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Rechtskommission des DBI
Organisation

Gabriele Beger *)
Nehmen Bibliotheken an der Marktwirtschaft teil?

Bibliotheksleistungen und Wettbewerbsrecht
Veröffentlicht in: Bibliotheksdienst 30. (1996), S. 1753.

Leere kommunale Kassen und das zunehmende Verständnis, daß Bibliotheken trotz öffentlicher Finanzierung ihre Existenzberechtigung letztendlich durch das Angebot von bedarfsgerechten Dienstleistungen nachzuweisen haben, führen zwar zum wirtschaftlicheren Umgang mit den Ressourcen, aber auch zum Vorwurf des wettbewerbswidrigen Verhaltens.

Deshalb soll an dieser Stelle ein Einblick in das Wettbewerbsrecht gegeben werden.

Bibliotheken gewährleisten den freien ungehinderten Zugang eines jeden Bürgers zu Bildung und Information. Ihre Tätigkeit - unbeschadet einzelner Entgelt- oder Gebührentatbestände - wird vom Staat subventioniert, weil Bildung und der Zugang zur Information als Staatsauftrag verstanden werden. Damit sind Bibliotheken Bestandteil des Sozialstaatsprinzips und ihre Tätigkeit dient grundsätzlich einem öffentlichen Zweck.

Konnte jahrzehntelang der Bildungs- und Informationsauftrag der Bibliotheken durch die Ausleihe von Printmedien erfüllt werden, so kann diese Aufgabe im Zeitalter der Informationsgesellschaft nur noch einen Teil der Dienstleistungen ausmachen.

In dem Maße, wie die Gesellschaft sich zur Informationsgesellschaft entwickelt und die Wettbewerbsfähigkeit jedes Bürgers vom schnellen ungehinderten Zugang auf jegliche Informationen abhängt, müssen auch die Bibliotheken in geeigneter Weise für die entsprechende Informationsvermittlung Sorge tragen, um ihrem Auftrag gerecht zu werden. So sind alle Medien, die Informationen enthalten, in das Angebot der Bibliotheken einzubeziehen. Neue Technologien, die Nutzung elektronischer Medien sowie die digitale Speicherung und Übertragung helfen den Bibliotheken, vielfältige Möglichkeiten der externen und internen Informationsvermittlung im Rahmen ihres Informationsauftrages bereitzustellen.

Die Anforderungen der Informationsgesellschaft haben sowohl die Bibliotheksaufgaben als auch das Berufsbild des Bibliothekars grundlegend verändert, ohne ihren ausschließlich öffentlichen Zweck in Frage zu stellen.

Die prekäre Finanzlage zwingt auch die öffentlichen Bibliotheken zur Erzielung von Einnahmen, so daß vornehmlich neue Bibliotheksleistungen gegen Gebühren bzw. Entgelt zur Verfügung gestellt werden.

Nehmen deshalb Bibliotheken am marktwirtschaftlichen Wettbewerb teil ?

Wettbewerb ist das Synonym für Konkurrenz. Konkurrenz heißt, "sich in einen Kampf einlassen". Das Wettbewerbsprinzip durchzieht die gesamte Volkswirtschaft unseres marktwirtschaftlichen Systems, d.h. bedarfsgerechte Leistungen verdrängen die weniger bedarfsgerechten vom Markt, so daß stets Alternativen für den Verbraucher vorhanden sind. Bieten mehrere Anbieter alternativ Leistungen an, so treten sie in einen vom marktwirtschaftlichen System gewollten und benötigten Wettbewerb.

Daraus resultiert, daß die Teilnahme von Bibliotheken am Wettbewerb, soweit sie stattfindet, ein vom marktwirtschaftlichen System gefördertes Prinzip darstellt. Es ist also kein Makel, am Wettbewerb teilzunehmen, sondern erst das Verhalten als Wettbewerber gegenüber anderen Wettbewerbern kann rechtsverletzende Elemente beinhalten.

Mit dem Verhalten des einzelnen Wettbewerbers befaßt sich, soweit es um die Verhinderung unlauterer Wettbewerbshandlungen geht, das "Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb" (UWG); wenn es um den Schutz des Wettbewerbs vor Beschränkungen geht, ist das "Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen" (GWB), heranzuziehen.

Als erste Frage soll geprüft werden, ob und wann Bibliotheken am Wettbewerb teilnehmen:

Das Unternehmen Bibliothek ist aufgrund seiner Finanzierung durch öffentlich-staatliche Träger stets ein Non-Profit-Unternehmen. Die erzielten Einnahmen erfüllen in ihrer Summe nicht den Tatbestand des Gewinns. Dem Wesen des Wettbewerbs ist aber eigen, in hohem Maße Gewinn zu erzielen. Demzufolge werden diese Unternehmen als "geschäftlicher Betrieb" bezeichnet. Es besteht heute Einigkeit darüber, daß die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben keinesfalls ausschließt, daß zugleich ein geschäftlicher Betrieb vorliegt. Entscheidend ist allein, daß die Betriebe im Wirtschaftsleben sich gleichgeordnet gegenüber stehen und entgeltliche Leistungen anbieten. Der geschäftliche Betrieb beinhaltet regelmäßig ein Erwerbsgeschäft. So sind z.B. ein kommunales Wasserwerk und ein städtisches Theater durch das Anbieten von entgeltlichen Leistungen geschäftliche Betriebe, die am Wettbewerb teilnehmen. Lediglich die Ausübung reiner Verwaltungsaufgaben kann niemals den Tatbestand des geschäftlichen Betriebes erfüllen.

Daraus folgt, daß Bibliotheken zwar Non-Profit-Unternehmen sind, aber zugleich bei Anbietung von entgeltlichen Leistungen als geschäftlicher Betrieb am Wettbewerb teilnehmen, wenn die gleiche Leistung von privaten Anbietern angeboten wird bzw. werden könnte.

Als nächstes soll die Frage, ob die Tätigkeiten der Bibliotheken durch Teilnahme am Wettbewerb geeignet ist, eine marktbeherrschende Rolle einzunehmen, beantwortet werden:

Das Wettbewerbsrecht umfaßt zwei Schutzgegenstände. Zum einen steht der freie Wettbewerb unter dem Schutz des Gesetzes, zum anderen werden die Wettbewerber vor unlauteren Handlungen geschützt.

Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) sichert den freien Wettbewerb, indem jeder ungehindert - so auch Bibliotheken - am Wettbewerb teilnehmen kann. Es verhindert, daß ein Wettbewerber durch Monopolbildung diesen freien Wettbewerb so beeinflußt, daß kein anderer Teilnehmer mehr konkurrenzfähig an diesem teilnehmen kann.

Zur Beantwortung der Frage ist deshalb zu prüfen, ob die erbrachten Bibliotheksleistungen geeignet sind, den freien Wettbewerb zwischen allen möglichen Anbietern zu beeinflussen.

Innerhalb des GWB ist die Bestimmung des § 1 die zentrale Vorschrift gegen Wettbewerbsbeschränkungen; sie regelt die Unwirksamkeit von Verträgen und Beschlüssen, "soweit sie geeignet sind, die Erzeugung oder die Marktverhältnisse für den Verkehr mit Waren oder gewerblichen Leistungen durch Beschränkung des Wettbewerbs zu beeinflussen".

Gemäß § 98 GWB unterliegen auch Unternehmen der öffentlichen Hand dem Anwendungsbereich dieses Gesetzes.

Ein Unternehmen ist marktbeherrschend im Sinne des Gesetzes (§ 22 UWG), soweit es als Anbieter oder Nachfrager einer bestimmten Art von Waren oder Leistungen

  1. ohne Wettbewerber ist oder keinem wesentlichen Wettbewerb ausgesetzt ist, oder
  2. eine im Verhältnis zu seinen Wettbewerbern überragende Marktstellung hat.
Als marktbeherrschend gelten die rechtlichen und tatsächlichen Schranken für den Zugang anderer Wettbewerber auf den gleichen Markt. § 22 Abs. 3 beschreibt, daß die Marktbeherrschung eines Unternehmens (bzw. durch Fusion mehrerer Unternehmen), dann zu vermuten ist, wenn "es für eine bestimmte Art von Waren und Leistungen einen Marktanteil von mindestens einem Drittel hat"; die Vermutung gilt nicht, wenn das Unternehmen im letzten abgeschlossenen Geschäftsjahr einen Umsatzerlös von weniger als 250 Millionen DM hatte.

Bibliotheken sind zwar Wettbewerber, können aber nicht einmal im Ansatz einen Umsatz durch ihre relativ bescheidenen Einnahmen erzielen, der eine Marktbeherrschung und damit eine Wettbewerbsverzerrung vermuten läßt. Auch gibt es weder rechtliche noch tatsächliche Schranken für den Zugang privater Anbieter.

Des weiteren stellt sich die Frage, ob kostenlose oder mit Gebühr/Entgelt behaftete Bibliotheksleistungen geeignet sind, den freien Wettbewerb zu verzerren und so ein öffentliches Monopol bilden. Das Problem der möglichen Wettbewerbsverzerrung besteht in der Subventionierung der öffentlichen Leistung und der darin enthaltenen Möglichkeit, Preise der Privatwirtschaft regelmäßig zu unterbieten.

Aber sind Bibliotheken überhaupt marktwirtschaftlich tätig? Dies kann aus zwei Gründen verneint werden. Einerseits werden Bibliotheken niemals im Sinne der Privatwirtschaft kostendeckend, geschweige denn mit Profit tätig sein können. Sollten sich Bibliotheken selbst finanzieren wollen, so wären sie gezwungen, sämtliche Leistungen unter Preis zu stellen. Damit würden sie ihren staatlichen Bildungsauftrag nicht mehr erfüllen können. Des weiteren sind Gebühren Preise für eine Verwaltungsleistung, die nach den Haushaltsgrundsätzen der Verhältnismäßigkeit und dem Kostendeckungsprinzip unterliegen. Damit ist ebenfalls eine gewinnorientierte Einnahme ausgeschlossen.

Abschließend soll geprüft werden, ob und wann Bibliotheken unlautere Wettbewerbshandlungen begehen:

Der zweite Teilaspekt des Wettbewerbsrechts gilt der "Verhinderung von unlauteren Wettbewerbshandlungen" (UWG). So lautet die Generalklausel des § 1 UWG: "Wer im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs Handlungen vornimmt, die gegen die guten Sitten verstoßen, kann auf Unterlassung und Schadenersatz in Anspruch genommen werden". Da die Gebote der Sozialmoral einem ständigen Wandel unterzogen sind, reicht es bei der Feststellung, was die "guten Sitten" erfordern, nicht aus, auf das allgemein herrschende "Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkender" zu verweisen, sondern es muß von den Wertvorstellungen des Grundgesetzes ausgegangen werden. Entsprechend den Ausführungen des Kommentars zum UWG zählen "Kundenfang, Täuschung, Irreführende Praktiken wie falsche Hinweise, bewußtes Hervorrufen von Mißdeutungen, Vortäuschen von Einkaufsvorteilen, und Schleichwerbung" zu den bekanntesten Verstößen gegen die guten Sitten.

Der öffentlichen Hand ist es zwar gestattet, sich durch Beteiligung an privatwirtschaftlichen Unternehmen oder durch eigene wirtschaftliche Tätigkeit zusätzliche Mittel zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben zu verschaffen (BGHE in Sachen "Ärztekammer"), ist dann aber ebenfalls an die genannten Gesetze gebunden. Ihr Tätigwerden unterliegt demzufolge dem UWG. Obwohl die öffentliche Hand regelmäßig durch ihre Subventionierung einen großen Vorteil im Wettbewerb genießt, verstößt sie nicht gegen das Grundgesetz, denn das Grundgesetz gewährt grundsätzlich keine Chancengleichheit. Die öffentliche Hand muß lediglich die Freiheitsrechte privater Unternehmen respektieren. Aufgrund ihrer Machtstellung ist ihr auch verboten, Druck auf Anbieter auszuüben oder einem bestimmten Wettbewerber einen Vorsprung gegenüber anderen Mitbewerbern zu verschaffen (Rdn. 48, 937 ff zu § 1 UWG Kommentar). So darf z.B. eine Kommune nicht ihre Bürger unter Druck setzen, bestimmte Leistungen nur von der öffentlichen Bibliothek in Anspruch zu nehmen. Der Autoritäts- und Vertrauensmißbrauch ist regelmäßig als unlauter zu qualifizieren und gibt den weiteren Anbietern den Anspruch auf Unterlassung und Schadenersatz gegen die öffentliche Hand bzw. gegen das öffentlich-rechtliche Unternehmen. Dabei muß es sich aber stets um einen tatsächlich ausgeübten Druck handeln, das Empfehlen aus sachlichen Gründen, z.B. weil die betreffende Bibliothek im Unterschied zum privaten Anbieter kostengünstiger ist, ist statthaft. So muß der Nachfrager stets auf eine objektive und neutrale Wertung vertrauen können. Gleiches gilt für die Werbung z.B. einer öffentlichen Bibliothek in eigener Sache. Ein Beispiel: "Kommen Sie zu uns, bei uns ist alles kostenlos" wäre statthaft; dagegen "Gehen Sie nicht in die Meier-Buchhandlung - nur bei uns ist alles kostenlos" wäre unlauter.

Dabei ist zu beachten, daß eine wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand nur zulässig ist, wenn mit ihr ein öffentlicher Zweck verfolgt wird, der seine Rechtfertigung im Sozialstaatsprinzip findet. Wird dagegen überwiegend oder ausschließlich Gewinn erstrebt, dann fehlt es regelmäßig am rechtfertigenden öffentlichen Zweck.

So ist es öffentlichen Unternehmen auch grundsätzlich nach dem UWG gestattet, Preisunterbietungen vorzunehmen (UWG Kommentar Rdn 944 zu § 1). Eine kostenlose Abgabe, aber "auch ein Verkauf unter Selbstkosten oder unter Einstandspreis ist nicht zu beanstanden, solange nicht besondere Umstände hinzutreten, wie z.B. eine Irreführung über die Preisbemessung des gesamten Angebots (§ 3 UWG), oder der Preisgestaltung selbst negative Momente anhaften. Dies ist der Fall, wenn eine Vernichtungs- oder Verdrängungsabsicht oder die objektive Eignung, den Wettbewerb völlig oder nahezu aufzuheben, besteht." Dazu reicht es völlig aus, daß die Handlungen der Bibliothek objektiv keinen weiteren Anbieter mehr zulassen.

Derartige Fälle sind nicht bekannt. Selbst kommerzielle Videotheken existieren in großer Vielfalt neben den kostengünstigen Videoangeboten der öffentlichen Bibliotheken, und auch kommerzielle Dokumentenliefersysteme sind mit Erfolg tätig.

Wettbewerbswidrig kann des weiteren eine zweckwidrige Verwendung der öffentlichen Mittel zur Unterbietung privater Mitbewerber sein. So handelte wettbewerbswidrig ein kommunales Fremdenverkehrsamt, das mit öffentlichen Mitteln ein Hotel unterhielt und die üblichen Hotelpreise regelmäßig unterbot. Die Unlauterkeit liegt darin, daß öffentliche Mittel entgegen ihrer Zweckbestimmung dafür eingesetzt wurden, die Preise der privaten Mitbewerber zu unterbieten. Hier griff das UWG mit seinen Ansprüchen auf Unterlassung und Schadenersatz ein.

Darüber hinaus kann gegen einen Machtmißbrauch der öffentlichen Hand die Kartellbehörde nach § 22 GWB und im gemeinsamen EG-Markt die EG-Kommission nach Art. 86 EWGV einschreiten.

Zusammenfassung

Zusammenfassend ist festzustellen, daß Bibliotheken, soweit ihre Leistungen auch von privaten Wettbewerbern angeboten werden können und sie diese entgeltlich anbieten, am Wettbewerb teilnehmen. Durch ihren öffentlichen Auftrag im Rahmen des Sozialstaatprinzips haben sie ihre übertragenen öffentlichen Mittel ausschließlich dem öffentlichen Zweck zu widmen. Die gegenwärtigen Angebote der Bibliotheken im Rahmen der Anforderungen der heutigen Informationsgesellschaft sind zweifelsfrei unter dem Begriff des öffentlichen Zwecks zu subsumieren, so daß die dafür erhobenen Entgelte oder Gebühren weder den Tatbestand der Marktbeherrschung noch der unlauteren Handlung erfüllen. Den öffentlichen Bibliotheken ist explizit das Recht der Preisunterbietung und der Werbung in eigener Sache durch das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb eingeräumt, solange dadurch nicht der freie Wettbewerb auf dem gesamten Markt ausgeschlossen wird bzw. die Werbung objektiv und neutral gestaltet wird. Die Praxis hat bislang keinen Fall gezeigt, in dem Bibliotheken wettbewerbsverzerrend wirkten.

Abschließend ein Beispiel: Die jahrzehntelange Existenz von Bibliotheken hat nicht dazu geführt, z.B. Buchhandlungen vom Markt zu verdrängen - im Gegenteil, Buchhandlungen schätzen ortsansässige Bibliotheken als Großkunden.

Quellen

Gramm, Otto-Friedrich Frhr. von: Kartellrecht. Kommentar zum Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen. 2. überarb. u. erw. Aufl. - Heymanns 1990
Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb vom 7. Juni 1909 (RGB 499) idF vom (BGBl)
Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen idF vom 20. Februar 1990 (BGBl I 235)
Hefermehl, Wolfgang: Wettbewerbsrecht. Kommentar zum Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb. 17. neubearb. Aufl..- Beck 1993 (insb. Wettbewerb der öffentlichen Hand: Anhang zu § 1 UWG. S. 754 ff)

*) Referat im Rahmen einer öffentlichen Sitzung der Rechtskommission des DBI auf dem Deutschen Bibliotekartag, Erlangen, 29. Mai 1996


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