Publikationen Hierarchiestufe höher
Rechtskommission des DBI
Veröffentlichungen

Ulrich Moeske
Bibliotheken und Raubdrucke

Veröffentlicht in: Bibliotheksdienst 4. (1990), S. 192.

Die Fragestellung lautet:
Wie müssen Bibliotheken "Raubdrucke" behandeln? Dürfen sie sie erwerben und im Sinne ihrer Aufgabenstellung benutzen?

Das Urheberrechtsgesetz (Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte vom 9.9.1965, BGB I. S. 1273, geändert durch Gesetz vom 24.6.1985, BGB l. S. 1137) bewertet Raubdrucke als Verstöße gegen Vervielfältigungs- und Verbreitungsrechte, wie sie in §§ 16 und 17 Urheberrechtsgesetz (UrhG) definiert sind. Das ausschließliche Recht, sein Werk in körperlicher Form zu verwerten, hat der Urheber selbst. § 53 Abs. 3 UrhG regelt, daß die Vervielfältigung eines Buches oder einer Zeitschrift, wenn es sich um eine im wesentlichen vollständige Vervielfältigung handelt, "... soweit sie nicht durch Abschreiben vorgenommen wird, stets nur mit Einwilligung des Berechtigten zulässig ist". Ähnliche Regelungen gelten übrigens auch für die sog. "Tonträger- und Videopiraterie". Bis zur Novellierung des § 53 UrhG mit Wirkung vom 1.7.1985 wurde der Raubdruck als "Antragsdelikt" relativ schwach unter Strafe gestellt. Der neue § 108 a UrhG erklärt den Raubdruck zum "Offizialdelikt" und sieht als Strafmaß bis zu 5 Jahre Freiheitsstrafe vor.

Wiederholt sind Bibliotheken mit der Möglichkeit konfrontiert worden, Bücher erwerben zu können, die sie als Raubdruck identifizieren. Es handelt sich dann um fotomechanisch oder auf anderem Wege erstellte Vervielfältigungen von Werken, die es als Vorlage im Buchhandel noch gibt. In der Regel sind diese Exemplare schlechter gebunden, kleinformatiger, vor allem aber sehr viel billiger als die im Buchhandel vertriebenen. In seltenen Fällen kommt es vor, daß Titel im Raubdruck angeboten werden, die es im normalen Buchhandel nicht mehr gibt, die aber urheberrechtlich noch geschützt sind.

Eine erste Blüte hatte das "Raubdruckwesen" im Verlauf der 60er Jahre. "Laßt Tausend Raubdrucke blühen", forderte die APO im Sinne einer "Vergesellschaftung geistigen Eigentums". Die sog. "linken" Buchhandlungen waren voll von Klassikern verschiedener theoretischer Strömungen. Häufig handelte es sich hier um theoretische Werke von Autoren, deren Rechte bei sog. "bürgerlichen" Verlagen lagen. Diese jedoch hatten es nicht für notwendig gehalten, Titel dieser Art zu verlegen. Nicht selten war es erst der Erfolg der Raubdrucke, der die Verlage dazu brachte, Werke dieser Art regulär zu produzieren. So fanden Raubdrucke denn auch den Weg in die normalen Buchhandlungen. Die Verlage wehrten sich zunächst sehr zahm, hatte die "Raubdruckbewegung" doch auf Lücken im Angebot verwiesen, mit dem Geld verdient werden konnte. Die Rechtslage war jedoch auch in der 68er-Zeit bereits klar: Verstöße gegen das Vervielfältigungsrecht lagen vor, selbst wenn man sich auf seiten der Raubdruckbewegung auf den " alten" § 46 Urheberrechtsgesetz bezog, der den Schulbuchverlegern das Recht gab, aus alten Büchern neue zu komponieren.

Als allerdings 1970 der Raubdruck von "Zettels Traum" von Arno Schmidt für 100,- DM statt für 345,- DM angeboten wurde, war das Feld des "Klassenkampfs" verlassen. In steigendem Maße fanden Belletristik und Comics, aber auch aktuelle Sach- und Fachbücher den Weg in die Bauchläden der Buchverkäufer in den Zentren der großen Städte. Spätestens mit dem Erscheinen des "Handbuch der Raubdrucke II/Theorie und Klassenkampf" des Rechtsanwaltes Albrecht Götz von Ohlenhusen und der Bibliothekarin Christa Gnirß 1973 war die Raubdruckphase der "sozialisierten Drucke und proletarischen Reprints" vorbei; es begann, so der Börsenverein des deutschen Buchhandels schon 1972, das Hervortreten des bürokratischen, ministeriellen und industriellen Raubdrucks. Gemeint ist hiermit die geschäftsmäßige Organisation der Herstellung und des Vertriebs von Raubdrucken die auch 1989 noch als existent bezeichnet werden kann, obwohl es scheint, daß die große Zeit der Raubdrucke kriminell-kommerzialisierter Art nur ca. bis 1987 angedauert hat. Gerade der Börsenverein des deutschen Buchhandels hat, besonders nach der Novellierung des Urheberrechtsgesetzes seine Aktivitäten gegen die Raubdruckszene verstärkt.

Auf dem heutigen Raubdruckmarkt können drei Fallgruppen von Raubdrucken unterschieden werden:

1. Raubdrucke von Werken, deren Autorinnen und Autoren bereits tot sind:

Ist dies der Fall, liegt das Vervielfältigungsrecht bei den Erben, Nachkommen oder jeweiligen Verlagen. So hat der Suhrkamp-Verlag die Rechte am Werk von Walter Benjamin jahrelang ruhen lassen und erst ab 1969/70 teilweise nachproduziert. In dieser Zeit war es die Tochter von Wilhelm Reich, die eine Abdruckerlaubnis für Bücher ihres Vaters verweigerte. In beiden Fällen waren zur entsprechenden Zeit eine Fülle von Raubdrucken beider Autoren zu haben.

2. Raubdrucke von Werken, deren Autorinnen und Autoren noch leben und die sich beispielsweise einer Neuauflage widersetzen:

Als historisches Standardbeispiel dieser Kategorie kann das Buch "Dialektik der Aufklärung" von Adorno und Horkheimer gelten. Bis 1968 war dieses Buch überhaupt nicht zu haben, bevor es in Frankfurt als Raubdruck für 9,- DM herauskam und verkauft wurde. Der Fischer-Verlag hat das Werk dann doch regulär verlegt und verlangte 1970 24,- DM dafür.

3. Raubdrucke von Werken, die es aktuell auf dem Markt gibt und die regelrecht "piratisiert" werden, sind heute der Normalfall.

Die Raubdruckerei geschieht zum Schaden des Verlages und der Autorinnen und Autoren. Beispiele hierfür gibt es unzählige. Das historische Standardbeispiel ist der Luchterhand-Band "Der Positivismusstreit in der deutschen Soziologie", der 1968 ff. regulär 28,- DM kostete und als Raubdruck für 10,- DM angeboten wurde. Weitere Beispiele aus späteren Tagen sind: Christa Wolff: Störfall, Patrick Süskind: Die Taube, Milan Kundera: Der Scherz, derselbe: Das Buch der lächerlichen Liebe, Gabriel Garcia Marquez: Die Liebe in den Zeiten der Cholera, Isabelle Allende: Das Geisterhaus, und von derselben-. Von Liebe und Schatten.

(Die Einteilung in Fallgruppen stammt von Götz von Ohlenhusen und wurde bereits im Buchmarkt 06/70, S. 32, veröffentlicht.)

Juristische Wertung:

Nach Ansicht des Börsenvereins besteht bei den oben zitierten Fallgruppen kein rechtlicher Unterschied. Illegaler Nachdruck bleibt illegaler Nachdruck, gleichgültig, ob es der Nachdruck eines auf dem Markt befindlichen Originalwerkes ist oder ob es Autoren oder Erben nicht gestatten, daß das Werk auf den Markt kommt. Demgegenüber könnte, so Götz von Ohlenhusen in dem Aufsatz "Recht auf geistiges Eigentum und Raubdrucke" (Kritische Justiz 3 (1970), S. 36-47) ein Vorrang für das lnformationsinteresse stehen. Tritt beispielsweise der Fall ein, daß der Autor eines wissenschaftlichen Werkes die öffentliche Meinungsbildung de facto dadurch verhindert, in dem er sich nicht zu einer Neuauflage seiner Schriften entschließt, so verdient das lnformationsinteresse den Vorrang. Besteht zudem ein erhebliches wissenschaftliches Interesse an einem vergriffenen Werk, so hält Ohlenhusen es für gerechtfertigt, daß ein Nachdruck hergestellt wird. Die Frage, die hier entsteht, lautet: Überwiegt das Informationsinteresse der Öffentlichkeit oder das Verwertungsrecht des Autors? Während das Vervielfältigungsrecht die geistige Urheberschaft literarischen oder künstlerischen Schaffens schützt, werden mit der Publikation eines Werkes Gedanken und Lehren zum Gemeingut, und es kann geschehen, daß die Beziehung der Öffentlichkeit zu einem Werk eines Autors enger ist als die des Autors zu seinem Werk selbst.

Alle diese kommentierenden und interpretierenden Einlassungen ändern jedoch nichts an der klaren Rechtslage:

Die Weiterverbreitung eines Raubdrucks ist gemäß § 96 Abs. 1 UrhG verboten. Insofern machen sich Raubdrucker und die Verkäufer von Raubdrucken strafbar.

Nicht strafbar ist der Kauf von Raubdrucken. Auf diese "Gesetzeslücke" hat der Börsenverein des deutschen Buchhandels aus seiner Sicht vor einiger Zeit hingewiesen.

Das Ausleihen von Büchern in Bibliotheken ist gleichbedeutend mit der Tatsache, daß Werke der Öffentlichkeit angeboten oder in Verkehr gebracht werden. Das Urheberrechtsgesetz bestimmt unmißverständlich: "Rechtswidrig hergestellte Vervielfältigungsstücke dürfen weder verbreitet noch zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden" (§ 96 UrhG). Somit scheint das Gesetz die Ausleihe von Raubdrucken durch Bibliotheken zu verbieten.

Was bedeutet dies für die betroffenen Bibliotheken? Bibliotheken dürfen Raubdrucke kaufen, sie jedoch nicht verleihen. Dies bezieht sich ausdrücklich auch auf Werke, die im regulären Buchhandel nicht mehr zu kaufen sind. Hier sei in erster Linie auf den Antiquariatsbuchhandel zu verweisen. Die Frage, ob der einkaufende Bibliothekar erkennen kann, daß es sich um einen Raubdruck handelt, ist meiner Ansicht nach nur vorgeschoben. Die zuständigen Fachleute der Bibliotheken können sich aus einer Vielzahl von Veröffentlichungen und Quellen über das Raubdruckunwesen informieren. Nicht nur vorgenannte Bibliographie von Götz von Ohlenhusen/Gnirß ist zu konsultieren, sondern auch die regelmäßig erscheinenden Berichterstattungen im Börsenblatt des deutschen Buchhandels, die auch praktische Beispiele in Hülle und Fülle benennen. Zu warnen ist beispielsweise vor sog. "verbilligten Volksausgaben" oder auffallenden Preisunterschieden, die sich mit einem schlechten äußeren Zustand des Buches verbinden.

Zu erwähnen ist, daß sich in neuester Zeit Raubdrucke aus anderen Ländern, vornehmlich aus dem südostasiatischen Raum, auf dem Weltbuchmarkt tummeln. So finden sich englischsprachige Bücher des Heidelberger Springer-Verlages in Ägypten wieder. Ein Angebotskatalog mit dem Titel "Books Information" bietet u.a. für knapp 700,- DM Mohrs 7bändiges Standardwerk "Die Religion in Geschichte und Gegenwart" an. Stegmüllers "Hauptströmungen der Gegenwartsphilosophie" sind ebenso zu haben wie Heideggers "Sein und Zeit" oder Werke von Dilthey und Husserl. Auf dem Weltraubdruckmarkt gibt es auch Kirks "Encyclopedia of chemical technology", ein Kompendium in 22 Bänden, welches Fachliteratur von der Astronomie bis zur Veterinärmedizin einschließlich Computer Software auf dem jüngsten Stand anbietet. Die Encyclopedia Britannica wurde beispielsweise in Singapur für die Häfte des Listenpreises von 4.200,- DM angeboten. Informationen, inwieweit diese Angebote auf dem deutschen Buchmarkt oder beispielsweise Bibliotheken angeboten werden, sind z.Zt. nicht erhebbar. Hier ist Wachsamkeit gefordert und von den Bibliotheken zu praktizieren.

Grundsätzlich sollte gelten:

Vorsicht bei Büchern, die Raubdrucke sein könnten. Wenn Raubdrucke dennoch gekauft werden, so sicherlich zunächst einmal aus Gründen der bibliographischen Vollständigkeit, als Dokumente der Zeit bzw. Beispiele für Raubdrucke. Die Zugänglichmachung von Raubdrucken, beispielsweise in den Lesesaal, erscheint daher unter Gesichtspunkten der wissenschaftlichen Forschung, beispielsweise über das Raubdruckunwesen sinnvoll und möglich. Zu beachten ist im übrigen folgendes: Wenn Raubdrucke ausgeliehen werden, können Autor und Verlag gemäß § 97 UrhG von der Bibliothek Unterlassung der Ausleihe und Schadenersatz verlangen. Nach den §§ 98 und 99 UrhG können sie ferner Vernichtung bzw. Übergabe der Raubdrucke verlangen.


Seitenanfang"