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Rechtskommission des DBI
Veröffentlichungen

Hans-Burkard Meyer
Produkthaftungsgesetz und Bibliotheken

Veröffentlicht in: Bibliotheksdienst 25. (1991), S. 706.

Bibliotheken befassen sich mit der "Sammlung, Ordnung, Erschließung, Verwahrung und Vermittlung von Veröffentlichungen in gedruckter oder reprographischer Form, sowie von Handschriften, Bildern, Bild und Tonträgern"1 ), sie kaufen dieses Material oder erwerben es in anderer Rechtsform zwecks Bereithaltung oder Ausleihe, sie stellen es aber kaum jemals selbst her. Kommt es vor, so ist es die bekannte Ausnahme von der Regel: zu denken ist an Benutzungsführer, Ausstellungskataloge, Jahresberichte, Neuerwerbungslisten oder dergleichen. Daß allerdings von derlei Publikationen Gefahren für die Gesundheit oder das Eigentum von Benutzern ausgehen könnten, ist schlechthin nicht vorstellbar, und Ansprüche von Benutzern aufgrund einer Fehlerhaftigkeit dieser Produkte scheinen damit kaum denkbar. Eher mag schon folgender Vorgang zumindest theoretisch möglich sein: die Bibliothek stellt - ähnlich wie bei Tonträgern - eine Sicherungskopie eines Computerprogramms her und verleiht diese Diskette an einen Benutzer, der beim Überspielen auf die Festplatte des häuslichen Computers bestürzt feststellen muß, daß die entliehene Diskette mit sogenannten Viren2 ) infiziert ist, die nun zu Störungen in seinen eigenen Programmen führen. Haftet in einem solchen Fall die Bibliothek nach dem neuen Produkthaftungsgesetz?

Als Ergebnis der jahrelangen Bemühungen um eine Harmonisierung des Produkthaftungsrechts innerhalb der europäischen Gemeinschaft wurde die "Richtlinie des Rates vom 25.7.1985 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte"3 ) verabschiedet. Sie schuf kein unmittelbares Recht, sondern verpflichtete die Mitgliedsstaaten, sie innerhalb von drei Jahren in nationale Gesetze umzuformen. Mit einiger Verspätung hat die Bundesrepublik Deutschland diese Verpflichtung erfüllt durch die Verkündung des "Gesetzes über die Haftung für fehlerhafte Produkte (Produkthaftungsgesetz - ProdHaftG)" am 15.12.1989, das am 1.1.1990 in Kraft getreten ist.4 ) Es positiviert eine verschuldungsunabhängige5 ) Haftung für Schäden, die durch fehlerhafte Produkte dem privaten Endverbraucher entstehen, läßt aber alle bestehenden vertraglichen und außervertraglichen Haftungsnormen, insbesondere die aus unerlaubter Handlung (§§ 823 ff. BGB) unberührt und bietet mithin eine zusätzliche Haftungsgrundlage.6 )

§ 1 Abs. 1 S. 1 ProdHaftG bestimmt: "Wird durch den Fehler eines Produkts ... eine Sache beschädigt, so ist der Hersteller ... verpflichtet, den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen." Es ist mithin zu prüfen, ob die Begriffe 'Produkt', 'Fehler' und 'Hersteller' für den Ausgangssachverhalt zutreffen. Gemäß § 2 S. 1 des Gesetzes ist ein Produkt "jede bewegliche Sache". Maßgeblich ist deshalb der Sachbegriff des § 90 BGB, der als Sache nur körperliche Gegenstände begreift. Daher wird die Elektrizität besonders erwähnt. Bücher, Schriften, Landkarten, also Druckwerke im weiteren Sinn sind bewegliche Sachen im Sinne des Gesetzes7 ), ebenso wie Schallplatten oder Videokassetten.8 ) Daß Computerprogramme (Standard-Software) ebenfalls von § 2 erfaßt werden, ist angezweifelt, ja sogar rundweg verneint worden.9 ) Nachdem der BGH in seinem Urteil vom 18.10.1989 10 ) jedoch ausdrücklich bekräftigt hat, daß Datenträger mit dem darin verkörperten Programm körperliche Sachen im Sinne des § 90 BGB darstellen, dürfte die Frage zumindest für den gesamten Bereich der Standard-Software entschieden sein.11 ) Einen Fehler im Sinne von § 3 ProdHaftG hat ein Produkt dann, "wenn es nicht die Sicherheit bietet, die ... berechtigterweise erwartet werden kann." Mangelnde Sicherheit einer Sache löst also die Haftung aus, und der Definition des Fehlers kommt somit eine zentrale Bedeutung zu. Entscheidend ist, ob das Produkt diejenige Sicherheit bietet, welche die Allgemeinheit nach der Verkehrsauffassung in dem entsprechenden Bereich und in bezug auf das konkrete Produkt für erforderlich halten darf.12 ) Daß eine mit Viren behaftete Kopie eines Computerprogramms, die zur Zerstörung von Daten im Computer des Bibliotheksbenutzers führt, einen Fehler im Sinne des Gesetzes aufweist, dürfte unstreitig und damit nicht weiter zu erörtern sein.

Mit dem Hersteller befaßt sich § 4 ProdHaftG, der eine eigenständige Definition des Begriffs 'Hersteller' allerdings vermissen läßt, wenn er in seinem Abs. 1 S. 1 sagt, Hersteller im Sinne dieses Gesetzes sei "wer das Endprodukt, einen Grundstoff oder ein Teilprodukt hergestellt hat". Eine gewisse Konkretisierung läßt sich lediglich aus der Bezeichnung der Produkte und der Einbeziehung der Personen, die als Hersteller gelten sollten, entnehmen. Eine für die gesamte Rechtsordnung relevante Aussage zum Herstellerbegriff ist mit § 4 nicht beabsichtigt.13 Tatsächlicher Hersteller ist derjenige, der aktiv und eigenverantwortlich an der Entstehung eines vertriebsfähigen Produkts mitgewirkt hat; nicht als Hersteller anzusehen ist, wer ohne Eigenverantwortung, also in abhängiger Stellung, sich am Herstellungsprozeß beteiligt.14 ) Irrelevant ist die rechtliche Form des Herstellers, es kann auch eine juristische Person, auch die öffentliche Hand sein.15 ) Zwar sind reine Dienstleistungen nicht als Herstellung zu werten; wenn im Rahmen der Dienstleistungen jedoch ein Produkt an einen Verbraucher/Benutzer weitergegeben wird, so setzt eine Haftung nur ein, wenn diese Weitergabe als 'lnverkehrbringen' zu bewerten ist. Es erscheint mithin als nicht zweifelhaft, die Bibliothek, die Sicherungskopien von Disketten anfertigt, als 'Hersteller' im Sinne des Gesetzes bezeichnen zu dürfen.

Eine Haftung könnte jedoch trotzdem entfallen, denn § 1 Abs. 2 Nr. 1 bestimmt, daß die Ersatzpflicht des Herstellers ausgeschlossen ist, wenn "er das Produkt nicht in den Verkehr gebracht hat". Der Begriff der lnverkehrbringens wird im Produkthaftungsgesetz nicht definiert, "da sich sein Inhalt aus dem natürlichen Wortsinn ergibt"16 ), in anderen Gesetzen wird er unterschiedlich verstanden, sodaß durch vergleichende Betrachtung eine Definition nicht gewonnen werden kann. "In Verkehr gebracht" ist ein Produkt, wenn es die Sphäre des Herstellers mit seinem Willen verlassen hat; dies wird als "Werktorprinzip" bezeichnet17 ). "Inverkehrbringen" beinhaltet jedoch darüber hinaus den Aspekt der Vermarktung oder Kommerzialisierung des Produkts18 ), also das Streben, einen Gewinn zu erzielen. Dieser Aspekt ist jedoch bei Öffentlichen Bibliotheken nicht gegeben, die als reine Dienstleistungsbetriebe der Allgemeinheit zur Verfügung stehen, höchstens Verwaltungsgebühren, aber keine kostendeckenden Entgelte fordern, damit keine Gewinne anstreben und sich insoweit von privaten Leihbüchereien oder Videotheken grundlegend unterscheiden.

Ein Blick auf § 1 Abs. 2 Nr. 3 vermag diese Ansicht zu stützen; denn hier wird ausdrücklich die Ersatzpflicht an einen "Vertrieb mit wirtschaftlichem Zweck" sowie an eine "berufliche Tätigkeit" geknüpft. Bezüglich letzterer Forderung mag man noch zögern, ob nicht Bibliothekare im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit auch (Sicherungs-) kopien anfertigen. Dies ist jedoch im Hinblick auf ihr gesamtes Aufgabenfeld lediglich ein so kleiner Teil, daß er praktisch vernachlässigt werden kann und jedenfalls nicht die "typische" Tätigkeit des "normalen" Bibliothekars darstellt. Die geforderte Professionalität muß sich auf die gesamte Tätigkeit des Herstellers beziehen19 ), sie liegt beim Ausgangssachverhalt eben nicht vor.

Als Ergebnis läßt sich feststellen, daß Bibliotheken für von ihnen hergestellte fehlerhafte Produkte nach dem neuen Produkthaftungsgesetz nicht haften müssen.

Anmerkungen:

1) Kirchner, Hildebert: Bibliotheks- und Dokumentationsrecht. Wiesbaden 1981, S. 26.

2) Zur Wirkungsweise und zu deren Einsatz vgl. Rombach, Wolfgang: Killer-Viren als Kopierschutz, In: Computer und Recht 1990, S. 184 - 187.
Fischer, Christoph: Gefahr erkannt, Gefahr gebannt. In: FAZ v. 12.3.1991, S. B34.
Lange, Peter. Viren jagen Viren - der Alptraum vom Bitverlust. In: SZ vom 13.3.1991, Beilage, S. 15.

3) 85/374 EWG.ABL.EG v. 7.8.1985 Nr. L210, S. 29; auch abgedruckt in: Taschner, Hans C. und Frietsch,>BR> Erwin: Produkthaftungsgesetz und EG - Produkthaftungsrichtlinie. 2. Aufl. München 1990, S. 1 - 15.

4) BGBL. I 1989, S. 2198.

5) Westphalen, Friedrich Graf von: Das neue Produkthaftungsgesetz. In. NJW 1990, S. 83.
Rolland, Walter.- Das neue Produkthaftungsgesetz. München 1990, S. 12f.

6) Mayer, Kurt.- Das neue Produkthaftungsgesetz. In: Versicherungsrecht 1990, S. 691.

7) Taschner - Frietsch (Anm. 3), S. 230.
Landscheidt, Christoph: Das neue Produkthattungsgesetz. Herne, Berlin 1990.

8) Hoeren, Thomas: Anmerkung zum BGH-Urteil v. 18.10.1989. In: JZ 1990, S. 293.

9) Westphalen (Anm. 5), S. 87.

10) BGH JZ 1990, S. 238; vgl. auch: Meier, Klaus u. Andreas Wehlau: Produzentenhaftung des Softwareherstellers.
In: Computer und Recht 1990, S. 95 - 100.
Bauer, Axel. Produkthaftung für Software nach geltendem und künftigem deutschen Recht (Teil 2). In: PHI, 1989, S. 98 - 108.

11) Taschner - Frietsch (Anm. 3), S. 232 m.w.N.
Landscheidt (Anm. 7), S. 53.

12) Drucksache BT 11/5520, S. 15; vgl. auch: Westphalen (Anm. 5), S. 87. Mayer (Anm. 6), S. 695.

13) "im Sinne dieses Gesetzes". Vgl. auch: Rolland (Anm. 5), S. 145.

14) Taschner - Frietsch (Anm. 3), S. 311, 313.

15) BGH in MDR 1977. S. 651.

16) Drucksache BT 11/2447, S. 14.

17) Rolland (Anm. 5), S. 50. Taschner - Frietsch (Anm. 3), S. 158.

18) Rolland und Taschner - Frietsch jeweils a.a.0. (Anm. 17). Landscheidt (Anm. 7), S. 123 f.

19) Rolland (Anm. 5), S. 62.


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