Publikationen Hierarchiestufe höher
Rechtskommission des DBI
Urheberrecht

Harald Müller
Bundesverfassungsgericht zur Schallplattenvermietung
Entscheidung des BVertG vom 3. Oktober 1989 - 1 BvR 775/86
Veröffentlicht in: Bibliotheksdienst 24. (1990), S. 53.

Leitsatz

Das vom Urheberrecht verwandte Schutzrecht des Herstellers, Tonträger zu vervielfältigen und zu verbreiten (§ 85 Abs. 1, Satz 1 UrhG), ist "Eigentum" im Sinne des Art. 14 Abs. 1, Satz 1 GG (Fortführung von BVerfGE 31, 229).

Entscheidungsgründe:

I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, ob der Hersteller bespielter Tonträger dem Käufer deren gewerbliche Vermietung untersagen kann.

1. Die Beschwerdeführerin stellt Schallplatten her, auf denen sie Aufkleber mit Angaben über Titel und lnterpreten nebst folgendem Vermerk anbringt:

Die Beklagte des Ausgangsverfahrens, deren Geschäftsführer der Beklagte ist, hat derart gekennzeichnete Schallplatten verbunden mit dem Angebot verkauft, sie innerhalb von drei Tagen zu einem geringeren Preis als dem des Verkaufs zurückzunehmen. Zurückgegebene Schallplatten hat sie als gebraucht zu herabgesetzten Preisen erneut zum Verkauf angeboten.

Die Beschwerdeführerin sieht in diesem Verhalten eine Verletzung ihres auf § 85 Abs. 1 UrhG beruhenden Verbreitungsrechts, weil sie sich eine Vermietung ausdrücklich vorbehalten habe. Sie verklagte deshalb die Beklagten auf Unterlassung.

Die Revision der Beschwerdeführerin gegen das klagabweisende Urteil des Landgerichts wies der Bundesgerichtshof durch das angegriffene Urteil zurück. Das aus § 85 Abs. 1 UrhG folgende Verbreitungsrecht sei nicht verletzt, weil die Beschwerdeführerin mit der Veräußerung der Schallplatten dieses Recht erschöpft habe (vgl. die Entscheidungsbegründung in BIBLIOTHEKSDIENST 20 (1986) S. 964 - 967).

II.
Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist nicht begründet. Das Urteil des Bundesgerichtshof verstößt weder gegen das Willkürverbot des Art. 3 Abs. 1 GG noch gegen die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1, Satz 1 GG.

1. Die Auffassung des Bundesgerichtshofs, mit der Veräußerung der Schallplatten habe die Beschwerdeführerin durch eigene Benutzungshandlung das ihr vom Gesetz eingeräumte ausschließliche Verbreitungsrecht ausgenutzt und damit verbraucht, die weitere Form des Verbreitens in Form des Vermietens sei mithin gemäß § 17 Abs. 2 UrhG frei geworden, ist nicht willkürlich (wird ausgeführt).

2. Das Urteil des Bundesgerichtshofs verletzt auch nicht Art. 14 Abs. 1, Satz 1 GG.

Diese Verbürgung und nicht die in Art. 12, Abs. 1 GG gewährleistete Berufsfreiheit bildet den Prüfungsmaßstab. Das Schwergewicht der Rüge der Beschwerdeführerin liegt bei der Frage, ob ihr eine über den Veräußerungsakt hinausreichende Verfügungsmacht über den Tonträger eingeräumt werden muß. Gegenstand der Verfassungsbeschwerde ist damit nicht ihre berufliche Tätigkeit. Vielmehr geht es darum, ob das angegriffene Urteil in den durch eigene Leistung erworbenen Bestand vermögenswerter Güter eingreift, weicher ihr durch die Rechtsordnung zugewiesen ist. Insoweit beruft sie sich auf Rechte, die ausschließlich in den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1, Satz 1 GG fallen.

a) Das in § 85 Abs. 1, Satz 1 UrhG den Herstellern von Tonträgern zugeordnete ausschließliche Recht, den Tonträger zu vervielfältigen und zu verbreiten, ist Eigentum im Sinne von Art. 14 Abs. 1 GG. Für das Urheberrecht ist das vom Bundesverfassungsgericht entschieden (vgl. BVerfGE 31, 229; 31, 248; 31, 255; 31, 270 sowie BVerfGE 77, 263). Die dort angestellten Erwägungen gelten auch für das dem Urheberrecht verwandte Schutzrecht des § 85 Abs. 1, Satz 1 UrhG (vgl. die Überschrift des Zweiten Teils des Urheberrechtsgesetzes). Ebenso wie dem Urheber ist dem Tonträgerhersteller das vermögenswerte Ergebnis seiner Leistung, den Tonträger vervielfältigen und verbreiten zu dürfen, im Wege privatrechtlicher Normierung zugeordnet worden. Er hat die Freiheit, in eigener Verantwortung über dieses Recht zu verfügen. Das macht den grundgesetzlich geschätzten Kern dieses Leistungsschutzrechtes aus.

b) Die Auffassung des Bundesgerichtshofs, Hersteller von Tonträgern könnten weder die Vermietung ihrer veräußerten Produkte verbieten noch hierfür eine Vergütung verlangen, wie sie der Urheber nach § 27 Abs. 1 UrhG beanspruchen kann, greift nicht in diesen eigentumsrechtlich geschützten Kern ein.

Aus der Institutsgarantie des Art. 14 Abs. 1, Satz 1 GG folgt nicht, daß jede nur denkbare Verwertungsmöglichkeit verfassungsrechtlich gesichert ist. Das erkennt auch die Beschwerdeführerin. Wegen der sozialen Bedeutung des Urheberrechts - hier des Leistungsschutzrechts und seiner Natur ist der Gesetzgeber nur verpflichtet, eine angemessene Verwertung sicherzustellen. Es ist deshalb grundsätzlich unbedenklich, wenn der Bundesgerichtshof mit der Veräußerung der Schallplatten eine Erschöpfung des Leistungsschutzrechts angenommen hat, wie sie auch für das Urheberrecht in § 17 Abs. 2 UrhG verankert ist. Die verfassungsrechtlich allein garantierte Möglichkeit angemessener Verwertung ist in der Regel gewährleistet, wenn der Berechtigte seine vermögensrechtlichen Belange bei der ersten Verbreitungshandlung wahren kann.

c) Eine andere verfassungsrechtliche Beurteilung ist nicht im Hinblick darauf geboten, daß die gewerbliche Vermietung das Erstverbreitungsrecht des Herstellers von Tonträgern entwerten kann. Diese begünstigt zwar die Anfertigung von Privatkopien. Denn wer einen Tonträger kopiert wird ihn schwerlich erwerben. Das Vermieten von Schallplatten betrifft daher nicht nur das Recht der körperlichen Verbreitung (§ 15 Abs. 1 Nr. 2, § 85 Abs. 1, Satz 1, 2. Altern. UrhG), auf das sich der Erschöpfungsgrundsatz allein bezieht, sondern bei Urhebern (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 UrhG) und Tonträgerherstellern (§ 85 Abs. 1, Satz 1, 1. Altern. UrhG) zumindest auch das Vervielfältigungsrecht.

Den Leistungsschutzberechtigten muß aber dennoch nicht das Recht eingeräumt werden, die Vermietung von Tonträgern zu verbieten (dazu aa). Selbst wenn man wegen dieses Verlustes an Verfügungsmacht einen Vergütungsanspruch von Verfassungs wegen fordern müßte, so wäre dieser in einer dem Grundgesetz gerecht werdenden Weise eingeräumt worden (dazu bb).

aa) Der Gesetzgeber steht bei der durch Art. 14 Abs. 1, Satz 2 GG gebotenen Ausgestaltung vor der Aufgabe, die Belange der Urheber, ausübenden Künstler, Hersteller wie schließlich auch der Benutzer von Bild- und Tonträgern aufeinander abzustimmen und zu einem gerechten Ausgleich zu bringen. Die Interessen der Allgemeinheit (Art. 14 Abs. 2 GG) gehen dahin, mit dem gekauften Werkstück nach Belieben verfahren zu dürfen und über die an diesem noch bestehenden Rechte mit der erforderlichen Klarheit informiert zu sein. Dem steht das Interesse des Urhebers an einer möglichst umfassenden Zuordnung der Verwertungsmöglichkeiten gegenüber. Er kann eine verstärkte Beachtung seiner Belange insbesondere deshalb verlangen, weil er durch seine schöpferische Leistung den entscheidenden Beitrag zu dem veräußerten Produkt erbringt. Mit seinen Belangen konkurrieren die Interessen der ausübenden Künstler, weiche das Werk durch ihre Interpretation erst zum Leben erwecken und damit gleichfalls eine schutzwürdige schöpferische Leistung erbringen.

Für den Tonträgerhersteller gilt gleiches wie für den Verleger (vgl. dazu BVerfGE 58, 137 <149 f.>). Er erschließt durch seine private Initiative und auf sein Risiko der Öffentlichkeit künstlerisches Schaffen. Der wirtschaftlichen Komponente kommt bei ihm größere Bedeutung zu als bei Urhebern und ausübenden Künstlern. Er ist gezwungen, wirtschaftlich zu kalkulieren, und kann daher eine angemessene Beachtung seiner finanziellen Interessen beanspruchen. Dies gilt auch und gerade im Verhältnis zum Urheber und zum ausübenden Künstler, die häufig eher an der Verbreitung des Werkes als am wirtschaftlichen Ergebnis der Nutzung interessiert sind. Eine Gefährdung seines wirtschaftlichen Einsatzes erwächst dem Tonträgerhersteller insbesondere daraus, daß Private qualitativ hoch- oder sogar gleichstellende Klangkopien anfertigen können, ohne daß Umfang oder Anlaß dieser Kopien von ihm kontrolliert werden können (vgl. Krüger-Nieland, Festschrift für Walter Oppenhoff, 1985, S. 173 <184>). Die technischen Errungenschaften des akustischen "Klonens" sind daher geeignet, die Belange aller am Schöpfungsprozeß Beteiligten unmittelbar oder mittelbar nachteilig zu beeinflussen.

In diesem Interessengeflecht hat der Gesetzgeber einen gerechten Ausgleich zu schaffen. Unter Beachtung seiner Gestaltungsfreiheit ist seine Entscheidung, so wie sie der Bundesgerichtshof dem Urhebergesetz entnommen hat (kein Verbotsrecht), nicht zu beanstanden. Maßgebend für die "Freigabe" privater Kopiertätigkeit ist, daß der private Zugriff auf fremde Urheber- und Tonträgerherstellerleistungen weder rechtlich noch tatsächlich zu verhindern sind (Kirchhof, Der Gesetzgebungsauftrag zum Schutz des geistigen Eigentums gegenüber modernen Vervielfältigungstechniken, 1988, S. 27 f.), wenn ein Werkstück durch Veräußerung in den Verkehr gelangt ist. Dies ist die entscheidende Zäsur, welche die teilweise Vorenthaltung der Verfügungsmacht rechtfertigt. Geräte zur Anfertigung von Privatkopien sind in einer Zahl verbreitet, die eine Kontrolle der ferneren Werknutzung schon tatsächlich ausschließt. Rechtliches Argument dafür, dem Urheber das Verfügungsrecht insoweit zu entziehen, ist die Privatsphäre des Bürgers und der Schutz seiner Wohnung (BVerfGE 31, 255 <267 f.>; s. auch BGH, GRUR 1965, S. 104 <107 f.> - Personalausweise -). Die private Kopiertätigkeit ließe sich nur mit einem unverhältnismäßigen Eingriff in den häuslichen Lebensbereich kontrollieren oder verhindern. Nachdem der Berechtigte durch die Veräußerung die Verfügungsgewalt über sein Werk teilweise aufgegeben hat, kann das Interesse des Bürgers, sich nicht über die nur schwer erkennbaren Beschränkungen der Weiterverwendungsbefugnisse unterrichten zu müssen, Vorrang vor dem Interesse des Urhebers an möglichst umfassender Kontrolle der Werknutzung beanspruchen.

Muß aber schon der Urheber den teilweisen Entzug der Verfügungsgewalt durch Zulassung des privaten Kopierzugriffs von Verfassungs wegen hinnehmen, gilt dies erst recht für den Hersteller von Tonträgern. Hat dieser die teilweise Vorenthaltung der Verfügungsmacht zu dulden, können den nachfolgend Berechtigten keine weitergehenden Befugnisse eingeräumt und so zugleich die Interessen der Allgemeinheit wieder zurückgestellt werden. Dies gilt um so mehr, als sich die Interessen der Tonträgerhersteller im wesentlichen auf den finanziellen Bereich, weniger auf den künstlerisch-schöpferischen beziehen.

bb) Ob der Gesetzgeber verpflichtet ist, den verfassungsrechtlich damit unbedenklichen teilweisen Entzug der Verfügungsmacht zugunsten der Tonträgerhersteller durch Gewährung eines Vergütungsanspruchs auszugleichen, kann dahingestellt bleiben (offengelassen auch in BVerfGE 31, 255 <263> ). Denn selbst wenn Art. 14 Abs. 1, Satz 1 GG eine solche Pflicht zu entnehmen wäre, hätte ihr der Gesetzgeber in einer verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Weise genügt.

Der Beschwerdeführerin steht nämlich eine Vergütung zu. Diese folgt aus § 54 Abs. l UrhG (sogenannte Geräte- und Leerkassettenvergütung). An jenem Vergütungsaufkommen sind neben den in dieser Vorschrift genannten Urhebern kraft Verweisung nicht nur die ausübenden Künstler und Veranstalter (§ 84 i.V.m. §§ 73 und 81 UrhG), sondern auch die Tonträgerhersteller (§ 85 Abs. 3 UrhG) beteiligt. Jedem der Berechtigten steht ein angemessener Anteil an dieser Vergütung zu (§ 54 Abs. 6, Satz 2 UrhG).

Bereits durch § 53 Abs. 5 UrhG 1965 ist die Geräteabgabe zugunsten der Urheber geschaffen worden. Dadurch sollte ein Ausgleich für die Einbußen gewährt werden, welche der Absatz von Schallplatten durch die private Kopiertätigkeit erleidet (vgl. BTDrucks. IV/270, S. 71 f.). Die Urheberrechtsnovelle 1985 (Art. 1 Nr. 7 des Gesetzes vom 24. Juni 1985, BGBl. 1 S. 1137), weiche zur Neufassung der §§ 53 und 54 UrhG führte, hat an diesem Ziel festgehalten. Zweck der kombinierten Leerkassetten- oder Geräteabgabe ist die mittelbare Erfassung des Endnutzers. Derjenige soll belastet werden, der sich durch die private Kopiertätigkeit fremde Leistung vergegenständlichend aneignet (vgl. Äußerung des Abgeordneten Saurin, Stenographische Berichte, 10. Wahlperiode, 140. Sitzung, S. 10337; s. auch Engelhard, a.a.O., S. 10343). Er nimmt die Verletzungshandlung vor und soll daher wirtschaftlich die (abzuwälzende) Abgabe tragen (BTDrucks. 10/837, S. 18).

Dies zeigt, daß der nunmehr in § 54 Abs. 1 UrhG normierte Anspruch das Ziel verfolgt, den am Vergütungsaufkommen Beteiligten einen angemessenen Ausgleich dafür zu gewähren, daß durch das Überspielen von Schallplatten auf einen anderen Tonträger (etwa Tonband, Leerkassette oder gar Compact Disc) fremde Leistung, insbesondere die der Urheber und Tonträgerhersteller, genutzt wird.

Dieses Ziel wird in einem Umfang erreicht, der den sich aus Art. 14 Abs. 1 GG ergebenden Anforderungen genügt.

Das Bundesverfassungsgericht hat bereits entschieden, daß der Gesetzgeber mit den Vergütungssätzen der hier maßgebenden Nummern I.3. und 4. der Anlage zu § 54 Abs. 4 UrhG die widerstreitenden Interessen von Urhebern, Geräteproduzenten, Leerkassettenherstellern und Werknutzern in einen angemessenen Ausgleich gebracht hat (BVerfGE 79, 1 <26 f.> ). Daran ist im Hinblick darauf festzuhalten, daß die Tonträgerhersteller ebenfalls an diesem Vergütungsaufkommen teilnehmen. Die Verfassungsbeschwerde zeigt keine dem entgegenstehenden Gesichtspunkte auf.

Dem Gesetzgeber kommt auch bei der Regelung des mehrschichtigen lnteressengeflechts von Geräte- und Leergutherstellern, Urhebern und sonstigen Berechtigten, Benutzern (Privatkopierenden) ein weiter Gestaltungsraum zu. Er ist nicht gezwungen, jeden zu belasten, der bei der Verbreitung von der Vervielfältigungsmöglichkeit des Tonträgers profitiert. Bei der Ausgestaltung dürfen vielmehr auch Praktikabilitätsgesichtspunkte eine Rolle spielen. Es kann nicht beanstandet werden, daß es der Gesetzgeber bei der Belastung der Geräte- und Leerkassettenhersteller und -importeure belassen hat. Deren Zahl ist übersehbar, die der gewerblichen Schallplattenvermieter nicht. Das angemessene Vergütungsaufkommen kann auf die vorn Gesetzgeber gewählte Verfahrensweise erheblich einfacher gesammelt werden.

Die Ungleichbehandlung der Tonträgerhersteller gegenüber den in den §§ 70 und 71 UrhG genannten Leistungsschutzberechtigten, denen ein Anspruch aus § 27 UrhG für das Verleihen und Vermieten von Werkstücken zusteht (vgl. Schricker/Loewenheim, a.a.O., § 27, Rdnr. 13; Fromm/Nordemann, Urheberrecht, Komm., 7. Aufl., 1988, § 27, Rdnr. 7), verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz, der bei jeder Regelung im Sinne des Art. 14 Abs. 1, Satz 2 GG beachtet werden muß (vgl. wiederum BVerfGE 49, 382 <395> ).

Der Gesetzgeber darf die Urheber gegenüber sonstigen Berechtigten bevorzugen, die keine schöpferische, sondern nur eine technisch-organisatorische Leistung erbringen (vgl. BVerfGE 31, 275 <288 f. und 294>; sowie BVerfGE 31, 229 <246> ). Dies rechtfertigt es nicht nur, Tonträgerhersteller von dem Vergütungsaufkommen des § 27 UrhG auszuschließen (ebenso Hubmann, FuR 1984, S. 495 <511> ), sondern auch, die in §§ 70, 71 UrhG erfaßten Berechtigten zu bevorzugen. Diese stehen gleichsam im Lager des Urhebers und erbringen Leistungen, welche zwar noch nicht als schöpferisch, wohl aber ihnen ähnlich anzusehen sind (BTDrucks. IV/270, S. 86 f.). Die Verfasser wissenschaftlicher Ausgaben bringen der Allgemeinheit Werke zur Kenntnis, welche (jedenfalls mit diesem Inhalt) bisher unbekannt waren (BTDrucks., a.a.O., S. 87, Schricker/Loewenheim, a.a. 0., § 70, Rdnr. 1). Die Herausgeber nachgelassener Werke vermitteln der Allgemeinheit den "bleibenden Besitz" von Werken, die bisher unbekannt oder nur mündlich verbreitet worden waren (BTDrucks., a.a.O., S. 87 f.). Es ist daher gerechtfertigt, sie gleichsam als Geburtshelfer derjenigen Urheber anzusehen, denen es - im Gegensatz zu sonstigen Urhebern nicht gelungen ist, ihr Werk vollständig der Allgemeinheit zu überliefern.

Anmerkungen:

Mit vorstehender Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts findet eine Auseinandersetzung ihr Ende, die ausreichend Sprengstoff enthielt, um auch das Bibliothekswesen in seinen Grundfesten zu erschüttern zu können. Vorausgegangen waren jahrelange Streitigkeiten zwischen Herstellern von AV-Medien und u.a. auch Bibliotheken über die Frage, ob ein Ausleihverbot für derartige Produkte rechtlich durchsetzbar sei. Einen vorläufigen Abschluß des Rechtsstreits hatte die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vorn 6. März 1986 (BIBLIOTHEKSDIENST 20 (1986) S. 964-967) markiert, die nunmehr vom Bundesverfassungsgericht vollauf bestätigt wird.

Ein Vergleich beider Entscheidungen zeigt, daß das Verfassungsgericht die Begründung des BGH ohne Einschränkungen aufrecht erhält. Lediglich einige wenige Aspekte werden etwas stärker akzentuiert. So liegt das Schwergewicht der verfassungsgerichtlichen Überlegungen bestimrnungsgemäß bei der Prüfung etwaiger Grundrechtsbeeinträchtigungen. Mit überzeugender Begründung verneint das Gericht eine Verletzung des Eigentumsrechts der Tonträgerhersteller, wenn dieser weder die Vermietung bzw. Verleihung ihrer Produkte verhindern, noch eine Vergütung gemäß § 27 Urheberrechtsgesetz (Stichwort: Bibliothekstantieme) verlangen können. Es besteht nach Ansicht der Verfassungsrichter einfach ein deutlicher Unterschied zwischen der Gruppe der "eine technisch-organisatorische Leistung" Erbringenden und den eigentlich "schöpferisch" tätigen Urhebern. Im Interesse einer Aufrechterhaltung der "Verkehrsfähigkeit" von industriell hergestellten Massenprodukten erlischt das urheberrechtliche Verbreitungsrecht, sobald das Werk mit Zustimmung des Berechtigten im Wege der Veräußerung erstmalig verbreitet wird.

Besondere Beachtung verdient die Äußerung des Gerichts, daß der Gesetzgeber aus grundrechtlichen Erwägungen heraus nicht verpflichtet sei, den Tonträgerherstellern eine finanzielle Vergütung für diesen Verlust ihrer Verfügungsmacht zu gewähren. Dies muß im Zusammenhang gesehen werden mit der Äußerung der Bundesregierung im "Bericht über die Auswirkungen der Urheberrechtsnovelle 1985" (Bundestagsdrucksache 11/4929 vom 7.7.89), wonach sie zwar die "Einführung eines Vermietrechts als eines neuen Verwertungsrechtes ... nicht für geboten hält", aber "die Einbeziehung der Leistungsschutzberechtigten in die Vergütungsregelung des § 27 UrhG" vorschlägt. Es darf vermutet werden, daß die Tonträgerindustrie frühzeitig erkannte, ihre Verfassungsbeschwerde sei ohne Aussicht auf Erfolg, und daß sie sich deshalb mit ihren Wünschen an ein Gesetzgebungsorgan wandte.

Obwohl die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom Sachverhalt her ausschließlich die Vermietung von Schallplatten betrifft, gilt sie gemäß der Struktur des Urheberrechtsgesetzes für andere Arten der Weitergabe von urheberrechtlich geschätzten Werken in gleicher Weise. Insbesondere die Ausleihe von AV-Medien durch Bibliotheken kann auch weiterhin unbedenklich erfolgen. Es sei daran erinnert, daß bereits vor Jahrzehnten in Büchern Sätze zu lesen waren, wonach "das Einstellen in Leihbüchereien verboten" sei. Schon damals war es den Verlagen nicht gelungen, diesen ihren Wunsch rechtlich abzusichern.

So bemerkenswert die Ausführungen des Gerichts zur Funktion der Herausgeber wissenschaftlicher Werke ("Geburtshelfer der ... Urheber") auch sind, desto mehr müssen aus bibliothekarischer Sicht die Aussagen zum Kopierwesen kritisiert werden. Das Gericht ist leider den von Seiten der Industrie seit Jahren vehement vorgebrachten Behauptungen erlegen, daß aus dem Volk der Leser und Hörer ein Volk der Massenkopierer geworden sei. Auch wenn jetzt das Bundesverfassungsgericht den Vorgang der Vermietung bzw. Ausleihe eines Werkes geradezu gleichsetzt mit dessen Vervielfältigung durch den Benutzer, ist damit der Beweis noch lange nicht erbracht. Auch weiterhin muß es Anliegen der bibliothekarischen lnteressenverbände sein, darauf hinzuweisen, daß nicht jede Ausleihe von Bibliotheksgut automatisch eine Vervielfältigung durch den Benutzer nach sich zieht. Vielmehr ist genau das Gegenteil der Fall. Es darf einfach nicht stillschweigend hingenommen werden, daß die "Urheberindustrie" mit einer intensiv geführten Kampagne in der Öffentlichkeit die Meinung erzeugt, die Ausleihe urheberrechtlich geschätzter Werke werde nur noch zur Anfertigung von Kopien genützt. Die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zeigen deutlich, wieweit sich hier bereits eine falsche Vorstellung in der Öffentlichkeit festgesetzt hat.

Von diesen Mißtönen einmal abgesehen befreit diese Entscheidung die Bibliotheken vom letzten Rest an Unsicherheit bezüglich der Unbeachtlichkeit von Ausleihverboten. Da Bibliotheksgut grundsätzlich durch Kauf erworben wird, also durch die vom Hersteller gewollte Veräußerung in das Eigentum der Bibliothek übergeht, erlischt dessen Verfügungsmacht daran vollständig. Jegliche Art von Verfügungsbeschränkung, also z.B. ein Ausleihverbot, ist rechtlich unbeachtlich. Dies gilt gemäß der Struktur des Urheberrechtsgesetzes gleichermaßen für Bücher und andere Druckschriften, wie auch für alle Arten von AV-Medien, d.h. Schallplatten, CDs, Videokassetten, Filme, bis hin zu Computer-Software.


Seitenanfang