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Rechtskommission des DBI
Veröffentlichungen

Monika Rasche
Rechtslage beim Mißbrauch abhandengekommener Bibliotheksausweise

Veröffentlicht in: Bibliotheksdienst 26. (1992), S. 1716.

Vor dem Verwaltungsgericht Aachen wurde im Frühjahr 1991 in einem Rechtsstreit eines Bibliotheksbenutzers gegen die Stadt Aachen als Trägerin der dortigen Öffentlichen Bibliothek ein Vergleich geschlossen.

Dem Rechtsstreit lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Kläger - ein Aachener Bürger - hatte sich 1988 einen Benutzerausweis für die Öffentliche Bibliothek Aachen ausstellen lassen. Er glaubte, diesen Ausweis ordnungsgemäß in seiner Wohnung verwahrt zu haben. Dies war unzutreffend, wie der Benutzer durch Mahnungen der Öffentlichen Bibliothek Aachen erfuhr, in denen er zur Rückgabe von Büchern aufgefordert wurde. Vermutlich wurde der Benutzerausweis des Klägers gemeinsam mit anderen Papieren aus dessen verschlossenem PKW gestohlen.

Der Kläger meldete den Ausweisverlust der Öffentlichen Bibliothek Aachen, die daraufhin aufgrund § 5 ihrer Benutzungsordnung Schadensersatz für den Verlust von 73 Medien in Höhe von 3.286,-- DM geltend machte.

Die einschlägige Bestimmung in § 5 der Aachener Benutzungsordnung hat folgenden Wortlaut: "Für Schäden, die durch Mißbrauch des Benutzerausweises oder durch Unterlassen der unverzüglichen Verlustanzeige entstehen, ist der eingetragene Benutzer haftbar."

Der betroffene Benutzer hat nach erfolglosem Widerspruchsverfahren Klage gegen die Schadensersatzforderung der Stadt Aachen vor dem zuständigen Verwaltungsgericht erhoben. Dort kam es zu einem Vergleich, infolgedessen der Kläger nur noch Schadensersatz in Höhe von 648,-- DM leisten mußte.

Einem Protokoll des Aachener Rechtsamtes ist zu entnehmen, daß der Vergleich aufgrund der Rechtsauffassung des Gerichtes geschlossen wurde, wonach die Bibliothek ein Mitverschulden trifft, wenn sie ohne vorherige Identitätskontrolle unbegrenzt viele Medien an einen Benutzer ausleiht. Da es in dem Rechtsstreit nicht zu einem Urteil kam, liegt eine Begründung für diese Rechtsauffassung nicht vor.

Kirchner1) vertritt die Auffassung, daß es sich bei dem Benutzerausweis um ein Legitimationspapier gem. § 808 BGB handelt. Bekanntestes Beispiel für ein solches Legitimationspapier ist das Sparbuch, wobei hier ein Schuldverhältnis zwischen Bank und Sparer zugrundeliegt, aufgrunddessen die Bank zur Leistung verpflichtet ist. Leistet die Bank aufgrund der Vorlage des Sparbuches an einen - auch unberechtigten Dritten - , ist sie gegenüber dem Sparer von der Leistung befreit.

Auch der Benutzerausweis einer Bibliothek ist eine Urkunde, aufgrund derer die Bibliothek befugt ist, an den Inhaber dieser Urkunde zu leisten, nämlich Bücher auszugeben. Der Benutzerausweis dient der Ausweiserleichterung, ist jedoch im Gegensatz zum Sparbuch nicht selbst Träger eines Vermögensrechtes.

Allein aus der Tatsache, daß es sich bei dem Bibliotheksausweis um ein Legitimationspapier handelt, hat die Bibliothek jedoch noch keinen Anspruch auf Schadensersatz gegenüber dem Benutzer. Bei Auszahlung an einen unbefugten Dritten verfügt die Bank über das Vermögen des Sparers und der Schaden trifft diesen unmittelbar. Anders im Falle der Bibliothek, die Medien an einen Unbefugten ausgibt. Hier wird der Besitz an Sachen übertragen, die im Eigentum der Bibliothek stehen.

Die Pflicht des Bibliotheksbenutzers zur Zahlung von Schadensersatz im Falle von Ausweismißbrauch bedarf also einer besonderen Rechtsgrundlage. Im Aachener Fall ist dieses der § 5 der Benutzungsordnung (s. o.). Bei der Bemessung des Schadensersatzes finden - da die Benutzungsordnung und Verwaltungsrecht keine entsprechenden Regelungen enthalten - die Vorschriften des BGB Anwendung und somit auch die Bestimmung über das Mitverschulden gem. § 254 BGB.

Demnach hat jedermann in seinem geschäftlichen und privaten Bereich im Rahmen des Zumutbaren die notwendigen Vorkehrungen zu treffen, um sich vor Schaden zu bewahren. § 254 gilt gegenüber allen Schadensersatzansprüchen, gleichgültig auf welchem Rechtsgrund sie beruhen. Es ist nicht Voraussetzung für die Anwendung des § 254 BGB, daß der Ersatzanspruch - hier der der Bibliothek - auf schuldhaftem Handeln des Ersatzpflichtigen beruht.2)

Hier stellt sich die Frage, ob es der Bibliothek zumutbar ist, vor jeder Ausleihe die Identität des Benutzers festzustellen. Angesichts des Massenbetriebes in den modernen Bibliotheken dürfte dieses kaum möglich sein. Legitimationspapiere, wie sie im BGB vorgesehen sind, würden dann auch ihren Zweck - nämlich den der Ausweiserleichterung - verlieren. Auch das VG Aachen wollte offensichtlich nicht so weit gehen, denn sonst wäre es wohl nicht zu dem Abschluß des Vergleiches gekommen. Es würde jedoch gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßen, wenn die Bibliothek durch eine Bestimmung in der Benutzungsordnung dem Benutzer eine Schadensersatzpflicht in fast unbegrenzter Höhe überträgt, obwohl sie durch Abgabe der Bücher an den unbefugten Ausweisinhaber unmittelbar an der Schadensentstehung beteiligt ist. Somit ergibt sich aus § 254 BGB durchaus die Pflicht der Bibliothek, die Identität des Benutzers zu prüfen, wenn dieser überdurchschnittlich viele Bücher oder besonders wertvolle Materialien entleihen möchte. Sowohl die alten Lesehefte als auch die modernen EDV-Systeme lassen derartige mengenmäßige Ausleihbeschränkungen mit vertretbarem Aufwand zu.

Anders jedoch beim Buchkartenverfahren, bei der Fotoverbuchung oder - wie im Fall Aachen - bei einem offline-EDV-System sind solche Kontrollen nicht möglich und der Menge der pro Ausweis ausleihbaren Bücher ist nach oben keine Grenze gesetzt. Hier kann die Bibliothek jedoch nicht die technischen Mängel in ihrem Betrieb dem Benutzer zur Last legen, sie wird sich also im Fall von Ausweisverlust ein Mitverschulden anrechnen lassen müssen. Daraus die Konsequenz zu ziehen, - wie es das Aachener Rechtsamt der Bibliothek empfiehlt - verstärkt Identitätskontrolle durchzuführen, halte ich jedoch für unverhältnismäßig. Allein der Personalaufwand für derartige Kontrollen dürfte in keinem betriebswirtschaftlichen Verhältnis zu dem durch gelegentlichen Ausweismißbrauch entstehenden Schaden stehen. Außerdem würde das Verhältnis Bibliothek - Benutzer durch dieses Mißtrauen erheblich Schaden leiden, und es gibt auch keine Lösung für die durchaus zulässigen Fälle der vertretungsweisen Ausweisnutzung, denn dann kann der Enkel keine Bücher mehr für die bettlägerige Großmutter entleihen oder die Nachbarin gefälligkeitshalber das vorbestellte Buch abholen. Hier eine Vollmacht zu fordern, wäre ein Verwaltungsaufwand, der dem Bürger auch nicht einsichtig wäre.

Die Rechtskommission empfiehlt den Bibliotheken daher, ein Ausleihlimit zu setzen, soweit dies technisch möglich ist. Sofern jemand aus besonderem Anlaß weitere Medien entleihen möchte, soll die Bibliothek die Identität des Benutzers anhand eines Ausweispapieres überprüfen.

Anmerkungen:

1) Kirchner, Hildebert: Bibliotheks- und Dokumentationsrecht, S. 132

2) Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch. - 51. Aufl. - 1992 - § 254 Rdz. 3 - 5


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