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Rechtskommission des DBI
Veröffentlichungen

Hans-Burkard Meyer
Professoren als Bibliotheksbenutzer

Veröffentlicht in: Bibliotheksdienst 27. (1993), S. 714.

In einem Rechtsprechungsbericht mit dem provokatorisch-auffälligen Titel "Kann man Universitätslehrer bei der Buchausleihe gängeln?" befaßte sich Hubert Detmer1) mit einem älteren Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen.2) Er hält es für aktuell und relevant im Hinblick auf den "vereinzelt zu verzeichnenden" Sachverhalt, daß Hochschullehrer durch ihre Universitätsbibliothek (UB) von der weiteren Benutzung derselben ausgeschlossen werden, wenn sie mehrfach Leihfristen überschreiten, entsprechende Mahnungen ignorieren sowie Mahngebühren nicht begleichen; diese Praxis ist seiner Ansicht nach verfassungswidrig, als gegen Art. 5 Abs. 3 Grundgesetz (GG) verstoßend.

Man wäre versucht, Detmers These als absurd und als völlig unbeachtlich unwidersprochen zu lassen, wenn nicht Fälle bekannt geworden wären, daß Hochschullehrer bei diesbezüglichen Schwierigkeiten mit ihrer UB versucht hätten, Detmers Artikel als Argument für ihre Position ins Feld zu führen. Deshalb erscheint eine kurze Replik, wenn schon nicht geboten, so doch vielleicht klärend.

  1. Folgender Sachverhalt lag diesem bereits im Jahre 1978 ergangenen Urteil zugrunde:
    Ein ordentlicher Professor hatte mehrere aus seiner Universitätsbibliothek entliehene Bücher erst nach Ablauf der Ausleihfrist zurückgegeben und war deshalb wegen Leihfristüberschreitung zu einer Gebühr von DM 20,- herangezogen worden. Hiergegen hatte er nach erfolglosem Widerspruchsverfahren geklagt und unter anderem vorgetragen, die Gebührenerhebung stelle eine verdeckte Disziplinarstrafe dar und sei deshalb verfassungswidrig. Als Beamter habe er ein Recht darauf, die erforderlichen Arbeitsmittel, also Bücher und Zeitschriften, so lange benutzen zu dürfen, wie er es für erforderlich halte, ohne gebührenpflichtig zu werden. Überhaupt seien Hochschullehrer wegen ihrer besonderen Aufgaben an der Hochschule gegenüber den übrigen Bibliotheksbenutzern bevorzugt zu behandeln.
    Der klagende Professor konnte sich mit seiner Ansicht weder in erster Instanz noch in der Berufung vor dem OVG Münster durchsetzen. Dieses stellte vielmehr unmißverständlich fest, daß sowohl die auch für Hochschullehrer Leihfristen vorgehende universitäre Benutzungsordnung wie auch das bei Leihfristüberschreitung die Erhebung von Gebühren anordnende landesrechtliche Gebührengesetz keinerlei verfassungsrechtlichen Bedenken begegneten und weder gegen Art. 5 Abs. 3 noch Art. 33 Abs. 5 GG verstießen. Im Hinblick auf Art. 5 Abs. 3 GG führte das Gericht aus, die Wissenschaftsfreiheit des einzelnen könne sich "nicht schlechthin und schrankenlos durchsetzen"; nicht zu beanstanden seien Regelungen des Benutzungsverhältnisses, wenn sie der 'besonderen Stellung der Hochschullehrer' Rechnung trügen.

  2. Detmer zieht zur Untermauerung seiner These die sogenannte Hochschullehrer-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1973 3) und ein sich ebenfalls mit Art. 5 Abs. 3 GG im Hochschulbereich befassendes Urteil des Bundesverwaltungsgerichts von 1977 4) heran - allerdings ein vergebliches Bemühen, denn dort geht es um etwas anderes. In ersterer Entscheidung wird gefordert, den Trägern des lndividualrechts aus Art. 5 Abs. 3 GG, den Hochschullehrern also, soviel Freiheit in ihrer wissenschaftlichen Betätigung zu gewähren, wie dies möglich ist, weshalb der Wissenschaftsbetrieb so zu gestalten ist, daß die Gefahr der Funktionsunfähigkeit oder eine Beeinträchtigung des Freiraums für wissenschaftliche Betätigung nicht besteht,5) während letztere feststellt, daß unmittelbar aus Art 5 Abs. 3 GG ein Anspruch wenn schon nicht auf eine Grundausstattung, so doch auf eine angemessene Berücksichtigung bei der Verteilung der vorhandenen Mittel, ein "Teilhaberecht" also, anzuerkennen ist, welches bedeutet, daß dem Hochschullehrer ein Recht auf verhältnismäßige Teilhabe an vom Staat bereitgestellten Leistungen und Einrichtungen zusteht.6) Diese seine Rechtsposition wird jedoch durch die ihm "zugemutete" Unterwerfung unter eine Betriebs-, Bibliotheks- oder Benutzungsordnung überhaupt nicht tangiert.

  3. Das OVG Münster erachtet in seinem den beiden erwähnten Entscheidungen des Bundesverfassungs- bzw. Bundesverwaltungsgerichts nachfolgendem Urteil Benutzungsordnungen von Hochschulbibliotheken solange mit Art. 5 Abs. 3 GG in Einklang stehend, als sie der "aus der erhöhten Verantwortung für den wissenschaftlichen Rang der Hochschulen erwachsenden besonderen Stellung der Hochschullehrer" Rechnung tragen. Dieser Forderung wurde in dem der dortigen Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt entsprochen, und sie erfüllen ebenso - z. B. - § 14 der "Bibliotheksverordnung für die Universität Regensburg' oder § 18 derselben Ordnung, die die Möglichkeiten der Dienstlichen Ausleihe über 3 Monate hinweg mit Verlängerungsmöglichkeit bzw. die Einrichtung von Handapparaten für Hochschullehrer vorsehen. Ähnliche Regelungen finden sich in den Art. 24 und 25 der "Bibliotheksordnung der Gesamthochschule Bamberg" oder den §§ 17 und 21 der "Betriebsordnung für die Universitätsbibliothek Augsburg".7 Eine Entbindung der Hochschullehrer von Rückgabepflichten und Leihfristen ist in universitären Bibtiotheksordnungen weder vorgesehen noch wird sie von den Gerichten gefordert, eine generelle Freistellung dieser Benutzergruppe von Sanktionen bei Verstößen gegen die genannten aus der Bibliotheksordnung sich ergebenden Verpflichtungen ist im Hinblick auf Art. 5 Abs. 3 GG nicht gefordert.
    Daraus ergibt sich, daß Detmers Ansicht, die Belegung von Hochschullehrern mit Mahngebühren oder der Ausschluß von der Benutzung ihrer UB sei verfassungsrechtlich nicht zulässig, durch die von ihm zitierte Rechtsprechung jedenfalls nicht gedeckt und somit unzutreffend ist!

  4. Da in der Regel Hochschullehrer den Beamtenstatus besitzen, haben sie gemäß allgemeinem Beamtenrecht die Pflicht, bei der Erfüllung der ihnen obliegenden Aufgaben weder dienstrechtliche noch sonstige Vorschriften zu verletzen; bei der Überschreitung von Leihfristen handeln Hochschullehrer nicht mehr im Rahmen ihrer dienstlichen Aufgaben. Dies wird in dem genannten Urteil des OVG Münster in aller wünschenswerten Deutlichkeit festgestellt. Bei Verstößen gegen die Benutzungsordnung, die ihnen ohnehin bereits Privilegien zugesteht, sind sie wie alle übrigen Mitglieder der Hochschule zu behandeln. Ein - frei nach Schillers Wilhelm Teil - "Griff nach den Sternen", will sagen: nach dem Art. 5 Abs. 3 GG vermag sie aus dieser Obliegenheit nicht zu befreien.

Anmerkungen:
1) Mitteilungen des Deutschen Hochschulverbandes 2/1992, S. 40

2) OVG Münster, Urteil vom 14.9.1979, Az. V A 910/78

3) BVerfG, Urteil vom 29.5.1973, BVerfGE 35, 79 ff.

4) BVerwG, Urteil vom 22.04.1977: BVerwGE 52, 339 ff

5) a. a. 0. (Anm. 3), S. 123 f.

6) a. a. 0. (Anm. 4), S. 348 f.

7) Vgl. die Zusammenstellung von Gödan/Knudsen- Bibliotheksordnungen. Hamburg, Berlin, 1993 (Arbeitshefte der AjBD. Nr. 16)


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