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Rechtskommission des DBI
Veröffentlichungen

Harald Müller
Rechtliche Schwierigkeiten beim Bezug von Dissertationen und Photokopien aus Grossbritannien

Gutachten der DBI-Rechtskommission hinsichtlich der Auswirkungen einer Unterschrift unter das "Thesis Declaration Form" bzw. das "Registrierungsformular" sowie die "Erklärung: Kopie von Artikeln" des British Library Document Supply Centre.
Veröffentlicht in: Bibliotheksdienst 27.(1993), S. 378

1. Neue Lieferkonditionen der British Library

Vor ungefähr zwei Jahren begannen Abteilungen der British Library an deutsche Bibliotheken verschiedene Formulare mit der Bitte um Unterschrift zu verschicken. Dies erfolgte jeweils als Reaktion auf die Bestellung der Dissertation einer britischen Universität oder der Photokopie eines Zeitschriftenaufsatzes. Da den Vordrucken deutlich zu entnehmen war, daß die Unterschrift leistende Person gewisse Verpflichtungen eingehen würde, stellte sich alsbald die Frage nach juristischen Inhalten, Grundlagen und Auswirkungen dieser Formulare. Die Rechtskommission legt hiermit die Ergebnisse ihrer juristischen Überlegungen vor.

a) Englische Dissertationen

Doktoranden an britischen Hochschulen sind - im Gegensatz zu ihren deutschen Kollegen - nicht verpflichtet, eine größere Anzahl von Dissertationen abzuliefern. Folglich existiert in Großbritannien auch keine Einrichtung vergleichbar unserem Dissertationentausch. Früher waren Dissertationen aus England nur dann erhältlich, wenn sie in einem Verlag als Buchhandelsausgabe erschienen waren.

Dies hat sich seit einigen Jahren geändert. Der British Theses Service (BRITS) der British Library und University Microfilm International (UMI) bieten jetzt auch Kopien englischer Dissertationen zum Kauf an. Genauso wie beim sonstigen Titelangebot von UMI handelt es sich um einen "publishing on demand service", d.h. das bestellte Werk wird jeweils als einzelnes Exemplar für den Besteller vervielfältigt. Allerdings muß jeder Bestellung ein ausgefülltes und unterschriebenes "Thesis Declaration Form (TDF)" beigefügt werden.

Mit seiner Unterschrift soll der Besteller nach dem Willen von BRITS anerkennen, "that the copyright of the above-described thesis rests with the author or the university to which it was submitted, and that no quotation from it or information derived from it may be published without the prior written consent of the author or university (as may be appropriate)". Nach dem Wortlaut des TDF soll die Unterschrift geleistet werden "by the person wishing to consult thesis". Ein anderes Formblatt von BRITS erklärt dazu noch: "Signatures from intermediaries such as booksellers, acquisitions librarians etc. are not acceptable."

Die bisherige Praxis deutscher Bibliotheken beim Erwerb britischer Hochschulschriften scheint allerdings nicht ganz vollständig den Vorstellungen der Engländer zu entsprechen. Zwar gelang es bislang nicht, einen Großteil britischer Dissertationen ohne ausgefülltes TDF zu kaufen1). Jedoch unterschreiben fast durchweg Erwerbungsbibliothekare das Formular, ohne daß BRITS bislang daran Anstoß genommen hätte. Die Bestellung einer Dissertation wird auch nicht immer auf Initiative eines Benutzers durchgeführt. Häufig nimmt sie ihren Anfang im Erwerbungswunsch eines Fachreferenten. Demzufolge stehen die Dissertationen natürlich nach Einarbeitung in die Bestände deutscher Bibliotheken einer unbegrenzten Anzahl von Benutzern zur Verfügung. Sie können sogar im Wege des Internationalen Leihverkehrs nach Großbritannien ausgeliehen werden. In diesem Zusammenhang muß daran erinnert werden, daß der Erwerb englischer Dissertationen durch die jeweiligen Sondersammelgebietsbibliotheken von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) nur unter der Bedingung finanziell gefördert wird, daß der jeweilige Titel ohne TDF, d.h. ohne Nutzungsbeschränkung erhältlich ist.

b) Photokopien aus Boston Spa

Das British Library Document Supply Centre (BLDSC) in Boston Spa nimmt Bestellungen auf Kopien über Briefpost, Fax oder Online entgegen. Deutsche Bibliotheken, die diesen Service nutzen, werden seit 1991 aufgefordert, ein neues "Registrierungsformular" in deutscher Sprache auszufüllen und zurückzusenden. Darin müssen sie eine zweiteilige Erklärung unterschreiben. Teil 1 fordert eine Verpflichtung der jeweiligen Bibliothek, von jedem Kopienbesteller ein bestimmtes Bestellformular unterschreiben zu lassen. Außerdem würden die Bibliotheken "versprechen", daß alle Bestellungen an das BLDSC "ausschließlich zu Forschung oder Privatstudien" bestimmt seien. Im zweiten Teil wird die Bibliothek gefragt, ob sie zu gewinnbringenden Zwecken betrieben werde und ob sie das Studium bestimmter Wissensschaftszweige bezwecke.

In einem weiteren, dem eigentlichen "Bestellformular" für Kopien muß der jeweilige Benutzer mehrere Erklärungen bezüglich des Verwendungszwecks, der Erstmaligkeit und Einmaligkeit der Bestellung sowie seiner Haftung für Falschangaben durch seine Unterschrift anerkennen.

Im "Registrierungsformular" findet sich ein ausdrücklicher Hinweis auf das "Statutory Instrument 1989 No. 1212" als Rechtsgrundlage. Die Überschrift "Schedule 2-Form A" des Bestellformulars läßt ebenfalls erkennen, daß ihm diese Vorschrift zugrunde liegt. Aus einem weiteren Schreiben des BLDSC ist zu entnehmen, daß Kopienbestellungen ohne ausgefüllte Formulare deutlich teuerer ausfallen.

2. Die rechtliche Überprüfung der Formulare

Ein derart aufwendiger "Formularkrieg" bei der Bestellung von Büchern oder Kopien war dem deutschen Bibliothekswesen bislang unbekannt. In den deutschen bibliotheksrelevanten Gesetzen findet sich hierfür auch keinerlei Stütze2). Entsprechend verunsichert reagieren Bibliothekare deshalb auf diese neue englische Praxis. Die häufigste in diesem Zusammenhang gestellte Frage lautet denn auch: Riskieren deutsche Bibliothekare ein Strafverfahren, wenn sie die englischen Formulare unterschreiben

Für eine juristische Begutachtung sollen die Formulare getrennt nach Bestellung einer Dissertation bzw. einer Kopie untersucht werden, da schon beim ersten Blick einige Unterschiede ins Auge fallen.

a) Thesis Declaration Form

Das TDF enthält keinerlei Hinweis auf ein Gesetz oder einen sonstigen Rechtsäkt, der als Rechtsgrundlage dienen könnte. Von englischen Bibliothekaren ist jedoch die Auffassung vertreten worden, die Formulierungen des TDF würden vom englischen Copyright Act 19883) im Zusammenhang mit den Copyright (Librarians and Archivists)(Copying of Copyright Material) Regulations 19894) vorgeschrieben werden. Beim Erwerb von Dissertationen sei Section 7 der Regulations einschlägig.

Section 7 der Copyright Regulations 1989 betrifft "Copying by librarian or archivist of certain unpublished works". Hierbei müssen verschiedene Voraussetzungen erfüllt sein, um eine gesetzestreue Vervielfältigung vornehmen zu können. Bei den Regulations handelt es sich nach deutschem Rechtsverständnis um Verwaltungsvorschriften.

Wie bereits oben erwähnt, stellt sich der Erwerb einer englischen Dissertation in der Praxis dergestalt dar, daß eine jeweils einmalige Vervielfältigung des Werkes für die bestellende Bibliothek angefertigt wird ("Publishing on demand"). Bei einer streng juristischen Betrachtung des Vertragsverhältnisses zwischen Bibliothek und BRITS bzw. UMI wird allerdings deutlich, daß Inhalt des Vertrages in erster Linie der Kauf einer Dissertation ist, wie ein Blick auf den Text des TDF zeigt ("a TDF must be sent for every title ordered"). Im Geschäftsverkehr zwischen Bibliotheken und Buchhandel drücken die Worte "Title Order" bislang stets das Angebot zum Abschluß eines Kaufvertrages aus. Eine Vervielfältigung des Werkes, d.h. eine Herstellung einzelner Werkstücke, muß zwar logischerweise vor der Übergabe eines einzelnen Exemplars stattgefunden haben, aus dem TDF läßt sich jedoch nicht entnehmen, daß sie Hauptvertragsinhalt sei. Die Herstellung des einzelnen Werkstücks liegt vielmehr im Organisatiönsermessen des Herstellers / Verkäufers, auf das die kaufende Bibliothek keinerlei Einfluß hat. Folglich besteht aus Sicht des Erwerbers kein Unterschied zwischen einem Publishing-On-Demand und dem Kauf eines gedruckten Buches, der ja auch eine technische Vervielfältigung des Werkes, nämlich den Druck, zwingend voräussetzt.

Da sich also das TDF nicht auf Herstellung einer "Copy" bezieht, kann Section 7 der Copyright Regulations 1989 nicht als seine Rechtsgrundlage dienen. Außerdem wird man die Fa. UMI auf keinen Fall als "Librarian" im Sinne dieser Vorschrift ansehen können. Weder Section 7, noch eine sonstige Bestimmung in den Regulations stützen somit die Formulierungen des TDF. Auch im Copyright Act 1988 läßt sich nirgendwo eine Regelung finden, die den Inhalt des TDF decken würde. Daraus ergibt sich das eindeutige Ergebnis, daß das TDF überhaupt nicht auf eine gesetzliche Vorgabe gestützt werden kann5).

Ist das TDF deshalb rechtlich ohne Bedeutung Diesem vorschnellen Schluß kann der Jurist leider nicht zustimmen. Denn selbst wenn für die Formulierungen des TDF keine gesetzliche Grundlage gefunden werden kann, darf ihnen deshalb noch lange nicht jede Rechts-wirksamkeit abgesprochen werden. Es besteht nämlich auch die Möglichkeit, daß das TDF nach deutschem Rechtsverständnis sogenannte "Allgemeine Geschäftsbedingungen" enthält, d.h. Neben-abreden des Kaufvertrages. Solange solche Nebenabreden nicht gegen Gesetze verstoßen, z.B. das deutsche AGB-Gesetz, können sie vertragsrechtlich völlig frei vereinbart werden. Auf diese Lösung verweist auch ein Schreiben des Deputy Director der British Library an die Rechtskommission, worin es zur Problematik des TDF heißt: "additional safeguards - which they are perfectly entitled to do under Contract law - as part of their agreement"6). Diese Geschäftsbedingungen können Bestandteil des Kaufvertrages zwischen Bibliothek und Lieferant werden, wenn ein zeichnungsberechtigter Vertreter der Bibliothek das TDF unterschreibt. Sollte allerdings - der eigentlichen Intention von BRITS gemäß - der Endnutzer das TDF mit seiner Unterschrift versehen, können keine zusätzlichen Vertragspflichten für die Bibliothek entstehen. Auch wenn die bestellte Dissertation in diesem Fall in das Eigentum der Bibliothek übergeht, so hat sie dennoch keine Willenserklärung im Hinblick auf das TDF abgegeben, sondern der Benutzer.

Sollte jedoch - dem Normalfall entsprechend - ein Bibliotheksangehöriger das TDF unterschreiben, so muß sehr genau geprüft werden, welche Rechtsfolgen sich daraus für die Bibliothek ergeben. Gemäß dem Wortlaut des TDF anerkennt (recognise) der Unterzeichner das Urheberrecht (copyright) des Verfassers der bestellten Dissertation sowie sein Recht auf Zustimmung zur Veröffentlichung von Zitaten und Informationen aus seinem Werk. Eine Anerkennung des Urheberrechts ist jedoch rechtlich völlig überflüssig. Denn ein Recht des Autors an seinem Werk ergibt sich bereits aus dem Gesetz, für Großbritannien natürlich aus dem Copyright Act 1988. Die entsprechende Phrase des TDF ist also absolut ohne jede Wirkung, da sie nur die bestehende Rechtslage widergibt; man wird sie deshalb als rechtlich unbeachtlich ansehen können.

Für deutsche Bibliotheken kann außerdem das englische Copyright-Recht überhaupt keine Wirkungen entfalten. Gemäß dem "Inländergrundsatz" der Berner Übereinkunft7) bzw. des Welturheberrechtsäbkommens8) gilt in Deutschland ausschließlich das deutsche Urheberrechtsgesetz9), das ähnlich wie der Copyright Act 1988 das Recht eines Urhebers an seinem Werk schützt. Die Formulierung des TDF hinsichtlich einer Anerkennung des Copyright kann eigentlich nur für Bibliotheken in Staaten ohne eigene Urheberrechtsgesetzgebung eine Wirkung entfalten. Für deutsche Bibliotheken ist diese Verpflichtung jedenfalls ohne jede rechtliche Wirkung und deshalb unbeachtlich.

Dagegen sieht es mit der im TDF formulierten Anerkennung eines Genehmigungsvorbehalts des Autors bzw. seiner Universität für das Zitieren nicht so günstig aus. Gemäß der Bestimmung des § 51 UrhG darf aus einem veröffentlichten Werk vollkommen frei zitiert werden. Einen Genehmigungsvorbehalt des Urhebers kennt das deutsche Recht nicht. Der englische Copyright Act 1988 enthält überhaupt keine wörtliche Regelung über das Zitieren. Nach englischem Rechtsverständnis fällt es unter den Begriff des "fair dealing" und bedarf keinerlei Genehmigung des Urhebers10). Wenn das TDF nun für die Veröffentlichung eines Zitats (quotation) bzw. einer sonstigen Information aus einer Dissertation einen "prior written consent" des Rechtsinhabers verlangt, so bedeutet das eine vollkommene Umkehrung der bestehenden gesetzlichen Regelung sowohl in Großbritannien als auch in Deutschland. Das auch im englischen Vertragsrecht (law of contract) vorhandene Prinzip der Vertragsfreiheit ermöglicht eine derartige vertragliche Nebenabrede, solange keine Gesetze oder sonstigen Rechtsprinzipien entgegenstehen. Da im vorliegenden Fall nichts Gegenteiliges erkennbar ist, wird der genannte Genehmigungsvorbehalt vollgültiger Vertragsbestandteil, sobald das TDF unterschrieben wird. Es spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle, ob der Vertrag nach britischem oder deutschem Recht zu bemessen ist. Dies ist ein Problem des Internationalen Privatrechts (IPR), das für unsere Fragestellung aber übergangen werden kann, da es für beide Rechtsordnungen zum gleichen Ergebnis führt.

Dagegen kommt der Frage nach der Person des Unterzeichners eine erhebliche Bedeutung zu. Wenn ein Bibliotheksbenutzer ("person wishing to consult thesis") das TDF unterschreibt, so kann ausschließlich er rechtlich verpflichtet werden, den Genehmigungsvorbehalt zu beachten. Die erwerbende Bibliothek braucht sich in diesem Fall nicht um den Inhalt des TDF zu kümmern, da sie keine dahingehende Willenserklärung abgegeben hat.

Wenn dagegen ein zeichnungsberechtigter Vertreter einer Bibliothek das TDF unterschreibt, dann schließt die Bibliothek einen Kaufvertrag, der sämtliche Nebenabreden des TDF enthält, also auch den Genehmigungsvorbehalt für Zitate. Auf den ersten Blick scheint dies ein für Bibliotheken höchst unerwünschtes Ergebnis zu sein, das eventuell vom Erwerb englischer Dissertationen abhalten könnte.

Dagegen sind jedoch zwei Einwände möglich. Zunächst einmal besteht kein Zweifel daran, daß es für eine Bibliothek praktisch unmöglich sein wird, die Einhaltung derartiger Zitierungsmodalitäten durch ihre Benutzer zu überwachen. Bereits aus dieser Erkenntnis könnte man den Schluß ziehen, daß es BRITS auf die Nebenabreden überhaupt nicht mehr ankommt, wenn sie - entgegen ihren eigenen Aussagen - britische Dissertationen direkt an deutsche Bibliotheken verkaufen.

Dem Juristen fällt zweitens auf, daß im Text des TDF zwar einige vertragliche Nebenabreden formuliert sind, jedoch keinerlei Aussagen zu finden sind, welche Rechtsfolgen bei Verletzung dieser Nebenbedingungen eintreten sollen. Es sei daran erinnert, daß das TDF zum Bestandteil eines Kaufvertrages über ein Druckwerk wird. Da zwischen Verkäufer (BRITS) und Käufer (Bibliothek) keine Vereinbarungen über die Rechtsfolgen einer Vertragsverletzung getroffen werden, können ledigich die gesetzlich vorgesehenen Rechtsfolgen eintreten. Und da bietet sich dem Verkäufer eigentlich nur der Rücktritt vom Vertrag an. Für die Annahme, BRITS würde den Verkauf einer Dissertation rückgängig machen, wenn eine Nebenabrede des TDF nicht eingehalten werde, gibt es jedoch keinerlei Anhaltspunkte. Es bleibt vielmehr vollkommen offen, welche Auswirkungen eine Nichtbeachtung von Nebenabreden nach sich ziehen könnte. Rechtlich gesehen bedeutet das, der Sachverhalt der Vertragsverletzung ist im Vertrag nicht geregelt, muß folglich ohne Konsequenzen bleiben.

Da also gemäß dem Wortlaut des TDF eine Verletzung der dort formulierten Verpflichtungen ohne Rechtsfolgen bleibt, stellt dieses Formular auch keine Gefahr für deutsche Bibliotheken dar. Der Genehmigungsvorbehalt für das Zitieren muß als rein deklaratorischer Wunsch des Verkäufers angesehen werden. Seine Mißächtung bleibt ohne Folgen.

b) Registrierungs-Formular bzw. Bestellformular des BLDSC

Im Zusammenhang mit der Bestellung von Photokopien beim BLDSC stellt sich deutschen Bibliotheken als erste bürokratische Hürde die Notwendigkeit einer Registrierung mittels des dafür vorgesehenen Formulars, wobei die oben bereits beschriebenen Verpflichtungen zu übernehmen sind. Eine gleichartige Prozedur kennt der deutsche Leihverkehr nicht.

Wie aus einem Begleitschreiben des BLDSC hervorgeht, wird dieser Registrierungszwang aus dem neuen Copyright Act 1988 abgeleitet. Diese Begründung ist sicherlich nicht ganz korrekt. Vielmehr müssen ergänzend noch die bereits erwähnten Copyright (Librarians and Archivists)(Copying of Copyright Material) Regulations 1989 herangezogen werden. Beide Vorschriften, Gesetz und Verordnung, enthalten eine derartige Fülle an Regelungen und Definitionen, daß es selbst dem erfahrenen Juristen schwer fällt, den Überblick zu gewinnen. Englischen Bibliothekaren dürfte ebenfalls ihr eigenes Urheberrecht in weiten Teilen unverständlich bleiben.

In Section 38 und 39 des Copyright Act findet man stets den Ausdruck "prescribed library" im Zusammenhang mit der Herstellung und dem Empfang von Photokopien. Aus dem Gesamtzusammenhang ergibt sich, daß man darunter bestimmte, vom Gesetz "festgelegte Bibliotheken" zu verstehen hat. Die Copyright (Librarians and Archivists)(Copying of Copyright Material) Regulations 1989 bestimmen in Regulation 2, "prescribed library" means a library of the descriptions specified in ... regulation 3 below.

Diese Regulation 3 verweist wiederum auf einen Anhang (Schedule 1), aus dem dann endlich zu entnehmen ist, daß als "festgelegte Bibliotheken" die meisten öffentlichen und wissenschaftlichen Bibliotheken in Großbritannien gelten, sofern sie keine Gewinnerzielungsabsicht ("conducted for profit") hegen. Ferner gehört dazu jede Bibliothek im Ausland, deren Zweck die Förderung von verschiedenenen Wissenschaftsdisziplinen11) ist. Deutsche wissenschaftliche Bibliotheken können also als festgelegte Bibliotheken im Sinne des englischen Urheberrechts angesehen werden.

Aus der Regulation 4 der Copyright (Librarians and Archivists) (Copying of Copyright Material) Regulations 1989 geht hervor, daß Bibliotheken ihren Benutzern erst dann die gewünschten Photokopien aushändigen dürfen, wenn diese zuvor ein Formular gemäß dem Anhang 2 (Schedule 2) ausgefüllt haben. Das BLDSC hat derärtige Formulare in deutscher Übersetzung bereits an deutsche Bibliotheken versandt.

Weder im Gesetz, noch in der Verordnung findet sich eine direkte Verpflichtung für Bibliotheken, sich "registrieren" zu lassen. Allerdings kann man den Vorschriften unschwer entnehmen, daß das BLDSC als Lieferant von Photokopien für die Einhaltung der einschlägigen, d.h. englischen urheberrechtlichen Bestimmungen veräntwortlich ist. Die Kollegen in Großbritannien müssen sich davon überzeugen, daß sie Kopien ausschließlich an eine "prescribed library" verschicken. Aus Sicht des BLDSC wird man das "Registrierungs-Formular" als taugliche Lösung zur Einhaltung der sie als gebende Institution betreffenden gesetzlichen Verpflichtungen ansehen können. Allerdings dürfte die Formulierung im Begleitschreiben etwas überzogen sein, wo es heißt, "durch Änderungen im Gesetz ist es nötig geworden, daß Benutzer ein Registrierungsformular unterschreiben". Hier haben die Engländer ihr eigenes Gesetz nicht richtig verstanden, das lediglich vom Besteller einer Photokopie seine Unterschrift unter ein Bestellformular verlangt.

Nachdem also feststeht, daß das englische Urhebergesetz zwar keine Registrierung von Bibliotheken verlangt, das sogenannte "Registrierungs-Formular" aber zur Feststellung des Erfordernisses "prescribed library" dient, stellt sich als nächstes die Frage, ob irgendwelche rechtlichen Auswirkungen für eine deutsche Bibliothek entstehen, wenn sie dieses Formular unterzeichnet. Das eigentliche Bestellformular für eine Kopie muß ja von demjenigen Benutzer selbst ausgefüllt werden, der die Photokopie erhalten möchte. Deshalb kann es ausschließlich ihn verpflichten. Es vermag keine Rechtswirkungen zu Lasten der Bibliothek zu begründen.

An dieser Stelle des Gutachtens sei noch einmal der rechtliche Hinweis erhoben, daß der britische Copyright Act 1988 gemäß dem Inländergrundsatz von RBÜ und Welturheberrechtsabkommen absolut keine Rechtswirkungen in Deutschland entfalten kann. Für deutsche Bibiotheken gilt einzig und allein das deutsche Urheberrechtsgesetz.

Durch die Unterschrift eines zeichnungsberechtigten Mitarbeiters unter das Registrierungsformular erkennt eine Bibliothek stets den Inhalt des Formulars als für sie bindend an, gibt also eine Willenserklärung im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuches (§§ 116 ff. BGB) ab. Obwohl noch nicht zweifelsfrei geklärt ist, welche Art von Rechtsgeschäft bei einer (Fernleih-)Bestellung von Photokopien eigentlich vorliegt, trägt das Rechtsverhältnis zwischen den beteiligten Bibliotheken deutlich werkvertragliche Züge. Die im Registrierungs-Formular abzugebenden Verpflichtungen werden folglich zu Nebenabreden dieses Werkvertrages. Durch die ausdrückliche Bezugnahme im Formular auf den Copyright Act 1988 erlangen dessen Regelungen als Vertragsinhalt Rechtswirkungen auch für Bibliotheken außerhalb des Geltungsbereiches englischen Rechts. Dies ist insofern nicht unbedenklich, als das englische Urheberrecht wesentlich restriktiver als das deutsche Gesetz regelt, inwieweit Photokopien von und für Bibliotheken angefertigt werden dürfen. So erstreckt sich die Kopierfreiheit des deutschen § 53 Abs. 1 UrhG nicht nur auf "Forschung und Privatstudien"12), sondern umfaßt auch z.B. wirtschaftliche Zwecke. Nach dem Wortlaut des Formulars dürfte aber eine deutsche Bibliothek z.B. beim BLDSC keine Kopien für eine Firma, einen Rechtsanwalt, einen Politiker oder eine andere Behörde bestellen, da diese als Bibliotheksbenutzer normalerweise weder "Forschung" noch "Privatstudien" betreiben. Wenn die Bibliothek dennoch eine Bestellung aufgibt, läuft sie Gefahr unter eine der Strafbarkeitsvorschriften des Copyright Act 1988 zu geraten. Denn durch ihre zustimmende Willenserklärung zum Inhalt des Registrierungs-Formulars, das auf das englische Gesetz verweist, hat sie möglicherweise dessen Strafbestimmungen in der Form von Vertragsstrafen anerkannt.

Gemäß der gesetzlichen Regelung in Regulation 3 Abs. 3 der Copyright (Librarians and Archivists)(Copying of Copyright Material) Regulations 1989 müssen Bibliotheken außerhalb Großbritanniens lediglich einen der genannten Zwecke13) sowie keine Gewinnerzielungsabsicht verfolgen, um als "prescribed library" im Sinne des Copyright Act Kopien erhalten zu dürfen. Die Formulierung in Teil 1 des Formulars "Bestellungen ... ausschließlich zu Forschung oder Privatstudien" bezieht sich auf den englischen Rechtsbegriff des "fair dealing". Unter diesem - vielleicht als "redliche Benutzung" zu übersetzenden Begriff - versteht der englische Jurist ein Konzept, wonach die Vervielfältigung eines Werkes solange im Einklang mit der Rechtsordnung steht, wie sie weder dem Urheber nachdrücklich schadet, sondern eher noch dem Einzelnen oder der Gesellschaft nützt. Der wichtigste im Gesetz genannte Anwendungsfall ist "copying for research or private study". Die entsprechende Formulierung im Registrierungs-Formular gibt jedoch die Möglichkeiten des Copyright Act 1988 für "fair dealing" nur unvollständig wieder. Redliche Benutzung wäre nämlich auch "criticism or review", "reporting current events", "incidential inclusion in an artistic work", "educational copying", "preservation copying", "copying for parliamentary or judicial proceedings" und einiges mehr. Der Teil 1 des Formulars umfaßt also nicht einmal die gesamte Spannbreite des englischen Rechts. Bei seiner Formulierung waren die englischen Kollegen im BLDSC, die ihr eigenes Gesetz vielleicht selbst nicht vollständig verstanden haben, allzu restriktiv. Jede Bibliothek, die dieses Formular unterschreibt, gibt also ihre Zustimmung zu vertraglichen Nebenbestimmungen, die erheblich enger gefaßt sind als das bereits im Vergleich zum deutschen Urheberrecht strengere englische Copyright Law. Gründe hierfür sind eigentlich nicht ersichtlich.

Da eine Bestellung von Kopien beim BLDSC sich im Rahmen des internationalen Leihverkehrs abspielt, sei noch kurz ein Blick in die "Prinzipien und Richtlinien zur Durchführung des Internationalen Leihverkehrs"14) gestattet. Danach sollen einerseits "bevorzugt Photokopien ... geliefert werden" (Grundsätze Ziff. 4), jedoch "sind die empfangenden Bibliotheken verpflichtet, alle Vorschriften der für sie gültigen Copyright-Regelungen einzuhalten" (Richtlinien zur Durchführung Ziff. 5.1). Soweit der deutsche Text. Leider entfalten diese Prinzipien keine Rechtskraft, bleiben also reine Absichtserklärungen. Der Inhalt des englischen Textes unterscheidet sich übrigends nicht unerheblich von der deutschen Übersetzung, indem er etwa auch die gebende Bibliothek zur Beachtung des Urheberrechts verpflichtet. Aus den Prinzipien kann zumindest als Wunsch der in der IFLA vertretenen Bibliotheksverbände entnommen werden, daß beim internationalen Versand von Kopien auch das für die empfangende Bibliothek gültige nationale Urheberrecht beächtet werden sollte.

Da im britischen Formular für ausländische Bibliotheken allzu eng gefaßte vertragliche Nebenabreden vereinbart werden sollen, die zudem der deutschen Rechtslage überhaupt keine Beachtung schenken, stellt sich die Frage, ob es keine bessere Lösung gibt. Die Rechtskommission kann zwar keine Gesetze ändern, sie kann aber für Bibliotheken günstige Vertragsbedingungen vorschlagen. Denn Verträge sind völlig frei gestaltbar. Die Kommission empfiehlt folglich allen deutschen Bibliotheken, die beim BLDSC Kopien bestellen wollen, das "Registrierungs-Formular" geringfügig abzuändern und erst danach zurückzuschicken.

3. Die Folgerungen für deutsche Bibliotheken

Wenn eine deutsche Bibliothek bei UMI oder BRITS eine englische Thesis bestellt, können ihr nach Auffassung der DBI-Rechtskommission aus einer Unterschrift unter das TDF keine Nachteile entstehen, da der einzelne Kaufvertrag keine sich nachteilig auswirkenden Nebenabreden enthält.

Wenn eine deutsche Bibliothek dem BLDSC ein unterschriebenes Registrierungs-Formular übersendet, besteht zumindest die rechtliche Möglichkeit, von den Strafbarkeitsbestimmungen des Copyright Act 1988 erfaßt zu werden. Um dies zu vermeiden, empfiehlt die Rechtskommission, im Formular die Worte "zu Forschung und Privatstudien" durch "zu den im deutschen Recht gestatteten Zwecken" zu ersetzen.

Anmerkungen:

1) Einem Schreiben des BRITS Thesis Officer vom 14. Dezember 1992 ist zu entnehmen, daß künftig 54 britische Universitäten auf das Erfordernis des TDF verzichten werden.

2) vgl. Hilbert Kirchner, Bibliotheks- und Dokumentationsrecht, S. 309-318.

3) Copyright, designs and patents act 1988 (Chapter 48) HMSO, 1988.

4) SI 89/1212. Copyright (Librarians and Archivists)(Copying of Copyright Material) Regulations 1989.

5) Entsprechend enthält Graham P. Cornish, Copyright - interpreting the law for libraries and archives, London 1990, keine Hinweise auf das TDF, sondern lediglich zum erlaubten Inhalt einer Thesis (Rdn. 126 und 311).

6) Schreiben von Dr. David Wood vom 1. Oktober 1990.

7) Die Berner Übereinkunft begründet einen Staatenverband zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst. Sie wurde zunächst in Bern am 9.9.1887 abgeschlossen, anschließend mehrmals revidiert. Deshalb nennt man sie heute "Revidierte Berner Übereinkunft", abgekürzt RBÜ. Art. 2 RBÜ: "Die ... Urheber genießen ... für ihre Werke ... diejenigen Rechte, welche die betreffenden Gesetze den inländischen Urherbern ... einräumen."

8) Das Welturheberrechtsabkommen soll die Lücken der RBÜ, so etwa das Fehlen der USA, der Sowjetunion und einiger anderer Staaten in Asien, Afrika und Amerika, schließen. Auf Initiative der UNESCO ist das WUA am 6. 9. 1952 unterzeichnet worden und in Kraft seit 16. 9. 1955.

9) Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (UrhG), BGBl I, S. 1273, Nr. 51, vom 16 September 1965.

10) Art. 29 Ziff. 1: "Fair dealing with a ... work for the purposes of research or private study ... does not infringe any copyright in the work."

11) "Bibliography, education, fine arts, history, languages, law, literature, medicine, music, philosophy, religion, science (including natural and social schience) or technology."

12) vgl. Art. 29 Ziff. 1, unter FN 10.

13) vgl. FN 11.

14) abgedruckt bei Ralph Lansky, Bibliotheksrechtliche Vorschriften, Nr. 1301.


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