche ihre Preisbindung im wesentlichen selbst. In Portugal, Luxemburg und Deutschland erlauben die nationalen Gesetze den Unternehmern, die Endverkaufspreise für ihre Bücher festzusetzen. In den Niederlanden und Dänemark bieten die Gesetze den Verwaltungsbehörden eine Ermächtigungsgrundlage, den Unternehmen die Preisbindung bei Büchern zu gestatten. In Großbritannien, dessen Gesetzgebungsmechanismus sich von den übrigen Ländern der Europäischen Gemeinschaft unterscheidet, besteht die Möglichkeit daß Gerichte den Unternehmen eine Freistellung aussprechen können. In Dänemark wiederum war es die Monopolüberwachungsbehörde, die eine Freistellung vom Verbot der sogenannten vertikalen Preisbindung erteilte.

Neue Entwicklungstendenzen scheinen jedoch die Vermutung nahezulegen, daß in die Mechanismen der Praxis von Buchpreisbindungen Bewegung kommt. In England sind es zwei Buchhandelsketten, die sich mit Preisnachlässen bis 25% einen Marktkampf liefern und zugleich die Existenz kleinerer Buchhandlungen gefährden.

Diskussionen über eine Abänderung urheberrechtlicher Bestimmungen im EG-Recht (Bestimmung des Urhebers über die Nutzung seines Werkes, z.B. im Verleihrecht) lassen erwarten, daß sich Buchkäufer nicht für alle Zeiten auf eine naturgegebene Garantie fester Ladenpreise verlassen sollten. Gleichwohl wird das Beharrungsvermögen des europäischen Buchhandels wohl darauf gerichtet sein, einen möglichst hohen Ertrag zu erzielen.

Abschließend bleibt die Frage zu erörtern, ob durch allgemeine Regelungen des EG-Binnenmarktes eine Verbilligung von Büchern zu erwarten ist. Diese Hoffnung kann kaum genährt werden. Es gibt zwar den Artikel 85, Absatz 1 des EG-Vertrages, nach dem Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüssen von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen mit dem gemeinsamen Markt unvereinbar sind, wenn sie geeignet sind, den Handel zwischen Mitgliedsstaaten zu beeinträchtigen und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb der EG bezwecken oder bewirken. Überprüft man die Praktiken in den einzelnen EG-Ländern unter der Frage, ob die Buchpreisbindung unter der Tatbestandsvoraussetzung: "Vereinbarung zwischen Unternehmern, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen" definiert werden kann, so ergibt sich zwar für die einzelnen Länder ein unterschiedliches Innenbild, aber zusammenfassend in keinem Falle ein Verstoß gegen die Handelsbedingungen zwischen EG-Ländern. Hoffnungen auf billigere Bücher im Blick auf existierende EG-Regelungen sind daher z.Z. nicht opportun. Angesichts der engen Interessenlage zwischen Verlegern und Buchhändlern, die sich in den EG-Ländern gleichen, ist auch kaum darauf zu hoffen, daß die Zukunft des europäischen Binnenmarktes eine Aufhebung der Buchpreisbindung bringen wird.

Buchpreisbindung ja oder nein? Diese Frage nach einer Position des Bibliothekswesens scheint weitestgehend beantwortet zu sein. Es gibt starke Kräfte, die die Hoffnung haben, daß ohne Buchpreisbindung Bücher billiger sind. Man mag diese Hoffnung teilen, sollte jedoch bei den Forderungen danach bedenken, daß die Aufhebung der Buchpreisbindung auf dem Buchmarkt für die Bibliotheken marktgerechtes Verhalten beim Erwerb bedeuten würde. Im Bezug auf Marktsichtung, Ausschreibung, Angebote usw. kostet dies Personal und letztlich vermutlich Geld. Die weitere Entwicklung bleibt abzuwarten.


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