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Rechtskommission des DBI
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Stefan Ernst
Der Bundesgerichtshof und die Preisbindung für CD-ROM

Veröffentlicht in: Bibliotheksdienst 31. (1997), S.1342.

Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofes (BGH) hatte unlängst die Frage zu entscheiden, ob eine CD-ROM als Verlagserzeugnis im Sinne des Kartellgesetzes (Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, GWB) gelten und somit preisbindungsfähig sein könnte (Beschluß vom 11.3.1997, Az. KVR 39/95). Der Beitrag stellt die Entscheidung vor und erläutert sie.

Vgl. hierzu auch S.1301 ff. in diesem Heft

I. Einleitung

Die Buchpreisbindung, in Deutschland erstmals 1887 unter Anleitung des Börsenvereinsvorstehers Kröner eingeführt, wird seit den 50er Jahren vom Bundeskartellamt überwacht. § 16 GWB nimmt Verlagserzeugnisse aus dem ansonsten umfassenden Verbot (vertikaler) Preisbindungen (§ 15 GWB) aus. Umstritten ist der Begriff des Verlagserzeugnisses, mithin die Reichweite dieser Ausnahme.

Die Bedeutung der Preisbindung ist nicht unerheblich, und ihre Berechtigung wird in Deutschland nur von wenigen bestritten. Gerade Bibliothekare wissen sie zu schätzen1). Ihre vielfaltssichernde Wirkung wird dort besonders deutlich, wo sie abgeschafft wird. Der Blick ins europäische Ausland zeigt dies. Frankreich war 1981 zur - inzwischen sogar gesetzlich festgeschriebenen - Preisbindung zurückgekehrt. Auch im Vereinigten Königreich, wo am 27. 9. 1995 die Kündigung des Net Book Agreement in den Zeitungen gemeldet wurde, lassen sich eher negative Erfahrungen erwarten2).

Auch von Seiten der Europäischen Union sollte der Preisbindung (hoffentlich) keine Gefahr drohen. Nachdem schon der Europäische Gerichtshof in frühen Entscheidungen keinerlei grundsätzliche Bedenken geäußert hatte3), sei auf die Kommissionsmitteilung zum Thema "Das Buch: ein unverzichtbarer Bestandteil des kulturellen Lebens in Europa"4) hingewiesen, um die buchfreundliche Haltung der Brüsseler Behörden aufzuzeigen. Die meisten Staaten der Europäischen Union verfügen über Buchpreisbindungssysteme5). Dies allein sollte für Brüssel Grund genug sein, die entsprechenden Gesetze nicht anzutasten.

II. Der Sachverhalt

Der Verlag C.H. Beck hatte im Juli 1993 für seine als CD-ROM publizierten Fachzeitschriften und Entscheidungssammlungen die Preisbindung eingeführt. Das Bundeskartellamt untersagte dem Verlag jedoch die Durchführung der Preisbindungsverträge6). Es war der Ansicht, daß die kartellrechtliche Ausnahmenorm nur solche Erzeugnisse der Informationstechnik erfassen könnte, die herkömmliche Druckwerke ersetzen, zum Lesen bestimmt sind und zudem im wesentlichen über den Buchhandel vertrieben werden. Dies sei bei einer CD-ROM nicht der Fall, wenn sie weitergehende Anwendungsmöglichkeiten biete. Sie sei kein elektronisches Lese- und Nachschlagewerk, sondern eine Datenbank mit vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten. Das Kammergericht Berlin wies eine hiergegen gerichtete Beschwerde zurück7). Das gesamte Verfahren wurde von einer kontroversen Diskussion in der juristischen Fachliteratur begleitet8). Auf die Revision des Verlages hat der BGH beide Entscheidungen aufgehoben.

Die in Streit stehenden CD-ROM-Produkte - und dies ist letztlich bedeutsam -enthalten ausschließlich Textinformationen. Sie sind jeweils etwa zur Hälfte mit Texten und umfangreichen Registern belegt. Die zur Recherche erforderliche Retrieval-Software nimmt nur wenig Raum ein. Die Produkte werden vor allem im Abonnement, aber auch einzeln verkauft, wobei dies überwiegend über den Buchhandel geschieht (70-75% mit steigender Tendenz). Der Rest wird über den EDV-Handel vertrieben. Die CD-ROM-Zeitschriften erscheinen auch weiterhin in gedruckter Form.

III. Die Entscheidung des BGH

Mit seiner Entscheidung beendet der BGH den lange währenden Streit. Der zuständige Kartellsenat befaßt sich mit der Auslegung des Begriffes "Verlagserzeugnisse" nicht zum ersten Mal. Die vorausgegangenen Entscheidungen liegen allerdings schon mehrere Jahrzehnte zurück. In einer Entscheidung des Jahres 1966 wurde Schallplatten die Preisbindungsfähigkeit abgesprochen, 1977 ging es um Briefmarkenalben, die nur als Vordruckalben preisgebunden werden können9). Nunmehr spricht der BGH einer Text-CD-ROM den Charakter eines Verlagserzeugnisses im Sinne des Kartellrechts zu.

Bereits in der erwähnten Schallplatten-Entscheidung war festgestellt worden, daß der Begriff des Verlages im Sprachgebrauch, der etwa auch den Musikverlag einschließt, für die Auslegung der Preisbindung unerheblich sein müsse. Vielmehr sei auf die der Norm zugrundeliegende kulturpolitische Zielsetzung abzustellen. Zweck der Ausnahmeregelung sei die Gewährleistung einer weitgehenden vielfältigen, gleichmäßigen und flächendeckenden Versorgung der Bevölkerung mit dem Kulturgut Buch.

Bedeutsam ist die Feststellung, daß der Begriff des Verlagserzeugnisses in § 16 GWB gleichwohl nicht auf Papiererzeugnisse beschränkt ist. Obwohl die Norm als Ausnahmeregelung grundsätzlich einschränkend auszulegen ist, rechtfertigt die gesetzliche Zielsetzung eine Erweiterung ihres Anwendungsbereiches auf neuartige Produkte, wenn sie herkömmliche Bucherzeugnisse substituieren. Der Art und Weise der Herstellung kommt demnach keine Bedeutung für die Reichweite des Begriffes Verlagserzeugnis zu. Der Begriff ist vielmehr für neue technische Entwicklungen offen, die der Gesetzgeber nicht berücksichtigen konnte. Daher ist auch unerheblich, daß eine CD-ROM (wie schon die preisbindungsfähigen Microfiches) nur mit technischen Mitteln lesbar ist.

Eine reine Text-CD-ROM, wie der in Streit stehende Jahrgang einer juristischen Fachzeitschrift, ist ein solches Substitutionsprodukt. Es ist geeignet, die auf ein herkömmliches Druckerzeugnis gerichtete Nachfrage ganz oder teilweise zu befriedigen. Auch sie enthält im wesentlichen Lesestoff. Druckausgabe und CD-ROM dienen der Informationsvermittlung, auch wenn sie nicht am Stück gelesen werden. Dies ist bei Nachschlagewerken schließlich ebenfalls nicht der Fall. Daß viele Kunden die gedruckte Zeitschrift neben der CD-ROM weiterbeziehen, ist für die Austauschbarkeit ohne Belang, da die grundsätzliche Substituierbarkeit nicht beeinträchtigt ist.

Auch die zusätzlichen Recherchemöglichkeiten ändern hieran nichts. Die Suchfunktionen einer CD-ROM entsprechen im Grundsatz denen eines herkömmlichen Registers, mögen sie auch komfortabler und schneller sein. Und Exportmöglichkeiten haben dieselbe Funktion wie eine Fotokopie. Gleiches gilt für die Tatsache, daß eine CD-ROM theoretisch auch multimediale Funktion erfüllen kann. Die vorliegende Entscheidung beschränkt sich nur auf eine reine Textvariante. Ob eine CD-ROM preisbindungsfähig ist, die Multimedia-Anwendungen ermöglicht, wird ausdrücklich offen gelassen.

Weitere Argumente gegen eine Preisbindung werden kürzer angesprochen. Hinsichtlich des Vertriebs über den Buchhandel sei zu beachten, daß sich der Verkauf oft danach richtet, ob das Produkt bereits preisgebunden ist. Der beratungsintensive Buchhandel arbeitet mit geringeren Spannen als der EDV-Handel. Ob der Buchhandel wirtschaftlich in der Lage wäre, dem Wettbewerb mit dem EDV-Handel ohne CD-ROM-Preisbindung standzuhalten, ist irrelevant, da es bei der Regelung um den grundsätzlichen Schutz des Verlagshandels und nicht um einen Einzelfall geht. Auch die besonderen Bezugsbedingungen, die regelmäßig bei CD-ROM-Abonnements vereinbart werden und sich vom gewöhnlichen Abonnement erheblich unterscheiden, hindern die Preisbindung nicht. Sie tragen lediglich den technischen Gegebenheiten des Mediums Rechnung.

IV. Ausblick

Die Hauptfragen, die sich im Zusammenhang mit der Preisbindung stellen, beziehen sich immer öfter auf ihre Reichweite im Hinblick auf neue Medien. Kombinationsprodukte (Sprachkurs mit Kassette, Buch plus Diskette, nicht aber Software mit Handbuch) wurden bereits anerkannt. Erste Schwierigkeiten mit rein elektronischen Medien, die in zunehmendem Maße in der Lage sind, gedruckte Werke zu ersetzen, zeigen sich in dem jetzt beendeten Rechtsstreit. Inwieweit andere CD-ROM der Ausnahme unterfallen können, wurde nicht entschieden. Musik-CD als Schallplattensubstitut werden dies entsprechend der BGH-Rechtsprechung nicht sein. Doch die Preisbindungsfähigkeit eines Lexikons, das zusätzlich Video- und Audio-Einspielungen anbietet und tatsächlich als Druckwerksubstitut dienen kann, ist offen geblieben. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß der "Brockhaus" demnächst multimedial erscheinen wird. Doch der Senat konnte nicht über alle Arten von CD-ROM entscheiden. Zu viele Möglichkeiten der CD-ROM sind noch gar nicht ausgeschöpft, so daß eine vollständige Einordnung nicht machbar ist. Insofern besteht also noch keinerlei Rechtssicherheit für die Verlage. Die gefallene Entscheidung ist gleichwohl uneingeschränkt zu begrüßen.

1) Z.B. Wiesner, ZfBB 1992, 481.

2) Vgl. Zimmer, Die Zeit, 28.02.1997, S. 46; Wittmann, F.A.Z. 01.07.1996, S. 35; von der Forst, NJW-CoR 1997, 178.

3) EuGH, WuW/E 674 - Leclerc; WuW/E 653 - VBVB/VBBB; WuW/E 891 - Net Book Agreement; vgl. Fezer/Großhardt, ZUM 1991, 503.

4) KOM (89) 258 endg.

5) Vgl. Langbein, Die Buchpreisbindung in der EWG, 1989.

6) BKartA, Beschluß vom 25.05.1994, WuW/E 2635.

7) KG, Beschluß vom 17.05.1995, WuW/E 5450 = WRP 1995, 538.

8) von der Horst, NJW-CoR 1997, 178; ders. NJW-CoR 1996, 116; Tielen, NJW-CoR 1995, 115; Fezer, WRP 1994, 669; ders. WRP 1995, 946; Tonel CR 1993, 198; Becker, Börsenblatt 1989, 326.

9) BGH, WuW/E 795 = GRUR 1966, 158 - Schallplatten I; BGH, WuW/E 1463 = GRUR 1977, 506 - Briefmarkenalben.


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