Rechtskommission des DBI
Veröffentlichungen
Harald Müller/Klaus Peters
Nutzung von Videokassetten durch Öffentliche Bibliotheken
Veröffentlicht in: Bibliotheksdienst 25. (1991), S. 71.
Im August 1989 hatte die Bundesvereinigung des Deutschen Films eine breit angelegte Öffentlichkeitskampagne gegen gewisse Praktiken bei der Verwendung von Filmen im Schulunterricht gestartet. Darin griff sie massiv die Öffentlichen Bibliotheken an, denen insoweit schwerwiegende Rechtsverstöße vorgeworfen wurden.
Die DBI-Rechtskommission prüfte diese Vorwürfe im Einzelnen und kam zu dem Ergebnis, daß die Auslegungen des Urheberrechtsgesetzes durch die Bundesvereinigung des Deutschen Films weder im Gesetz, noch in der Rechtsprechung eine Stütze finden. Um die eigenen Schlußfolgerungen noch einmal einer kritischen Oberprüfung zu unterziehen, bat die Rechtskommission den Kollegen Peters um eine gutachtliche Würdigung. Klaus Peters, der nicht der Rechtskommission angehört, veröffentlichte 1987 die Studie "Urheberrechtsfragen audiovisueller Medien in Bibliotheken".
Der Kollege Peters kommt in seinen nachstehend abgedruckten Ausführungen zu den gleichen Ergebnissen wie die Rechtskommission. Die Kommission möchte deshalb seine juristischen Überlegungen vollinhaltlich und vorbehaltlos unterstützen. Die Bundesvereinigung des Deutschen Films muß sich eine grobe Verfälschung der Rechtslage vorhalten lassen. Sie bleibt aufgefordert, derartige Äußerungen im Interesse des Rechtsfriedens künftig zu unterlassen.
- Erwiderung auf eine Pressemitteilung der Bundesvereinigung des deutschen Films -
- Die Bundesvereinigung des deutschen Films hat im August 1989 mit der Pressemitteilung "Filme in der Schule zum Nulltarif?" eine "Kampagne" gegen die urheberrechtswidrige Verwendung von Videokassetten im Schulunterricht gestartet. Der Pressemitteilung war eine Sammlung von 8 Fallbeispielen "aus der Praxis" zur Veranschaulichung der "gängigen Verletzungen des Urheberrechts" nebst juristischem Kommentar beigegeben. Die Fälle Nr. 3 und 7 behandeln angebliche Urheberrechtsverletzungen durch Öffentliche Bibliotheken.
- Fall Nr. 3 hat eine Stadtbibliothek zum Gegenstand, die in einem Rundschreiben an "alle Einrichtungen" auf ihren Bestand an (im Handel erworbenen) Videokassetten hinweist. In dem Schreiben wird "betont, daß die Video-Cassetten lediglich zur nichtöffentlichen Vorführung freigegeben sind, also auch für nichtöffentliche Vorführungen im Rahmen von schulischen oder außerschulischen Jugendbildungsveranstaltungen. Das Rundschreiben enthält jedoch keine näheren Hinweise darüber, unter welchen Voraussetzungen eine Vorführung öffentlich oder nichtöffentlich ist." Veranlaßt durch das Rundschreiben leiht sich ein Deutschlehrer einen Film aus und führt diesen in seinem Leistungskurs "Literatur" vor. In den rechtlichen Erläuterungen zu dem Fall heißt es, die von dem Lehrer veranstaltete Vorführung sei strafbar, da es sich um eine öffentliche Vorführung handele. Es könne "nicht davon ausgegangen werden, daß alle Schüler untereinander oder zu ihm (mit dem Lehrer, d. Verf.) persönlich verbunden sind. Der Begriff der persönlichen Verbundenheit beinhaltet nämlich mehr als ein 'persönlich bekannt'. Die persönliche Verbundenheit entspricht eher einer freundschaftlichen privaten Bindung, und dies kann in der Schule, jedenfalls bei Grund- und Leistungskursen sowie weiteren Veranstaltungen mit Schülern aus mehreren Klassen (Religionsunterricht, Wahlfachunterricht), nicht vorausgesetzt werden." Die Stadtbibliothek könne wegen unvollständiger Auskünfte haftbar gemacht werden, da sie "in ihren Veröffentlichungen den Eindruck vermittelt, als dürften Video-Cassetten aus ihrem Verleih in jedem Fall auch im Schulunterricht eingesetzt werden".
Gegen diese Darstellung sind folgende Einwendungen zu erheben:
- Die Vorführung des Films durch den Deutschlehrer ist entgegen der Auffassung der Bundesvereinigung des deutschen Films eine nichtöffentliche und damit urheberrechtsfreie Vorführung. Filmvorführungen sind gem. § 15 Abs. 3 UrhG nichtöffentlich, wenn die Adressaten der Wiedergabe einen bestimmt abgegrenzten Kreis von Personen bilden, die durch gegenseitige Beziehungen oder durch Beziehung zum Veranstalter persönlich untereinander verbunden sind. Die Schüler, die am Leistungskurs teilnehmen, stellen einen bestimmt abgegrenzten Kreis von Personen dar, da die Zusammensetzung des Kurses für ein halbes Jahr oder länger konstant bleibt; ferner sind die Kursteilnehmer aufgrund des intensiven Gedankenaustausches, den sie mit dem Lehrer und untereinander in einem relativ kleinen Kreis und über einen relativ langen Zeitraum pflegen, persönlich untereinander verbunden. Diese Auffassung entspricht der, soweit ersichtlich, bislang einzigen Äußerung in der juristischen Literatur zum Problem der Wiedergabe speziell in schulischen Leistungskursen (Hackemann: Schulmediothek und Urheberrechtsprobleme der AV-Medienverwendung (Teil 1, 11). In: Schulbibliothek aktuell 1983 S. 3 ff. S. 4). Rechtsprechung liegt zur Zeit nur zur Frage der Wiedergabe in universitären Lehrveranstaltungen vor. Das Reichsgericht hat Hochschulvorlesungen generell für nichtöffentlich angesehen (RGST 36 S. 8, 10-, 48 S. 429, 432). Nach einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Koblenz kann in Hinblick auf die Wiedergabe in einer universitären Lehrveranstaltung mit einer Teilnehmerzahl "von 20 bis 25 Personen ... unbedenklich angenommen werden, daß ein engerer persönlicher Kontakt unter den teilnehmenden Personen entsteht, so daß es sich ... nicht um eine öffentliche Wiedergabe ... handelt" (NJW-RR 1987 S. 699, 701). Da die Beziehungen unter Schülern erfahrungsgemäß intensiver sind als der Zusammenhalt unter Studenten und die Teilnehmerzahl in schulischen Leistungskursen typischerweise unter 25 liegt, darf die zitierte Rechtsprechung als Bestätigung der Auffassung gewertet werden, daß Wiedergaben in Leistungskursen nichtöffentlich sind. Auch Heinrich Hubmann, eine der angesehensten wissenschaftlichen Autoritäten des Urheberrechts, hat sich - mit Argumenten, die ohne weiteres auf Vorführungen in Leistungskursen übertragbar sind - dezidiert dafür ausgesprochen, Wiedergaben in universitären Unterrichtsveranstaltungen als nichtöffentlich anzusehen (Der Begriff der Öffentlichkeit im Urheberrecht. In: Internationale Gesellschaft für Urheberrecht. Jahrbuch 1979 S. 469, 478 ff.).
Die Behauptung der Presseerklärung, die gem . § 15 Abs. 3 UrhG geforderte persönliche Verbundenheit der Teilnehmer entspreche "eher einer freundschaftlichen privaten Bindung", ist, da sie weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur irgendeine Stütze findet, völlig aus der Luft gegriffen.
- Wenn es sich bei der Vorführung in dem Leistungskurs, wie gezeigt, um eine nichtöffentliche Wiedergabe handelt, ist eine Haftung der Stadtbibliothek wegen Verletzung einer Hinweispflicht ausgeschlossen. Doch auch für den Fall, daß Videokassetten der Bibliothek bei urheberrechtswidrigen Vorführungen Verwendung gefunden hätten, wäre eine Haftung der Bibliothek wegen der Verletzung einer Hinweispflicht abzulehnen. Die Hinweispflicht besteht nämlich nur im Rahmen des Zumutbaren (BGH GRUR 1984 S. 54, 55 - Kopierläden -). Es kann der Bibliothek aber nicht zugemutet werden, ihrem Rundschreiben für alle denkbaren Gebrauchsfälle einen juristischen Kommentar beizugeben. Zumutbar, aber auch ausreichend ist der deutliche Hinweis darauf, daß die Videokassetten nur für die nichtöffentliche Wiedergabe freigegeben sind. Es ist Sache der angeschriebenen Einrichtungen, sich - unter Umständen mit Hilfe der zuständigen Rechtsabteilung - darüber zu informieren, ob der beabsichtigte Gebrauch noch dem Begriff der nichtöffentlichen Wiedergabe entspricht oder nicht.
- Fall Nr. 7 lautet: "Eine Stadtbibliothek hat eine Video-Cassette eines Filmklassikers erworben. Eine Zweigstelle der Bibliothek soll nach zwei Jahren mit dem gleichen Bestand an Video-Cassetten ausgestattet werden. Seit zwei Jahren ist jedoch die Video-Cassette mit dem Filmklassiker nicht mehr im Handel erhältlich. Die Zentrale fertigt deshalb eine Kopie ihrer Original-Cassette an und gibt sie an die Filiale weiter, um in deren Verleihbestand aufgenommen zu werden. Ein derartiges Vorgehen ist strafbar, da alleine dem Inhaber der Nutzungsrechte die Rechte zur Vervielfältigung eines Filmwerkes zustehen. Die Stadtbibliothek hat weder eine Berechtigung zur Vervielfältigung noch zur Verbreitung der durch Vervielfältigung hergestellten Video-Cassette erworben. Auch wenn, aus welchen Gründen auch immer, eine Video-Cassette im offiziellen Handel nicht erhältlich ist, erlischt das alleinige Verbreitungsrecht des Urhebers bzw. des Inhabers der Nutzungsrechte nicht."
Auch dieser Fall wirkt konstruiert und entspricht nicht der "gängigen" Bibliothekspraxis. Die rechtliche Bewertung des Sachverhalts ist völlig unhaltbar. Die Stadtbibliothek ist sowohl zur Vervielfältigung des Filmklassikers als auch zur Überlassung der Kopie an die Zweigstelle befugt; die Zweigstelle ist zur Ausleihe der Kopie berechtigt.
Gem. § 53 Abs. 2 Nr. 4b) UrhG ist es zulässig, einzelne Vervielfältigungsstücke eines Filmwerkes zum eigenen Gebrauch herzustellen, wenn es sich um ein seit mindestens zwei Jahren vergriffenes Werk handelt. Die Vorschrift ist bezüglich des Filmklassikers erfüllt, da die Videokassette seit zwei Jahren nicht mehr im Handel ist (vgl. Schricker /Loewenheim § 53 Rdz. 12b); Nordemann § 53 Rdz. 12b).
Die Weitergabe der Kopie an die Zweigstelle stellt keinen Eingriff in das Verbreitungsrecht (§ 17 UrhG) dar, denn unter Verbreitung ist das Verbringen in die allgemeine Öffentlichkeit zu verstehen (v. Gamm § 17 Rdz. 7). Die Filiale stellt aber im Verhältnis zur Zentrale nicht allgemeine Öffentlichkeit dar (vgl. Nordemann/Vinck § 17 Rdz. 2, 3; Schricker/Loewenheim § 17 Rdz. 4 - 6).
Die Befugnis der Filiale zur Ausleihe der Kopie ergibt sich aus § 53 Abs. 5 Satz 2 UrhG (vgl. Schricker/Loewenheim § 53 Rdz. 46).
- Die Rechtskommission protestiert schärfstens gegen das die Wirklichkeit verzerrende Bild von der Tätigkeit der Öffentlichen Bibliotheken im Video-Bereich und besonders gegen die unhaltbare juristische Bewertung der konstruierten Fälle. Die Bundesvereinigung des deutschen Films hat mit ihrer Presseerklärung, die den Eindruck vermittelt, Bibliotheken seien Rechtsbrecher, in grob fahrlässiger Weise dem Ansehen der Bibliotheken schweren Schaden zugefügt. Die Rechtskommission fordert die Bundesvereinigung des deutschen Films auf, unverzüglich Anstrengungen zu unternehmen, diesen Schaden wiedergutzumachen.