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BIBLIOTHEKSDIENST Heft 11, 98

Aus der Rechtskommission

Rechtsfragen der Bestandserhaltung durch Digitalisierung *)


Klaus Peters

Nichts in dieser Welt ist von Dauer. Das gilt auch für die Bibliotheksbestände. Sie haben keinen Bestand. Bücher und Zeitschriften, die unter Verwendung säurehaltigen Papiers hergestellt wurden, beginnen nach 50 bis 80 Jahren zu zerfallen. Da fast alle der seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts erschienenen Bücher und Zeitschriften auf säurehaltigem Papier gedruckt worden sind, besteht die Gefahr, daß nahezu der gesamte in den letzten anderthalb Jahrhunderten aufgebaute Bibliotheksbestand in absehbarer Zeit zu Staub zerfällt. Die in Betracht kommenden Maßnahmen zur Erhaltung der Bibliotheksbestände sind bekannt: Massenentsäuerung, Verfilmung und - das Thema des Vortrags - die Digitalisierung. Verfilmung und Digitalisierung dienen nicht nur der Bestandserhaltung, sie helfen auch der Raumnot der Archivbibliotheken ab. Die Digitalisierung eröffnet darüber hinaus neue, dem Informationszeitalter angemessene Erschließungs- und Nutzungsmöglichkeiten. Allerdings stehen der Verwirklichung des Traums von der digitalen Bibliothek nicht wenige technische (geringe Lebensdauer derzeitiger digitaler Speicher, schnelles Veralten der Medienformate sowie der Hard- und Software) und, womit ich mich im folgenden beschäftigen möchte, urheberrechtliche Probleme im Wege.

Das Urheberrecht ist ein zeitlich begrenztes Recht. Es erlischt siebzig Jahre nach dem Tod des Urhebers (§ 64 UrhG). Nach Ablauf der Schutzfrist ist das Werk gemeinfrei. Die Digitalisierung gemeinfreier Werke und ihre Nutzung in digitalisierter Form ist urheberrechtlich irrelevant. Der Anteil der gemeinfreien Werke an den vom Zerfall bedrohten Beständen läßt sich schwer schätzen. Sicherlich ist der Großteil der im 19. Jahrhundert erschienenen Werke urheberrechtsfrei. Andererseits genießt ein Werk, daß ein zwanzigjähriger Autor im Jahre 1850 veröffentlicht hat, auch heute noch Urheberschutz, wenn dieser Autor so alt wie Ernst Jünger geworden ist. Es ist also derzeit nicht möglich, ohne weiteres vom Erscheinungsdatum eines auf säurehaltigem Papier gedruckten Werkes auf dessen Gemeinfreiheit zu schließen. In der Regel kann eine sichere Feststellung der Gemeinfreiheit eines Werkes nur nach umständlicher und zeitaufwendiger Recherche des Todesdatums des Autors getroffen werden. Einen solchen Aufwand können die Bibliotheken wegen der damit verbundenen Kosten nur in Einzelfällen treiben. In der Regel ist also eine Digitalisierung nur unter Beachtung des Urheberrechts möglich.

Das Urheberrechtsgesetz schützt den Urheber, indem es ihm sog. Ausschließlichkeitsrechte einräumt. Nach § 15 UrhG darf ausschließlich der Urheber sein Werk vervielfältigen, verbreiten und öffentlich wiedergeben. Andere, z.B. Verleger oder Bibliotheken, dürfen das Werk in den genannten Formen nur verwerten, wenn dies entweder der Urheber erlaubt (Lizenz) oder aber - in Ausnahmefällen -das Urheberrechtsgesetz selbst in Form sog. Schrankenregelungen die Verwertungshandlung für zulässig erklärt (gesetzliche Lizenz).

Vervielfältigung ist die Übertragung eines Werkes auf einen anderen Träger (§ 16 UrhG). Da bei der Digitalisierung ein Werk auf einer CD-ROM, der Festplatte eines Rechners oder auf einem sonstigen digitalen Träger gespeichert wird, handelt es sich bei der Digitalisierung ohne Zweifel um einen Akt der Vervielfältigung. Damit steht fest, daß die Digitalisierung von urheberrechtlich geschütztem Material nur auf der Grundlage einer Lizenz oder auf der Grundlage einer gesetzlichen Schrankenregelung durchgeführt werden darf.

Ist eine Digitalisierung auf Lizenzbasis eine realistische Perspektive?

Nehmen wir an, eine Bibliothek wollte 40 Zeitschriften, die insgesamt 1.000 Bände umfassen, digitalisieren. In jedem Zeitschriftenband seien Beiträge von 50 Autoren enthalten. Betroffen seien also 50.000 Urheber. Jeder zweite Urheber sei verstorben und habe durchschnittlich drei Erben. Dann müßten von der Bibliothek 100.000 Personen ausfindig gemacht und um Erlaubnis zur Digitalisierung der Zeitschriftenbeiträge gebeten werden. Es liegt auf der Hand, daß keine Bibliothek diesen Aufwand treiben könnte. Hinzu kommt, daß die Autoren bzw. Erben nicht gehindert wären, auf die Bitte der Bibliothek gar nicht oder ablehnend zu reagieren.

Hier könnte gefragt werden: Ist es wirklich notwendig, die Autoren bzw. die Erben um Erlaubnis zu bitten? Würde es nicht genügen, die Erlaubnis der Verlage bzw. ihrer Rechtsnachfolger oder die Erlaubnis der Verwertungsgesellschaft WORT einzuholen?

Leider sind weder die Verlage noch die Verwertungsgesellschaft WORT in der Lage, die Digitalisierung zu lizenzieren.

Ein Verlag kann das Recht zur Digitalisierung eines Werkes nur im Rahmen des mit dem Urheber abzuschließenden Verlagsvertrags erwerben. Nach deutschem Urheberrecht ist es jedoch nicht möglich, für zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch unbekannte Nutzungsarten Rechte zu übertragen (Nordemann/Hertin §§ 31/32 Rdnr. 9). Da die Nutzung von Werken in Form von Online-Datenbanken erst seit Anfang, die Nutzung in Form von CD-ROM-Datenbanken erst seit Ende der 80er Jahre bekannt ist, kommt erst von diesen Zeitpunkten an eine Rechteübertragung an die Verleger in Betracht. Tatsächlich begannen die Verleger erst Mitte der 90er Jahre in nennenswertem Umfang, sich Rechte zur elektronischen Nutzung übertragen zu lassen (vgl. Verlagsrechte an Zeitschriftenbeiträgen, in: Recht im Verlag 1995, S. 71 ff.; Handreichung zum Abschluß von Lizenzverträgen, ebd. S. 344 ff.).

Auch die VG WORT ist nicht in der Lage, den Bibliotheken eine ausreichende Rechtsgrundlage für die Digitalisierung zu bieten. Der Wahrnehmungsvertrag der VG WORT mit den Autoren sieht eine Wahrnehmung des Rechts der Digitalisierung nicht vor. Eine Ausnahme gilt lediglich für die Nutzung von Zeitungsartikeln in Online-Datenbanken (§ 1 Ziff. 8 Wahrnehmungsvertrag).

Da die Lizenzierung durch Autoren, Verleger oder Verwertungsgesellschaften als Legitimierungsgrundlage für Digitalisierungsmaßnahmen praktisch ausscheidet, muß geprüft werden, ob die Digitalisierung auf eine gesetzliche Lizenz gestützt werden kann.

Zunächst kommt die Erlaubnis zur Herstellung von Archivkopien (Archivprivileg) in Betracht. Gemäß §§ 53 Abs. 2 Nr. 2 UrhG ist es zulässig, ein Werk zu vervielfältigen "zur Aufnahme in ein eigenes Archiv, wenn und soweit die Vervielfältigung zu diesem Zweck geboten ist "

Archive sind nach sachlichen Gesichtspunkten geordnete Sammel- und Aufbewahrungsstellen für Geistesgut. Nach allgemeiner Ansicht sind auch Bibliotheken Archive in diesem (urheberrechtlichen) Sinne (Nordemann § 53 Rdnr. 10; Schricker/Loewenheim § 53 Rdnr. 16). Der Gesetzgeber hat 1965 bei der Begründung dieser Verschrift "an Fälle gedacht, in denen z.B. eine Bibliothek ihre Bestände auf Mikrofilm aufnimmt, um entweder Raum zu sparen oder um die Filme an einem vor Katastrophen sicheren Ort unterzubringen" (BT Drs. IV/270, S. 73). Das Problem des Papierzerfalls war im Jahre 1965 noch nicht ins Bewußtsein der bibliothekarischen Öffentlichkeit gedrungen und demzufolge auch dem Gesetzgeber noch unbekannt. Es bereitet aber keine Schwierigkeiten anzunehmen, daß der Gesetzgeber in Kenntnis der Sachlage neben der Raumnot auch den - ungleich bedrohlicheren - Papierzerfall als Rechtfertigungsgrund für die Herstellung von Archivkopien anerkannt hätte. Die Rechtskommission hat dementsprechend 1994 in ihrer (unveröffentlichten) gutachterlichen Stellungnahme zu den Empfehlungen der Kultusministerkonferenz zur Erhaltung der vom Papierzerfall bedrohten Bibliotheksbestände die Ansicht geäußert, § 53 Abs.2 Nr. 2 UrhG biete eine geeignete Grundlage für die Vervielfältigung der bedrohten Bestände.

Diese Ansicht kann heute leider nicht mehr ohne weiteres aufrechterhalten werden. In seinem Urteil vom 16.1.1997 (CB-Infobank I) hat der Bundesgerichtshof die Auffassung vertreten, eine zum Zwecke der Archivierung privilegierte Vervielfältigung im Sinne des § 53 Abs. 2 Nr. 2 UrhG liege nicht vor, wenn das Vervielfältigungsstück (auch) zur Verwendung durch außenstehende Dritte bestimmt sei (BGH RDV 1997, S. 257). Außenstehende Dritte in diesem Sinne sind nicht nur - wie in dem vom BGH beurteilten Sachverhalt - die Kunden gewerblich genutzter Archive, sondern zweifellos auch die Benutzer der Staats-, Landes-, Universitäts- und Gemeindebibliotheken sowie sonstiger öffentlicher Bibliotheken. Lediglich die Mitarbeiter von Firmen, Behörden, Vereinen etc., die die Bibliothek ihrer Institution im Rahmen ihres Arbeits- oder Dienstverhältnisses benutzen, sind interne Benutzer. Damit käme nur für Firmen-, Behörden- und sonstige nichtöffentliche Bibliotheken eine Digitalisierung auf der Grundlage der Archivregelung des § 53 Abs. 2 Nr. 2 UrhG in Betracht. Die öffentlichen Bibliotheken dürften ihren Benutzern die von ihnen erstellten Archivkopien weder offline noch online zur Verfügung stellen. Auch die Nutzung der Archivkopien zur Herstellung von Kopien im Auftrage von Benutzern wäre nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verboten. Erst nach Ablauf der urheberrechtlichen Schutzfrist dürften die Archivkopien zur Nutzung durch die Bibliotheksbenutzer freigegeben werden.

Die Rechtsauffassung des BGH, die Archivkopie dürfe ausschließlich für Zwecke der internen Nutzung hergestellt werden, läßt sich, jedenfalls was den Bibliotheksbereich angeht, schwerlich mit dem Willen des historischen Gesetzgebers vereinbaren. Dies zeigt der in der Gesetzesbegründung für eine zulässige Archivvervielfältigung angeführte Beispielfall der Verfilmung von Bibliotheksbeständen zwecks Raumersparnis (BT Drs. IV/270, S. 73). Denn eine Verfilmung zwecks Raumersparnis kommt ja für Bibliotheken sinnvollerweise nur in Betracht, wenn die Filme den Bibliotheksbenutzern, also Dritten im Sinne der Rechtsprechung des BGH, zugänglich gemacht werden dürfen. Insofern ließe sich, wenn auch nicht mit viel Hoffnung auf gerichtliche Bestätigung, die Ansicht vertreten, Bibliotheken stellten einen Sonderfall dar, auf den die CB-Infobank-Entscheidung nicht zutreffe.

Wegen der Unsicherheit, die in Bezug auf die Anwendbarkeit des Archivprivilegs besteht, ist zu fragen, ob es eine andere gesetzlich Lizenz gibt, die eine mehr Sicherheit bietende Grundlage für die Digitalisierung zerfallsbedrohter Bestände gibt. In Betracht kommt, da es um eine vollständige Vervielfältigung von Büchern und Zeitschriften geht, nur noch der den meisten Bibliothekaren dem Sinne nach bekannte § 53 Abs. 4 b) UrhG. Die Vorschrift lautet:

"Die Vervielfältigung eines Buches oder einer Zeitschrift ... ist ... zulässig ... zum eigenen Gebrauch, wenn es sich um ein seit mindestens zwei Jahren vergriffenes Werk handelt."

Bücher oder Zeitschriften sind vergriffen, wenn sie vom Verlag nicht mehr geliefert werden können (Schricker/Loewenheim § 53 Rdnr. 22 f.). Lieferbarkeit durch den Antiquariatsbuchhandel schadet nicht (ebd.; a.A. Nordemann § 53 Rdnr. 12 b). Praktisch kann in der Masse der Fälle das Vergriffensein eines Buches anhand des VLB oder eines entsprechenden ausländischen Verzeichnisses relativ einfach festgestellt werden. Soweit es um Zeitschriften geht, wird allerdings eine Verlagsanfrage unumgänglich sein. Zu beachten ist, daß Bücher oder Zeitschriften, die von den Verlegern zwar nicht mehr in der ursprünglichen Form geliefert werden können, die aber in anderer Form, z.B. als CD-ROM oder als Mikrofilm, angeboten werden, mit Rücksicht auf die gebotene enge Auslegung des § 53 UrhG wohl nicht als vergriffen anzusehen sind.

Problematisch ist, daß § 53 Abs. 4 b) UrhG eine Vervielfältigung nur "zum eigenen Gebrauch" erlaubt. Dem Wortlaut nach dürfte die Bibliothek auch nach dieser Vorschrift nur für interne Zwecke, nicht aber für Zwecke der Benutzung vervielfältigen. Glücklicherweise ergibt sich aber aus § 53 Abs. 6 Satz 2 UrhG die Notwendigkeit einer erweiterten Auslegung (vgl. Schricker/Loewenheim § 53 Rdnr. 46). Nach § 53 Abs. 6 Satz 2 UrhG, einer Vorschrift, die nach dem Willen des historischen Gesetzgebers "den praktischen Bedürfnissen des Bibliotheksbetriebs" Rechnung tragen soll (BT Drs. 10/837 S. 17), ist es zulässig "rechtmäßig hergestellte Vervielfältigungsstücke von ... vergriffenen Werken ... zu verleihen ...". Da Bibliotheken ihrem Auftrag entsprechend vergriffene Werke nur zu dem Zweck vervielfältigen, die Vervielfältigungsstücke ihren Benutzern zur Verfügung zu stellen, muß der "eigene Gebrauch" i.S. des § 53 Abs. 4 b) UrhG auch den Gebrauch durch Bibliotheksbenutzer umfassen. Andernfalls wäre die bibliothekarische Vervielfältigung vergriffener Werke nicht rechtmäßig und die Verleiherlaubnis des § 53 Abs. 6 Satz 2 UrhG liefe ins Leere. Bibliotheken dürfen also vergriffene Werke vervielfältigen, um die Vervielfältigungsstücke ihren Benutzern zur Verfügung zu stellen, insbesondere auch auszuleihen. Das gilt auch für die Vervielfältigung in elektronischer Form. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat zwar in Bezug auf die Herstellung elektronischer Archivkopien die Ansicht vertreten, daß derartige Kopien im Vergleich zu Papier- und Mikrofilmkopien Möglichkeiten weit intensiverer Nutzung böten und deshalb nicht mehr durch § 53 Abs. 2 Nr. 2 UrhG legitimiert seien (OLG Düsseldorf RDV 1997, 82 (84); zustimmend Hackemann, Bibliotheksdienst 1997, S. 2348, 2352). Diese Rechtsauffassung, die bislang auch keine Bestätigung durch den Bundesgerichtshof erfahren hat, ist aber nicht überzeugend. Vervielfältigung i.S. des Urheberrechtsgesetzes ist grundsätzlich Vervielfältigung in jeder Form (§ 16 UrhG). Die Beschränkung einer gesetzlichen Vervielfältigungslizenz auf bestimmte Vervielfältigungsformen kann nur durch den Gesetzgeber selbst vorgenommen werden. Dementsprechend hat der Gesetzgeber beispielsweise ausdrücklich bestimmt, daß die nicht zu Archivzwecken erfolgende und sich nicht auf eine seit mindestens zwei Jahren vergriffene Publikation beziehende vollständige Vervielfältigung einer Notenschrift nur "durch Abschreiben" erfolgen darf (§ 53 Abs. 4 a) UrhG). Da der Gesetzgeber Digitalisierung vergriffener Werke nicht von der Erlaubnis der Vervielfältigung vergriffener Werke ausgenommen hat, umfaßt die Erlaubnis selbstverständlich auch die elektronische Vervielfältigung. Davon gehen auch die aktuellen Kommentare zum Urheberrechtsgesetz aus (Nordemann § 53 Rdnr. 14, Schricker/Loewenheim § 53 Rdnr. 37). Selbst für das künftige Recht ist derzeit in dieser Hinsicht keine Einschränkung zu erwarten. Nach der Begründung zu Art. 5 Abs. 2 Buchstabe c des EG-Vorschlags für eine Richtlinie zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft vom 10.12.1997 dürfen die Mitgliedstaaten die Digitalisierung "von Werken, die am Markt nicht mehr verfügbar sind," erlauben (KOM(97)628 endg. S. 35).

Wir dürfen also davon ausgehen, daß die vom Zerfall bedrohten Bücher und Zeitschriften (mit Ausnahme der nicht seit mindestens zwei Jahren vergriffenen Medien) sowohl nach geltendem als auch - soweit absehbar - nach kommendem Recht frei in digitale Formen überführt werden dürfen. Wie steht es aber mit der bibliothekarischen Nutzbarkeit der digitalisierten Werke? Daß die digitalen Speicher gem. § 53 Abs. 6 Satz 2 UrhG frei "verliehen" werden dürfen, ist schon festgestellt worden. Verleihen i.S. des Urheberrechtsgesetzes ist "die zeitlich begrenzte, weder unmittelbar noch mittelbar Erwerbszwecken dienende Gebrauchsüberlassung" (§ 27 Abs. 2 Satz 2 UrhG). Dabei dürfen, was vor allem für Gemeindebibliotheken in Betracht kommt, durchaus Gebühren oder Entgelte erhoben werden, jedoch dürfen die Gebühren oder Entgelte nicht so kalkuliert sein, daß die erwarteten Einnahmen die Kosten für die Herstellung und Verwaltung der Medien übersteigen. Der Verkauf, der Tausch oder das Verschenken der gem. § 53 Abs. 4 b) UrhG hergestellten digitalen Speicher ist gem. § 53 Abs. 6 Satz 1 UrhG ebenso verboten wie das Vermieten (zeitlich begrenzte Gebrauchsüberlassung mit Gewinnerzielungsabsicht). Die bibliothekarische Nutzung der Digitalisierungsprodukte im Wege der Orts- und der Fernleihe ist nach geltendem Recht also unproblematisch.

Wie steht es mit der Präsenznutzung der digitalen Speicher?

Bei der Präsenznutzung verbleibt der Speicher im Herrschaftsbereich der Bibliothek. Das Verbreitungsrecht des Urhebers wird bei dieser Nutzungsform also nicht tangiert. Möglicherweise kommt es aber zu einer Beeinträchtigung des Rechts der öffentlichen Wiedergabe. Gem. § 53 Abs. 6 Satz 1 UrhG ist es verboten, die von vergriffenen Werken hergestellten Vervielfältigungsstücke in unkörperlicher Form zu öffentlichen Wiedergaben zu nutzen. Das Sichtbarmachen eines Werkes auf dem Bildschirm eines Computers ist eine unkörperliche Darstellung des Werkes und mithin eine Wiedergabe des Werkes. Öffentlich ist die Wiedergabe eines Werkes gem. § 15 Abs. 3 UrhG, wenn sie für eine Mehrzahl von Personen bestimmt ist.

Da die im Rahmen der Präsenznutzung erfolgende Wiedergabe eines Werkes mittels Computerbildschirms immer nur für die das Werk aufrufende Einzelperson bestimmt ist, handelt es sich nicht um eine öffentliche, sondern um eine urheberrechtlich irrelevante nichtöffentliche Wiedergabe. Dabei macht es keinen Unterschied, ob auf das digitale Speichermedium zu einem gegebenen Zeitpunkt nur ein einziger Benutzer oder (etwa wenn der Speicher über das Bibliotheksnetz oder das Internet zugänglich ist) eine Mehrzahl von Personen zugreifen kann. Diese sich auf den Wortlaut des Gesetzes stützende Auffassung wird in jüngerer Zeit unter Berufung auf das Schutzbedürfnis des Urhebers für den Bereich der Netznutzung zunehmend in Frage gestellt (Katzenberger, AfP 1997, 434, 438). Da aber bislang noch keine Rechtsprechung zu dieser Problematik vorliegt, darf für das geltende Recht wohl davon ausgegangen werden, daß es sich bei dem Angebot, Werke online abzurufen, nicht um eine öffentliche Wiedergabe handelt.

Das künftige Recht wird in diesem Punkt allerdings mit großer Wahrscheinlichkeit eine Änderung bringen. Der bereits erwähnte Richtlinienvorschlag der EG-Kommission gewährt nämlich in Art. 3 Abs. 1 den Urhebern das Recht der öffentlichen Wiedergabe "einschließlich der öffentlichen Zugänglichmachung der Werke in der Weise, daß sie Mitgliedern der Öffentlichkeit von Orten und Zeiten ihrer Wahl zugänglich sind". Danach wäre das Angebot zur Online-Nutzung eines Werkes grundsätzlich nur mit Erlaubnis des Urhebers zulässig.

Abschließend läßt sich feststellen, daß das geltende Urheberrecht sowohl die Digitalisierung der gefährdeten Bestände als auch eine umfassende Nutzung der Digitalisierungsprodukte erlaubt. Das geltende Urheberrecht wird aber aller Wahrscheinlichkeit nach in entscheidenden Punkten demnächst auf der Grundlage einer bereits als Kommissionsvorschlag vorliegenden EG-Richtlinie geändert werden. Aufgabe der Bibliotheken und ihrer Verbände ist es, sich dafür einzusetzen, daß es den Bibliotheken auch nach künftigem Recht möglich ist, ihre vom Zerfall bedrohten Bestände zu bewahren und in einer den Ansprüchen der Informationsgesellschaft genügenden Weise nutzbar zu machen.

*) Leicht gekürzte und um einige Nachweise ergänzte Fassung eines am 3. Juni 1998 auf dem 88. Deutschen Bibliothekartag in Frankfurt gehaltenen Vortrags.


Stand: 09.11.98
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